Mittwoch, 28. November 2012

November

Der November ist für mich ein schwieriger Monat. Jedes Jahr wieder, und von Jahr zu Jahr mehr. Ich bin in diesen Wochen erschöpft und kraftlos, mutlos und bedrückt. Resigniert blicke ich auf ein scheinbar erfolgloses fast vergangenes Jahr zurück und ängstlich schiele ich zum neuen Jahr hinüber. Im November bin ich mir sicher, dass die Zukunft mir nichts Gutes verheißt. Es ist der Monat des Sterbens, des Abschiednehmens, des Loslassens. Ich kann das nicht gut, ich halte ständig fest, an Menschen, Erinnerungen, Orten, Jahreszeiten. Ich sehne mich nach dem Sommer, wenn Herbst ist und nach dem Herbst, wenn Winter ist. In November denke ich immer häufiger: Ich möchte jetzt sofort in einen Flieger in die Sonne steigen und erst im März wiederkommen.

Gleichzeitig ist es mir aber auch wichtig, den Abschied vom Jahr bewusst zu gestalten. Ich hasse diese vorgezogene Weihnachtsfröhlichkeit, die viel zu früh geöffneten Weihnachtsmärkte, die Läden, in denen man mittlerweile bereits seit September nicht nur Lebkuchen, sondern auch Christbaumkugeln und Nikoläuse erstehen kann. Was soll der Unsinn? Im September ist fast noch Sommer. Da denke ich nicht eine Sekunde lang über Weihnachten nach. Auch im November tue ich das nicht. Nur gelegentlich schleicht sich eine leise Sehnsucht ein, und ich denke: Wenn der Totensonntag rum ist, dann wird alles besser, dann naht die Adventszeit mit all ihren Lichtern und Farben und Düften.

Am Samstag vor dem Totensonntag gehe ich zum Friedhof. Ich lege ein Wintergesteck auf unser Familiengrab und zünde eine Kerze an. Es ist ein einsamer Gang, bei dem mich nie jemand begleitet, meine Geschwister leben zu weit weg oder haben zu wenig Interesse an diesen ritualisierten Friedhofsbesuchen. Darum gehe ich auch nicht mehr direkt am Totensonntag zum Grab. Ich konnte es nicht aushalten, so viele Familien um mich herum zu erleben, die gemeinsam trauern und sich erinnern, während ich selbst immer alleine war. Am Samstag ist es angenehm still auf dem Friedhof, da bin ich fast alleine und kann in Ruhe meinen Gedanken nachhängen.

Die Gräber wurden bereits für den Winter vorbereitet, die Erde ist locker, Bäume und Sträucher wurden verschnitten. Es ist sehr neblig, mehr November geht kaum. Aber ich kann es diesmal aushalten. Staunend mustere ich die Jahreszahlen auf dem Grabstein. So viele Jahre schon, so lange ist es her, dass meine Eltern gestorben sind. Ich kann es kaum glauben. Auf meinem Weg über den Friedhof werfe ich flüchtige Blicke auf Gräber, in denen Kinder liegen oder Jugendliche, junge Erwachsene, Menschen, die viel zu früh gehen mussten. Dann bin ich sehr dankbar dafür, dass ich nur das Grab meiner Eltern besuchen muss, die zwar auch nicht alt wurden, aber doch ein erfülltes Leben hatten. Den Gedanken, jemanden aus meinem engsten Familien- und Freundeskreis zu verlieren, der in meinem Alter oder viel jünger ist, kann ich kaum aushalten.

Jetzt ist es fast geschafft. Noch wenige Tage, dann ist der November rum. In diesen Tagen gehe ich Tannenreisig kaufen und schmücke meine Wohnung weihnachtlich. Ich werde Pläne fürs nächste Jahr machen, voller Hoffnung und Zuversicht. Im Dezember glaube ich wieder an mich, ich bin mir sicher, dass das neue Jahr gut werden wird. Und ich nehme mir fest vor, nächstes Jahr im November wegzufliegen, garantiert.

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Freitag, 16. November 2012

Liebe Stadt Hamburg,

spannend, was Ihr da grade in der Ottenser Hauptstraße veranstaltet: Da werden die gemauerten Umgrenzungen der Platanen erneuert. Aber nicht etwa so, dass die alten Steine abgerissen werden, damit die Bäume Platz zum Wachsen haben und dann ein neuer, größerer Schutz hinkommt. Nein, alles bleibt so wie es ist und über die alten Backsteine werden einfach große, schicke Metallkästen mit hübschen Motiven und dem Wappen der Stadt (wichtig und sicher nicht billig!) gestülpt, die Lücken mit Erde aufgefüllt (was genau soll noch mal in diesem Spalt zwischen Metall und Backsteinen wachsen?) – fertig. Super Idee, echt jetzt. Besonders toll finde ich, dass man auf diesen schicken, aber total unpraktischen neuen Metalldingern nicht mehr sitzen kann. Denn wer hat früher immer auf diesen kleinen Mäuerchen gehockt? Alkis und Bettler, klar. Die will da natürlich keiner haben. Und all die anderen, die da im Sommer mit einem Eis in der Hand saßen oder sich kurz mit ihren Shoppingtüten in der Hand ausruhten - na, die werden schon ein anderes Plätzchen finden, ein paar Straßen weiter vielleicht, wo es öffentliche Sitzplätze gibt. Was sollen die auch in der Ottenser Hauptstraße rumhängen, das ist doch bloß die Haupteinkaufsstraße des Viertels. Wie auch immer, ich nehme an, da war einfach irgendwo Geld übrig, das Ihr vor Jahresschluss noch verbraten musstet. Kleiner Tipp: Falls Ihr das nächste Mal Geld loswerden müsst, gebt es doch einfach mir. Ich würde es deutlich sinnvoller verwenden, garantiert.

Eure Käthe Feinstrick,
Wählerin und Steuerzahlerin der Stadt Hamburg


Edit April 2013:
Ich nehme mein Gemecker wieder zurück. Diese komischen Kästen sehen zwar nicht hübsch aus, weil sie längst total verrostet sind ("Patina" werden andere jetzt behaupten), aber mittlerweile wurden sie üppig mit Frühlingsblumen bepflanzt und an den Seiten wurden Bänke angeschraubt. Das ist in der Tat eine Verbesserung zu vorher.

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Sonntag, 11. November 2012

Das tollste Erlebnis

Meine neunjährige Nichte fragte mich heute: „Was war das tollste Erlebnis in deinem Leben?“ Ich wusste darauf keine Antwort. Nicht etwa, weil mein Leben so arm an tollen Erlebnissen ist, sondern weil ich nicht auszuwählen vermochte. Das Allertollste? DER Moment in meinem Leben? Das ist schwierig.

Es gibt Leute, die können diesen einen großartigsten Augenblick ihres Lebens genau benennen – vorzugsweise bei Dankesreden auf Oscar-Verleihungen. Ich habe aber noch nie einen Oscar erhalten und auch keine anderen Preise, nicht mal den 1. Preis beim Schülerlesewettbewerb. Ich bin immer die, die auf dem 4. oder 5. Platz landet. Gaaanz knapp vorbei. Auch Hochzeiten sollen ja für viele Leute das schönste Ereignis ihres Lebens sein. Ich habe aber bis jetzt nicht geheiratet. Kinder habe ich auch keine. Die ganz großen Ereignisse habe ich bis jetzt wohl ausgelassen.

Spontan fielen mir ein paar Reisen ein. Nichts Spektakuläres, aber doch besondere Momente. Wandern in den Bergen mit sensationellem Ausblick auf Täler und Schluchten. Ein Galopp auf einem struppigen Pony am Meer, bei dem mir der Wind die Tränen in die Augen trieb und mein Herz weiter war als der endlos breite Strand. In Südschweden zu nachtschlafender Zeit in den Sonnenaufgang radeln. In Frankreich vor einem Zelt sitzen und einen unfassbaren Sternenhimmel bestaunen.

Dann fiel mir der Moment ein, als ich erfuhr, dass ich eine Eins in meiner Magisterarbeit geschrieben hatte. Nach einem endlos langen Studium, in dem ich mich ständig fehl am Platz fühlte, und einer ebenso endlosen, quälenden Prüfungszeit war das ein unbeschreibliches Geschenk, ein intensiver Moment des Glücks. Ich dachte daran, wie ich mal in einem Segelflugzeug über der Fischbeker Heide schwebte und staunte, wie waldreich der Süden Hamburgs doch ist. Mir fielen Momente mit guten Freunden, mit meiner Familie, mit den Kindern ein. Intensive Minuten und Stunden voller Wärme, Lachen, Geborgenheit. Augenblicke mit Männern, die ich liebte, kamen mir in den Sinn. Innigkeit, Leidenschaft, eins werden – nur für ein paar Wimpernschläge vielleicht, aber unendlich kostbar und auf ewig festgehalten.

Fazit: Es gab in meinem Leben bisher nie diesen einen ganz großen Moment, dieses umwerfende Ereignis, das mir mehr bedeutet als alles andere. Vielmehr gibt es viele kleine Augenblicke des Glücks, wunderbare Momente intensiven (Er-)Lebens. Das tollste Erlebnis, könnte ich sagen, ist vielleicht das Leben an sich. Einen Oscar gewinnt man damit natürlich nicht, ich weiß. Aber das ist auch gar nicht wichtig.

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Mittwoch, 31. Oktober 2012

Süßes und Saures

An meiner Tür klingelt es. Ich verkrieche mich und öffne nicht – ein wenig mit schlechtem Gewissen, ein wenig genervt. „Süßes oder Saures“ ist so dämlich, dass ich mich nicht damit anfreunden kann, ich blöde Spielverderberin. Früher, da haben wir an diesem Tag Reformationslieder geschmettert. Ob das besser war, weiß ich ehrlich gesagt auch nicht. Aber es hatte zumindest einen Sinn.

Dabei bin ich alles andere als schlecht gelaunt, nur ein wenig müde. Mein Leben ist voll im Moment, und bunt. Es passiert viel Süßes. Das jüngste Kind in meiner Familie ist da. Und ich, die ich im Vorwege überhaupt kein Interesse an diesem Neuzugang hatte, bin natürlich hingerissen und total verliebt in das niedliche Fräulein. Genauso wie die großen Geschwister, die sich regelrecht darum prügeln, wer die Kleine im Arm halten darf. Außerdem habe ich ein Herzensprojekt in die Welt gebracht, das nun laufen lernen muss. Ich bin sehr, sehr glücklich darüber. Genauso wie über intensive Freundschaften, die ich zurzeit mit besonders großer Innigkeit pflege.

Das, was mir sauer aufstößt, wird davon regelrecht überdeckt. Es ist der ewige Überlebenskampf, den ich momentan erstaunlich gelassen nehme, genauso wie Enttäuschungen, Ablehnung, Absagen. Und auch mein Herzweh hält sich in Grenzen. Vielmehr begreife ich immer mehr, dass es andere Dinge sind, auf die es ankommt. Fürs Bloggen bleibt da wenig Zeit, obwohl ich ständig online bin. Aber andere Projekte haben momentan Vorrang. Das ist irgendwie schade, und manchmal träume ich davon, den ganzen Tag nichts anderes zu machen als schreiben, schreiben, schreiben. Eines Tages werde ich das auch tun. Ich glaube, das ist ein schönes Fernziel. Bis dahin mache ich gelegentlich auch mal wieder die Tür auf und verteile Süßes. Ich bin ja gar nicht so.

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Mittwoch, 3. Oktober 2012

Aushalten

Wenn mir eine gute Freundin von ihren Eheproblemen erzählt, wird mir jedes Mal ganz flau. Ich denke dann immer: Wie kann sie das nur aushalten? Wie erträgt sie so viel Lieblosigkeit und Respektlosigkeit? So viel seelische Gewalt? Wir kennen uns seit zehn Jahren. Seit damals höre ich mir diese Geschichten an. Und sie wurden mit den Jahren nicht besser, sondern immer schlimmer. Immer häufiger sage ich ihr das auch. Neuerdings denkt sie tatsächlich über Scheidung nach, hat aber nicht die Kraft, die nötigen Schritte einzuleiten. Ich sitze da und bin verzweifelt, weil meine Freundin so unglücklich ist.

Auch andere Freundinnen sind unglücklich mit ihren Partnern. Ich höre ihnen allen zu, tröste, muntere auf, erteile Ratschläge. Ich habe immer gute Ratschläge parat, darin bin ich ganz groß. Vor allem darin, einer Freundin klarzumachen, dass sie einen Mann ziehen lassen soll, der sie nur unglücklich macht, bin ich die absolute Expertin. Ich sehe glasklar, wie unsinnig es ist, an einer Verbindung festzuhalten, die mehr Unglück als Glück bedeutet.

Wenn es allerdings um mich selbst geht, versage ich total. Da sehe ich gar nichts mehr. Da spüre ich einen undefinierbaren Wust von Gefühlen, die mich gefangen nehmen und mein Hirn blockieren. Das größte Gefühl ist immer die Angst. Angst, nicht gut genug zu sein. Angst, zu versagen. Angst, den Mann durch mein Verhalten zu vertreiben. Angst, verlassen zu werden. Angst, für den Rest meines Lebens allein bleiben zu müssen. Aus dieser Angst heraus mache ich total bescheuerte Sachen. Ich zicke rum. Ich meckere. Ich analysiere Situationen zu Tode. Ich klammere. Ich trete und beiße. Ich halte fest. Ich verzeihe, was nicht zu verzeihen ist. Ich versuche zu verstehen, was nicht zu verstehen ist. Ich verliere mich selbst in dem Bestreben, dem anderen nahe zu sein.

Das Ergebnis liegt auf der Hand. Einerseits verjage ich Männer durch mein Verhalten. Wenn ich zickig bin, ertrage ich mich nicht mal selbst, so schlimm ist das. Andererseits halte ich Zustände aus, die nicht auszuhalten sind. Ich hänge an Männern fest, die mir schon lange nichts mehr geben. Ich bilde mir ein, dass ich mich nur zusammenreißen muss, dann wird schon alles besser. Ich suche die Fehler bei mir, nicht bei den Männern. Ich stecke total fest, während die Männer längst weitergegangen sind.

Ich habe inzwischen einige Erklärungen gefunden, warum das so ist. Es ist hilfreich, sich selbst zu verstehen. Sich auch verändern zu können, ist jedoch etwas völlig anderes. Und an der Veränderung arbeite ich wohl noch ein Weilchen. Ich mochte Stillstand noch nie. Bewegung, Veränderung ist für mich immer wichtig, so schwer das oft auch ist. Über den eigenen Schatten zu springen, eigene Ängste zu überwinden, eigene Fehler und Schwächen zu erkennen und nach Auswegen zu suchen – das ist wohl das Schwerste überhaupt. Aber, auch das wird mir in solchen Krisen immer wieder klar, ich bin zäh. Viel zäher, als ich oft denke. Es zerreißt mir das Herz und ich liege am Boden. Aber ich kann immer noch lächeln und die Sonne sehen. Und mit dieser Restenergie gehe ich jetzt los, sammle meine Einzelteile zusammen und fange von vorne an. Wieder mal.

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Übermorgen fliege ich in den Urlaub, und wenn ich zurückkehre,...
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