Wohnzimmer
Als ich gestern durch mein Viertel spazierte, gingen mir ein paar Fragen durch den Kopf, die ich gerne einem Bekannten gestellt hätte, der sich sehr gut mit der Geschichte des Stadtteils auskennt. Doch während ich noch in Gedanken seine warme Stimme hörte, die mir voller Begeisterung historische Details erläuterte, fiel mir mit Schrecken ein, dass dieser Mann gar nicht mehr lebt.
Er ist im letzten Winter gestorben. An einer Hirnblutung. Mit Mitte fünfzig.
Nun ist also auch er Vergangenheit.
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feinstrick - 25. Jun, 09:23
Ich habe mit Männern einfach kein gutes Händchen. Jene, in deren Nähe ich mich wohl fühle und bei denen ich gerne verweilen würde, halten es nicht lange mit mir aus und machen sich aus dem Staub, sobald es ihnen zu anstrengend mit mir wird. Aber die Männer, die ich langweilig, anstrengend und nervtötend finde, von denen ich mich belästigt und bedrängt fühle, die kleben an mir wie die Schmeißfliegen an einem Kuhfladen, selbst dann noch, wenn ich sie unmissverständlich in die Wüste schicke, wieder und wieder. Kann es sein, dass hier irgendwas gründlich falsch läuft?
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feinstrick - 24. Jun, 21:51
Ich habe grade gar nicht viel zu sagen. Nur zu denken und zu fühlen. Gestern sagte mir jemand, den ich länger nicht gesehen hatte, ich würde so entspannt und erholt wie seit Ewigkeiten nicht mehr aussehen. Seltsam, wo ich mich doch selbst sehr müde und erschöpft fühle. Ich weiß, das hat viel mit dem Wetter und dem Mond zu tun, und auch mit inneren Befindlichkeiten. Aber es hängt auch damit zusammen, dass ich mir zu wenig Raum für körperliche Erholung nehme. Ich bin so unsäglich disziplinlos und ärgere mich deswegen immer wieder über mich selbst.
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Ich glaube, ich weiß jetzt, was
diese Träume zu bedeuten hatten, was da zuende gegangen ist. Ich wollte es erst nicht wahrhaben, habe mich viel zu lange an etwas geklammert. Aber da ist ein Schweigen, das mir täglich klarer wird und das ich mittlerweile sehr gut kenne. Es tut nicht mal mehr sonderlich weh, wie seltsam. Aber vielleicht gab es einfach schon zu viele Abschiede, tränenreich, schmerzhaft, so dass diesmal nur noch diese Erschöpfung ist, wie wenn man nach einer sehr langen, beschwerlichen Reise endlich angekommen ist und feststellt, dass das Wirtshaus, in dem man einkehren wollte, mittlerweile abgebrannt ist und man auf freiem Feld nächtigen muss.
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feinstrick - 19. Jun, 09:48
Dreimal träumte ich in den letzten Wochen kurz hintereinander vom Tod. Erst starben meine Geschwister, dann bereitete ich mich auf meinen eigenen Tod vor. Das Sterben meiner Schwester und meines Bruders erschütterte mich zutiefst und ließ mich völlig verstört aufwachen, und angesichts meiner eigenen Endlichkeit vergoss ich noch im Schlaf verzweifelte Tränen.
Irgendetwas scheint in mir abzusterben, sich zu verändern, zu erneuern. Ist das ein Zeichen dafür, dass ein langer Lebensabschnitt zu Ende geht? Eine Zeit, die mit einer großen Suche verbunden war. Suche nach Glück, nach Erfüllung von Sehnsüchten, nach Liebe und Geborgenheit. Ich habe an Illusionen festgehalten, mich in Sackgassen manövriert, mich beruflich ins Aus geschossen und privat viel riskiert, aber noch mehr verloren.
Und jetzt? Was wird jetzt kommen? Noch hat sich nicht viel geändert. Gut, beruflich schon, aber innerlich scheine ich immer noch die Alte zu sein mit den gleichen Ängsten und Unsicherheiten, der gleichen Sehnsucht und Suche wie eh und je. Ich schleppe noch eine Menge Altlasten mit mir herum, ungeklärte Geschichten, die mich quälen und lähmen. Ich schleppe MICH mit mir herum. Aber das lässt sich nicht ändern. Vielleicht sollte ich stattdessen lernen, mich mehr zu akzeptieren, so wie ich bin, und nicht ständig versuchen, mich umzuformen, damit ich in die Normen passe, die man mir vorgibt. Mir scheint, vor mir liegt noch ein sehr, sehr langer Weg. Aber Veränderung findet nur statt, wenn man sich bewegt. Und seien die Schritte noch so winzig, die man macht, die Rückschläge noch so groß. Irgendwann wird man irgendwo ankommen. Oder?
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feinstrick - 11. Jun, 09:25
Der Augenblick, in dem ich erkenne, dass der Frühling vorbei ist, fühlt sich von Jahr zu Jahr schmerzhafter an. Im stummen Erschrecken registriere ich, dass sattes Grün üppig bunte Blüten abgelöst hat, dass die Wiesen verdorrt sind und an den Bäumen bereits die Früchte reifen. Und wenn ich die schwüle, staubige Luft des Sommers atme und nicht mehr die frische Leichtigkeit des Frühlings, weiß ich, dass die Zeit auch in diesem Jahr nicht stehen bleibt.
Wenn nach dem Winter die Tage länger werden, wächst die Sehnsucht in mir und mit ihr die Hoffnung, sie in diesem Jahr endlich stillen zu können. Sie breitet sich aus, setzt sich in meinem Herzen fest und gleitet mit leiser Melancholie mit mir in den Sommer hinüber. Doch ich ahne bereits in jenen Momenten, in denen ich das Ende des Frühlings entdecke, was sich später im Herbst bestätigen wird: Die Zeit geht ihren Gang und ich mit ihr, ohne dass mein Herz sich beruhigt, dass es endlich da angekommen ist, wo es sich ausruhen und wachsen kann. Ich vermag nichts festzuhalten, weder den Frühling noch meine Vergänglichkeit oder die Liebe. Ich atme einfach nur weiter, mal leichte Frühlingsluft, mal vertrockneten Sommer oder bitterkalten Winter, bis ich im Herbst angekommen bin und erkenne, auf welchen Feldern ich eine üppige Ernte einfahren kann und wo die Sehnsucht wie Unkraut gewachsen ist und alles Fruchtbare verdrängt hat.
Üppigst wogen die
Pfingstrosen in meiner Wohnung, ein Blütenmeer in Rosa und Weiß durchflutet jeden Winkel, verbreitet betörend süßen Duft und hinterlässt ein klebriges Gefühl an den Fingern, wenn man sie eintaucht in diese Pracht. Die weißen Blumen sehen zauberhaft unschuldig aus und passen mit ihren violett geränderten äußeren Blütenblättern wunderbar zu meinen neuen Vorhängen. Die rosa Blüten kommen prall und herausfordernd daher und setzen Akzente. Ich staune und genieße, freue mich und denke, dass meine Wohnung selten so festlich wirkte und gleichzeitig frühlingshaft leicht wie in diesen Tagen. Eigentlich müsste ich tatsächlich ein Fest feiern, um mehr Menschen an diesem Blumentraum teilhaben zu lassen. Doch wer weiß, dann würde er vielleicht ganz schnell verwelken.
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feinstrick - 31. Mai, 11:05
Ich bin heute einen sehr langen Weg gegangen, innerlich wie äußerlich. Ich habe die Sonne nicht wahrgenommen und auch die vielen, vielen Menschen um mich herum nicht. Ich habe den Durst ignoriert, und der Schmerz in meinen Füßen hat sich irgendwann im Zorn meines Herzens aufgelöst. Jetzt tun mir die Füße immer noch weh, ich habe Kopfschmerzen und fühle mich sehr, sehr erschöpft – und so leer wie die Halle eines Kreuzfahrtterminals, in der ich einen Moment lang verweilte, Besinnung hielt, mich ausgeschlossen und gleichzeitig erleichtert fühlte. Manchmal ist es gut, etwas oder jemanden zu verpassen, die Demütigungen nicht noch größer werden zu lassen, nicht alle schmutzigen Details der Wahrheit anschauen zu müssen.
Manchmal ist es aber auch gut, hinzuschauen, zu erkennen, dass ein Traum ausgeträumt ist, obwohl er sich im eigenen Herzen so tief eingegraben hat, dass er ein Teil von ihm geworden ist, zusammen mit dieser großen, alles erfüllenden Sehnsucht.
Es ist gut, wenn man sich klarmacht, dass man andere Menschen nicht ändern kann. Sie werden niemals so sein, wie man sich das wünscht, sondern immer Gefangene ihrer selbst, mit allen Fehlern und Schwächen. Meistens kann man diese Schwächen akzeptieren und sie vielleicht sogar als liebenswerte Marotten hinnehmen. Schließlich hat man selber auch eine Menge Fehler. Manchmal sind diese Schwächen aber selbst bei viel Liebe und Toleranz unverzeihlich, weil sie zerstören und vernichten, statt zu vereinen und versöhnen.
Es ist auch gut, sich klarzumachen, dass Vergebung und Versöhnung nicht identisch sind mit Vertrauen. Manchmal muss man feststellen, dass man zwar verzeihen und wohl auch lieben, aber nicht mehr vertrauen kann. Dass man alles und jedes hinterfragt, dass man ständig misstrauisch und auf der Hut ist.
Manchmal gibt es diese Momente, in denen man sein eigenes Leben glasklar vor sich sieht, alle eigenen Schwächen und Fehler, alle Irrwege und Abgründe, Sehnsüchte und unerfüllten Träume. Und man spürt, dass es Zeit ist, nach vorne zu schauen und nicht mehr länger im „was wäre, wenn“ zu verweilen, sondern Abschied zu nehmen, loszulassen, die eigenen Sehnsüchte leise zu beerdigen und dann still seinen Weg weiter zu gehen, trotz wunder Füße, trotz blutenden Herzens, trotz wundervoller Träume – und auch trotz aller Liebe.
Manchmal wacht man eben einfach auf.
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feinstrick - 10. Mai, 21:23
Und dann höre ich wieder ihre Zweifel, und ihre skeptischen Blicke treffen mich durchs Telefon hindurch und lassen all den Mut zusammensinken, den ich mir so mühsam erschaffen hatte. Ich werde wieder klein und ängstlich, verzweifelt bemüht, mich zu verteidigen, aber es gelingt mir nicht, weil die Unsicherheit größer ist als der Glaube an mich selbst. Und ich verfluche diese destruktiven Familienstrukturen, in denen jeder nur gelernt hat, um sich zu beißen und den anderen seinen eigenen Weg aufzuzwängen, statt einander die Hände zu reichen, Ängste gemeinsam zu überwinden und sich gegenseitig zu stützen und stärken.
Wann werde ich es endlich schaffen, mich von diesen Strukturen nicht mehr beeindrucken zu lassen?
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feinstrick - 26. Apr, 09:52
Nachdem meine Eltern gestorben waren und ich mich sehr leer und verloren fühlte, sagte mir ein weiser Mann folgendes:
„Als meine eigenen Eltern vor vielen Jahren starben, begriff ich, dass ich heimatlos geworden war. Ich schuf mir daher eine neue Heimat, die ganz tief drinnen in mir entstand und die ich mit mir herumtrage, wo auch immer auf dieser Welt ich mich gerade befinde.“
Mich beeindruckten diese Worte sehr und ich vergaß sie nie. Es war für mich ein langer, schmerzhafter Weg voller Hindernisse und Abgründe, bis ich die äußere Leere durch inneren Reichtum ersetzen konnte, aber ich glaube, ich bin mittlerweile am Ziel. Selbst dann, wenn die Leere mich wieder befällt, lähmt und erschreckt, weiß ich, dass sie nie über mich siegen wird, weil ich mir in meinem tiefsten Inneren eine Wohnung eingerichtet habe, in der ich mich immer zuhause fühlen kann, in der ich Geborgenheit und Wärme spüre, selbst dann, wenn um mich herum alles kalt und nackt ist.
Ich glaube, diese innere Wohnung zu schaffen, ist das Beste, was ich in den letzten Jahren geleistet habe.
Wohnzimmer -
feinstrick - 21. Apr, 22:40
Eigentlich rief sie mich an, weil sie etwas loswerden wollte. Doch ihre Geschichte war schnell erzählt und durchdiskutiert. Dann fing ich an. Ich redete viel. Viel mehr als sie. Viel, viel mehr. Zu viel, glaube ich. Dabei wollte ich meine Geschichte nur mit ein paar kurzen Sätzen umreißen und mich nicht lange mit Vergangenem aufhalten. Doch plötzlich war ich mittendrin, zeichnete nicht nur die großen Linien nach, sondern beleuchtete auch die kleinsten Details, die ich bereits für mich selber hunderte von Malen wiedergekäut habe. Ich verlor mich in unwesentlichen Erinnerungen und brachte vollkommen neue Aspekte ein, formulierte Gedanken und Gefühle ganz neu und setzte andere Akzente als früher.
Sie war eine gute Zuhörerin. Sie gab mir das Gefühl, die ganze Zeit aufmerksam dabei zu sein, jedes meiner Worte genau zu beachten. Dann und wann brachte sie kleine, sehr pointierte und kluge Gedanken ein, die mich dazu herausforderten, weiter in die Tiefe zu gehen, noch mal genauer hinzugucken. Ihr erfrischendes Lachen riss mich immer wieder mit und brachte viel Leichtigkeit in eine Geschichte, die eigentlich über viele Stellen gar nicht leicht sondern eher schwer und tief ist, von Ängsten und Zweifeln begleitet, von großer Leidenschaft getragen, aber auch voller Schuld und Schmerz. Ich stellte mir Fragen, die ich bisher nicht gestellt hatte und sagte Dinge, die ich so noch niemandem gesagt hatte.
Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich so viel redete, meinen Redefluss auch nicht stoppen konnte, als wir bei ganz anderen Themen landeten, die nicht mehr so persönlich waren, die mich nicht mehr derart bewegten und beschäftigten. Sie wurde immer stiller, schien in ihrer Aufmerksamkeit nachzulassen, hielt aber von sich aus das Gespräch am Laufen und zwang mich förmlich, meine Monologe fortzusetzen.
„Jetzt haben wir drei Stunden und elf Minuten telefoniert“, sagte ich abschließend mit einem Blick auf mein Telefon. „So lange?“ fragte sie erstaunt, und da merkte ich, dass es ihr wohl doch nicht langweilig geworden war, dass an meinen Geschichten irgendetwas war, das sie gefesselt hat. Ich dankte ihr, legte auf und spürte dem Brummen in meinem Kopf nach, den vor Müdigkeit brennenden Augen und all den Empfindungen, die in den letzten drei Stunden in mir zum Schwingen gekommen waren.
Da war auf einmal eine Ruhe in mir, die ich seit Tagen vermisste. Ich begriff, dass Vertrauen manchmal ein lebenslanger Lernprozess ist, der ohne Liebe nicht funktioniert, und dass auch Schuld und Vergebung niemals ohne Liebe sein können. Ich begriff, dass es gut ist, eine Geschichte immer aus möglichst vielen verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, um zu verstehen, warum etwas so ist, wie es ist und um den eigenen Standort richtig einordnen zu können. Ich begriff, dass ich noch sehr viel begreifen muss. Besonders, wenn es um etwas geht, das gleichzeitig so groß und so simpel ist wie die Liebe. Und ich war sehr dankbar, dass sie mir die Zeit gelassen hat, so lange zu reden, bis mir das alles selber klar wurde.
Wohnzimmer -
feinstrick - 16. Apr, 01:14