„Findest du Humor in einer Beziehung eigentlich wichtig?“
„Ja, natürlich, extrem wichtig. Wieso? Hast du dich mit einer Frau zusammengetan, die total humorlos ist?“
„Ähm … na jaaa … wir verstehen uns super gut, haben ganz viele Gemeinsamkeiten. Aber mir fällt auf, dass wir kaum zusammen lachen.“
„Dann solltest du sie vergessen. Eine Beziehung ohne Lachen ist fast so tot wie eine Beziehung ohne Sex. Ah – Humor beim Sex ist übrigens auch sehr wichtig.“
„Beim Sex???“
„Ja, klar. Oder nimmst du da etwa immer alles bierernst?“
„Äh ...“
„Mit dir möchte ich aber auch nicht in der Kiste landen.“
„ …“
Ich rieche so wahnsinnig gut, sagt er, das sei ihm schon bei unserem allerersten Treffen aufgefallen. Es sieht so aus, als wolle er noch etwas sagen, aber er wendet den Kopf ab und schweigt. Er ist an mir interessiert. Das kapiere sogar ich, die in solchen Dingen in den vergangenen Jahren komplett blind geworden ist.
„Stimmt, ich habe dich noch nie nackt gesehen“, sagt er kurz darauf, als ich feststelle, dass wir uns seltsamerweise immer nur an lausig kalten Wintertagen treffen. Ich lache nervös und mir schießen tausend Erwiderungen durch den Kopf, aber am Ende sage ich irgendwas Belangloses, Unverfängliches.
Später, zuhause, lasse ich mir das mit der Nacktheit durch den Kopf gehen. Ich stelle mir vor, wie das wäre, wenn er mich wirklich nackt sehen würde. Unbehagen beschleicht mich, das ich nicht richtig einordnen kann.
Dann erinnere ich mich an all unsere Gespräche. Sie waren immer intensiv, immer sehr offen, egal ob es um Berufliches oder Privates ging. Manchmal war ich hinterher total erschöpft und hatte das Gefühl, dass er mich komplett ausgezogen, bis auf die tiefsten Gründe meiner Seele entblättert hatte. Ich weiß nicht, wie er das macht, und es ärgert mich, weil ich mir dabei so klein und hilflos vorkomme. Es liegt nicht an den Dingen, die ich ihm erzähle. Manche Menschen erfahren viel, viel mehr von mir – aber das geschieht in einem deutlich entspannteren Rahmen, ja, ich dränge mich ihnen gelegentlich fast auf mit meinen abgründigen Geschichten. Bei ihm ist das anders. Ich sitze wie ein Schulmädchen vor ihm, das vom Lehrer nach seinen Hausaufgaben gefragt wird.
Wieder beschleicht mich Unbehagen, diesmal aus anderen Gründen.
Ich schreibe ihm, dass ich mich sehr wohl schon vor ihm ausgezogen habe, im übertragenen Sinne, und dass ich mich frage, welche Nacktheit eigentlich schwerer wiegt, die körperliche oder seelische. Vermutlich die, bei der man sich verletzlicher fühlt, antwortet er.
Das seelische Entblättern ist für mich ihm gegenüber eine Qual, gemessen daran scheint das körperliche kinderleicht zu sein. Ich habe mich oft genug in meinem Leben vor einem Mann ausgezogen, das ist keine große Sache, warum sollte das bei ihm anders sein?
Dann betrachte ich mich eingehend im Spiegel. Und ich fange an zu rechnen. Geradezu schockiert erkenne ich, wie lange es her ist, seit ich mich das letzte Mal vor einem fremden Mann ausgezogen habe. Und auch mein letzter Sex scheint in der Steinzeit stattgefunden zu haben. Trug man damals nicht noch Dauerwelle und war Elvis in den Top Ten? Das an sich wäre vielleicht noch gar nicht so schlimm. Gewisse Dinge verlernt man schon nicht, das ist wie beim Fahrradfahren, hoffe ich wenigstens.
Aber etwas Grundlegendes hat sich seit damals verändert. Ich bin ein beachtliches Stück gealtert, körperlich jedenfalls. Ich habe an den unpassendsten Stellen zugenommen, und zwar nicht zu knapp. Ich habe eine Menge Falten, noch mehr Cellulite und erste Ansätze zum Doppelkinn bekommen. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag, dass es kein großer Unterschied ist, ob man mit 25 eine Affäre beginnt oder mit 35. Wenn man aber schon jenseits der 40 ist, dann verändern sich gewisse Dinge dramatisch, jedenfalls bei Frauen. Zwischen Mitte dreißig und Mitte vierzig passiert etwas. Mir ist schon oft aufgefallen, dass ich auf der Straße von Männern nicht mehr so angeschaut werde wie früher. In der Single-Börse hatte ich kaum Kontaktanfragen. Und ich selbst habe angefangen, meinen Körper zu ignorieren, weil das, was ich fühle und im Spiegel sehe, nichts mehr mit der Frau zu tun zu haben scheint, die ich jahrzehntelang war.
Auf einmal wird mir klar, dass ich fast mehr Angst habe als damals vor Jahrzehnten, vor meinem allerersten Mal. Die Vorstellung, diesen Altweiberkörper einem Mann zu präsentieren, ist gruselig für mich. Verwundert und erschrocken erkenne ich, dass meine Unbekümmertheit, mein Selbstbewusstsein in den letzten Jahren, zusammen mit dem durchtrainierten, straffen Körper einer jungen Frau, völlig verschwunden sind. Verängstigt verkrieche ich mich wieder und beschließe, dass mir weder körperlicher noch seelischer Striptease im Moment gut tut. Beides lässt mich verletzlich werden, und Verletzungen wurden mir genug zugefügt, da reicht mein Vorrat noch für Jahre.
Ich spiele mit Kindern und einer "antiken" Kinderpost aus den 70er Jahren. Dabei wird mir bewusst, wie sehr sich die Welt verändert hat. Die durchsichtige Plastikwand der Kinderpost erinnert mich an die Glasscheiben vor den Postschaltern, hinter denen sich mit finsterer Miene die Beamten verschanzten, während man durch einige Löcher in der Scheibe seine Wünsche sprechen musste. Geld und Formulare wechselten durch einen Schlitz die Seiten. Und kinderfreundlich war auch niemand. Ich erinnere mich an einige äußerst traumatische Erlebnisse im Kontakt mit einem besonders grimmig drein blickenden Postbeamten. Wörter wie Kundennähe und Kundenbindung waren damals noch unbekannt.
„Was ist ein Telegramm?“ fragen die Kinder.
Ich erzähle und erinnere mich daran, wie es war, wenn bei uns zuhause ein Telegrammbote geklingelt hat, abends spät manchmal. Ein Geburtstagstelegramm, überreicht auf einer großen Schmuckkarte, war etwas sehr Besonderes. Aufgeregt starrten wir auf die wenigen Worte als seien sie uns direkt vom Mars gesandt worden. Wenn es keinen außergewöhnlichen Anlass gab, dann enthielten die Telegramme in der Regel Hiobsbotschaften. Unsere Verwandten in der DDR hatten fast alle kein Telefon. Im Notfall schickten sie ein Telegramm, das uns in hilflosen Schrecken versetzte.
„Wie teuer war denn so ein Telegramm?“ fragt eins der Kinder.
„Sehr teuer“, sage ich. Eine genaue Vorstellung habe ich auch nicht. „Ich habe nie selbst eins aufgegeben.“
In meiner Generation verschwand das Telegramm in der Bedeutungslosigkeit, lange bevor es Handys und Internetanschlüsse in jedem Haushalt gab.
„Wofür sind diese Scheine hier da?“
Ich muss erst mal genauer hinschauen, so fremd kommen selbst mir die Formulare vor.
„Ach richtig, die musste man ausfüllen, wenn man am Schalter Geld abgehoben hat. Da gab es noch keine Geldautomaten.“ Während ich das sage, frage ich mich, wie das überhaupt ging – bei den mageren Öffnungszeiten von Postämtern und Banken.
„Und wie rum hält man den Hörer bei diesem Telefon mit der Wählscheibe?“
Ich schaue irritiert. Wie – das wissen die Kinder nicht? Nein, woher auch. Sie sind im Zeitalter der Schnurlostelefone aufgewachsen. Ich überlege, wann meine Eltern ihr erstes Schnurlostelefon hatten und kann mich nicht mehr genau daran erinnern. Davor gab es ja noch die Tastentelefone. Das meiner Eltern war grün, das in meiner Studenten-WG rot. Es blieb dort, als ich wieder auszog. Telefone gehörten einem schließlich nicht, man mietete sie nur.
„Und der Anrufbeantworter stand in einem kleinen Gerät daneben. Die Nachrichten wurden auf kleinen Kassetten aufgenommen.“
„Hä? Wie seltsam. Hast du so was auch gehabt?“
„Ja, natürlich. Meine Eltern hatten allerdings überhaupt nie einen Anrufbeantworter.“
Ich komme mir wie ein Fossil aus der Steinzeit vor, dabei ist das alles ja Teil meines eigenen Lebens – und so alt bin ich nun wirklich noch nicht. Ich erinnere mich an das graue, schwere Telefon mit dem riesigen Hörer, das auf dem Schreibtisch meines Vaters stand. Weil mein Vater manchmal nachts Bereitschaftsdienst hatte, gehörten wir zu den fortschrittlichen Haushalten, die auch noch einen zweiten Telefonanschluss im Schlafzimmer besaßen. Das bedeutete, dass ich mich für ungestörte Telefonate mit meinen Freundinnen zurückziehen konnte und nicht von neugierigen Familienmitgliedern belauscht wurde. Einziger Nachteil: Im Schlafzimmer meiner Eltern war es im Winter eiskalt. Und wenn ich zu lange fort blieb, schaute meine Mutter vorbei und mahnte, dass das Gespräch zu teuer würde.
Ich erzähle von den Telefonzellen, die an jeder Ecke standen und von den holzverkleideten Telefonkabinen auf dem Postamt. Im Spiel zeige ich, wie nervig es war, immer das passende Kleingeld parat zu haben und mitten im Gespräch unterbrochen zu werden, weil das Geld alle war.
Die Mädchen, mit denen ich spiele, lachen sich schlapp. Für sie sind das alles reine Märchen. Für mich selbst Jugenderinnerungen.
Dachboden -
feinstrick - 7. Nov, 21:18
Seit Monaten kämpfe ich mit einer Geschichte, die in meinem Kopf bereits recht konkrete Konturen angenommen hat, aber einfach nicht aufs Papier will. Mehrere Szenen habe ich angefangen, aber ich schaffe es nur mit größter Überwindung, weiter zu machen. Irgendwas klemmt an dem Projekt, ich weiß nur nicht, was.
Ganz anders lief es dagegen heute: Beim Aufwachen hatte ich auf einmal eine Idee im Kopf, zwei Stunden später kannte ich die ganze Geschichte. Ihre Hauptakteure, Lena und Arthur (was für ein bescheuerter Name, aber der war plötzlich da und ließ sich nicht mehr verändern; gute Figuren führen eben ein manchmal recht eigenwilliges Eigenleben) drängten sich mir förmlich auf, zwangen mich an den Schreibtisch und befahlen mir, ihre Geschichte zu erzählen. Zuerst dachte ich noch, das sei eine kleine, lustige Fingerübung, die ich nach vier, fünf Seiten weglegen könnte. Doch dann merkte ich, dass ich nach fünf Seiten gerade erst die Einleitung geschrieben hatte. Und das Unfassbare: Jeder Satz sitzt fast auf Anhieb. Ich ringe nicht um Worte und korrigiere kaum etwas. Alles fließt.
Das ist wirklich verrückt. Mein gesamtes Wochenendprogramm liegt brach. Haushalt, Einkaufen, Herbstspaziergang – gestrichen. Vorbereitung eines Seminars, für das ich langsam in Zeitdruck komme – gestrichen. Meine Herbstdepression, die mich in den letzten Tagen sehr müde und kraftlos sein ließ – vergessen. Stattdessen: schreiben, schreiben und nochmals schreiben. Ich verstehe das überhaupt nicht. Diese Geschichte hat absolut nichts mit dem zu tun, was mich zurzeit bewegt und beschäftigt. Sie ist sperrig, sehr erotisch und sehr schräg. Niemand wird sie vermutlich lesen wollen. Wenn ich außerdem an all die unerledigte Arbeit auf meinem Schreibtisch denke, wird mir angst und bange. Und doch bin ich mir sicher, dass dieser Schreibwahn erst aufhört, wenn ich über Lena und Arthur alles erzählt habe, was es zu erzählen gibt. Ziemlich krank irgendwie, ich weiß. Aber was hilft's?
Edit am 18.10: Arthur und Lena sind übrigens zwei ziemlich trübe Tassen. Ich dachte ja erst, mit denen könne man richtig Spaß haben. Irrtum! Die sind trüber als der trübste Novembertag.
Er ist fort.
Ausgeflogen in den Süden bis zum nächsten Frühling.
In den letzten Wochen haben wir uns kaum gesehen, und nach all den Missverständnissen, Verwirrungen und Verirrungen des vergangenen Jahres ist dieser Abstand sicher gut.
„Ich werde dich vermissen“, sage ich zum Abschied. „Ach was“, entgegnet er mit einer wegwerfenden Handbewegung. Das will er gar nicht hören.
„Wie gut, dass ich dich habe“, sagt er wenige Minuten später. Allerdings nur, weil ich ihm noch rasch mit Klopapier für den Untermieter aushelfe.
Ich höre ihn selten durch die Wände. Doch heute dröhnt die Stille geradezu schmerzhaft in meinen Ohren.
Bis zum Frühling sind es noch viele dunkle Monate.