Dienstag, 18. November 2008

Ruhe

Irgendwas passiert grade mit mir, und es ist mir selbst unheimlich. Ich fühle mich so entspannt, so zufrieden, so wohl in mir selbst. Und das trotz weiterhin großer, schmerzhafter Rückenprobleme. Trotz Novembermüdigkeit. Trotz gelegentlicher Sehnsüchte, die mich in ihrer Heftigkeit überwältigen und mir den Atem nehmen. Und trotz vollkommener Unsicherheit, was meine Zukunft angeht. Vor ein paar Wochen hatte ich eine Phase großer Schlaflosigkeit wegen meiner Geldsorgen. Aber jetzt bin ich auf einmal total gelassen. Wird schon. Ist noch lange hin, bis mir das Geld ausgeht. Und bis dahin wird sich was tun, werden die Aufträge nur so purzeln, werden sich neue Perspektiven und Lösungen auftun. Ich denke, das kann doch alles nicht sein, wie kann man denn nur so optimistisch sein, so wenig Angst haben. Während ich diese Zeilen schreibe, läuft im Fernsehen eine Reportage über Flaschensammler, Menschen, die das Leben aus der Bahn warf, so dass sie von Hartz IV leben – und von den Flaschen, die sie von der Straße aufsammeln. Ich denke, das könnte mir auch passieren, ich könnte auch mal so raus katapultiert werden, könnte plötzlich mit nichts mehr dastehen. Und obwohl ich weiß, wie schmal der Grat ist, auf dem ich mich momentan bewege, ist da diese Ruhe und Gelassenheit. Das ist doch verrückt, es ist mir unheimlich. Wahrscheinlich verdränge ich nur, bin naiv, mache die Augen zu. Aber das ist mir egal. Dieses gute Gefühl, das genieße ich, solange es geht. Jawohl!

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Samstag, 15. November 2008

Herbstreigen

Die Musik ist leise und klagend, sanfte Harfentöne schweben durch den Saal und berühren erst den einen, dann den anderen Gast. Die Sehnsucht steht zuerst auf. Vorsichtig macht sie ein paar Schritte in die Mitte des großen Raumes und beginnt langsam, sich um sich selbst zu drehen. Sie wirkt verloren und verletzlich, was der Einsamkeit sehr vertraut vorkommt. Sie gesellt sich zur Sehnsucht, ergreift ihre Hände und passt sich ihren Bewegungen an. Gemeinsam tanzen die Beiden nun schneller, ausgelassener, der Leere entgegen, die mit den Füßen bereits den Takt mitwippt. Doch da löst sich aus einer Gruppe auf der anderen Seite der Tanzfläche die Hoffnung. Ihre Schritte sind fest und zuversichtlich, ihr Tanz ist kraftvoll. Immer höher springt die Hoffnung und reckt ihre Arme der Decke entgegen.

Eine leichte Berührung an der Schulter lässt sie einen Moment lang innehalten. Die Liebe hat sich ihr genähert. Sie trägt ein smaragdrotes, tief ausgeschnittenes Kleid aus fließender Seide. Niemand im ganzen Saal sieht so schön aus wie die Liebe. Niemand bewegt sich so geschmeidig wie sie, so leicht, so hingebungsvoll und gleichzeitig mit einem so tiefen Ernst. Die anderen Tänzer machen der Liebe respektvoll Platz und schauen ihr dabei zu, wie sie sich einen Moment lang verliert und sich selbst genug zu sein scheint. Doch schon bald hebt sie den Kopf und schaut prüfend in die Runde. Einer nach dem anderen treten sie hervor, umschmeicheln sie, bedrängen sie, zerren sie mal in die eine und dann in die andere Richtung. Die Sehnsucht tanzt eng umschlungen mit der Liebe und scheint ganz in ihren Armen zu verschwinden. Die Leidenschaft greift frech und herausfordernd nach ihr, wirft ihr feurige Blicke zu und schaut ihr tief in den Ausschnitt. Die Liebe folgt ihr, geschmeichelt und glühend vor Lust. Die Eifersucht tritt der Liebe auf die Füße. Die Gewohnheit lässt sie in einen eintönigen Wiegeschritt fallen. Die Erinnerungen tanzen ihr Szenen vor, längst vergangen, mal heiter, mal melancholisch, manchmal auch bitter. Der Liebe schnürt es die Kehle zu und sie spürt, wie Schmerz und Zorn ihr in die Seite pieksen und Stiche in ihrem Herzen erzeugen.

In dunklem Gewand tritt nun der Abschied auf, stößt die Hoffnung zur Seite, wirft der Liebe verächtliche Blicke zu, breitet seine Arme aus und deckt mit seinem weiten Mantel Glück und Leidenschaft zu. Leere und Einsamkeit bewundern ihn heimlich, ebenso die Eifersucht, die sich ihm anbiedernd nähert. Doch der Abschied lacht ihnen ins Gesicht. Er will mehr. Seine Verbündeten sind die Lüge und der Hass. Egoismus, Eitelkeit und Verrat folgen ihm begeistert und sorgen dafür, dass sich niemand mehr auf die Tanzfläche wagt. Selbst die Musik hat sich den düsteren Absichten des Abschieds angepasst. Metallisch scharf schneidet sie sich in das Fleisch der Liebe und lässt sie frösteln.

Die Liebe fängt an zu weinen. Ihr Herz ist schwer, der Schmerz unerträglich. Sie fühlt sich gedemütigt und ringt verzweifelt um ihre Fassung. Die Hoffnung hat längst den Saal verlassen, der Hass tobt sich auf der Tanzfläche aus, Verachtung und Stolz klatschen ihm Beifall. Es ist spät. Der Abschied schickt sich an, zu gehen und sammelt sein Gefolge um sich. Die Liebe will er auch mitnehmen, gegen ihren Willen. Sie schreit verzweifelt um Hilfe, als der Abschied nach ihr greift. Doch alle sind wie gelähmt, erfasst von der Kälte, die der Abschied verbreitet hat. Die Sehnsucht macht ein paar Schritte auf die Liebe zu. Ohne die Liebe fühlt sie sich unvollständig und überflüssig. Die Sehnsucht kann ohne die Liebe nicht leben. Doch sie ist zu schwach, um sie aus den starken Armen des Abschieds zu befreien.

Da öffnet sich auf einmal die Tür und herein kommt eine Tänzerin, die in ihrem weißen, langen Kleid außergewöhnlich schön aussieht und alle für einen Augenblick den Atem anhalten lässt. Selbst die Musik setzt ein paar Takte lang aus. Die Frau ist groß gewachsen und hat einen sehr aufrechten, festen Gang. Ihr Kleid betont ihre weichen Rundungen und die Sanftmut in ihren Augen. Die Frau in Weiß erfasst die Situation sofort. Tiefe Bestürzung ist in ihrem Gesicht zu lesen und ihre Trauer lässt den Schmerz der Liebe noch größer werden. Mutig stellt sie sich dem Abschied entgegen und hält dabei ihren starken Rücken noch aufrechter. Der Zorn tritt ein paar Schritte zurück. Eifersucht und Lüge senken beschämt die Köpfe. Die Erinnerungen zeigen in einer Ecke Bilder von Licht und Wärme, die das Glück zum Lächeln bringen. Aus den Augen des Abschieds verschwindet die Kälte. Zurück bleiben Angst und Verzweiflung. Die Liebe umarmt die Sehnsucht und schaut dem Abschied wehmütig hinterher, als er leise davon schleicht.

Sanfte, leise Harfenklänge breiten sich zart im Saal aus. Eine einsame Gestalt fängt vorsichtig an zu tanzen, wiegt sich behutsam im Schmerz der Musik. Ihr weißes Kleid leuchtet im Dämmerlicht, ihre Tränen glitzern im Schein der Kerzen. Die Liebe tritt zu ihr und erfasst dankbar ihre Hand. Was wäre sie nur ohne diese mutige Frau? Was wäre sie ohne die Versöhnung?

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Dienstag, 11. November 2008

Mondsüchtig

Während ich vorhin fröhlich, entspannt und vor allem sehr, sehr wach mit einem Freund durch die abendliche Stadt bummelte, fühlte ich mich an Mondsüchtig erinnert, diesen zauberhaften Film (dessen Plakat jahrelang in meinem Büro hing) mit Cher und Nicolas Cage. Damals waren auch alle durch den Vollmond etwas aus der Spur geraten und verbrachten schlaflose Nächte mit allerlei Unsinn und verwirrten Herzen. Mein Herz ist alles andere als verwirrt und Unsinn veranstalte ich leider auch nicht. Vielmehr sitze ich in meinem Bett, obwohl ich das Bedürfnis habe, Bäume auszureißen oder wenigstens tanzen zu gehen. Aber in meinem langweiligen Freundeskreis findet sich natürlich niemand, der mitten in der Woche mit mir auf die Piste geht. Da findet sich nicht mal jemand, der das am Wochenende täte. Ich sollte vielleicht meinen Umgang mal etwas überdenken. Das war doch früher alles ganz anders.

Eigentlich wollte ich jetzt noch eine Filmkritik zu Willkommen bei den Sch’tis schreiben. Aber, ach, was soll man so viel zauberhaften Spaß zerreden? Sicher funktioniert der Film in Deutschland durch die Synchronisation nicht ganz so gut wie in Frankreich, aber ich finde, es kommt erstaunlich viel rüber von der Situationskomik, die entsteht, wenn eine Mundart auf die andere trifft und wenn Klischees sich so gar nicht erfüllen, man sie aber doch gerne aufrecht halten will. Da ist es dann eigentlich egal, ob es um Süd- und Nordfranzosen oder vielleicht um Bayern und Preußen geht. Darum wohl konnten auch wir Deutschen heute im Kino allesamt sehr, sehr viel lachen. Ein kleiner, großer Film. Und dies war nun doch noch eine Mini-Kritik, nun ja.

Und jetzt gehe ich ein wenig den Mond anheulen.

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Sonntag, 9. November 2008

Karriereplanung

„Okay, wir müssen uns Ziele setzen. In drei Jahren will ich genug verdienen, um endlich wieder richtig fett Urlaub machen zu können. Und du?“
„Ich will eine große Prada-Tasche haben.“
„Oh.“
„Ja, die werde ich dann immer ganz demonstrativ auf meinem Tisch abstellen, damit jeder sieht, was ich mir leisten kann.“
„Das klingt nach einem sehr guten Plan.“
„Find ich auch. Und du hast natürlich noch die Möglichkeit, reich zu heiraten.“
„Stimmt.“
„Schreib das zu deinen Zielen dazu: Reichen Kerl zum Heiraten finden.“
Etwas später:
„Meinst du, wir schaffen das wirklich?“
„Natürlich. Du wirst sehen, du kriegst nicht nur einen reichen Mann, sondern auch eine Prada-Tasche, ob du willst oder nicht.“

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Mittwoch, 5. November 2008

Damals - Die Mauer ist weg

Als 1989 die politischen Ereignisse ganz Deutschland veränderten, saß ich mit meiner Familie in ungläubigem Staunen vor dem Fernseher. Ich dachte an all die Geschichten meiner Eltern, an die Erfahrungen, die ich selbst mit der Grenze gemacht hatte und vor allem an unsere Verwandten im Osten. Was für eine unfassbare Entwicklung! Während mir vor Glück die Tränen in die Augen schossen, als ich im August zusah, wie Tausende Ostdeutscher in Ungarn über die offenen Grenzen gingen, kam mir eine Politikstunde in der Schule in den Sinn, die kein Jahr her war. Wir hatten über die Frage diskutiert, ob es jemals ein wiedervereintes Deutschland geben würde. Ich war mir sicher, dass alles noch hundert Jahre so bleiben würde wie bisher. Mir kamen die Machthaber in der DDR viel zu unnachgiebig und die Bürger viel zu angepasst vor. Wie sehr ich mich doch getäuscht hatte – vor allem, was den Kampfgeist des Volkes anging.

Als am 9. November schließlich die ersten Grenzübergänge geöffnet wurden, waren wir wie im Rausch. Spontan beschlossen meine Schwester und ich einige Tage später, nach Berlin zu fahren. In einem total überfüllten Zug ließen wir uns von der Begeisterung der anderen Reisenden anstecken, die auch alle den Drang verspürten, bei diesen historischen Ereignissen dabei zu sein. In Berlin spazierten wir bei schönstem Herbstwetter an der Mauer entlang, auf der die Grenzsoldaten mit sehr entspannten Gesichtern Wache schoben. Sie scherzten mit westdeutschen Passanten, ließen sich Blumen und Zigaretten hinauf reichen und wirkten wie ausgewechselt – fast so, als falle von ihnen allen eine ungeheure Last ab. Wir schlugen aus der bunt angemalten Mauer ein paar Bröckchen heraus, die ich heute noch besitze, und schauten staunend zu, wie am Potsdamer Platz Mauerelemente beseitigt wurden und ein offener Grenzübergang entstand.

Nur wenige Tage später hatten wir den ersten Besuch aus Ostdeutschland, Bekannte meiner Eltern. Während sie in unserem Wohnzimmer saßen und noch nicht richtig begreifen konnten, was geschehen war, erhielten wir die Nachricht, dass mein Großvater in Sachsen gestorben war. Er war schon einige Wochen ernsthaft krank gewesen und die Sorge um ihn hatte unsere Euphorie überschattet. Ich stellte mir später oft vor, wie er vor dem Fernseher saß und vor lauter Begeisterung über die Öffnung der Grenzen einen Herzschlag erlitt. Ich glaube nicht, dass es wirklich so war, aber diese Art von Tod hätte zu meinem Großvater gepasst, der ein ungewöhnlicher Mann gewesen war – von der Familie verkannt und verschätzt, im Sozialismus nicht fähig, seine Talente frei zu entfalten, aber stets auf eigenwillige Weise unangepasst, mit einem sehr wachen, kreativen Geist, der leider zunehmend verkümmerte.

Wieder reisten wir in die DDR, den Kofferraum voll mit Blumenkränzen und –gestecken, da im Osten gerade ein Mangel an Blumen herrschte und wir im Namen unserer Verwandten gleich mit eingekauft hatten. Die Kontrolle an der Grenze verlief schnell und so freundlich und entspannt wie nie zuvor. Auf einmal war alles anders. Für mich markiert rückblickend nicht der Mauerfall, sondern der Tod meines Großvaters das Ende unserer Familienurlaube in der DDR. Meine Großmutter lebte schon länger nicht mehr, und so wurde das alte, kleine Haus verkauft, in dem ich so manchen Sommer verbracht hatte. Die noch lebenden Verwandten meines Vaters kamen uns nun regelmäßig besuchen. Die Verwandten meiner Mutter kamen nicht. Die Mauer hatte vorher alle zusammen geschweißt. Nun trennte sie auf einmal gerade dadurch, dass sie nicht mehr da war. Ich habe die Orte meiner Kindheit, die Städte, in denen meine Eltern aufgewachsen sind, seit damals nie mehr besucht, obwohl es doch heute so schnell und einfach geht. Es ergab sich einfach nicht. Aber manchmal verspüre ich das Verlangen, diese Orte noch einmal aufzusuchen, zu schauen, wie es dort heute aussieht, in Erinnerungen zu schwelgen und auf Spurensuche zu gehen nach den unbeschwerten Tagen meiner Kindheit, damals, als ich im Garten meiner Großeltern Stachelbeeren erntete und mir im Winter an ihrem Kachelofen den Rücken wärmte. Damals, als es die DDR noch gab.

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