Schlafzimmer

Montag, 21. August 2017

Veränderungen

Dies ist das Jahr des Ausgehens. So oft bin ich ewig nicht mehr tanzen gegangen, zu Konzerten, in Ausstellungen, zu Lesungen. Vor allem Musik entdecke ich ganz neu für mich. Ich habe ja keine Ahnung davon, kenne selbst sehr populäre Bands nicht, merke mir nie die Namen der Bassisten oder Drummer, geschweige denn Songtitel oder gar –texte. Woran das liegt, weiß ich nicht. Vielleicht an der Brutalität, mit der mein großer Bruder mir als Kind verbat, die Musik zu hören, die ich mochte. Oder an der Geringschätzung, mit der mein Vater von „Unterhaltungsmusik“ sprach. Was mich allerdings keineswegs dazu brachte, mich in klassischer Musik besser zurechtzufinden. Und auch nicht dazu, irgendwann zu rebellieren und Punkrockerin zu werden.

Letzteres bedauere ich heute manchmal. Ich wäre lieber eine Rebellin geworden statt das verängstigte Wesen, zu dem ich in meiner Pubertät mutierte und das mich viele, viele Jahre nicht mehr losließ. Während meines Studiums machte ich ein Praktikum in einem Kulturzentrum, half bei der Veranstaltungsorganisation von Partys und Konzerten. Das hätte großartig sein können, wenn ich nicht so verschüchtert gewesen wäre, dass ich kaum wagte, den Mund aufzumachen. Wer weiß, wohin mein Weg mich geführt hätte, wenn ich damals mehr Mut besessen hätte. Denn der Spaß an Musik, an Konzerten, an diesem rauschhaften Eintauchen in Rhythmen und Klänge, der war immer da.

Nun habe ich das alles nach Jahren des Winterschlafs wiederentdeckt. Und ich merke, dass sich mir dabei neue Türen öffnen. Ich begegne Menschen, denen ich sonst nie begegnet wäre. Ich treffe auf einen Mann und erlebe einen magischen Abend voller Energie, funkelnder Augen und ausgelassenem Lachen. Es ist diese Art von Aufeinandertreffen, auf der unzählige Hollywoodfilme fußen, weil so viele Zufälle eine Rolle spielen, die am Ende gar nicht anders können, als sich zu einem gigantischen Happy End zu vereinen. Nur dass ich zum Glück vorgewarnt wurde und weiß, dass ich in dieser Geschichte nur die Närrin bin, nicht die Liebende, die am Ende in die Arme ihres Angebeteten sinkt. Der hat nämlich längst eine andere geheiratet, vor wenigen Monaten erst. Und die Gute scheint zu spüren, dass zwischen ihm und mir etwas in Schwingung gerät, das nicht sein darf, denn sie wacht im Verlauf des Abends mit zunehmender Eifersucht über unser Gelächter und das Wühlen in der gemeinsamen Vergangenheit, die wir haben, ohne dass ich das bislang geahnt hätte.

Er ist mit meinem Bruder zur Schule gegangen, aber dieser eine Name war mir überhaupt nicht mehr präsent (und das Gesicht gleich gar nicht). Umso erstaunter bin ich, was er alles weiß – über meine Familie, vor allem aber auch über mich. Als habe er mich still beobachtet in all den Jahren. Das hat er natürlich nicht, aber für einen Moment fühlt es sich so an, wünsche ich es mir vielleicht einfach. Und natürlich kennt er auch meinen Ex, die Welt ist ein Kuhdorf, ich muss es fragen, weil ich es von Anfang an ahne, die beiden haben viele Gemeinsamkeiten, ja, wenn ich mir die liebe Gattin ansehe, haben sie sogar denselben Frauengeschmack.

Frauen sind das, die so gar nichts mit mir gemein haben, weder äußerlich noch in ihrem Lebensstil und vermutlich auch nicht in der Art, wie sie ihre Männer lieben. Ich passe da nicht hin, gehöre da nicht hin, und das nicht nur, weil ich mich am Lachen eines frisch verheirateten Mannes berausche. Das ist nicht meine Welt, ich habe nicht gelernt, mich darin zurechtzufinden, fühle mich auch heute noch zu bieder, zu langweilig, zu unwissend zwischen diesen Menschen.

Und gleichzeitig bin ich fasziniert von ihnen, denke, dass sie viel spannender sind als all die Leute, mit denen ich sonst so zu tun habe. Und mit beinah fünfzig Jahren wünsche ich mir, endlich auch mal so cool sein zu können, endlich doch mal die Punkrockerin rauszulassen. Aber ob das hilft und mich glücklicher macht? Jedenfalls habe ich vergangene Nacht in den wenigen Stunden, die ich überhaupt schlafen konnte, von diesem Mann geträumt. Ich weiß, ich werde ihn nie kriegen können. Aber es ist gut, zu spüren, dass ich es noch kann: mich Hals über Kopf verlieben.

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Dienstag, 29. November 2016

Willst du gelten ...

... mach Dich selten, pflegte schon meine Mutter zu sagen. Mir fiel es in der Regel schwer, diesen Rat zu befolgen, jedenfalls, wenn es um Männer ging. Wenn ich das Gefühl hatte, dass mir einer abhandenkam, klammerte ich mich an ihn - und verlor ihn dadurch natürlich erst recht.

Jetzt ist aber alles irgendwie anders und ich staune, sowohl über mich selbst als auch über den Mann. Zwei Monate ist es her, dass ich ihn freundlich, aber bestimmt fortschickte. Die Vereinbarung lautete, dass ich mich melden würde, wenn ich gern wieder Kontakt hätte - egal ob in vier Wochen, vier Monaten oder vier Jahren.

Nun, was soll ich sagen? Mein hartnäckiges Schweigen scheint ihn zu beunruhigen. Die erste Kontaktaufnahme fand an meinem Geburtstag statt, da hatte er einen schönen Vorwand, um mir zu schreiben. Ich reagierte erfreut, was ihn dazu ermutigte, mich umgehend anzurufen und dann, als er mich nicht erreichte, noch eine Mail nachzuliefern. Ich staunte nicht schlecht, meldete mich aber nicht mehr. Schließlich wollte ich ja eigentlich meine Ruhe haben.

Seitdem streckt er seine Fühler immer wieder nach mir aus. Da eine kleine Mail, dort ein Anruf (der mich wieder nicht erreichte). Fehlt eigentlich bloß noch, dass er »rein zufällig« in meiner Straße auf und ab spaziert.

Ich gestehe: Damit habe ich nicht gerechnet, und als die Geburtstagsmail kam, freute ich mich sehr. Ach, dachte ich, er hängt doch an mir, das ist schön. Doch allmählich schwanke ich zwischen Freude und Ärger. Er nimmt meine Bedürfnisse gar nicht ernst, respektiert meinen Wunsch nach Ruhe überhaupt nicht. Ich nehme an, der Jagdtrieb geht mit ihm durch. Dass er mich als Mensch vermisst, bezweifle ich jedenfalls. Da müssten seine Mails schon etwas weniger begehrlich klingen.

Und nun? Ich gestehe, ich weiß es nicht. Erst mal lasse ich ihn weiter zappeln. Und staune, dass ich das so gut hinbekomme. Aber ich habe zum Glück zurzeit so viel Arbeit, dass ich kaum zum Nachdenken komme. Da haben sinnliche Gedanken wenig Platz. Und Herzensdinge gleich gar nicht.

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Sonntag, 16. Oktober 2016

Stalker

Vor vielen Jahren saß ich mal in einem Zug neben einem Mann, der wie ich die lange Strecke von Basel nach Hamburg zurücklegte. Wir hatten viel Zeit, kamen ins Gespräch. Ich war sehr erfüllt von meiner Reise, die ich zu Recherchezwecken für meine Magisterarbeit unternommen hatte. Darin beschäftigte ich mich mit einem Schweizer Maler und hatte deshalb u. a. intensiven Kontakt zum Vorsitzenden einer Stiftung gehabt, die den Nachlass des Malers verwaltete.
Das alles erzählte ich dem Mann im Zug. Er selbst arbeitete bei irgendeiner Behörde, hatte eine Frau und Kinder. Er war erheblich älter als ich, und ich fand ihn zwar ganz unterhaltsam als Sitznachbarn, hatte aber ansonsten null Interesse an ihm. Als er mich in den Speisewagen auf ein Glas Wein einlud, folgte ich ihm nur aus Langeweile. In Hamburg verabschiedeten wir uns höflich voneinander.
Ein paar Wochen später erhielt ich auf einmal einen Anruf. Am anderen Ende der Leitung war der Mann aus dem Zug. Ich war schockiert, denn ich hatte ihm weder meinen Namen noch meine Telefonnummer gegeben. Er hatte anhand der Details, die ich ihm über meine Reise und den Maler genannt hatte, recherchiert (und das alles zu Zeiten vor dem Internet!), dabei sogar Kontakt zu besagter Stiftung aufgenommen, nur, um mich aufzuspüren. Was er wollte, war schnell klar, ohne dass er es deutlich in Worte fassen musste. Ich war wütend ob seiner Zudringlichkeit und verstört angesichts der Dreistigkeit, mit der er mir hinterhergejagt war. Er war geradezu stolz auf die detektivische Leistung, die er vollbracht hatte. Ich hingegen war entsetzt und beendete das Telefonat sehr schnell.

Vor einiger Zeit hatte ich mal in einer Singlebörse regen Mailkontakt zu einem Mann. Er wirkte sehr interessant, schrieb klug und feinsinnig und ich vertraute ihm so sehr, dass ich ihm nicht nur recht intime Details über mein Liebesleben erzählte. Ich schickte ihm auf sein Drängen hin auch ein PDF mit einem Textauszug aus einem meiner Romane. In meiner Dämlichkeit vergaß ich jedoch, dass in den Metadaten des PDF mein voller Name stand. Der Mann machte mich immerhin darauf aufmerksam, dass er sich nun erst mal in aller Ruhe meine Website mit sämtlichen beruflichen Informationen über mich angeschaut habe. Mir wurde heiß und kalt, denn dort steht auch meine vollständige Adresse. Aber ich sagte mir, ach, halb so schlimm, das ist ein Netter, der darf das alles wissen.
Bald darauf traf ich den Mann auf einen Kaffee. Und ich entdeckte voller Entsetzen, dass er keineswegs ein Netter war. Vielmehr hatte er ein massives Suchtproblem und war zudem hochgradig aggressiv. Wir saßen an einem Tisch am Fenster und alle Frauen, die draußen vorbeigingen, bedachte er mit so abfälligen Bemerkungen, dass ich am liebsten sofort aufgestanden und gegangen wäre. Ich blieb, aber es war klar, dass ich diesen Mann nicht mal als guten Freund haben wollte. Und mir wurde erneut heiß und kalt, als ich daran dachte, was er inzwischen alles über mich wusste.
Er reagierte sehr beleidigt auf meine Absage und demütigte mich in seiner Abschiedsmail auf widerwärtige Weise. Das unterstrich mein unwohles Gefühl noch, aber er ließ mich zum Glück anschließend in Ruhe. Doch mein Interesse an Singlebörsen war für sehr lange Zeit gestillt.

Nun habe ich es doch wieder gewagt, hauptsächlich, um meinen Herzschmerz zu verdrängen. Der erste Mann geriet mit mir in Streit, weil ich kein öffentlich sichtbares Profilbild eingestellt hatte. Er fand das feige. Der zweite tauchte kommentarlos ab, nachdem ich ihm ein Foto per Mail geschickt hatte. Der dritte mokierte sich ewig über meine kurzen Haare und erklärte, er fände lange Haare viel hübscher. Ich wollte ihn schon in die Wüste schicken, dachte aber: Nun sei mal nicht so mäkelig wie all diese Kerle hier, sonst wird das nie was.
Also tauschte ich mich noch ein wenig mehr mit dem Mann aus. Als er mich fragte, warum ich mein Pseudonym als Gruß verwendete, erklärte ich, dass es mir wichtig sei, meine Privatsphäre zu wahren. Er schickte mir daraufhin einen Link zu seiner beruflichen Website. Ich war sehr überrascht, wussten wir doch praktisch noch nichts voneinander, wir hatten bis dahin gerade mal eine Handvoll oberflächlicher Mails getauscht.
Aber ich honorierte seinen Vertrauensvorschuss, indem ich unter die nächste Nachricht meinen richtigen Vornamen setzte. Und auf seine Frage hin erwähnte ich, welche Art Bücher ich schreibe.
Und dann passierte es wieder. Als ich das nächste Mal in mein Postfach sah, fand ich endlos lange Nachrichten dieses Mannes vor, in denen er lang und breit erklärte, wie hübsch er mich mit langen Haaren fände, wie interessant meine Bücher aussähen und dass er für ein erstes Date wohl zur Buchmesse kommen müsse, da ich ja nächste Woche viel beschäftigt sei.

Er verpackte das alles freundlich und nett in kleine Geschichten aus seinem eigenen Alltag. Aber diese charmanten Geschichten kamen bei mir gar nicht mehr an. Das Einzige, was ich wahrnahm: Dieser Mann hatte sich anhand der wenigen Daten, die er von mir hatte, wie ein Detektiv auf die Suche nach mir gemacht. Er hatte sich alles angeschaut, was es über mich im Netz zu finden gibt (und das ist viel!). Er hatte sich ungefragt in mein Leben gedrängt, mich ausspioniert und mich noch vor einem ersten Treffen nackt ausgezogen.

Ich begreife es nicht. Glauben Männer wirklich, dass wir Frauen so was mögen? Ich empfinde das als große Respektlosigkeit und bin mir sicher, dass sich so ein Mann auch in einem freundschaftlichen oder partnerschaftlichen Miteinander über Grenzen hinwegsetzen würde. Diese Art der Zudringlichkeit ist mir völlig fremd. Mehr noch: Sie stößt mich ab. Mein Bedarf an Abenteuern in Onlinebörsen ist jedenfalls fürs Erste wieder mal gestillt.

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Samstag, 1. Oktober 2016

Therapeutisches Putzen

Ich habe gestern stundenlang einen wirklich dreckigen Kellerraum geschrubbt und tonnenweise Staubflocken, Spinnweben und anderen Schmutz beseitigt. Das hatte ich schon lange geplant, aber gestern war ein guter Tag dafür. Denn vorgestern habe ich etwas beendet, das sich nicht mehr richtig anfühlte.

Nach Monaten voller Frieden und Harmonie, voller inniger Zuwendung und heißer Leidenschaft gab es auf einmal Risse. Mir ging es sehr gut im letzten Jahr, aber in diesem Sommer hatte ich ein paar scheußliche Momente. Und genau da, als ich ihn dringend gebraucht hätte, kniff er und tauchte ab. Später rechtfertigte er sich damit, dass dies eben keine Liebesbeziehung sei und er mir nicht permanent zugewandt sei, sprich: Wenn er grade mit den Gedanken und dem Herzen anderswo ist, dann habe ich leider Pech gehabt.

Da gab es dann nicht mehr nur Risse, da brach auch etwas. Die Enttäuschung, dass er nicht mal wie ein guter Freund reagieren konnte, dass da einfach überhaupt keine Bereitschaft war, mal für ein paar Augenblicke für mich da zu sein (mehr wäre gar nicht nötig gewesen), verletzt mich. Alles, was ich bis dahin dachte, entpuppte sich als Illusion. Das, was zwischen uns entstanden war, taugt nicht für etwas Langfristiges. Nicht mal als bloße Affäre.

Die Trennung vollzogen wir leise, still und sehr friedlich. Er war geschockt, hatte trotz ausgiebiger Vorgespräche nicht damit gerechnet, dass ich tatsächlich gehen würde. Das erstaunte mich. Aber was hilft es? Er hatte nicht den Mut, nicht das Interesse, das Bedürfnis, was auch immer, um mir in seinem Herzen einen größeren Platz einzuräumen. Trotz aller Nähe, die im Laufe des Jahres zwischen uns gewachsen ist.

Dass die Trennung so friedlich vonstatten ging, ist eine völlig neue Erfahrung für mich. Wenn ich da an unser letztes Mal denke - puh, das war ein echtes Fiasko, von dem ich mich nur mühsam erholte. Und auch, dass ich es war, die die Reißleine gezogen hat, ist neu - noch dazu habe ich es rechtzeitig geschafft, bevor ich mich richtig schlecht fühlte. Mir scheint, langsam werde ich erwachsen.

Nach dem gestrigen Großputztag fühle ich mich heute krank und erschöpft. Entweder kriege ich eine fette Erkältung oder der Staub im Keller tat meiner allergischen Nase nicht gut. Wie auch immer, mir scheint, es ist ganz passend, jetzt erst mal schlapp zu machen. Auf diese Weise löst sich die ganze innere Anspannung, die mir bereits üble Blockaden in den Lendenwirbeln beschert hatte, sodass ich mehrere Tage nicht laufen konnte.

Was nun kommt - wer weiß das schon? Vielleicht tun wir uns in ein paar Monaten wieder zusammen (aller guten Dinge sind ja bekanntlich drei). Vielleicht erscheint aber auch endlich mal jemand in meinem Leben, der ganz für mich da ist, nicht nur halb. Der keine Angst vor Gefühlen hat und seine Arme ausbreitet, wenn ich ihn brauche, statt abzuhauen. Mir scheint, allmählich wäre ich bereit dafür. Und ja, träumen darf man ja wohl noch, oder?

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Dienstag, 6. September 2016

Kindisch

Nach vielen Monaten großer Innigkeit und Nähe gab es plötzlich einen Bruch. Ich fühlte mich nicht gut, er konnte mich nicht auffangen, sondern zog sich zurück. Das alte Muster, das alte Spiel. Ich vermochte nicht darüber zu reden, es kamen weitere Missklänge hinzu, mein innerer Ärger schwoll an, bis er gigantisch wurde. Im Gespräch mit einer Freundin wird mir klar, dass dieser Ärger hauptsächlich in meinem Kopf stattfindet. Er sieht das alles vermutlich ganz anders, nimmt die feinen Risse, die unterschwelligen Spannungen zumindest bewusst nicht wahr. Unbewusst scheint aber doch was angekommen zu sein, denn er zieht sich immer mehr zurück. Wir sehen uns monatelang nicht.

Das ist ausgerechnet eine Zeit, in der ich ohnehin zu kämpfen habe. Beruflich läuft es nicht, privat hat mich meine Vergangenheit eingeholt - Trauerbewältigung und Aufräumen sind angesagt. Selten im letzten Jahr hätte ich so dringend eine Schulter zum Ausweinen gebraucht, eine liebevolle Umarmung, ermutigende Worte. Von seiner Seite aus erhalte ich: nichts. All meine zaghaften Hinweise ignoriert er. Vielleicht nimmt er sie auch nicht wahr, denke ich zwischendrin und bin auf einmal unsicher. Immerhin äußere ich meine Bedürfnisse nicht allzu deutlich. Aber ich schaffe es immer noch nicht, mit ihm zu reden. Hauptsächlich, weil ich fürchte, dass ich das völlig Falsche sagen werde. Viel zu vorwurfsvoll. Das wird alles zerstören.

„Ich muss lernen, solche Konflikte endlich erwachsen zu lösen“, sage ich zu meiner Freundin. „Ohne Vorwürfe und ohne alles zu zerstören.“ Im Geist lege ich mir zurecht, was ich sagen will. Anfangs sind es endlos lange, zornige Reden. Später werden sie kürzer und milder. Ich will etwas Versöhnliches sagen, will ihm meine Verletzlichkeit zeigen, mich ihm öffnen und anvertrauen. Mehrmals greife ich zum Telefon, mehrmals lege ich es wieder zur Seite, weil mir die innere Gelassenheit für ein derartiges Gespräch fehlt.

Und dann will er mich urplötzlich sehen. Ich bin nicht darauf vorbereitet, nicht so schnell, nicht jetzt. Aber ich sage zu. Endlich, so denke ich, werden sich alle Spannungen zwischen uns auflösen. Wenn ich ihn erst mal sehe und umarmen kann, wird alles gut. Er kommt zu mir, es gibt schnellen, wilden Sex. Es fühlt sich alles gut an und doch spüre ich, dass etwas nicht stimmt. Wir hören relativ schnell wieder auf, liegen beieinander im Bett und reden, kommen dabei vom Stöckchen aufs Hölzchen, und statt wie sonst dabei in inniger Nähe verbunden zu sein, spüre ich, wie die Kluft zwischen uns immer größer wird. Als ich sage, wie sehr mir in den letzten schwierigen Wochen bewusst geworden ist, was mir alles fehlt in unserem Miteinander, kommt er mir nicht entgegen. Kein: „Aber hättest du doch was gesagt.“ Kein: „Ich bin doch für dich da, wenn du mich brauchst.“

Und dann geschieht es. Ich fange an, Unsinn zu reden. Fange an, mich über seine Beziehungsmuster auszulassen und darüber, dass er keine Nähe ertragen kann (als ob ich das könnte!). Ich rede so vor mich hin, es sprudelt nur so aus mir heraus. Eine unbedachte Bemerkung folgt der nächsten. Nichts davon hatte ich mir vorher in meinem Kopf zurechtgelegt. Nichts davon ist konfliktlösend oder schafft Nähe und Vertrauen. Im Gegenteil - wir treiben immer weiter auseinander. Er bleibt erstaunlich ruhig, sagt überraschend wenig zu all meinen Vorwürfen und spitzen Bemerkungen. Wir gehen sogar noch mal in eine zweite Sexrunde.

Aber zum Abschied sagt keiner von uns, dass das ein schöner Abend war. Und er sagt nicht: „Bis bald“, sondern: „Halt mich auf dem Laufenden über deine Projekte“. Er ist genauso weit weg von mir wie ich von ihm. Ich bin mir sicher, dass ich so bald nichts wieder von ihm hören werde.

Als er fort ist, hocke ich fassungslos auf meinem Bett, in mir krampft sich alles zusammen, mir ist ganz übel. Wie konnte das nur passieren? Warum habe ich alles derart vermasselt? Eine Trennung hätte ich doch auch anders einleiten können, indem ich einfach gesagt hätte: „Es geht nicht mehr.“ Und dabei weiß ich noch nicht mal, ob ich diese Trennung wirklich will. Oder war ich die ganze Zeit bloß zu feige, diesen Schritt zu wagen? Musste ich daher den Umweg gehen und ihn vergraulen, damit ich nicht selbst die Verantwortung für den finalen Schnitt übernehmen muss? Und überhaupt - wie kriegt man es hin, binnen kürzester Zeit von sehr großer Innigkeit in eine unüberbrückbare Distanz zu schliddern? Das ist mir immer noch ein Rätsel.

Ich mache mich dann mal daran, meine Einzelteile wieder zusammenzusammeln.

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Sonntag, 31. Juli 2016

Bedürftig

Ich bin dünnhäutig zurzeit. Weil es beruflich nicht so läuft. Und weil da dieses furchtbare Ereignis ist, für das ich noch keine Worte finde. Ja, und nun auch noch er. In letzter Zeit war unser Miteinander entspannt und innig, wurde genau genommen immer inniger. Er fing nach all den Jahren, die wir uns nun kennen, endlich mal an, sich für mich zu interessieren - richtig zu interessieren, nicht nur für den Sex oder meinen Job, sondern für alles. Meine Familie, meine Freunde, meine Exmänner. Das fühlte sich gut an.

Nur meine Bedürfnisse kann er nach wie vor nicht aushalten. Als ich mich nach langer Zeit mal bedürftig zeige, schreckt er zurück, versteckt sich hinter intellektuellem Geschwurbel oder tritt sofort die Flucht an, aus lauter Angst vor Gefühlen - seinen genauso wie meinen. Ich kann das beim ersten Mal noch erstaunlich gut aushalten, beim zweiten Mal nicht mehr ganz so gut. Beim dritten Mal reagiere ich sehr verärgert und denke darüber nach, ihn davonzujagen. Diese halben Sachen will ich nicht mehr, dafür bin ich zu alt und zu empfindsam geworden.

Aber ich bin auch selbstbewusster und stärker geworden, das führen mir die jüngsten Ereignisse vor Augen. Lieber verzichte ich auf Nähe und Sex, als mich ständig seinen Regeln zu unterwerfen. Nach vielen Jahren, in denen ich mich Männern viel zu oft untergeordnet habe, sage ich endlich wieder Nein. Laut und vernehmlich und kompromisslos. Das ist ein sehr gutes Gefühl und zeigt mir, dass ich zu meiner sehr lange vermissten alten Form zurückfinde.

Heute habe ich allerdings einmal zu viel Nein gesagt, denn rückblickend stellte sich heraus, dass ich in der Aufregung eine Chatnachricht von ihm völlig falsch gedeutet hatte. Der ganz normale Wahnsinn zwischen Männern und Frauen, die so oft völlig verschiedene Sprachen sprechen. Nachdem ich ein paar Stunden sehr ergrimmt war, lösen sich die Rauchwölkchen nun auf. Zurück bleibt eine leise Enttäuschung, dass er so gar nicht bereit war, im Moment auf mich einzugehen, und ein ebenso leises Lächeln darüber, wie sehr er bemüht war, mich dennoch nicht zu kränken (was leider schiefging, weil ich es nicht kapiert habe).

Nun ja, ich denke, wir werden diese kleine Krise meistern, dafür lief es insgesamt einfach zu gut in letzter Zeit. Und falls wir es nicht schaffen, ist das auch okay. Das ist das Seltsame an der Sache: Ich habe keine Verlustängste mehr. Ich weiß, dass ich blendend alleine zurechtkomme. Natürlich ist es schön mit Mann, aber da das ja sowieso nur eine halbe Sache ist, ist auch mein Herz nur noch halb dabei. Ein ganz gesunder Zustand, wie ich finde.

Und alles andere … Irgendwann werde ich die passenden Worte dafür finden. Wenn sich Herz und Seele wieder beruhigt haben.

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Samstag, 12. Dezember 2015

Grenzerfahrungen

Wir spielen miteinander und loten unsere Grenzen aus. Wie weit trauen wir uns zu gehen mit dem Umsetzen heimlicher Fantasien? Er braucht ein paar Anläufe, um einen Wunsch zu äußern, weiß noch nicht recht, wie weit ich mitgehe. Als er spürt, dass ich ihn nicht zurückweise, sondern sogar erfreut reagiere und Gefallen am Ausprobieren finde, geht er einen sehr deutlichen Schritt weiter und bittet um etwas, das bislang selbst in meinen recht munteren Fantasien nicht vorkam, so abwegig ist es. „Nein“, sage ich spontan, „das geht nicht.“ Für ihn ist das okay, er drängt nicht weiter, erwartet nicht mehr. Unser Miteinander ist auch so schon intensiv und lebendig genug, es braucht da nicht unbedingt noch irgendwelche Steigerungen.

Doch in mir arbeitet es. Was wäre, wenn ich das doch tun würde? Wenn ich über meine eigenen Grenzen gehen würde? Ich ringe mit Angst und Scham und anderen undefinierbaren Gefühlen. Schließlich siegt ein Gefühl, das ich überhaupt nicht benennen kann. Abenteuerlust? Neugier? Unterwerfung? Ich tue, was er sich gewünscht hat und filme mich dabei. Eine nüchterne Handlung, die all meine Konzentration erfordert. Kommt alles aufs Bild, so wie es soll? Der Akt als solcher ist etwas Alltägliches und erlangt doch in diesem Kontext eine völlig neue Bedeutung. Hinterher überlege ich lange. Abschicken oder nicht? Was, wenn ich versehentlich die falsche Mailadresse eingebe und der Film in die falschen Hände gerät? Alberne Gedanken, die meine Angst ausdrücken. In Wahrheit geht es darum, ob ich mich wirklich so nackt machen will.

Ich will. Jedenfalls ein Teil von mir. Nachdem ich auf „senden“ geklickt habe, warte ich angespannt auf seine Reaktion. Ich weiß gar nicht, ob er überhaupt zu Hause ist, vielleicht muss ich ein paar Stunden oder länger warten. Doch er reagiert sehr schnell und schreibt prompt zurück. Begeistert. Überrascht. Ein eigenartiger Stolz erfasst mich, als hätte ich eine großartige Leistung vollbracht. Und ein Glücksgefühl, weil wir so viel Vertrauen zueinander haben.

Nach zwei Tagen zerbröselt das Glücksgefühl. Nach drei Tagen spüre ich es in mir gären. Ärger macht sich breit, und Enttäuschung. Warum ruft er nicht an? Er kann mich doch nach so einer Sache nicht mit einem Einzeiler abspeisen. Da brauche ich doch viel mehr. Das Brodeln nimmt zu, der Boden unter mir gerät ins Wanken. Ich stelle ihm innerlich ein Ultimatum: Wenn er sich bis dann und dann nicht meldet, braucht er gar nicht mehr wiederzukommen, dieser egoistische, gedankenlose Blödmann.

Er meldet sich innerhalb des Ultimatums, und mein Zorn verraucht augenblicklich. Aber er spürt meine Schieflage sofort und ermutigt mich, zu erklären, was in meinem Inneren passiert ist. Das fällt mir schwer, fast schwerer als die Handlung, um die es ging. Ja, was genau ist eigentlich passiert? Ich hätte seine Nähe hinterher gebraucht, das Gefühl, geliebt zu werden, auch jetzt noch, nachdem er dieses intime Detail über mich kennt, gerade jetzt. Er begreift augenblicklich, worum es geht und entschuldigt sich, weil er nicht eher auf die Idee gekommen ist, mich anzurufen. Er hat nicht geahnt, wie bedürftig ich bin. Auf seine Frage, warum ich mich nicht selber bei ihm gemeldet habe, weiß ich keine Antwort. Weil ich mich nicht getraut habe? Wie albern. Und doch irgendwie wahr. Lieber tobe ich innerlich, statt mir eine Schwäche einzugestehen. Ich begreife: Es gibt keinen Schuldigen in dieser Geschichte, wir haben beide nicht aufgepasst.

Wir reden lange. Über uns und darüber, welchen Rahmen wir brauchen, um Grenzen überschreiten zu können. Ich fühle mich hinterher getröstet und aufgehoben und gleichzeitig unendlich verloren. Der freie Fall ist noch lange nicht vorbei, wie mir scheint. Ich stelle alles infrage. Dieses ganze eigenwillige Konstrukt, das wir da miteinander haben, mit so viel Nähe und so viel Distanz in einem. Mit großer Angst auf der einen Seite und riesengroßem Vertrauen auf der anderen. Mit der Weigerung, dem Kind einen Namen zu geben, weil es dann ja was Festes wäre, etwas, das Verbindlichkeit einfordert und Verpflichtungen mit sich bringt. Lieber tun wir so, als habe das alles gar keine große Bedeutung. Doch in Momenten wie diesem merke ich, wie sehr wir uns damit selbst belügen. Wie sehr ich mich danach sehne, einfach zu ihm zu gehen und mich in seine Arme zu werfen und mich sicher und geborgen zu fühlen, statt nur seine Stimme am Telefon zu hören - so schön die Worte auch sind, die er zu mir sagt. Aber sie machen mich nicht glücklich, sondern lösen in mir eine tiefe Traurigkeit aus. So einsam und verloren habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Auf diese Grenzerfahrung hätte ich gern verzichtet.

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Sonntag, 9. August 2015

Aufgewärmt

Ich bin nicht so der Aufwärmtyp. Genau genommen habe ich noch nie eine klar beendete Affäre oder Beziehung wiederbelebt. Sicher, gelegentlich gab es größere Pausen in der einen oder anderen Geschichte, aber die waren dann nur äußerlich. Innerlich lief alles weiter, sodass man nach der Pause wieder anknüpfen konnte, wo man zuletzt stand - wenngleich es meistens dann nicht mehr ganz so innig lief, weil man ja nicht ohne Grund einen gewissen Abstand hergestellt hatte.

Ich brauche lange, um mich auch innerlich zu lösen. Wenn ich den Schritt aber einmal vollzogen habe, dann gibt es kein Zurück mehr, dann ist etwas in mir unwiederbringlich verlorengegangen. Bei den Männern scheint das anders zu funktionieren. Von denen klopfen etliche irgendwann wieder an meine Tür. Aber mit leisem Bedauern stelle ich dann fest, dass sie zu spät gekommen sind, dass ich weitergegangen bin.

Nun gab es doch eine Aufwärmung. Nach zwei Jahren totaler Funkstille, in denen ich nicht ein einziges Mal auf die Idee gekommen war, Kontakt herzustellen, selbst in den Momenten nicht, in denen ich an ihn dachte (was durchaus häufiger vorkam, allerdings nicht sehnsüchtig und verlangend, sondern eher grimmig und verärgert - auch so was bindet übrigens, wie mir jetzt klar wird). Eines Tages war er einfach wieder da und klopfte sehr nachdrücklich an meine Tür. Und ich - machte ihm auf. Nicht sofort und auch nicht voll überschwänglicher Begeisterung, sondern eher leise und zögernd und sehr, sehr skeptisch. Zu viel war damals geschehen, zu viele Verletzungen, zu viele Enttäuschungen hatten mich zermürbt. Ich wollte das nicht noch einmal erleben, nicht wieder in diesen Zustand geraten, in dem ich mich selbst total verloren hatte. Also blieb ich auf der Hut, immer bereit, sofort die Flucht zu ergreifen, sobald sich etwas seltsam anfühlen würde.

Es fühlt sich tatsächlich seltsam an, allerdings anders, als befürchtet. Etwas ist geschehen in diesen zwei Jahren. Mit mir, mit uns. Wir haben uns beide verändert, und das tut unserem Miteinander gut. Obwohl die äußeren Rahmenbedingungen ungünstiger denn je sind, ist auf einmal eine Nähe zwischen uns, die wir noch nie hatten. Dazu haben sicher lange und klärende Gespräche beigetragen. Ich für meinen Teil habe aber auch gemerkt, dass ich nicht mehr kämpfen muss. Dass ich einfach alles sein lassen kann. Ihn, so wie er ist. Meine Gefühle, so wie sie sind. Die ganze Situation, so wie sie eigentlich immer schon war - unverbindlich verbindlich.

Und daraus entsteht plötzlich eine Innigkeit und Leichtigkeit, die wir noch nie miteinander hatten. Ich bin überrascht und stelle staunend fest: So kann Aufwärmen also auch aussehen. Dass man eben nicht da anknüpft, wo man zuletzt stand (inklusive aller alten Gefühlsmuster), sondern dass man noch mal ganz von vorne beginnt. Und damit Raum für Neues schafft.

Natürlich geht das nicht alles so leicht, wie es jetzt hier steht. Und natürlich habe ich zwischendrin Momente, in denen Ängste hochkommen, die ich kaum auszuhalten vermag. Aber das werde ich wohl auch so schnell nicht ablegen können. Das bin einfach ich: ständig auf der Hut, ständig voller Sorge, ständig auf der Flucht. Aber ich habe so ein Gefühl, dass etwas Großes passiert, wenn ich es irgendwann schaffe, auch diese Ängste einfach loszulassen. Vielleicht nicht unbedingt mit uns, aber auf jeden Fall mit mir.

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Sonntag, 14. Dezember 2014

Käthe Wunderlich

Ich werde wunderlich. Oder genauer gesagt: Ich bin es bereits. Woran das liegt, weiß ich nicht so genau. Vielleicht bin ich zu viel alleine. Oder es ist das Alter. Oder beides zusammen. Jedenfalls verbringe ich mein Leben mit immer größerer Begeisterung im Bett. Nein, nicht das, was Sie jetzt denken, obwohl das natürlich auch großartig wäre; ja, ich gebe es zu: Ein weiblicher Hugh Hefner zu sein und den ganzen Tag von männlichen Bunnys umschwirrt zu werden, hätte schon was. Wobei ich meine Spielzeuge nicht in so alberne Häschenkostüme stecken würde, sondern mir was Männlicheres überlegen würde - Tiger vielleicht ...? Doch ich schweife ab. Was ich eigentlich sagen wollte: Ich genieße es einfach, mich in meine Höhle zurückzuziehen und den Rest der Welt auszusperren.

Das fing irgendwann im vergangenen Jahr an. Ich hatte eine Krise und außerdem war mein Fernseher kaputt. Statt wie sonst in solchen Phasen auf dem Sofa zu sitzen und mich mit dumpfen TV-Sendungen zu betäuben, kroch ich mit dem Notebook in mein Bett und betäubte mich nun also mit Filmen aus den Mediatheken, mit DVDs und Facebook-Chats. Ich war damals sehr erschöpft und schlief entgegen meinen üblichen Gewohnheiten auch oft sehr früh ein. Das Bett war mein sicherer Hafen, mein Ort der Heilung.

Unmerklich begann ich, mich an diesem Ort einzurichten. Ich öffnete das Schlafzimmerfenster weit und ließ die Sommerluft und das Vogelgezwitscher aus dem anliegenden Park herein. Ich stellte ein Tablett mit Essen aufs Bett und Alkoholika und Chips in Reichweite. Ans Telefon ging ich nur noch, wenn Leute anriefen, die ich ertragen konnte (also praktisch nie), und wer nach Sechs unangemeldet an der Haustür klingelte, hatte grundsätzlich Pech. Die Geborgenheit meiner Höhle gab mir Trost und Kraft und half mir, meine Krise zu überwinden.

Doch als es mir besser ging, behielt ich die Angewohnheit bei, mich am frühen Abend im Bett zu verkriechen. Ich kaufte mir keinen neuen Fernseher, weil ich das TV-Programm ohnehin nur noch schrecklich fand. Außerdem strengt es mich an, auf meinem alten, unbequemen Sofa zu sitzen. In meinem Bett kann ich meinen Rücken viel besser entspannen, mit Kissen und Wärmflasche im Nacken. Ich gehe mittlerweile nicht mehr grundsätzlich am frühen Abend zu Bett, sondern richte mich nach dem Sonnenuntergang. Das heißt, im Sommer bin ich deutlich länger aktiv, aber jetzt im Winter ist allerspätestens um halb acht Feierabend. Jedenfalls nach außen. Ich will niemanden mehr sehen, nichts mehr erleben, mich nicht mehr auf der Straße herumtreiben. Ich will nicht mehr am Schreibtisch sitzen oder auf dem Sofa oder in der Küche oder mit Freunden endlose Telefonate führen oder ausgehen und tanzen und Konzerte besuchen und mich amüsieren. Nicht, dass ich das alles nicht mehr mag, im Gegenteil. Aber es kostet mich immer mehr Überwindung, mich zu motivieren, nach Sonnenuntergang noch vor die Tür zu gehen. Ganz besonders, wenn niemand mitkommt, und das ist bei Singles leider ziemlich oft der Fall.

In meinem Bett bin ich übrigens durchaus produktiv. Ich arbeite hier oft noch bis zum späten Abend, schreibe berufliche Mails, plane und organisiere und habe bereist einen halben Roman geschrieben. Es ist also keineswegs Faulheit, die mich in meine Höhle treibt. Es ist einfach nur ... wunderlich. Inzwischen frühstücke ich am Wochenende auch ziemlich oft im Bett, lese dabei, höre Radio und fühle mich herrlich, wenn ich mich in meine Decken kuschele, während das Glockengeläut der nahen Kirche zu mir herüberweht und all die frommen, braven Menschen zum Gottesdienst ruft, während ich nicht im Traum daran denke, irgendwo hinzugehen, schon gar nicht in die Kirche. Stattdessen beiße ich in mein Brot und überlege, ob es überhaupt Sinn macht, aufzustehen oder ich nicht einfach mal den ganzen Tag ... Aber nein, da bin ich dann doch streng mit mir. Ein paar Stunden Bewegung, frische Luft, Tapetenwechsel pro Tag müssen schon sein. Vorerst jedenfalls. Aber wer weiß, was noch alles kommt. Ich befinde mich vermutlich erst ganz am Anfang meiner wunderlichen Phase.

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Dienstag, 28. Oktober 2014

Über Bord gegangen

Es ist auf den Tag genau drei Jahre her, dass ich einen sehr besonderen Abend an einem sehr besonderen Ort erlebte. Rückblickend war dieser Abend der Schlüssel zu vielem, was in den nächsten Jahren folgen sollte, ein Türöffner der ganz besonderen Art. Wenn ich das damals geahnt hätte, nun, ich glaube, ich wäre nicht mit an Bord dieser kleinen Barkasse gestiegen, die mich und einen Haufen Fremder (und einige wenige Freunde) durch den Hamburger Hafen schippern sollte. So aber genoss ich ganz unbedarft den Moment, ließ mich von der heiteren Stimmung und der fröhlichen Musik an Bord anstecken und fand das Leben großartig.

Alles war gut – bis auf diesen winzigen Augenblick, in dem sich mein Blick in einem Augenpaar verhakte und ich darin etwas las, das ich nicht sehen wollte und ganz gewiss auch nicht sehen sollte. Mein Herz setzte kurz aus und ich schaute erschrocken weg – genau wie der Mann, zu dem diese Augen gehörten.

Wir taten anschließend so, als sei nichts gewesen und trafen uns am nächsten Tag wieder, um erneut einen sehr besonderen Abend miteinander zu erlebten. Diesmal in meiner Wohnung, zusammen mit lieben Freunden. Wie der Abend zuvor war auch dieser außergewöhnlich schön, entspannt, fröhlich, intensiv. Ich fühlte mich so aufgehoben im Kreis meiner Freunde wie selten zuvor. Und ich wusste, dass wir so ein perfektes Miteinander so schnell nicht wieder erleben würden. Vielleicht haben wir es deshalb seit damals nicht mehr wiederholt, vielleicht habe ich darum in den nächsten Jahren diesen Jahrestag mehr oder weniger ignoriert.

Auf diesen Abend folgten einige sehr unbeschwerte Wochen, die sich über den Jahreswechsel hin schleichend zu einer Zeit voller Zweifel, Unruhe und Unsicherheit wandelten. Ich fühlte mich auf einmal wie gefangen auf jenem kleinen Schiff, das mich den Fluss entlangschaukelte – uferlos und auf schwankendem Grund, gefangen im Blick dieses Mannes, der mir für eine winzige Sekunde seine Seele offenbart hatte und mich damit an sich band.

Ohne dasss ich je mit ihm darüber gesprochen hätte, wusste ich, dass es kaum jemanden gab, der gesehen hatte, was ich sah. Und als müsse er mir beweisen, dass ich mich nicht getäuscht hatte, zeigte mir dieser Mann in den nächsten Jahren Stück für Stück auf manchmal geradezu brutale Weise, was ich im Grunde längst wusste. Geholfen hat es nicht. Weder mein Wissen, noch sein Zeigen. Mir machten seine Abgründe nämlich noch mehr Angst als ihm und erinnerten mich auf fatale Weise an meine eigenen Dämonen. Er berührte Seiten in mir, die ich nicht sehen wollte, mit denen ich mich nicht befassen wollte – aus gutem Grund. Aber ich konnte mich nicht wehren, wurde von meinen eigenen Dämonen (oder von seinen?) von den Füßen gehauen.

Als ich am Boden lag, half mir ausgerechnet eine Freundin, die damals mit auf besagtem Schiff durch den Hafen schipperte. Sie hatte die Fahrt nicht als heiter empfunden, sondern als bedrohlich und war sehr rasch von Bord gegangen. Vielleicht hätte ich ihr folgen sollen, statt zu bleiben und in die Seele eines Menschen zu blicken, der mir bis dahin im Grunde vollkommen fremd war. Dann wäre mir erspart geblieben, was ich damals sah. All diese Angst. Diese Verzweiflung. Und diese unfassbar große Sehnsucht. Ob es mich glücklicher gemacht hätte? Wer weiß. Ich wäre dann bloß an einem anderen Punkt meines Lebens über Bord gegangen und an unbekannte Ufer gespült worden. Besser? Wohl kaum. Nur anders.

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