Grade fällt mir auf, dass es hier in letzter Zeit recht still war. Irgendwie sind momentan andere Themen, andere Projekte für mich wichtiger. Überhaupt war der Sommer ein stiller, leiser. Nur das Wetter stürmte fröhlich vor sich hin. Ich hingegen dachte in aller Ruhe über die Zukunft nach, über Lebens- und Wohnmodelle, über berufliche Veränderungen und Wunschträume. Ich habe mich über all den Schwachsinn, der im Namen von Religionen und Demokratie verbreitet wird, erzürnt. Und darüber, dass unsere Politiker uns immer mehr für total blöd halten. Ich habe eine kleine Reise gemacht und mehrere Tage Hochzeit gefeiert – nicht meine eigene, natürlich. Ich habe Komplimente erhalten, überraschend und schön. Ich pflege Freundschaften in neuer Intensität. Ich habe den Kerl in die Wüste geschickt – und mich von wenigen Worten von ihm derart um den Finger wickeln lassen, dass ich ihn wohl zurückholen werde. Ich habe viel getanzt. Ich habe gelacht, geweint, gesehnt, geträumt. Und ich freue mich tierisch, dass mein Lieblingsnachbar schon ganz bald wieder in seine Wohnung zurückkehrt. Hurra! Ach, und ich kriege jetzt neuerdings Geld fürs Twittern und Facebooken. Wenn das nicht geil ist.
Wohnzimmer -
feinstrick - 21. Sep, 20:42
Ich habe ein Date mit einem unbekannten Mann. Wieder mal. Wir schreiben uns sehr anregende Mails, aber als es ernst wird, schrecke ich immer wieder zurück. Irgendwas gefällt mir nicht. Der Mann will mich unbedingt gleich beim ersten Mal zuhause treffen. Als ich ablehne, reagiert er genervt – nicht gerade sehr vertrauensfördernd. Ich ziehe mich erst mal zurück.
Dann siegt irgendwann doch die Neugier. Seine erotischen Wünsche und Sehnsüchte decken sich gut mit meinen. Vielleicht haben wir doch Spaß miteinander. Am Tag des Dates ist meine Lust allerdings im Keller. Wieder plagen mich Zweifel, wieder möchte ich absagen, und tue es dann doch nicht. Nur widerwillig fahre ich zum verabredeten Ort.
Der Mann sieht genauso aus wie auf dem Foto, das finde ich beruhigend. Wir gehen spazieren, sind schnell im Gespräch, erzählen viel. Er ist offen, freundlich, gefühlvoll. Ganz anders als in seinen letzten Mails, in denen er mich so bedrängt hat. Das gefällt mir.
Als er fragt, ob ich auf ein Glas Wein mit zu ihm nach Hause kommen mag, sage ich ohne zu zögern ja. Meine Bedenken sind weg. Wir werden einen gemütlichen Abend haben, da bin ich mir jetzt sicher.
Und so ist es auch. Wir sitzen entspannt auf seinem Sofa, leeren gemeinsam eine Flasche Wein und reden über Beziehungen, Kinder, Politik. Ich fühle mich wohl, mag seine Sicht auf die Dinge, seine Wohnung, alles, was ihn auf den ersten, schnellen Blick ausmacht. Es wird immer später, wir legen beide die Füße hoch, rücken näher zueinander.
„Werden wir heute eigentlich noch Sex haben?“, fragt er irgendwann.
Seine offene, direkte Art gefällt mir. Trotzdem zögere ich diesmal. So wohl ich mich fühle, so wenig Lust habe ich.
„Ich weiß es nicht“, sage ich wahrheitsgemäß.
„Ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht“, entgegnet er.
Prickelnde Leidenschaft sieht ja wohl anders aus.
„Wir können ja mal mit Knutschen anfangen“, schlägt er vor.
Wir rücken noch näher zusammen, küssen uns. Er küsst gut, aber ohne Leidenschaft. Mir geht es genauso. Es fehlt etwas. Wir sollten aufhören, denke ich, aber wir machen weiter. Warum, weiß kein Mensch.
Wir wechseln ins Schlafzimmer. So gemütlich, wie wir angefangen haben, machen wir weiter. Wir massieren uns gegenseitig den Rücken, kuscheln, knutschen. Das ist alles sehr vertraut, als würden wir uns schon ewig kennen. Ich fühle mich nicht fremd in seinem Bett, aber ich bin auch nicht sonderlich erregt. Der Sex verläuft schnell und unspektakulär. Ich finde ihn zwar nicht unangenehm, aber auch nicht aufregend. Das hätten wir uns komplett schenken können.
Hinterher liegen wir noch lange beieinander. Kuscheln mit ihm geht gut. Ich kann seine Nähe aushalten und fühle mich wohl mit ihm. Wir waren viel zu schnell, denke ich voller Bedauern. Wir hätten uns erst mal richtig kennenlernen sollen, das wäre gut gewesen. Reden. Sich näher kommen. Spannung aufbauen. Und irgendwann, beim vierten oder fünften Date vielleicht auch mal Sex. Dann wäre es vielleicht was geworden. So aber bleibt ein derart fader Nachgeschmack, dass wir kaum noch mal die Kurve kriegen werden.
Wir schreiben uns hinterher sehr nette Mails, versichern einander, wie schön der Abend war, fügen aber auch beide an, dass wir nicht sicher sind, ob wir an einer Fortsetzung interessiert sind. Er meldet sich anschließend nicht mehr. Ich mich auch nicht.
Etwas in mir hat sich verändert. Mein Interesse an fremden Männern ist komplett erloschen. Mich nervt das zu sehr. Diese schnellen, kurzen Abenteuer sind nicht mehr mein Ding. Was ich früher mal aufregend fand, ist mir jetzt nur noch lästig. Aufbrezeln, Small-Talk halten, raus aus den Klamotten, rein in die Kiste – für was? Für ein bisschen Körpernähe und vielleicht ein wenig Lust? Das ist es mir nicht wert. Nicht mehr wert. Ich lege mein Profil in der Flirtbörse, in der ich den Mann kennengelernt habe, still. Mein Bedarf an Abenteuern ist gestillt. Ich glaube, für diese Art der Kontaktaufnahme bin ich echt inzwischen zu alt.
Heute hat mein Vater Geburtstag. Er wäre 82 Jahre alt geworden, wenn er nicht vor elf Jahren an einem Hirntumor gestorben wäre. Ich habe im letzten Jahr viel an ihn gedacht, oft mit ihm gerungen, war abwechselnd ratlos, traurig, zornig. Ich habe mich gefragt, warum er so war, wie er war. Warum er mir und meinen Geschwistern nicht die Liebe geben konnte, die wir brauchten – obwohl er doch eigentlich ein sehr liebevoller Mensch war, sanft, friedlich, immer mit einem Lachen im Gesicht, immer freundlich, nie mürrisch, schlecht gelaunt, genervt, verärgert. Und doch fiel es ihm schwer, Gefühle zu zeigen, sich auf Nähe einzulassen, seine Kinder beim Heranwachsen zu unterstützen. Je älter er wurde, umso mehr zog er sich in seine eigene kleine Welt zurück, in die niemand vorzudringen vermochte – außer vielleicht meine Mutter. Ihr galt all seine Liebe, all seine Zuwendung, und als sie schwer krank wurde und starb, da ging er einfach mit und folgte ihr nur ein knappes Jahr nach ihrem Tod. Voller Wut dachte ich damals: Hättest du nicht noch ein bisschen durchhalten können? Deine Kinder und Enkelkinder hätten dich noch gut gebrauchen können. Gleichzeitig war ich froh, dass es nun nicht meine Aufgabe war, mich um diesen eigensinnigen Mann zu kümmern, der sich von niemandem außer meiner Mutter gern etwas sagen ließ. Er war eine Autoritätsperson, erfolgreich im Beruf, angesehen in der Familie und Verwandtschaft. Und doch wirkte er oft völlig überfordert mit den Banalitäten des Alltags, war hilfloser als ein Kind, wenn er in ein Restaurant ging oder einkaufen. Dann schämte ich mich oder hatte Mitleid mit ihm – je nachdem, wie ich mich gerade selbst fühlte. Vor allem aber ging mir seine Weltfremdheit auf die Nerven, war ich wütend darüber, keinen Vater zu haben, der mich stützte, sondern auf den ich oft genug selbser aufpassen musste.
Der Mann, der nun seit gut anderthalb Jahren durch mein Leben tanzt, kommt und geht wie er will, mal sehr intensive Nähe zulässt, dann wieder weit, weit weg ist, erinnert mich immer häufiger an meinen Vater. Die Ähnlichkeiten sind so verblüffend, dass ich mich mittlerweile nicht mehr wundere, warum mich dieser Mann so fasziniert, und ich ihn in mein Herz geschlossen habe, obwohl wir so unterschiedlich wie Tag und Nacht sind, und ich keineswegs anhimmelnd an seinen Lippen hänge, sondern mich oft genug verständnislos abwende. Aber wir neigen eben zu Wiederholungen im Leben. Das, was uns vertraut ist, zieht uns an. Dazu gehören sogar negative Gefühle wie Wut, Enttäuschung und Angst. Fast scheint es so, als ob ich diesem Mann begegnen musste, um die Geschichte mit meinem Vater besser zu verstehen, um mich innerlich mit ihm aussöhnen zu können, um vorwärts gehen zu können. Ob ich nun alleine weiter gehe oder wir zu zweit sind – in welcher Form des Miteinanders auch immer – ist eigentlich fast egal. Auf jeden Fall habe ich eine weitere, kleine Stufe in meinem Leben erklommen. Es war eine schwere Hürde, für die ich sehr, sehr viel Anlauf und Kraft brauchte. Viele Male bin ich umgekehrt, weil ich dachte, ich würde es nicht schaffen. Aber nun habe ich auf einmal so ein leises Gefühl von Versöhnung, von Abschied und Loslassen. Könnte sein, dass ich tatsächlich schon die ganze Stufe bewältigt habe.
Und nun werde ich eine Kerze für meinen Papa anzünden und mich an all die schönen Momente mit ihm erinnern, das gemeinsame Lachen, das Malen und Basteln, als ich noch ein Kind war, seine Hilfe bei den Hausaufgaben, die langen Spaziergänge mit unserem Hund, die vielen Urlaube und endlosen Stunden voller Gemütlichkeit an unserem großen Esstisch. Das gab es nämlich alles auch.
Dachboden -
feinstrick - 3. Aug, 18:02
Pünktlich mit dem Eintreffen des Sommers fahre ich ans Meer und treffe die wunderbare
Frau Rosmarin. Zwei Tage voller Lachen, Arbeit, am Strand rumliegen, mal die Zehen in die Ostsee halten, uns von der Hundedame ausführen lassen und den Geschichten des Herrn Ro lauschen. Wir sitzen bis nachts auf der Terrasse, zählen Sternschnuppen, schmieden Pläne, diskutieren erhitzt, lachen noch mehr.
Nach Wochen voller Regen, Sturm und ewigem Grau sind es geradezu unwirklich schöne, friedliche Tage. Wir liegen im Liegestuhl im Garten, träumen, lassen uns von einem lauen Sommerlüftchen die Seele streicheln und wünschten, das Leben möge ewig so weiter gehen.
Ich denke nicht an Geldsorgen, nicht an komplizierte Liebesbeziehungen, nicht an mein Unvermögen, mir neue Aufträge zu beschaffen. Vielmehr stecke ich all meine Energie in ein zauberhaftes Projekt, als hinge mein Leben davon ab. Aber was habe ich auch groß zu verlieren?
Zurück vom Meer setzt die Ernüchterung ein. Zack! Eine Mail, deren Inhalt ich mir völlig anders erhofft hatte. Es wäre so schön gewesen, wenn einmal etwas zwar nicht gleich auf Anhieb, aber so doch zumindest mit recht kurzem Anlauf geklappt hätte. Aber ich gehöre leider zu den Leuten, die immer haarscharf am Ziel vorbei schrammen. „Großartig, aber ...“ Ich bin es leid, so was zu hören und zu lesen. Da wäre es mir direkt lieber, sie würden mir sagen: „Furchtbar. Wechseln Sie mal lieber den Job. Friseurin könnte vielleicht was für Sie sein.“
Immerhin habe ich in den letzten Tagen so viel gelacht, dass ich mich jetzt nicht heulend in die Ecke schmeiße, sondern lediglich mit einem flauen Gefühl im Magen auf meinem Sofa zusammensinke.
Vielleicht geht ja wenigstens mal der Wunsch in Erfüllung, den ich abgeschickt habe, als ich nachts all die Sternschnuppen am Himmel sah. Träumen kann ich zum Glück noch. Obwohl es manchmal schwer fällt.
Unterwegs -
feinstrick - 25. Jul, 21:54
Ich habe so viel an mir gearbeitet und denke, dass sich das doch irgendwann mal auszahlen muss, dass ich es schaffen muss, die Schatten der Vergangenheit loszulassen. Aber so leicht ist das nicht. Es gibt Situationen, in denen klappt es schon sehr gut. Vielleicht, weil die Gespenster da nicht so präsent sind. Wenn ich dem Mann begegne, sind sie jedoch leider immer noch alle da. Meine Gespenster der Vergangenheit, und seine auch. Sie stehen neben uns, zwischen uns, hinter uns, machen Kommunikation mühsam, lassen mich angespannt und unruhig sein, verkrampft und unsicher.
Wir sitzen zusammen auf meinem Sofa, aber zwischen uns befindet sich ein riesengroßer Graben, den ich nicht überwinden kann. Ich möchte so gern, dass er mich so sehen kann, wie ich wirklich bin – mit all der Fröhlichkeit und Leichtigkeit, die ich oft habe, mit dem Geist und Witz, der Unbekümmertheit und Energie, die ich selber spüre, wenn ich mal nicht total vernagelt bin. Stattdessen sitze ich neben ihm wie das Kaninchen vor der Schlange. Wie gelähmt. Leere in Hirn und Herz. Ich hasse mich dafür. Aber das macht es nur noch schlimmer. Er erzählt mir gute Sachen, aber ich höre kaum zu. Er stellt mir Fragen, aber mir fallen die passenden Antworten nicht ein. Meine eigenen Fragen habe ich auch komplett vergessen. Was ist das bloß? Ich war mir so sicher, dass es diesmal besser als sonst gehen würde, dass ich ihm anders begegnen könnte. Immerhin kann ich seine Ratschläge und Tipps annehmen, gehe nicht wie früher in die totale Ablehnung. Vielleicht muss ich das als kleinen Fortschritt werten.
Wir haben uns zum Arbeiten getroffen, und er bleibt die ganze Zeit total geschäftsmäßig. Vielleicht ist es das, was mich so verstört. Diese strikte Trennung zwischen Kopf und Herz, Geist und Körper, die er immer wieder vornimmt. Erst als er schon halb zur Tür raus ist, kommt plötzlich die Lust. Der Abschiedskuss wird inniger als geplant, und schlagartig entspanne ich mich. Sobald wir uns anfassen, sprechen wir eine andere Sprache miteinander. Da spürt er genau, wie es mir geht, und ich spüre, was er braucht. Da müssen wir uns nicht verstellen, muss keiner von uns Angst haben. Auf einmal bin ich ganz bei mir. Und bei ihm.
Der Sex ist leise und zärtlich an diesem Tag. Wir stehen beieinander, berühren uns zart, spüren, genießen, schauen. Ganz unaufgeregt, ganz nah. So innig sind wir noch nie miteinander umgegangen. Die Lust ist eigentlich zweitrangig, es geht um etwas ganz anderes. Wieder stehen wir endlos lange gemeinsam vor meinem Spiegel. Das scheint er neuerdings zu lieben. Mehr denn je denke ich, wie gut wir optisch zusammen passen. Viel besser als ich immer dachte. Wir landen doch noch im Schlafzimmer, obwohl er eigentlich gar keine Zeit mehr hat, längst gehen wollte. Behutsam verwöhne ich ihn, er genießt jede noch so zarte Berührung. Hinterher liegen wir eng umschlungen beieinander. Er schläft kurz ein, hält mich dabei fest im Arm. Ich genieße seine Nähe, seine Wärme.
Warum konnten wir den ganzen Nachmittag nicht halb so einfühlsam miteinander umgehen? Warum kriegen wir das immer nur hin, wenn wir uns auf körperlicher Ebene begegnen? Was ist so schwer daran, miteinander zu reden? Sich auszutauschen? Warum stehen diese elenden Gespenster immer nur zwischen uns, wenn wir uns außerhalb des Bettes bewegen?
Ich dachte, ich hätte das alles längst begriffen. Aber etwas zu verstehen und es auch umsetzen zu können, sind eben doch sehr verschiedene Dinge.