Samstag, 12. Februar 2011

Bullen

Ich habe zu Bullen ein eher zwiespältiges Verhältnis, zu zweibeinigen genauso wie zu vierbeinigen. Dennoch – oder gerade deswegen – begegne ich beiden mit Respekt.

Einem vierbeinigen Bullen stand ich vor vielen Jahren mal auf einer schwedischen Wiese gegenüber. Und ich muss sagen – mir haben selten so die Knie gezittert. Ich war im Urlaub mit meinem damaligen Liebsten. Das Wetter war erstaunlich gut, und wir waren viel mit den Fahrrädern unterwegs. Wir radelten durch die weite, wenig besiedelte schwedische Natur, immer schön Hügel rauf und wieder runter. Ich halbe Portion strampelte auf meinem nagelneuen Tourenrad immer knapp an meiner Leistungsgrenze tapfer hinter dem Kerl mit seinen langen Beinen her, und als er einmal vorschlug, eine Abkürzung zu nehmen, stimmte ich dankbar und erleichtert zu. Unsere Karte war nicht sehr genau, doch den Wanderweg quer durch Wald und Wiesen erkannten wir beide deutlich auf dem Papier. Es gab sogar Wegweiser an dem kleinen Waldpfad, der auf eine Lichtung führte. Das hier war ein offizieller Weg, da gab es kein Vertun. Auch das Gatter, das plötzlich mitten im Weg auftauchte, konnte uns nicht aufhalten. So was kennt man doch aus ländlichen Regionen. Da führt der Wanderweg halt mal quer über eine Koppel, das ist schon alles in Ordnung so. Wir schoben also unsere Räder durch das Gatter und waren erst irritiert, als der Pfad nicht mehr richtig erkennbar war. Aber wir marschierten einfach geradeaus weiter. Da hinten, auf der anderen Seite des Hofes am Ende der Wiese war laut Landkarte die Straße, zu der wir wollten. „Bleib sofort stehen!“ sagte der Liebste plötzlich, und ich wunderte mich noch, warum er auf einmal so panisch klang – da sah ich ihn auch: den Bullen. Er sah sehr imposant aus, wie er da so seinen Harem bewachte, der sich hinter ihm scharte. Die Tiere standen dicht bei ihrem rotbraunen Stall, darum hatten wir sie nicht gleich entdeckt. Nun aber waren wir nur noch wenige Meter von ihnen entfernt. Und ihr Chef musterte uns nicht gerade sehr gastfreundlich. Er machte einige Schritte auf uns zu, und mir sank das Herz in die Hose. Doch das Riesenvieh blieb zum Glück schnell wieder stehen. Groß und breitbeinig stand es da, den riesigen Kopf leicht gesenkt, die Augen starr auf uns gerichtet, wobei der Ring in seiner Nase in der Sonne glänzte. Ich starrte stumm und atemlos zurück und fragte mich entsetzt, wie angriffslustig so ein Bulle eigentlich ist. Der Liebste, der noch mehr Angst zu haben schien als ich, wies nach rechts auf eine Hecke. „Wir müssen da lang“, sagte er. Im Zeitlupentempo bewegten wir uns seitlich-rückwärts auf die Hecke zu, unter der sich ein Zaun verbarg, die ganze Zeit den Blick starr auf den Bullen gerichtet, der ebenso starr zurückschaute. Der Liebste hievte unsere Fahrräder über den Zaun und dann mich und sich. Die ganze Zeit spürten wir die Blicke des Bullen in unserem Rücken, und wir atmeten erst auf, als wir auf der anderen Seite des Zaunes gelandet waren. Wir mussten noch mehrere solcher Hecken und Zäune überqueren, und bei jedem fluchte mein Liebster mehr. In brütender Mittagssonne war das vor allem für ihn eine schweißtreibende Angelegenheit. Wir gelangten an einer eher ungewöhnlichen Stelle auf die Straße, und einige Dorfbewohner schauten uns irritiert an, als wir mit unseren Fahrrädern durchs Gebüsch brachen. Aber wir waren genau da gelandet, wo wir eigentlich hin wollten. Kraft hatten wir bei dieser „Abkürzung“ allerdings nicht gespart, und der drohende Blick des mächtigen Bullen verfolgte uns noch lange.

Auch zweibeinige Bullen machen mich oft nervös. Das mag daran liegen, dass meine Eltern, die in zwei Diktaturen aufgewachsen waren, ständig Angst vor der Staatsgewalt hatten, und sich diese Angst wohl irgendwie auf mich übertrug. In meiner Jugend gab es eine Phase, in der ich den „Bullenschweinen“ alles andere als wohlgesonnen war und sie mich eher aggressiv machten. Irgendwann legte sich das auch wieder. Ich begriff, dass der Beruf des Polizisten durchaus Sinn macht. Die wenigen Male in meinem Leben, in denen ich mit der Polizei zu tun hatte, waren dann so, dass die Umstände zwar unangenehm, die Männer (Frauen waren tatsächlich nie dabei) aber alle sehr nett waren und ich mich von ihnen ernst genommen fühlte. Heute habe ich großen Respekt vor den Beamten, die ihren Kopf hinhalten, wenn es darum geht, randalierende Fußballfans, gewalttätige Jugendliche oder aufgebrachte Demonstranten in Schach zu halten. Gewalt ist immer sinnloser in Deutschland geworden, immer weniger politisch motiviert. Kein Mensch hat es verdient, sich für ein mieses Gehalt mit solchen Trotteln prügeln zu müssen. Als ich in den Niederungen der weltweiten Partnersuche einen Mann kennenlernte, der sich mir auf seinen Fotos stolz in seiner Polizeiuniform präsentierte, dachte ich dennoch zuerst: Ach, du liebe Zeit, das geht ja gar nicht. Er erklärte mir später, dass er die Fotos extra ausgewählt habe, damit gleich klar sei, welchen Job er ausübt. „Es gibt ja doch eine Menge Leute, die Probleme damit haben.“ Seine Offenheit gefiel mir. Im Chat versagte er kläglich. In jedem Wort waren drei Buchstabendreher, und ich verzweifelte an seiner Mühe, gute Sätze zu formulieren und dann auch noch richtig zu tippen. Aber das, was er schrieb, berührte mich eigenartig. Es klang so sensibel, so … ja, romantisch, ich glaube, dieses aus der Mode gekommene Wort trifft es am ehesten. Wir trafen uns auf einen Kaffee. Ich hatte noch nie privaten Kontakt zu einem Polizisten, und ich nahm mir vor, ihm auf jeden Fall ganz viele Fragen zu stellen. Falls es zwischen uns nicht funkte, wollte ich wenigstens meine Neugier stillen. Hat man Angst, wenn man sich bei gewaltvollen Auseinandersetzungen ins Getümmel stürzen muss? Hasst man die Randalierer? Oder ist das einfach nur ein Job? Was ist es für ein Gefühl, eine Waffe bei sich zu tragen? Und so weiter. Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich stellte keine einzige dieser Fragen. Er war ein sympathischer Mann und sah in echt noch besser aus als auf den Fotos. Und er hatte eine Menge kluger und alles andere als machohafter Gedanken, die er ganz dringend loswerden wollte. Darum redete er und redete und redete. Ununterbrochen schwadronierte er vor sich hin, und es schien ihm dabei völlig egal zu sein, wie ich reagierte. Anfangs, zum Warmwerden, stellte ich alle möglichen unverfänglichen Fragen, wo er wohnte, was für Sport er trieb, wo er in Urlaub fuhr. Er antwortete ausschweifend, langatmig und ein wenig selbstverliebt und fand schließlich seine eigenen Themen, über die er unaufgefordert philosophierte. Mir stellte er keine einzige Frage. Irgendwann verlor ich die Lust an dem Gespräch. Ich blieb höflich, ließ ihn weiter vor sich hin schwafeln, fragte aber nichts mehr. Es ärgerte mich, dass er so wenig an mir interessiert zu sein schien. Wir saßen fast zwei Stunden zusammen, und in dieser Zeit stellte er mir ganze zwei Fragen: „Hast du gut her gefunden?“ Und: „Bist du auch in Hamburg geboren?“ Bei so wenig Interesse an mir als Person schwand auch mein Interesse an dem Bullen komplett dahin. Es war mir plötzlich total wurscht, was er dachte und fühlte, wenn er auch zu meiner Sicherheit für Recht und Ordnung sorgte. Mir wurde klar, dass wir in verschiedenen Welten lebten, und diese nie zueinander finden würden, nicht einmal für einen Nachmittag bei Kaffee und Kuchen. Schade, dachte ich, es war einen Versuch wert. Stumm starrte ich vor mich hin und beschloss, es in Zukunft mit Bullen jeder Art doch wieder so wie meistens zu halten: Sie einfach friedlich in ihrem abgezäunten Revier grasen zu lassen und einen weiten Bogen um sie zu machen.

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Donnerstag, 3. Februar 2011

Sackgasse

In letzter Zeit muss ich oft an einen Mann denken, den ich vor vielen Jahren in einer Single-Börse kennenlernte. Er schrieb nette Mails, aber nicht so, dass ich sie in bleibender Erinnerung habe. Auch sein Foto war eher nichtssagend: ein durchschnittlicher Mann mit Halbglatze, runder Nase, vollen Lippen. Nicht hässlich, aber auch keiner, bei dessen Anblick einer Frau ein aufgeregtes „Wow!“ entschlüpft.

Wir verabredeten uns trotzdem – nicht zuletzt, weil er in meinem Stadtteil lebte. Allerdings nicht in so einem schmuddeligen Arbeiterviertel wie ich, sondern in einem der noblen Elbvororte. Er lud mich zum Essen in ein teures Restaurant ein. Ich erschien im Strickpulli, er im Sakko. Die souveräne Art, mit der er das Essen bestellte und später zahlte, zeigte mir, dass er zu den Leuten gehörte, für die Geld ganz selbstverständlich ist. Er war kein neureicher Protz, der seinen Kontostand laut hinaus brüllen muss. Er war ein Mann, der gerade wegen seines Understatements auffiel.

Vom ersten Moment an dachte ich: „Das läuft nicht. Uns trennen Welten. Der hält mich für einen komplett bescheuerten Bauerntrampel. Und ich finde ihn zu elitär.“ Derweilen plauderte er munter über Kunst, Kultur, das Leben und die Liebe. Ich hielt tapfer mit, die ganze Zeit bemüht, klug und belesen daher zu kommen. Dabei wurde ich immer verkrampfter. Erst, als er von seiner gescheiterten Ehe erzählte (seine Frau hatte ihn sitzen gelassen und war mit den Kindern – Skandal und Trauma für jeden Mann! - zu einer anderen Frau gezogen), wurde ich hellhörig. „Ich möchte gerne noch mal ganz von vorne anfangen“, sagte er nachdrücklich. „Mit allem. Auch Kinder hätte ich gern noch mal.“ Kritisch runzelte ich die Stirn und stellte fest: „Aber deine Frau ist erst seit einem Jahr weg. Ist das nicht ein bisschen früh, sich da schon wieder so fest zu binden?“ Entschieden entgegnete er, dass er ganz gut selbst wisse, was für ihn richtig sei und was nicht.

Ich war mir sicher, dass er sich nach dem Essen höflich verabschieden würde, und staunte umso mehr, als er fragte, ob ich noch Lust auf einen Spaziergang hätte. Während wir dicht beieinander an der Elbe entlang flanierten, erkannte ich verwundert, dass der Mann sich ehrlich für mich interessierte. Zum Abschied machte er eine liebevolle Andeutung, mich in die Arme zu nehmen. Ich reagierte unsicher und verlegen darauf. Verwirrt fuhr ich heim.

Wir trafen uns erneut. Und dann noch einmal. Natürlich stand irgendwann die Frage im Raum, wie es denn nun eigentlich mit uns weitergehen solle. Ich hatte meine Entscheidung längst gefällt. Der Mann war wahnsinnig nett, klug und belesen, zärtlich und sensibel – und er berührte mein Herz auf eine eigenartige Weise. Aber er kam aus einer anderen Welt als ich. Ich bekam Beklemmungen bei der Vorstellung, in einem dieser superschönen, supersteifen Luxusviertel zu leben, im Urlaub mit der eigenen Segelyacht durchs Mittelmeer zu schippern, meine Freizeit im Ballett und der Oper statt in schummrigen Kiezkneipen zu verbringen, und vor allem: mich mit einer Exfrau messen zu müssen, die mir präsenter zu sein schien, als dem Mann bewusst war.

Ich gab ihm einen Korb. Er war zutiefst schockiert. „Was machen wir denn jetzt?“ fragte er verstört. „Ich finde dich nämlich total klasse.“ Dabei standen ihm Tränen in den Augen. Jetzt war es an mir, schockiert zu sein. Ich hatte nicht bemerkt, wie sehr er sich bereits verliebt hatte. Und ich hatte auch nicht erwartet, dass ein gestandener Mann, ein so erfolgreicher Unternehmer, in aller Öffentlichkeit (wir saßen gerade wieder in irgendeinem teuren Restaurant) derart emotional reagieren würde. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. In hilfloser Traurigkeit trennten wir uns, und ich verbannte ihn auch gedanklich schnellstmöglich aus meinem Leben.

Die nächsten Jahre meines Lebens waren angefüllt mit Affären, von denen eine wilder war als die nächste. Ich jagte ständig dem großen Glück hinterher, bis ich es am Ende an den unehrlichsten, unaufrichtigsten Mann verlor, den ich finden konnte. Optimal vermasselt, würde ich sagen.

Jahrelang dachte ich nicht mehr an die Begegnung mit jenem Unternehmer von damals. Aber in letzter Zeit kommt er mir seltsamerweise immer wieder in den Sinn. Ich weiß natürlich nicht, was geschehen wäre, wenn ich mich tatsächlich auf ihn eingelassen hätte. Vielleicht hätten wir nach wenigen Wochen gemerkt, dass die Kluft zwischen uns tatsächlich unüberbrückbar war. Vielleicht aber hätten wir auch ganz anderes entdeckt, wer weiß.

Ich glaube, ich denke zurzeit so oft an ihn, weil mir die Erinnerung an diese Begegnung zeigt, wann in meinem Leben ich total falsch abgebogen bin. Das hat gar nicht so sehr etwas mit diesem einen Mann zu tun. Vielmehr geht es darum, dass ich eigentlich nur Angst vor der Ernsthaftigkeit seiner Werbung hatte, davor, große Gefühle zu zeigen, die mit großen Konsequenzen verbunden waren. Es war für mich leichter, mich auf einen Taugenichts einzulassen, der nur Luftschlösser zu bieten hatte, als auf einen realen Mann mit echter Villa. Was mich allerdings am meisten daran schockiert: Ich fürchte, ich würde heute auch wieder davon laufen.

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Freitag, 28. Januar 2011

Relative Größe

Es ist ein eigenartiges Phänomen, das mir immer wieder begegnet. Da behauptet ein Mann, er sei 1,83 Meter groß, und wenn er dann vor mir steht, recke ich den Hals und denke: „Hui, 1,83 ist aber ganz schön viel.“ In einem anderen Fall kommen mir 1,83 wiederum gar nicht so groß vor. Irgendwie hatte ich deutlich mehr erwartet.
Eine Freundin von mir behauptet, 1,64 klein zu sein. Im Vergleich zu meinen mickrigen 1,58 kommt sie mir jedoch immer riesig vor. Wenn es drauf ankäme, würde ich wetten, dass sie in Wahrheit 1,74 misst, wenn nicht sogar noch mehr.
Frauen, die 1,70 groß sind, erscheinen mir fast immer größer vor, als Männer, die behaupten, so groß oder vielmehr klein zu sein.
Ich vergleiche die Leute miteinander und denke: Wenn der Bernd 1,83 groß ist, dann ist der Rolf aber mindestens 1,90. Und ich überprüfe mein eigenes Gefühl, wenn ich neben jemandem stehe. Wie weit muss ich den Kopf in den Nacken legen, wie klein fühle ich mich, wie sehr scheint jemand auf Augenhöhe mit mir zu sein.
Manchmal verändert sich auch mein Größengefühl gegenüber ein und demselben Menschen. Heute erscheint er mir riesig, gestern fand ich ihn viel kleiner. Je nach seiner Ausstrahlung, seinem Verhältnis zu mir, meinen Gefühlen ihm gegenüber ändert sich mein Blick auf die körperliche Größe eines anderen. Ich selbst fühle mich auch an manchen Tagen sehr klein, an anderen eher durchschnittlich, manchmal sogar groß, auch das hängt von meiner Stimmung ab. Das ist mir schon alles klar.
Trotzdem werde ich den Verdacht nicht los, dass es bei den Angaben der Körpergröße nicht immer mit rechten Dingen zugeht, dass Menschen gerne mal andere Maße angeben und sich gewissermaßen dem Bedarfsfall anpassen. Die Körpergröße ist, wie mir scheint, eine sehr relative Maßeinheit.

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Freitag, 21. Januar 2011

Geschnatter

Das war eine Woche im Ausnahmezustand. Fast wie in alten Zeiten kribbelte und prickelte es, schwirrte und surrte um mich herum – und auch in mir drin, ich gebe es zu. Ich habe mich wieder mal in die Niederungen des Online-Flirts begeben, war mir für nichts zu schade, habe nächtelang geduldig die idiotischsten Anfragen beantwortet, freche Mailwechsel gehabt und mich berauscht am Witz und Temperament mancher Herren da draußen. Doch, ja, ich bin immer wieder überrascht, wie viele von ihnen es verstehen, verbal zu spielen, mit Worten zu locken und zu werben, neugierig zu machen, mich zum Lachen zu bringen und mein Herz hüpfen zu lassen.

Freilich sollte ich mittlerweile alt genug sein, um zu wissen, dass dieses Online-Flirten eine Kunstform ist, die mit dem realen Leben absolut nichts zu tun hat. So folgten – wenig überraschend - die Bruchlandungen Schlag auf Schlag. Ein Mann brach den Kontakt mitten im Satz ab, als er mein Foto sah, ein anderer log so plump und durchschaubar, dass ich nur den Kopf schütteln konnte, ein dritter wollte sofort zu mir nach Hause kommen, nachdem wir zehn Worte gewechselt hatten, ein vierter verabredete sich mit mir zu Kaffee und mehr – und versetzte mich dann auf unverzeihliche Weise.

Heute Abend fühle ich mich sehr geerdet und sehr müde. Nach all dem Geschnatter und Gegacker bin ich wieder ernüchtert. Ich merke, dass es in meinem Alter albern und idiotisch ist, bei Minusgraden mit viel zu dünnem Fummel frierend herum zu rennen, um wildfremde Kerle zu beeindrucken, die mich eigentlich überhaupt nicht interessieren. Die fiese Spiele spielen und sich für den Nabel der Welt halten, in Wahrheit aber bloß Windeier sind, die ich nicht brauche – nicht mehr brauche.

Ich sitze daher gemütlich auf meinem Sofa, in Wollsocken und Jogginghose, ohne das Bedürfnis, irgendwen beeindrucken zu wollen. Gerade rechtzeitig fiel mir wieder ein, dass dieser Zirkus da draußen absolut nichts bedeutet, und ich sinke erleichtert in mich zusammen, dankbar, dass ich heute endlich mal wieder zu zivilisierten Zeiten ins Bett gehen kann.
Vielleicht liegt das aber auch nur daran, dass der Vollmond vorbei ist.

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Freitag, 7. Januar 2011

Meine Familie und ich

Manchmal muss ich mich schon sehr wundern. Über meine Familie an sich. Und so ganz im Speziellen über meine Familie im Urlaub.

Wir reisen sternförmig aus aller Welt an. Das klappt großartig und alle sind – welch Wunder und eigentlich total undenkbar! - pünktlich. Wir erobern unsere Ferienwelt schnell, präzise und vernichtend. Innerhalb kürzester Zeit machen wir uns zu den unbeliebtesten Gästen im ganzen Ort. Niemand meckert so viel wie wir. Niemand hat so viele Extrawünsche. Mein Bruder wird fast in eine Schlägerei verwickelt, der Mann im Skiverleih kriegt Ausschlag, wenn er uns bloß sieht, die Frauen an der Rezeption im Ferienpark machen sich unsichtbar, sobald einer von uns durch die Tür kommt.

Die Nachbarn aus der Wohnung unter uns hassen uns, weil unsere Kinder bis tief in die Nacht Weitsprung im Wohnzimmer üben, während wir Erwachsenen beieinander sitzen und uns lautstark anbrüllen. Bei anderen Leuten nennt man so was „Unterhaltung“. Bei uns galt aber schon immer die Regel: Der Lauteste hat Recht. Darum brüllen alle gleichzeitig möglichst laut und schnell in die Runde, ohne darauf zu achten, was die anderen sagen. Da meine Stimme aber leider schon immer viel leiser war als die meiner Geschwister, werde ich am seltensten gehört. Daher glauben auch alle meine Verwandten bis heute, ich hätte von nichts eine Ahnung.

Meine Schwester (die über eine besonders kräftige, dunkle Stimme verfügt) schwingt lautstarke Reden gegen die massenhafte Vernichtung von lebendigem, kreativen Leben durch Ritalin und andere Psychopharmaka. Sie zwingt meinen Bruder und seine Frau, die Finger zu heben und vor der versammelten Familie zu schwören, dass sie ihren Kindern so etwas nie verabreichen werden. Beide folgen brav und wie hypnotisiert ihren Anweisungen. Möglicherweise war Ritalin im Spiel.

Es kommt nur noch selten vor, dass wir alle zusammen sind, und wir genießen das sehr. Fast alle jedenfalls. Plötzlich wird es verdächtig ruhig im Haus. Mein Schwager hat sich ausgeklinkt. Und von der Horde Kinder ist auch kein Mucks mehr zu hören. Als wir die Schlafzimmertür öffnen, sehen wir den Schwager im Bett liegen und fernsehen. Und neben ihm liegt ein halbes Dutzend Kinder unter den Decken und glotzt andächtig ebenfalls auf die Mattscheibe.

Beim Essen wird ausführlich über Verdauungsproblematiken geredet. Wer wann wie warum am besten kann. Oder auch nicht. Wer noch mal müsste. Am besten jetzt sofort. Oder doch erst später, wenn alles besser flutscht. Mein Schwager pinkelt bei sperrangelweit geöffneter Klotür. Offenbar ist meine Stimme so leise, dass ich mittlerweile sogar unsichtbar geworden bin und niemanden mehr in seiner Privatsphäre störe.

Entscheidungen fällen wir in ausgefeilten gruppendynamischen Prozessen. Mittags um zwölf gibt es erste Ideen, wie wir den Tag verbringen, gegen zwei zeichnet sich eine Tendenz ab, Lager bilden sich, Mitfahrgelegenheiten werden verteilt, um vier sind wir endlich startklar – und vollkommen überrascht, dass der Skiverleih schon geschlossen hat und die Dämmerung bereits hereinbricht.

Mein Bruder ist immer der Letzte. Überall. Er kommt nicht nur Minuten zu spät, sondern Stunden und Tage. Wir geben das Warten irgendwann auf. Das haben wir ein Leben lang gemacht. Jetzt ist Schluss. „Was ist der Papi?“ fragt seine Frau ihre fünfjährige Tochter. Prompte Antwort: „Trödelig.“ Ob das Kind auch schon ein Trauma hat?

Meine Schwägerin hasst uns alle, weil wir so chaotisch sind. Nur ihr italienisches Blut bewahrt sie davor, sich von der Familie abzuwenden. Mein Schwager hasst unsere Kompliziertheiten und Pingeligkeiten. Er bleibt uns nur treu, weil sein arabisches Blut Familienzusammenhalt fordert.

Ich habe leider nur deutsches Blut in mir. Aber auch das scheint zu binden, denn auch ich tue mir das alles immer wieder an, obwohl ich zwischendrin jedes Mal denke: Hilfe, ich bin ein Single, holt mich hier raus!

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Übermorgen fliege ich in den Urlaub, und wenn ich zurückkehre,...
feinstrick - 15. Mai, 21:06
Hat ja geklappt :)
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