Der Januar war sagenhaft langweilig. Ich bin fast froh, dass er so schnell vergangen ist. Gut, noch gibt’s ein paar Tage, und da wird auch noch einiges passieren, was genau das Gegenteil von Langeweile ist, das weiß ich wohl. Aber fest steht: Der Januar hat's nicht gebracht. Dabei begann das Jahr so grandios, auf der Elbe, mit viel Bier und noch mehr Lachen, mit wunderbaren Menschen und einer Heiterkeit, die uns mit Schwung über die Jahresschwelle trug. Der Schwung hielt noch ein paar Tage an, in denen ich auf Reisen war und viel Liebe und Glück verspürte. Aber dann verpuffte das alles irgendwie. Ein bisschen Arbeit, ein bisschen Sport, ein paar schöne Begegnungen mit tollen Menschen – und viel, viel Langeweile. Selbst das Wetter brachte nichts weiter hervor als ein sagenhaft ödes, eintöniges Grau. Der Februar hingegen wird gut. Im Februar mache ich Urlaub, da gibt es jetzt schon die Aussicht auf diverse Wellnessprogramme, und auf massenhaft Arbeit obendrein. Der Februar ist besser als sein Ruf. Darum lautet mein Plan für nächstes Jahr: Im Januar muss irgendwas passieren. Aufregendes. Abenteuerliches. Anderes. Den Januar muss ich mehr würdigen, da muss ich meine Energien fürs ganze Jahr sammeln und nicht vergeuden. Vor allem, allem, allem aber brauche ich einen Januar mit besserem Wetter. Und genau daran werde ich arbeiten.
Wohnzimmer -
feinstrick - 27. Jan, 23:19
„Ich habe Angst, dass du mich übersiehst und vergisst.“ „Das kann gar nicht passieren. Ich kann dich überhaupt nicht mehr vergessen.“ Das klingt wie eine kleine Liebeserklärung, aber natürlich darf es nicht so genannt werden, das würde uns beide nur noch nervöser machen, genauso, wie man das Ganze nicht Beziehung nennen darf. Wir sind lediglich von einer unverbindlichen in eine verbindliche Affäre geglitten, das ist alles. Und doch berühren mich seine Worte sehr. Vor allem aber trösten und beruhigen sie mich.
Vorangegangen ist eine kleine Auseinandersetzung, die, wie die meisten zwischenmenschlichen Konflikte, auf einem Missverständnis beruht. Er fürchtete, ich wolle ihn vereinnahmen (was gar nicht der Fall war) und zog sich etwas zurück. Daraufhin fürchtete ich, er werde mir abhanden kommen (was er gar nicht vorhatte), wurde missgelaunt und fordernd. Wir steckten fest. Doch irgendwie schafften wir zwei Angsthasen es, offen miteinander zu sprechen. Hinterher waren wir beide total erschöpft, aber zufrieden. „Wir führen hier ja Gespräche wie in einer richtigen Beziehung“, sagt er. „Das wollte ich doch gar nicht. Aber wer weiß, wozu es gut ist.“
Ich glaube ja, dass Menschen einander nicht zufällig begegnen, sondern dass wir alle voneinander lernen. Was er durch mich lernt, weiß ich nicht. Aber ich weiß, was ich von ihm lerne: Loslassen und Vertrauen haben. Das ist mein Lebensthema, und ich scheitere immer wieder daran. Jetzt setze ich mich zum ersten Mal bewusst damit auseinander. Dieser Mann kommt mir dabei wie ein Geschenk des Himmels vor. Hochsensibel reagiert er unmittelbar auf alles, was ich sage und tue. Er ruft garantiert immer dann an, wenn ich am wenigsten damit rechne und so richtig gar nicht an ihn denke. Weihnachten zum Beispiel. Aber wehe, ich sehne ihn herbei. Dann ist wochenlang Funkstille, als würde er genau spüren, was ich denke. „Du kriegst alles, was ich geben kann“, sagt er, aber sobald ich den leisesten Druck ausübe, kriege ich gar nichts. Das verwirrt mich und macht mich nervös. Ständig habe ich das Gefühl, etwas falsch zu machen, und manchmal denke ich, dass das alles diese Anstrengung nicht wert ist.
Dabei ist es in Wahrheit überhaupt nicht anstrengend, sondern eigentlich wunderbar bequem. Ich muss nicht mehr strampeln und kämpfen, mich nicht wer weiß wie anstrengen, aus Angst, nur gemocht zu werden, wenn ich die Beste bin. Eigentlich muss ich einfach nur ich sein. Dann bin ich nämlich total entspannt, ganz bei mir und lasse alles andere los. Und prompt werde ich reich beschenkt mit Zuneigung, Leidenschaft, Zärtlichkeit, Fürsorge. Leichter geht es doch gar nicht. Was kann das Leben einfach sein. Theoretisch jedenfalls.
Ich führe ein sehr eigenes, eher unkonventionelles Leben. Ich habe einen bunten Freundeskreis, ein schräges Liebesleben, einen abwechslungsreichen Job. Je älter ich werde, desto mehr genieße ich dieses Leben voller Freiheit und Unabhängigkeit. Allerdings bin ich auch viel allein. Ich arbeite allein und lebe allein. Manchmal fühle ich mich deswegen einsam und traurig. Manchmal fürchte ich auch, zur Eigenbrötlerin zu werden und die Stille in meinem Alltag nicht aushalten zu können. Dann telefoniere ich stundenlang mit Freunden. Oder ich treffe meine Familie. Das erdet mich am meisten.
In ihrem Zweitleben verwandelt sich der Großstadtsingle Frau Feinstrick nämlich in Käthe, die Tante von fünf Kindern. Dann tobe ich ohne Rücksicht auf Verluste durch Wald, Wiesen und Wohnzimmer. Ich verstecke mich in Flurschränken und unter Betten, kämpfe verbissen beim Mensch-ärgere-dich-nicht um meine Ehre, verliere haushoch beim Kartenspielen, trage Feenflügel, begleite kleine Prinzen zur Toilette und halte kleinen Prinzessinnen, denen im Auto schlecht wird, die Kotztücher. Ich lese Geschichten vor, gucke Kinderfilme, schneide Grimassen, kugele mich vor Lachen am Boden, japse beim Wii-Spielen nach Luft und verrenke mir beim Bowling den Rücken. Ich wische Krokodilstränen ab und puste Schmerzen fort, höre mir Wünsche und Träume an, Ängste und Sorgen, und seltsame Geschichten ohne Pointe.
Ich bin die Tante, von der ich als Kind immer geträumt habe. Meine Onkels und Tanten waren toll, weil sie mir schöne Geschenke gemacht haben. Aber sie interessierten sich nie wirklich für mich. Sie spielten nie mit mir und nahmen mich nicht ernst. Zwischen uns herrschte eine Distanz, die sich ein Leben lang nicht überbrücken ließ. Wenn sie zu Besuch kamen, musste ich im schicken Kleid brav an einer festlich gedeckten Kaffeetafel sitzen und artig höfliche Fragen von Tante Hilde und Onkel Günter beantworten. Die waren mir weder in schweren Zeiten eine Stütze, noch in guten Zeiten Vorbilder, von denen ich lernen konnte.
Ob ich für „meine“ Kids ein Vorbild bin, weiß ich nicht. Auf jeden Fall bin ich ihnen allen eine Gefährtin, die sie lieben, zu der sie Vertrauen haben, mit der sie kuscheln (undenkbar mit Tante Hilde und Onkel Günter!) und gemeinsam auf einem Matratzenlager übernachten wollen (erst recht undenkbar mit Tante Hilde und Onkel Günter). Ich verbringe Urlaube in Ferienparks, in die ich freiwillig nie einen Fuß setzen würde. Ich nehme es in Kauf, tagelang nicht richtig zu schlafen und tagsüber ständig beansprucht zu werden. „Spiel mit mir! Geh mit mir schwimmen! Lies mir was vor!“, ruft ständig wer, und ich nicke ergeben und sage zu allem Ja. Ich weiß, wir haben nur diese wenigen Jahre gemeinsam, bevor die Kinder hinaus ins Leben gehen. Kostbare Jahre, die ihre kleinen Leben nachhaltig prägen. Später erinnern sie sich vielleicht nicht nur daran, wie sie im Weihnachtsurlaub bis spät in die Nacht miteinander in ihren Betten gekichert haben. Vielleicht erinnern sie sich auch daran, dass ich mit ihnen mitgekichert habe.
Nach fünf Tagen mit fünf Kindern kehre ich erfüllt nach Hause zurück. Die Stille kommt mir im ersten Moment seltsam vor, aber schnell genieße ich es wieder, das Fernsehprogramm selbst aussuchen zu dürfen, niemanden zwischendrin zu Bett bringen zu müssen und heute bis nachmittags am Frühstückstisch sitzen zu können. Aus Käthe wird wieder Frau Feinstrick, die schräge Texte twittert, auf den Anruf ihres Liebhabers wartet und Pläne schmiedet, in denen Kinder so gar nicht vorkommen.
Es sind diese seltsamen Zwischentage, nicht Fleisch nicht Fisch. Weihnachten ist vorbei, jedenfalls die offiziellen Feiertage, Silvester noch ein paar Tage hin, das alte Jahr ist fast rum, aber eben noch nicht ganz, und das neue ist fast da, aber eben noch nicht richtig. Diese Tage sind wie gemacht zum Nichtstun, Abhängen, Nachhängen. Ich sortiere vollgemüllte Ablagen, bringe meine Buchhaltung auf den aktuellsten Stand und mache mir nebenbei viele, viele Gedanken.
Hinter mir liegt ein buntes, ein turbulentes Jahr. Es war ein Jahr voller Extreme. Beruflich dachte ich zwischendrin, ich würde komplett scheitern. Ich hatte schlaflose Nächte, weil ich nicht wusste, woher das Geld für die nächste Miete kommen sollte. Ich zweifelte an mir und meinen Talenten und dachte, dass nur alle anderen Erfolg hätten und ich immer leer ausgehen würde.
Dabei übersah ich aber, dass in Wahrheit ganz viel passierte. Mein jahrelanges Strampeln führte unmerklich zu Ergebnissen. Ich hatte grandiose Aufträge für wunderbare Kunden, deren Begeisterung und Freude über meine Arbeit manchmal mehr wert waren als jeder Cent. Dazu kamen großartige Kollegen, die mich stützten und stärkten. Auf einmal traue ich mich in die Welt hinaus und zeige mich. Und siehe da – ich werde tatsächlich gesehen! Ich habe noch nie so viele neue Kunden gewonnen wie in diesem Herbst. Der Dezember, in dem früher so gut wie gar nichts passierte, ist diesmal einer der umsatzstärksten Monate des ganzen Jahres. Und es scheint im neuen Jahr so weiterzugehen. Ich bin sprachlos. Und unendlich dankbar.
Auch in meinem Privatleben gab es Höhen und Tiefen, Momente voller Verzweiflung und Hilflosigkeit, aber auch ganz viele Augenblicke, in denen einfach alles gut war. Stille, kleine Zeiten, die nicht der Rede wert sind, das Leben aber so wunderbar angenehm machen. Ich habe neue Freundschaften geknüpft und alte gefestigt. Ich habe gespürt, dass Menschen da sind, wenn ich in Not bin, und Freunde auch noch zu mir halten, wenn ich mich lange nicht melde, weil einfach alles zu viel ist und ich so sehr mit mir und meinem kleinen Überlebenskampf beschäftigt bin, dass keine Energie mehr da ist für Lachen, für Zuhören, für Dasein.
Mit den Männern erlebte ich so einige Überraschungen. Nach Jahren der Dürre habe ich ganz unerwartet wieder Leidenschaft verspürt, große Leidenschaft! Und ich habe mich verliebt, wenn auch nur in eine Eintagsfliege. Aber immerhin habe ich dieses Gefühl elektrisierender Aufgeregtheit gespürt. Ein Mann hat sich ganz unerwartet in mein Leben geschlichen. Er ist mir nah, und doch sehr weit weg. Da ist viel Leidenschaft, und doch große Distanz. Ich spüre seine große Zuneigung - und seine noch größere Angst. Ich weiß nicht, wer von uns beiden mehr Angst hat. Wenn zwei Angsthasen aufeinander treffen, führt das nur leider nicht weit. Wir gehen beide abwechselnd einen Schritt vor und zwei zurück. Mir fehlt oft Vertrauen – in meine eigenen Fähigkeiten genauso wie in andere Menschen. Ständig fürchte ich, nicht gut genug zu sein, verlassen zu werden, zu scheitern. Dieser Mann hat mir sehr glaubhaft (weil völlig unromantisch) zu verstehen gegeben, dass er so schnell nicht wieder weggeht. Genau genommen war er da verbindlicher als alle Männer vor ihm, die mir schmalztriefende Liebeserklärungen gemacht haben. Und doch schaffe ich es (noch) nicht, ihm zu trauen. Es gibt zu viele Fragezeichen, zu viele Ungewissheiten. Aber es ist viel in Bewegung, ich gehe über Grenzen, ändere Blickrichtungen und Verhaltensweisen. Was für großartige Erfahrungen!
Genau genommen ist alles so wunderbar, dass ich gerade sehr verwegene Pläne schmiede. Und wenn die was werden, dann wird der Rest des Winters granatenmäßig gut. Ich träume, plane, wünsche. Aber noch ist alles zu ungar, um konkreter darüber zu reden. Eins steht jedoch jetzt schon fest: Die Zeit zwischen den Jahren ist eine magische Zeit, in der alles denkbar ist. In diesem Sinne wünsche ich euch allen ein zauberhaftes neues Jahr!
Wohnzimmer -
feinstrick - 28. Dez, 14:40
Sie schlendert frisch geduscht ins Wohnzimmer, steht einen Moment im Raum wie ein Model auf dem Laufsteg, die langen Haare unter einem Handtuchturban versteckt, was die orientalischen Züge in ihrem Gesicht wunderbar betont und sie mindestens fünf Jahre älter aussehen lässt. Lässig wirft sie sich aufs Sofa und streckt die langen, nackten Füße auf dem Wohnzimmertisch aus. Da sitzt sie, denke ich, meine Zukunft, unsere Zukunft. Gerade mal zwölf Jahre alt, unschuldig, ahnungslos, aber sehr neugierig, sehr wach, zickig, wie es sich für eine Zwölfjährige gehört, mitfühlend, wie es manche Erwachsenen kaum hinkriegen, bildschön, ohne dass sie sich dessen bewusst ist, ein Mädchen auf dem Weg zur Frau. Ich denke daran, wie ich selbst mit zwölf aussah. Jung und unschuldig, ja, aber nicht halb so fraulich, da bin ich mir sicher. Ich war noch ein Kind, durch und durch. Bei mir hat es lange gedauert mit dem Älterwerden. Genau genommen bin ich bis heute nicht richtig erwachsen geworden – innerlich wie äußerlich.
Später stehen wir im Garten beim Meerschweinchenstall. Es ist lausig kalt. Sie trägt immer noch den Handtuchturban, und die nackten Füße stecken in offenen Sandalen. „Das sind meine Hausschuhe“, protestiert ihre Mutter. „Wieso ziehst du die hier draußen an?“ Sie zuckt gleichgültig die Schultern und konzentriert sich ganz darauf, eins der Meerschweinchen einzufangen. Die Diva vom Laufsteg ist wieder das kleine Mädchen geworden, das, vollkommen frei von Eitelkeiten, nur für den Moment lebt. Ich bin fast erleichtert. Ganz verschwunden ist das Kind also doch noch nicht. Die Kleine, die ich seit dem Tag ihrer Geburt kenne, die immer viel zu mager war und kein Kind, bei dem man vor Entzücken in Ohs und Ahs ausbrach. Nicht so intelligent wie der große Bruder. Nicht so niedlich wie die kleine Schwester. Dafür aber von unbändiger Energie und mit einem eisernen Willen, mit dessen Hilfe sie ihre Geschwister regelmäßig abhängt.
Und heute? Heute sieht man, wie sich das kleine Entlein in einen schönen Schwan verwandelt. Ich bin stolz auf sie. Wir waren uns immer besonders nah, sie ist, im selben Sternzeichen wie ich geboren, eine kleine Seelenverwandte von mir. Ja, ich bin stolz darauf, wie sie ihre Ängste überwindet und sich Schritt für Schritt hinaus in die Welt traut. Und wehmütig. Wie lange noch wird sie so unschuldig auf dem Sofa zwischen Mutter und Tante sitzen, sich an uns kuscheln und uns alles anvertrauen, was sie beschäftigt? Wie lange noch wird sie mit ihrer kleinen Schwester spielen, sich mit dem großen Bruder erst streiten, um dann einvernehmlich mit ihm am Computer zu sitzen? Wie lange wird es noch dauern, bis aus ihr und ihren Geschwistern Erwachsene geworden sind und sie davonfliegen? Die Zeit des innigen Familienlebens ist, so scheint es mir, erschreckend überschaubar geworden.