Montag, 9. Juli 2012

Aufstand

Ich wollte aus guten Gründen eigentlich nie öffentlich darüber schreiben. Ich tue es auch jetzt nur indirekt. Aus eben jenen Gründen. Da gibt es dieses kleine Land am Mittelmeer. Es ist ein armes Land. Ein Land, das von einem Diktator regiert wird. Ein Land, in dem gefoltert wird und Menschenrechte nach westlichem Maßstab mit Füßen getreten werden. Es ist aber auch ein Land, in dem – was einmalig in der Region ist - viele sehr verschiedene religiöse Gruppen erstaunlich friedlich nebeneinander leben. Es ist ein Land, dessen Geisteshaltung wir im Westen nur schwer verstehen können. Weil wir Europäer sind. Weil wir in einer völlig anderen Tradition aufgewachsen sind.

Ja, dieser Diktator in besagtem kleinen Land macht alles, was man von einem Diktator so denkt. In seinem Land gibt es Korruption, Militärgewalt, Folter. Ja, ja, ja. Und das ist alles furchtbar und darf nicht sein. Aber, und jetzt kommt ein sehr, sehr großes Aber: Dieses Problem wird sich nicht dadurch lösen lassen, dass der Diktator einfach geht. Die meisten Menschen in diesem Land, vor allem die gebildete Mittel- und Oberschicht, wussten das. Und darum warteten sie ab und hofften auf friedliche, langfristige Lösungen. Sie wussten, dass ein Aufstand einen Bürgerkrieg katastrophalen Ausmaßes mit sich bringen würde. Die Mehrheit von ihnen ging nicht demonstrieren.

Die Leute, die auf die Straße gegangen sind, hatten und haben jedoch ohnehin andere Ziele. Männer – und es waren fast nur Männer, die demonstrierten, was ein sicheres Zeichen für fundamentalistische Gruppierungen ist – wurden in Gotteshäusern eingeschworen, bevor sie demonstrieren gingen. Warum sie sich gegen den Staat auflehnten und wer ihre Anführer waren, woher sie ihre Waffen bekommen, blieb lange nebulös und ist es vermutlich immer noch. Klar ist: Diese Leute wurden von Verbrechern aufgewiegelt, die sich ihre Naivität zunutze machten. Genau wie ihr Staatschef ermorden diese Verbrecher auf bestialische Weise und völlig sinnlos ihre Nachbarn und bringen damit noch mehr Leid ins Land, als es ihr Diktator allein jemals getan hat. Freiheit sieht anders aus. Demokratie auch.

Fakt ist jedoch: Im Westen wurde darüber lange Zeit gar nicht informiert. Und auch jetzt ist die Berichterstattung sehr einseitig. Sie hat immer nur einen Tenor: Der brutale Diktator metzelt sein Volk nieder. Stimmt, das tut er auch. Aber aus seiner Sicht macht er etwas, was jeder westliche Staatschef auch täte: Er schützt sein Land vor Terroristen, die immer brutaler nicht nur gegen das Militär, sondern gegen friedliche Mitbürger vorgehen. Nur dass das recht selten zu uns durchdringt. Warum? Weil es nicht in unser Bild passt. Es ist leichter für uns, zu glauben, dass Menschen sich gegen eine Diktatur auflehnen wollen, um Freiheit zu erlangen. Wir verstehen nicht, dass sie auch ganz andere Gründe haben können. Dass sie einfach nur den einen religiösen Chef durch einen anderen ersetzen wollen, der ihrer eigenen Glaubensgemeinschaft angehört und ihnen damit ein paar mehr Vorteile bringt, niemals aber Freiheit nach westlichem Verständnis. Wir verstehen nicht, dass Demokratie für diese Menschen ein Fremdwort ist, das sie nicht mit Inhalt füllen können.

Warum ich vielleicht anders klinge als die meisten anderen Leute, die ich kenne? Warum ich nicht nachplappere, was die Medien mir weismachen wollen? Weil ich eine andere Sicht auf die Dinge kennengelernt habe. Mein Schwager stammt aus diesem kleinen Land. Er lebt seit über zwanzig Jahren hier in Deutschland, hat hier studiert, promoviert, habilitiert. Wir haben viele, viele Diskussionen über Demokratie geführt. Anfangs sehr hitzig, später mit immer mehr Verständnis und Respekt voreinander. Ich habe von ihm gelernt, dass ich kein Recht darauf habe, meine westlich geprägten Ansichten zu Gesellschaft, Politik, Kultur jedem anderen Volk auf dieser Welt aufzuzwängen. Ich habe verstanden, dass Demokratie, so wie wir sie in Deutschland kennen, eine lange, lange Tradition benötigt, um wirklich wachsen zu können. Sie ist nicht einfach da, weil ein Volk auf die Straße geht und einen Diktator stürzt. Dazu bedarf es sehr viel mehr. Auch in Deutschland hat es ein paar hundert Jahre gedauert, bis wir da waren, wo wir heute stehen. Ein erster, wichtiger Schritt in Richtung Demokratie ist Bildung. Die hat dieser Diktator seinem Volk tatsächlich gebracht. Vielleicht wären die Menschen in der nächsten Generation so weit gewesen, um sich einer demokratischen Entwicklung zu öffnen, wer weiß. Jetzt ist das aber noch nicht der Fall. Genauso wenig wie in anderen Ländern in der Region auch, in denen die Menschen aus Unwissenheit fundamentalistische Regierungen wählten, die ihnen mit Sicherheit nicht die Freiheit bringen, die sie sich ersehnt haben.

Die meisten Menschen in diesem Land wünschen sich nichts sehnlicher, als endlich wieder Ruhe zu haben. Sie fürchten sich vor noch mehr Gewalt. Natürlich könnte man fragen: Warum verhandelt dieser Diktator nicht mit seinen Leuten? Warum lässt er sich nicht darauf ein, Kompromisse auszuhandeln, ihnen entgegen zu gehen, friedlicher zu werden? Aus meiner Sicht hat das zwei Gründe: Zum einen, weil er wie jeder Diktator ein Machtmensch ist. Niemand gibt gern Macht ab, schon gar nicht jemand, der mit so viel Gewalt herrscht. Zum anderen aber auch, weil er die Aufständischen als Kriminelle betrachtet (was durchaus stimmt). Und mit Kriminellen verhandelt kein Staatschef gern. Das ist wirklich tragisch, denn nun gibt es kein Zurück mehr. Wenn der Diktator geht, wird er von anderen Diktatoren abgelöst. Bleibt er, wird es irgendwann militärische Interventionen geben. Diese werden dem ohnehin schon völlig ruinierten Land den Todesstoß verpassen. Dass die Aufstände friedlich und verheißungsvoll begannen und einem Land Freiheit und Wohlstand bringen sollten, bleibt allerdings eine Mär, die sich in unserer westlichen Welt sicher sehr hartnäckig halten wird.

Natürlich ist meine Sicht auf die Dinge auch nur eine einseitige. Natürlich durchschaue auch ich den Konflikt nicht mal ansatzweise. Natürlich könnte man auch an meine Anmerkungen viele Fragezeichen machen. Das weiß ich. Aber ich finde, Fragezeichen sind besser als Ausrufezeichen. Glauben wir nicht immer alles, was wir lesen und sehen. Machen wir uns mal selbst ein Bild von etwas. Hinterfragen wir mal die mediale Berichterstattung ein bisschen kritischer als wir es meistens tun. Sprechen wir mit Menschen, die betroffen sind und nicht mit Medienvertretern, die nur sehr selten neutrale Beobachter sind. Dann werden die Bilder runder. Und stimmiger.

PS: Bitte haben Sie Verständnis, dass es nicht möglich ist, diesen Beitrag im Blog zu kommentieren. Ich führe die Diskussion bei Bedarf aber gern per Mail weiter.

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Mittwoch, 4. Juli 2012

Spieglein, Spieglein ...

Im Kino. Auf dem Programm: ein Pferdefilm. Um mich herum eine Handvoll Frauen mittleren Alters. Sinnigerweise sitzen wir alle in derselben Reihe, der Rest des Saals ist leer. Es ist zu schönes Wetter für Kino. Eine der Frauen fragt in die Runde, ob jemand ein Taschentuch für sie habe. Ich reiche ein Päckchen hinüber, sie und ihre Nachbarin greifen dankbar zu.
„Oh, darf ich auch?“, fragt eine andere Frau. „Ich bin immer so wahnsinnig schnell gerührt.“
„Eigentlich“, mischt sich eine Dritte ein, „müssten die bei solchen Filmen schon Taschentücher an der Kasse verteilen.“
Und von ganz außen tönt es: „Ich habe noch ein paar Päckchen in Reserve, falls noch mehr Bedarf besteht.“
Dann geht der Film los. Ich brauche kein Taschentuch, aber die Dame zu meiner Linken habe ich offenbar beim Verteilen übergangen, sie schnieft den halben Film lautstark vor sich hin.

Erzählt wird die Geschichte von Buck Brannaman, dem „wahren“ Pferdeflüsterer. Er hat Nicholas Evans zu seinem Buch inspiriert und später Robert Redford beim Drehen beraten und gedoubelt. Bilder in Marlboro-Optik wechseln sich mit Bildern von verängstigten Pferden und erschütternden Lebensberichten ab. Dazwischen gibt es viele kluge und gleichzeitig simple Gedanken.

Vieles, was im Film gezeigt wird, war mir nicht neu. Zum Glück gibt es heute immer mehr gute Lehrer, die eine ähnliche Haltung gegenüber Pferd und Mensch haben wie Buck Brannaman. Und doch bringt der Film die Dinge noch mal schön auf den Punkt. Er ist nicht nur für Reiter ein Lehrstück, sondern für alle, die mehr über gute Kommunikation lernen möchten. Es geht um Gewaltlosigkeit, Respekt und Verständnis für das Gegenüber.

Vor allem aber geht es um Vertrauen. „Ein Pferd darf Fehler machen“, sagt Buck Brannaman. „Aber es darf keine Angst haben, dass es für seine Fehler bestraft wird.“ Wer Vertrauen hat, muss nicht mehr fliehen. Und Pferde haben einen ausgeprägten Fluchtinstinkt! Und da sie sehr sensibel sind, reagieren sie unmittelbar auf alles, was wir tun. Wie Kinder müssen Pferde konsequent, streng, aber liebevoll erzogen werden. Das gelingt oft toll und oft überhaupt nicht. Wie bei der Erziehung von Kindern eben auch. Weil Reiter und Eltern Liebe gern mal mit Gehätschel verwechseln. Das kann, wie der Film in einer sehr dramatischen Szene zeigt, katastrophale Folgen haben.

Ich bin schon als Kind geritten und habe mich bereits damals mit der Frage befasst, wie artgerechte Haltung und pferdefreundliches Reiten aussehen sollten. Obwohl mir niemand sagte, dass es für die Pferde nicht gut war, begriff ich von selbst, dass diese schönen, sanften Steppentiere daran zerbrachen, wenn sie ein Leben lang in schmalen Ständern angebunden und beim Reiten mit den abenteuerlichsten Hilfsmitteln zum Gehorsam gezwungen wurden. Ich bin keine gute Reiterin und mache auch heute noch vieles falsch. Weil ich es nicht anders weiß oder kann oder gesagt kriege. Darum mag ich Filme wie diesen, die mich daran erinnern, worauf es eigentlich ankommt.

„Ich komme nicht zu Menschen, die Probleme mit Pferden haben. Ich komme zu Pferden, die Probleme mit Menschen haben“, erklärt Buck Brannaman. Das Pferd spiegelt das Verhalten seines Reiters. Der Mensch muss seine eigenen Themen lösen, dann klappt es auch mit dem Kontakt zum Pferd. So die schlichte Botschaft des Pferdetrainers. Und sie stimmt! Und gilt meiner Meinung nach für jede Art von Partnerschaft: Mensch/Tier, Eltern/Kind, Mann/Frau. Immer geht es darum, dass der andere sich zu uns irgendwie verhält, auf uns reagiert – und uns dadurch zeigt, wie wir sind.

Ich kannte mal eine Frau, die hintereinander mehrere Pferde besaß und jedes von ihnen systematisch von einem umgänglichen Tier in ein neurotisches Geschöpf verwandelte – bis sie es nicht mehr reiten konnte und verkaufen musste. Erst als mal ein Reitlehrer sagte, sie würde ihre Pferde vollkommen verrückt machen, wurde mir klar, dass sie ihre eigenen Spannungen auf die Tiere übertragen hat. Jedes Mal wieder neu. Das ist genauso wie in Partnerschaften, die wieder und wieder an denselben Themen zerbrechen. Mir selbst ist es passiert. Und erst jetzt kapiere ich, dass ich nicht immer nur an total bescheuerte Männer geraten bin, sondern dass das ganz viel mit mir selbst zu tun hat. Genau davon erzählt dieser Film. Und darum finde ich ihn so wunderbar.

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Sonntag, 17. Juni 2012

Auf der Suche

Ich telefoniere mit meiner sechsjährigen Schweizer Nichte.
Sie: „Was machst du grade?“
Ich: „Ich stehe im Wohnzimmer und schaue aus dem Fenster.“
Sie: „Du schaust aus dem Fenster? Warum denn das?“
Ich: „Ach, da sieht man so viele spannende Dinge. Jetzt sehe ich zum Beispiel gerade, wie der Briefträger mit seinem Fahrrad vor unserem Haus hält.“
Sie: „Ja, aber warum schaust du aus dem Fenster?“
Ich: „Weil hier in meiner Wohnung nichts los ist. Da ist ja niemand.“
Sie: „Dann musst du dir einen Freund suchen. Der Pascal (ihr Patenonkel) hat jetzt auch eine Freundin. Die ist immer da, das ist gut.“
Ich: „Das ist wirklich eine gute Idee. Vielleicht musst du mal einen Freund für mich suchen.“
Sie: „Aber das geht doch nicht. Dann finde ich einen, und der ist dann hier bei mir, und du bist bei dir.“
Ich: „Das stimmt natürlich, das ist blöd. Also musst du nach Hamburg kommen.“
Sie: „Ja, das geht, das kann ich machen. Dann komme ich mal zu dir und suche dir einen Freund.“
Werte Herren, falls Ihnen also demnächst ein kleines Mädchen über den Weg läuft, das Schweizerdeutsch spricht und überprüft, ob Sie als Freund für mich taugen, wissen Sie Bescheid. Scheuen Sie sich nicht, Ja zu sagen. Wir könnten dann gemeinsam aus meinem Fenster schauen, das ist gar keine so üble Sache.

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Donnerstag, 7. Juni 2012

Planlos

„Et kütt wie et kütt“, sagt meine Freundin weise, als wir über Männer reden, speziell über den einen. „So einen Mann kann man sowieso nicht mit in die Lebensplanung einschließen. Das macht der nicht mit. Aber er kommt schon, wenn er merkt, was er an dir hat.“ Ich denke, dass sie ganz recht hat. Außer vielleicht in dem Punkt mit der Lebensplanung. Ich habe nämlich gar keine. Ich lebe völlig planlos vor mich hin. Manchmal träume ich ein bisschen und stelle mir was vor. Aber nach einer Weile merke ich, dass das totaler Unfug ist, Lichtjahre von der Realität entfernt. Was weiß ich schon, was nächsten Monat ist? Oder nächstes Jahr?

Ziellos wandere ich durch mein Leben, das in den letzten Wochen von viel Musik erfüllt war. Ich war auf Konzerten, auf einem Festival, und ich habe einen Tanzkurs gemacht. Ich habe mit der Crew von Caro Emerald und anderen Musikern gespeist, aber das war nur ein Versehen, wenngleich auch ein sehr schönes. Ich habe den Gitarristen einer Band angeschmachtet und er hat sich darüber sichtlich gefreut. Vor zwanzig Jahren wäre ich ohnmächtig vor Freude geworden, doch jetzt war ich nur verwirrt.
Den Tanzkurs wollte ich schon seit Jahren machen, und nun fand ich endlich Zeit, Mut und den richtigen Ort dafür. Ich bin keine gute Tänzerin, muss mich so sehr auf jeden einzelnen Schritt konzentrieren, dass ich völlig steif und verkrampft bin. Aber es macht Spaß, riesengroßen Spaß. Und wer weiß, wenn ich noch ein Weilchen übe und meine Tanzpartner weiterhin so viel Geduld mit mir haben, dann klappt es vielleicht auch besser.

Nebenbei verdiene ich Geld, irgendwie. Ich arbeite nicht viel, aber mein Konto füllt sich trotzdem genug, um Monat für Monat über die Runden zu kommen. Ich bin erstaunt, dass das auch geht, wenn ich mich nicht so entsetzlich anstrenge wie sonst immer. Ich verfluche das schlechte Wetter und meine momentane Erschöpfung und schmiede Pläne, um etwas dagegen zu tun. Ja, gelegentlich bin auch ich nicht ganz planlos, sondern habe Ziele, auf die ich erst hinträume und dann hinarbeite. Ob und wie ich sie am Ende umsetzen kann und will, wird sich zeigen.

Et kütt wie et kütt … mach dir nicht so viele Gedanken … Nein, nein, mach ich nicht.

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Donnerstag, 24. Mai 2012

Glücksmomente

Ich sitze mit dem Laptop auf dem Balkon, die Sonne wandert langsam um die Häuser, bald muss ich den Sonnenschirm aufspannen, sonst wird es zu warm. Aus der Küche weht der Duft von Paprika herüber, die mit frischen Kräutern im Ofen backen. Das Leben, denke ich zufrieden, kann so unfassbar schön sein. Ich brauche Wärme und Licht, um glücklich zu sein, keine große Hitze, das nicht unbedingt, aber einfach dieses heitere, weiche Wetter voller Frühling.

Immer wieder lese ich in Kommentaren und Mails, dass wildfremde Menschen sich Gedanken um mein Seelenheil machen, weil ich in meinen Blogtexten offenbar – ja, wie eigentlich? - so klinge, als müsse man sich gewaltig um mich sorgen. Dann bin ich immer ganz überrascht und wundere mich darüber, welche Wirkung meine Texte erzeugen. Das sind doch nur winzigkleine Ausschnitte aus einem bunten, reichen Leben, Momentaufnahmen, so wie jene vom Frühlingsbalkon. Ich führe ein ganz normales Leben, mit allen Höhen und Tiefen, mit Ängsten und Selbstzweifeln, Verunsicherungen und Verirrungen, klar, auch das. Aber es ist auch ein Leben voller Zufriedenheit, voller Glück, Geborgenheit und Leichtigkeit. Vor allem aber führe ich ein Leben, das ich mir in großen Teilen selbst ausgesucht habe und das mir so, wie es ist, gefällt.

Ich liebe es, mittags auf meinem Balkon zu sitzen, während in den Büros gegenüber emsig und ernst gearbeitet wird. Ich genieße es, an einem heißen Mainachmittag im Schwimmbad in der Sonne zu liegen, während andere Leute kurz davor sind, sich zu Tode zu schuften. Natürlich, der Preis dafür ist hoch: ständige Unsicherheit, gelegentlich bedrückende Existenzangst, erhebliche finanzielle Einschränkungen. Aber im Gegensatz zu den meisten arbeitenden Menschen in diesem Land stehe ich morgens nicht voller Widerwillen auf und denke: Schon wieder so ein gräßlicher Montag, der eine gräßliche Woche einleitet, die von einer weiteren gräßlichen Woche abgelöst wird. Ich habe das viele Jahre erlebt und möchte es nie, nie wieder haben.

Ich genieße es auch, seltsame Affären mit interessanten Männern zu haben. Die letzten zehn Jahre meines Lebens waren – abgesehen von einer längeren Pause, in der ich lächerlicherweise schon glaubte, alles sei vorbei – davon bestimmt, begehrt und geliebt zu werden, aufregende Momente voller Intensität zu erleben, Nähe und Distanz in permanentem Wechsel zu spüren, und vor allem immer wieder neu diesen aufregenden Kick des Neuen, Anderen, Fremden zu genießen.

Das war alles so nicht geplant. Vor zehn Jahren träumte ich noch von Mann, Kindern, Reihenhaus. Aber mein Leben verlief anders. Doch ich bin heute nicht unglücklich darüber. Ich habe in diesen Jahren so viel gelernt, jeder Mann hat mich ein Stückchen weiter gebracht, hat mich näher zu mir selbst hingeführt. Natürlich ist jeder Abschied schmerzhaft und hinterlässt Narben. Natürlich gibt es Augenblicke, in denen ich mit mir selbst und meinem Unvermögen hadere, Beziehungen einzugehen und aufrecht zu halten. Aber wer zweifelt nicht gelegentlich an sich selbst und seinem eigenen Lebensentwurf? Meistens denke ich in letzter Zeit: Ach, was soll's? Im Grunde brauche ich das alles doch gar nicht mehr.

Das, was ich momentan habe, genügt mir vollkommen. Einen Mann, der mich begehrt, mich schätzt, mich auf seine Weise wohl auch liebt, auch wenn er das nie sagt. Obwohl (oder gerade weil) wir manchmal wochenlang nichts voneinander hören, ist da eine sehr intensive, innige Verbindung zwischen uns. Er unterstützt mich beruflich sehr engagiert und bringt mir viel Respekt und Bewunderung entgegen, auch wenn das hier manchmal anders klingen mag. Er erträgt meine Kompliziertheiten und Ängste, genauso wie ich seine Kompliziertheiten und Ängste aushalte. Er hat andere Frauen, ich habe gelegentlich andere Männer. Das ändert an unserem Verhältnis zueinander absolut nichts. Und das ist genau das Spannende an der Sache. Vielleicht geht das ewig so weiter. Vielleicht ist es auch in ein paar Wochen vorbei. Vielleicht begegne ich doch noch mal einem Mann, mit dem ich eine engere Bindung eingehen kann. Wer weiß das schon?

Natürlich gibt es Spannungen zwischen uns, natürlich ist nicht immer alles im Gleichgewicht. Aber es nenne mir jemand auch nur eine einzige Partnerschaft, in der immer alles rund läuft. Und gemessen daran, dass wir überhaupt keine offizielle Beziehung führen, sondern „nur“ eine Affäre haben, lösen wir unsere Konflikte erstaunlich souverän und gehen immer wieder neu aufeinander zu. Das müsste nicht sein. Er hat, wie gesagt, andere Frauen, denen er emotional möglicherweise näher steht, mit denen vielleicht alles viel unkomplizierter läuft als mit mir. Trotzdem stellt er sich jeder Diskussion, die ich eröffne, begegnet er mir immer wieder neu sehr liebevoll und mit viel Verständnis.

Am Wochenende war ich bei Verwandten zu Besuch. Die Eltern haben sich permanent gestritten. Ein Vorwurf jagte den nächsten. Von außen war das schon kaum zu ertragen, ich möchte nicht wissen, wie es innen drin in den Beiden aussieht. Ich kenne solche Zustände, habe sie selbst erlebt, und auch hier sage ich, ähnlich wie beim 9 to 5-Job: Nein, danke! Da mache ich es mir doch lieber in der Sonne gemütlich, habe nicht allen Komfort, nicht allen Luxus, den andere Leute so in ihren Jobs oder Beziehungen genießen, aber dafür bin ich glücklich. Ja, und wenn das nicht immer alles hier haargenau in diesem Blog steht, dann nicht nur, weil vieles hier nicht her gehört, sondern auch, weil ich dazu neige, die grauen Regentage eher festzuhalten als die luftig-leichten Frühlingstage. Dabei überwiegen die genau genommen in meinem Leben.

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