Samstag, 19. Juli 2008

Virtuelle Liebe

Ich gebe es zu, ich bin leicht verführbar. Wenn ich schöne Worte lese, kunstvoll formuliert, vor Witz sprühend und Wärme ausstrahlend, dann ist es schnell um mich geschehen. Dann lasse ich mich hinreißen zu Fantasien, in denen ich mir selbst all die Geschichten erzähle, die zwischen die Zeilen passen, in denen ich so lange über Glück und Liebe nachdenke, bis mein Herz anfängt zu rasen, sobald ich meinen Rechner hochfahre. Dabei sind es doch nur Worte, die ich dort finde – in meiner Mailbox, einem Blog, bei Twitter oder sonst wo. Es ist kein Mensch, den ich anfassen, dessen Geruch ich atmen, dessen Lachen ich hören kann. Ich habe mich schon in viele zauberhafte Worte verliebt, mich ihnen virtuell hingegeben und dabei eine Nähe und Vertrautheit gespürt, die mich faszinierte. Ich habe mich in Mailwechseln vollkommen verloren und mir eingebildet, dass all diese schönen Worte echt waren, dass ich sie leben konnte. Ein Buchstabe für Buchstabe hingehauchter Kuss erlangte so auf einmal mehr Bedeutung als eine reale Umarmung. Ich war hungrig nach immer neuen Worten, süchtig nach den Gefühlen, die sie in mir erzeugten, nach der Möglichkeit, mich selber zu öffnen, auf eine Weise, wie ich es real nie tun würde – schon gar nicht einem Unbekannten gegenüber, den ich noch nie zuvor gesehen habe.

Irgendwann kommt allerdings in jeder virtuellen Liebe der Punkt, an dem man sich unweigerlich fragt, wie es weiter geht. Zerstört schon ein Foto alle Illusionen der Vollkommenheit? Entzaubert bereits der Klang einer Stimme die geschriebenen Worte? Und was, wenn man noch einen Schritt weiter geht und sich real trifft? Ist das dann ein Ende oder ein Anfang? Will man es überhaupt riskieren, dieser Frage auf den Grund zu gehen?

Daniel Glattauer riskiert es. In seinem Roman "Gut gegen Nordwind". Sehr treffend und genau beobachtet schildert er das Wechselbad der Gefühle, in dem man sich urplötzlich wiederfinden kann, und er lässt den Leser teilhaben an der Auseinandersetzung mit der Frage: Wenn man sich virtuell verliebt, können die Fantasien im Kopf dann der Realität standhalten? Mit feinem Humor beschreibt er, wie der Mailwechsel mit einem Fremden das eigene Leben völlig auf den Kopf stellen kann und ein virtueller Kontakt auf einmal wichtiger wird als das reale Leben. Er beschreibt die Sehnsüchte, die von geschriebenen Worten geweckt werden und schließlich in eine Sucht übergehen – Sucht nach noch mehr schönen Worten, nach Lebendigkeit, aber auch nach Illusion. Manchmal kann eine reale Begegnung dann sehr ernüchternd und heilsam sein. Manchmal aber macht sie auch alles erst recht kompliziert und verwirrend. Ich habe beides erlebt und weiß, dass sich ein Verhältnis total verändert, wenn man es aus dem virtuellen Raum heraus in die reale Welt transportiert. Aufregend ist die Veränderung in jedem Fall. Die Spannung, die sich aus diesem Widerstreit der Gefühle ergibt, hält Daniel Glattauer sehr gekonnt und auf faszinierende Weise bis zum Schluss seines Romans aufrecht. Ein absolutes Lese-Muss für alle, die sich schon mal in eine E-Mail verliebt haben.

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Donnerstag, 17. Juli 2008

Perlen vor die Säue

Vor langer Zeit, in einem anderen Bloggerleben sozusagen, habe ich mal grippekrank einen Zweizeiler rausgehustet, in dem ich lediglich mitteilte, dass mein Geist derzeit zu verrotzt sei, um gute Blogtexte schreiben zu können. Selten hatte ich mehr Kommentare unter einem Posting als unter jenem nichtssagenden Gekritzel.
Nun hat Frau diagonale eine ähnliche Erfahrung gemacht. Wie ich schon damals feststellte und was sich jetzt erneut beweist: Es ist vollkommen sinnlos, sich Mühe mit langen, liebevoll geschriebenen Texten voller kluger Gedanken und kunstvoller Formulierungen zu machen. Die liest eh kein Mensch. Die kurzen, hingerotzten Zweizeiler hingegen haben genau die richtige Qualität und Quantität, um vom gemeinen Blogleser wahrgenommen zu werden.
Ich glaube, ich werde daher in Zukunft einfach meine Twitter-Feeds auch noch bloggen, das spart viel Zeit und Gehirnschmalz und bringt mir zudem regen Zuspruch ein.

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Dienstag, 15. Juli 2008

Übrig geblieben

Ich begegne meiner Nachbarin Frau W. im Treppenhaus.
„Wie war Ihr Urlaub?“ frage ich, aber entgegen ihrer üblichen Gesprächigkeit tut Frau W. meine Frage mit zwei dürren Sätzen ab. Sie sieht müde und erschöpft aus und scheint sich am Treppengeländer festhalten zu müssen.
„Ich komme gerade von der Beerdigung einer guten Freundin“, erzählt sie. „Wir kannten uns seit über dreißig Jahren. Nun ist überhaupt niemand mehr da, den ich von früher kannte, sie sind alle tot. Meine Freundin war die letzte von all meinen Freunden, die mich verlassen hat.“
Fast schwingt so etwas wie Bitterkeit in ihren Worten mit. Alle haben sie verlassen, ihr Mann, ihre älteste Tochter, die Freunde, bis hin zur letzten besten Freundin, die nun auch gegangen ist. Ich stehe betroffen da und weiß kaum, was ich sagen soll. Ich frage mich, wie es sich wohl anfühlen wird, wenn um mich herum alle Menschen, die mir lieb und kostbar sind und mich teilweise mein Leben lang begleitet haben, der Reihe nach sterben? Familie, Freunde, Nachbarn. Wie ich immer einsamer werde, immer mehr alleine dastehe. Angenehmer ist es sicher, nicht die Letzte sein zu müssen, sondern irgendwo mitten drin im Gewühl von Abschied und Endlichkeit verschwinden zu können.
„Natürlich habe ich inzwischen auch neue Leute kennen gelernt“, fährt Frau W. fort, als hätte sie meine Gedanken erraten. „Ich bin ja immer sehr bemüht, Kontakte zu knüpfen. Aber das ist nicht mehr dasselbe, die Verbundenheit wie zu meinen alten Freunden ist einfach nicht da.“
Ich weiß genau, was sie meint. Wenn man jünger ist, kommen immer wieder neue Kontakte hinzu, durch Beruf, Hobbys oder was auch immer. Zwar vertiefen sich mit zunehmendem Alter nur wenige und werden zu echten Freundschaften, die auch dann überdauern, wenn man sich nicht mehr regelmäßig sieht. Doch das Leben ist irgendwie noch im Fluss. Ich habe bereits sehr nahe Menschen durch den Tod verloren, aber ich habe danach nie dieses Gefühl von „übrig geblieben“ verspürt, sondern eher gedacht: Mein Leben geht weiter, ich habe noch viel vor mir. Mit achtzig denkt man das wohl nicht mehr. Da kommt man sich sehr verlassen vor und findet die Tatsache, dass man selber noch agil und körperlich fit ist, manchmal wohl überhaupt nicht segensreich.
„Aber ich darf mich eigentlich nicht beklagen, mir geht es doch noch so gut“, sagt Frau W. und ich bewundere den Trotz in ihrer Stimme und die energische Bewegung, mit der sie sich vom Treppengeländer löst und die Treppe weiter hinauf geht, ihrer Wohnung entgegen.

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Montag, 14. Juli 2008

Mitternachtsgedanken

Mir geht grade sehr, sehr viel und noch viel mehr durch den Kopf. Ich weiß gar nicht, welchen Gedankenfetzen ich mir zuerst schnappen soll, um ihn festzuhalten und näher zu betrachten. Vielleicht liegt es an der Übermüdung und ich sollte erst mal schlafen gehen, bevor ich weiter denke. Vielleicht liegt es aber auch einfach nur daran, dass manches zu viel ist und keinen Platz mehr in meinem Kopf hat.

Nur eins weiß ich mit großer Gewissheit: Es ist wundervoll, dass es Menschen gibt, die meine Sprache sprechen und deren Herz im selben Rhythmus tickt wie meines, die Gesellschaften als gruselig entlarven, die andere Leute normal finden und die mir helfen, mich wieder zu erden und zu erkennen, dass ich ich bin und mein Weg ein ganz anderer ist. Es ist gut, Freunde zu haben, die auch mal Klartext reden, denn den Mut zur Wahrheit finden nur Wenige.

Alles weitere dann morgen oder später oder gar nicht.

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Freitag, 11. Juli 2008

Ostfriesenwitz

„Nächster Halt ist Esens Hauptbahnhof. Die Weiterfahrt erfolgt auf Gleis Eins“, posaunt der Busfahrer gut gelaunt ins Mikrofon, und dann wünscht er den Fahrgästen eine gute Weiterreise.

Als ich aussteige, muss ich grinsen. Der „Hauptbahnhof“ Esens hat die Größe einer Bushaltestelle und es gibt überhaupt nur ein einziges Gleis, auf dem die Züge abfahren. Aber dank des Busfahrers sieht der Himmel darüber nicht ganz so grau aus, und auch ich verspüre gute Laune.

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