Mittwoch, 13. Oktober 2010

Dreizehn

Heute wird das älteste Kind aus der großen Schar meiner Neffen und Nichten dreizehn Jahre alt. Dreizehn – das ist so eine seltsame Zeit. Man ist nicht mehr richtig Kind, aber auch nicht jugendlich. Man hängt irgendwo dazwischen, pubertiert vor sich hin und lässt alle Welt den eigenen Unmut über diese schwierige Suche nach einer neuen Identität spüren.

An meinen eigenen dreizehnten Geburtstag kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nicht, was ich geschenkt bekam und wie der Tag ablief. Mit wem habe ich wie gefeiert? Ich habe Bilder im Kopf von gackernden Mädchen, die basteln und Cluedo spielen. Aber war das der dreizehnte Geburtstag? Oder der zwölfte? Seltsamerweise erinnere ich mich jedoch recht genau an den dreizehnten Geburtstag meiner Grundschulfreundin S.. Ich sehe uns gemeinsam mit einem Dutzend Mädchen aus der Schule an dem langen Tisch im Wohn-Esszimmer ihrer Eltern sitzen und Kuchen in uns hinein stopfen. Wir kreischen laut durcheinander, wie Mädchen das so machen, und beißen uns fest an dem Wort Teenager und seiner deutsch ausgesprochenen Variante Tee-Nager. Wir finden dieses Wortspiel zum Brüllen. „Mit Dreizehn sind wir keine Kinder mehr“, verkündet die S., „wir sind jetzt Jugendliche.“ Und sie und die anderen kommen sich wahnsinnig erwachsen vor. Ich hingegen bin verwirrt. Wieso bin ich jetzt auf einmal ein Teenager, eine Jugendliche? Was ist denn da so anders im Vergleich zu vorher? Ich bin sehr unreif für mein Alter und fühle mich genau genommen immer noch wie ein Kind.

Erst ganz allmählich dämmert mir, dass ich in ein Niemandsland geraten bin, in dem ich nirgendwo mehr richtig hingehöre. Seit der Konfirmation werde ich plötzlich immer häufiger gesiezt – das fühlt sich seltsam falsch an. Die S. zieht mit ihrer Familie fort und ich verliere einen wichtigen Halt in meinem Leben. In der Tanzschule will ich nur tanzen und bin verstört, weil alle meine Freundinnen dort Ausschau nach ihrem ersten Freund halten. Ich fühle mich nirgendwo mehr zuhause – weder in meiner eigenen Haut, noch in meiner Familie oder meinem Freundeskreis. Ich beginne Dinge in Frage zu stellen, an die ich ein Leben lang geglaubt habe. Ich spüre die Enge, in der ich aufgewachsen bin, aber ich sehe keinen Weg, um ihr zu entfliehen. Stattdessen lasse ich mich klein machen. Ängstlich und unsicher stolpere ich in den nächsten Jahren durchs Leben. Alles, was mit Spaß, Vergnügen und Entdecken zu tun hat, ist für mich tabu – weil meine Eltern es nicht erlauben und ich nicht den Mut habe, die Welt ohne das Einverständnis meiner Eltern zu erobern. Ich bleibe ein Kind im Körper eines jungen Mädchens, das fast schon an der Schwelle zum Erwachsenwerden steht. Es dauert lange, bis ich mich endlich befreien kann, Schritt für Schritt mein eigenes Leben entdecke und aus dem Dornröschenschlaf erwache. Manchmal kommt es mir heute so vor, als sei ich noch immer nicht ganz aufgewacht.

Mein Neffe, der heute Geburtstag feiert, hat mehr Glück als ich. Er wächst sehr offen und frei auf. Seine Pubertätskrisen werden von seinen Eltern richtig gedeutet und verstanden. Ich bin sehr gespannt, wie er sich weiter entwickelt und wünsche ihm sehr, dass die Freiheit, in der er aufwächst, ihm hilft, die Welt mutiger und selbstbewusster zu erkunden als ich es damals konnte.

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Sonntag, 26. September 2010

Reise ins Ich

Ein lautes, langanhaltendes Tuten reißt mich aus dem unruhigen und nicht sehr tiefen Schlaf. Vermutlich verlässt gerade ein Kreuzfahrtschiff den Hafen und bringt seine Passagiere hinaus in die Welt. Ich lausche dem Tuten, das immer leiser wird, lausche dem Rasen meines Herzens, meinem Atem. Hellwach bin ich auf einmal, und voller Panik. Ich wünschte, ich wäre auch auf so einem Schiff und könnte weit, weit weg fahren, mein ganzes Leben hinter mir lassen, und mich selbst am besten gleich mit. Ich glaube, im falschen Leben zu stecken, die falschen Dinge zu tun, die falschen Gefühle zu haben.

Die Existenzangst zerfrisst mich, die Einsamkeit lässt mich verzweifeln. Ich habe nur noch einen Gedanken: Ich schaffe das nicht! Ich schaffe es nicht, beruflich wieder Fuß zu fassen. Ich schaffe es nicht, mein Leben dauerhaft alleine zu bewältigen. Ich schaffe es nicht, all meine Alltagssorgen und -nöte ohne Unterstützung zu meistern. Raus möchte ich aus diesem Gefängnis aus Angst und Isolation. Aber da ist nirgendwo ein Ausgang. Ich drehe mich immer nur um mich selbst, bis ich völlig erschöpft bin. Das, was mir Spaß macht, was mich glücklich macht, kann ich nicht tun, weil meine ganze Kraft ins Geldverdienen geht. Und trotzdem komme ich kaum über die Runden. Am Ende einer harten Arbeitswoche bleibt keine Energie mehr für Freunde, für Lachen, für Liebe. Das ist es, was mich besonders schmerzt. Früher bin ich wenigstens viel ausgegangen - Kultur, Partys, Dates, hübsche und weniger hübsche Affären, ich fühlte mich lebendig, begehrt und geliebt. Das ist lange vorbei. Heute komme ich mir wie so ein altes Weib vor, das niemand mehr haben will, dem kein Mann mehr hinterher schaut. Manchmal fühle ich mich selbst schon nicht mehr als Frau, sondern mehr wie so eine Art Neutrum, ein Wesen jenseits von allem Lebendigen. Ich denke kaum darüber nach, was ich anziehe und laufe in uralten Jeans und Turnschuhen rum. Egal. Sieht mich doch eh keiner. Für die meisten Jobs bin ich zu alt. Für die Singlebörsen auch. Frauen in meinem Alter gelten dort als schwer vermittelbar. Ich hab's gemerkt und mich wieder abgemeldet.

Was nun? Tränen schießen mir in die Augen und ich bemitleide mich eine Weile selbst, suhle mich in diesem grauenvoll schmerzhaften Einsamkeitsgefühl und der Verzweiflung über mein permanentes Scheitern. Es ist einfach bitter, dass sich gewisse Dinge nie ändern, von Jahr zu Jahr gleich bleiben. Es tut weh, zu sehen, wie Paare miteinander reifen und wachsen, während ich meine einsamen Kämpfe ausfechte, als sei ich immer noch 25. Auch der berufliche Erfolg anderer schmerzt, und verzweifelt frage ich mich, was an mir so verkehrt ist, warum alles schief läuft und ich schon mein halbes Leben lang auf der Stellte trete.

Draußen ist es still geworden. Das Kreuzfahrtschiff erreicht vermutlich bald die Nordsee und erobert die Weiten des Meeres. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf und hoffe, die finsteren Dämonen schnell wieder zu vertreiben. Ich kann es mir nicht leisten, lange schwach zu sein. Wer Single ist und noch dazu selbständig, darf keine Angst haben, sonst geht er unter. Das Problem ist nur: Ich war mein Leben lang ein riesengroßer Angsthase. Darum klappt ja bei mir auch vieles nicht so leicht und so schnell wie bei anderen Leuten. Darum habe ich oft Albträume und Rückenschmerzen und kriege gelegentlich nächtliche Panikanfälle. Trotzdem mache ich weiter. Was bleibt mir auch anderes übrig?

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Mittwoch, 22. September 2010

Unverdaut

Ich lese und höre von Reformen und Sparmaßnahmen, und der Klumpen in meinem Magen, den ein wirklich übles Abendessen aus Burger und Pommes verursacht hat, wird noch größer und schwerer. Wer überlebt das alles am Ende eigentlich noch? Ich sicher nicht. Genauso wenig wie das schöne Museum in meiner Nachbarschaft, das im letzten Jahr erst für sehr viel Geld renoviert wurde. Man glaubt so was immer gar nicht. DA geht das ganze Geld hin, das dann später im Haushalt fehlt: sinnlos rausgeworfen durch völlig plan- und hirnlose Entscheidungen. Und wenn ich an meinen Krankenhausaufenthalt denke und daran, dass man mich am liebsten quasi direkt vom OP-Tisch nach Hause geschickt hätte, bloß um Kosten zu sparen, wird mir erst recht übel. Denn das war vor der Reform, die jetzt kommt. Wir sollen alle immer tiefer in die Taschen greifen, aber am Ende haben wir immer weniger davon. Ich bin mir sicher, dass das eines Tages in einer absoluten Katastrophe enden wird. Aber wer weiß, ob das dann überhaupt noch wichtig ist. Vielleicht erübrigen sich dank Klimawandel ja Zukunftsängste eh von selbst.

Aber ich mag mich nicht aufregen, brauche vielmehr Entspannung nach stressigen Tagen. Gerade als ich dachte, ich könnte mich gemütlich mal wieder ein paar Schreibprojekten widmen, erhielt ich eine Jobanfrage, die mich mehr mit Beschlag belegt als mir lieb ist. Viel mehr. Ich habe sogar die ganze letzte Nacht davon geträumt. Das ist mir ewig nicht passiert und wirklich grauenvoll. Das Gute an der Sache: der gruseligste Teil dieses Jobs dauert maximal zwei Wochen. Dann wird es hoffentlich besser. Das Seltsame: Ein eigentlich ruhiger Schreibtischjob stresst mich weit mehr als das Unterrichten von unmotivierten Langzeitarbeitslosen und Migranten mit minimalen Sprachkenntnissen. Und im Gegensatz zum Lehren macht er auch absolut keinen Spaß. Überraschen tut mich das alles nicht. Nur die Heftigkeit, mit der es mir gerade noch mal vorgeführt wird, die hatte ich nicht erwartet.

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Sonntag, 19. September 2010

Worte, in denen man wohnen kann

Ich bereite ein Seminar vor, für das ich schon vor Ewigkeiten eine Zusage gemacht habe. Jetzt, während der Vorbereitung merke ich, dass ich auf das Thema überhaupt keine Lust mehr habe. Die Literatur dazu liegt seit Wochen unberührt auf meinem Schreibtisch. Aber so langsam wird die Zeit knapp, und widerstrebend beginne ich die Bücher zu sichten.

Und dann auf einmal bin ich mittendrin. Ich sitze den ganzen Nachmittag am Fenster in meinem alten Sessel, trinke Tee und lese. Sanfte Harfenklänge von Xenia Narati erfüllen den Raum. „Musik, in der man wohnen kann“ hat mal jemand dazu gesagt. Und wieder einmal staune ich darüber, wie man so schöne Worte finden und gleichzeitig in seinem Inneren so leer und kaputt sein kann. Ich hingegen bin ganz voll, erfüllt von dem, was ich lese. In mir breitet sich eine Ruhe und Klarheit aus, die ich schon lange nicht mehr gespürt habe. Ich lese und lese, und immer mehr begreife ich: Hier geht es um mich, um mein Leben, meine ganz persönlichen Themen.

Ich habe immer noch keine Lust, das Seminar zu halten, aber ich bin fasziniert von dem Zufall, der mir diese Bücher gerade jetzt in die Hand gegeben hat. Jetzt, wo ich sie so dringend gebrauchen kann. Seltsam, denke ich, wie sich manchmal eins zum anderen wie Puzzlestücke ineinander fügt.

Die Musik ist vorbei. Vieles andere in meinem Leben auch. Aber es tut nicht mehr so weh, verliert an Härte, an sinnlosem Zorn, an uferloser Traurigkeit. Ich lasse los und nehme Abschied. Jedenfalls für den Moment.

„Die Kunst des Beendens“ heißt das Thema, um das es geht.

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Dienstag, 14. September 2010

Aus und vorbei

Ich liege auf dem Rücken im warmen Wasser des Außenwhirlpools und lasse mich treiben. Das Wasser trägt mich und schaukelt mich sanft hin und her. Am Himmel funkeln die ersten Sterne. Ein Flugzeug fliegt sehr tief über die Häuser. Wärme umhüllt mich. Doch die Luft ist frisch. Sie schmeckt herb und rau. Da ist nicht der leiseste Hauch mehr von Sommer in ihr.
Es ist dieser winzige Moment, in dem ich mit aller Klarheit spüre: aus und vorbei.

Ich friere. Ich kriege Depressionen. Ich fühle mich betrogen.
Drei Wochen brüllende Hitze. Davor ein halbes Jahr Winter, danach Herbst.
Das war kein Sommer, echt nicht. Das war eine Mogelpackung, ein riesengroßer Betrug. Genau genommen existierte dieser Sommer gar nicht. Doch was mache ich jetzt damit? Wie kann man einen Winter ertragen, wenn man keinen Sommer hatte? Woher soll man die Hoffnung nehmen, dass es ganz sicher irgendwann wieder hell und warm wird, dass man barfuß gehen, laue Abende genießen, Sonnencreme benutzen, in der Ostsee baden kann?

Der Regen klatscht gegen die Fensterscheiben, der Himmel ist so grau, wie er nur in Hamburg grau sein kann. Ich habe kalte Füße und ziehe mir Wollsocken über.
Die Sehnsucht ist unbeschreiblich. Aber was hilft's?

Andere haben schon sehr trefflich über diesen trügerischen Gesellen geschrieben, haben ihn entlarvt als Taugenichts, der uns alle an der Nase herumgeführt hat.
Doch was ändert das? Der Sommer ist weg.
Was bleibt, sind eine Handvoll Erinnerungen. Und das Gefühl, etwas Wichtiges verpasst zu haben.

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