Wohnzimmer

Samstag, 12. April 2008

Frühjahrsputz

Der Frühling bringt Bewegung, Licht, Sonne, Wachstum, ein laues Lüftchen, das mir um die Nase weht, Aufbruchstimmung. Voller Glück schaue ich zu, wie es in den zahlreichen Töpfen auf meinem Balkon sprießt, in einigen schneller, in anderen langsamer. Bei einem Topf rätselte ich eine Woche lang, welche Pflanze darin eigentlich so eifrig ihre zarten Blattspitzen zum Himmel reckt. Ich hatte es über den langen, dunklen Winter vollkommen vergessen. Als es mir wieder einfiel, freute ich mich wie ein Kind.

Das helle Frühlingslicht leuchtet auch in die dunkelsten Ecken und bringt erbarmungslos all den Dreck zutage, der sich dort über Jahre angesammelt hat. Ich renoviere und mache sauber. Innerlich genauso wie äußerlich. Das ist anstrengend, mühsam, quälend. So manches Mal stehen mir die Tränen in den Augen, fühle ich mich erschöpft und mutlos, möchte ich alles hinschmeißen und mich nur noch verkriechen. Frühjahrsputz geht an die Substanz, fördert viel Altes zutage, das ich längst vergessen wähnte und hoffte. Ich sortiere, miste aus, entdecke, erkunde, probiere aus, werfe weg, gestalte neu, werfe wieder weg, mache die ersten Schritte zwischen all dem Neuen und stelle fest, dass ich mich darin überhaupt noch nicht wohl fühle. Es fehlt noch an Selbstvertrauen, an Mut, Zuversicht, Geborgenheit. Ich bin so verletzlich, so empfindsam wie die zarten Pflänzchen auf meinem Balkon, die der Frühlingssonne nicht trauen, weil sie den Frost der Nächte noch spüren. Sie können in der Kälte nur überleben, weil sie starke, gesunde Wurzeln haben. Ich bin auch tief im Boden verwurzelt, obwohl ich das oft genug vergesse und nur die Oberfläche betrachte, die so fragil erscheint, dass ich Angst bekomme und wie gelähmt bin, Kraft und Mut verliere und verzage an diesem Frühling, diesem Aufbruch, diesem Leben, diesem Ich.

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Mittwoch, 9. April 2008

Wunderlich

Bei der Spreepiratin bin ich über den Gedanken gestolpert, dass man wunderlich wird, wenn man zu lange alleine lebt. Seitdem beschäftigt mich die Frage, ob ich eigentlich auch schon eine etwas wunderliche Person geworden bin, hinter deren Rücken die Leute tuscheln. Ich wohne nicht nur seit vielen Jahren alleine, ich lebe auch schon lange nicht mehr in einer festen Partnerschaft. Es gab zwar ständig Männer, die mich über die Einsamkeit hinweg getröstet haben, denen auch mein Herz gehörte, die ich sehr liebte. Doch ich teilte meinen Alltag nicht mit ihnen.

Wenn man alleine lebt, dann ist man sehr unabhängig. Ich kann kommen und gehen, wann und wie ich will, ohne jemandem Rechenschaft dafür abgeben zu müssen. „Du, Schatz, ich habe wirklich so lange gearbeitet, da läuft echt nix mit dem Schmidt aus der Marketingabteilung.“ Solche Ausreden sind mir fremd, nicht nur, weil ich sowieso nicht gut lügen kann, sondern auch, weil es völlig egal ist, ob ich was mit Schmidt, Müller oder Schulze laufen habe. Und wenn ich jede Woche mit einem anderen von ihnen Überstunden mache, dann interessiert das niemanden. Ich könnte auch von heute auf morgen meine Koffer packen, um nach Südamerika auszuwandern, wenn ich denn wollte. Ich kann ins Bett gehen, wann ich will und ausschlafen wie ich will – was ich heute tatsächlich viel besser schaffe als zu Zeiten, in denen ich in Gemeinschaft lebte. Ich kann mein Geld einfach ausgeben, ohne mit jemandem lange Diskussionen führen zu müssen, ob das jetzt gut und richtig ist. Ich kann die Freundschaften pflegen, die mir wichtig sind und muss mich nie fragen, ob mein Partner sich in der Nähe dieser Menschen auch wohl fühlt.

Wenn man alleine lebt, ist man auch sehr hemmungslos. Ich mache die Tür nie zu, wenn ich zur Toilette gehe. Wozu auch? Ich furze und rülpse in meinen eigenen vier Wänden sehr ungeniert vor mich hin. Warum auch nicht? Kriegt doch keiner mit. Ich singe, wenn mir danach zumute ist, und immer häufiger führe ich Selbstgespräche. Manchmal vertrödele ich den halben Tag, weil niemand mich antreibt und sagt: „Jetzt lass uns doch endlich mal rausgehen, das Wetter ist so schön.“ Ich esse meistens mit dem Laptop neben mir oder dem Fernseher vor mir. Wenn ich Lust zum Kochen habe, gibt es üppige Menüs, wenn nicht, dann esse ich tagelang Spaghetti mit Tomatensoße. Es beschwert sich nie jemand darüber.

Wenn man alleine lebt, dann fehlt allerdings auch oft jemand, der einen stützt und stärkt, der mit anpackt, der Dinge in die Hand nimmt, die man selber nicht bewältigt kriegt, weil sie einem unangenehm sind, man sie nicht gut kann oder einfach die körperliche Kraft fehlt. So habe ich das Projekt, meine Wohnung zu renovieren, ungefähr drei Jahre vor mir hergeschoben, bis ich es endlich in Angriff nehmen konnte. Mit einem Mann oder auch nur einer Mitbewohnerin an meiner Seite wäre mir das garantiert nicht passiert, da hätte ich viel eher gesagt: „Komm, lass uns mal in den Baumarkt fahren und schöne Farbe kaufen gehen.“ Ich habe mein Auto total verrotten lassen, weil die ganze Wartung und die ständigen Auseinandersetzungen mit der Werkstatt mich überfordert haben. Ich brauche ewig, um Entscheidungen zu treffen, weil niemand da ist, der eigene Gedanken und Ideen einbringt und einfach mal sagt: „Los, so machen wir es jetzt!“ Ich verkneife mir manche Urlaubsreise (und auch die Auswanderung nach Südamerika), weil ich sie mir alleine nicht zutraue. Und ich gehe weniger aus als früher, weil ich nicht immer jemanden finde, der Zeit und Lust hat, mich zu begleiten, ich aber ungern z.B. alleine in Konzerte gehe.

Sind das alles Zeichen dafür, dass ich wunderlich bin? Ich weiß es nicht. Sind nicht auch Menschen oft seltsam, die in einer langen Partnerschaft leben? Die sich einander so sehr angeglichen haben, dass man sie schon äußerlich kaum noch voneinander unterscheiden kann? Die in ihrer Familie so eine Art Geheimsprache entwickelt haben, die außer den Eltern und Kindern niemand versteht? Die sich in ihrer kleinen Gemeinschaft oft so sehr genug sind, dass sie es nicht mehr schaffen, den Blick nach außen zu wenden?

Allerdings frage ich mich schon manchmal, ob ich überhaupt noch in der Lage wäre, mit einem Mann zusammen zu leben und meinen Alltag zu teilen. Halte ich so viel Nähe noch aus? Kann ich es ertragen, wenn jemand anders die Unordnung in meiner Wohnung verursacht und nicht ich? Schaffe ich es, all die Kompromisse einzugehen, ohne die man in einer Partnerschaft nicht leben kann? Ich hoffe es. Und ich glaube es auch. Denn ich weiß, dass ich sehr anpassungsfähig bin und viele meiner Single-Gewohnheiten schnell aufgeben würde. Es ist ja auch viel netter, zu zweit zu essen und sich dabei zu erzählen, was man tagsüber so erlebt hat, statt stumpf auf die Glotze zu starren. Und es ist auch schön, gemeinsam einen Urlaub zu planen, auch, weil man dann vielleicht an einem Ort landet, an den man alleine nie gefahren wäre. Ich würde jedoch auch in einer Partnerschaft immer Wert darauf legen, meine Tür einfach mal zumachen zu können. Ich möchte Zeit zum Träumen und Nachdenken haben. Ich möchte Telefongespräche mit guten Freunden führen, die mein Partner nicht unbedingt hören muss. Ich möchte einfach mal ganz für mich sein. Denn einen Teil der Unabhängigkeit, die man erlangt, wenn man alleine lebt, kann und will ich nicht ablegen. Da nehme ich es dann auch gerne in Kauf, dass man mich vielleicht für etwas wunderlich hält.

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Sonntag, 6. April 2008

Erinnerungen I

In meinem Wohnzimmer steht ein alter Bücherschrank. Er ist nicht sonderlich groß, wirkt aber durch sein sehr dunkel gebeiztes Holz recht massiv, weswegen mir schon öfter Leute geraten haben, ihn wegzugeben. Der Schrank hat drei Türen, die mit Ornamenten verziert sind. Die mittlere Tür ist außerdem im oberen Teil verglast. Ein solider, alter Schrank, der an einigen Stellen etwas grob verarbeitet erscheint, aber den Eindruck erweckt, als sei er unverwüstlich.

Als ich gestern sämtliche Regalbretter aus dem Schrank nahm, um sie vom Staub der Jahre zu befreien, machte ich eine kleine Entdeckung: Auf eines der Bretter hatte jemand am Rand mit Bleistift in altdeutscher Schrift zwei Namen geschrieben, „Hansi“ und „Rudi“. Dazwischen befand sich eine ungelenke, mehrmals nachgezogene senkrechte Linie. Hansi und Rudi, das waren mein Vater und sein Bruder. Hatten sie als Kinder gestritten und sich dann darauf geeinigt, dass jeder von ihnen genau die Hälfte dieses Regalbretts für seine Habseligkeiten erhielt? Oder hatte ihnen der Vater hier in einer Schrankecke genau abgemessen einen Platz zugeteilt? Ich werde das nicht mehr herausfinden, denn mein Vater und mein Großvater leben nicht mehr und zu meinem Onkel habe ich kaum noch Kontakt, so dass er mir diesbezüglich keine Auskünfte mehr erteilen wird.

Und doch hat mich diese Entdeckung sehr berührt. Sie versetzte mich schlagartig in die dreißiger Jahre zurück, in die Entstehungszeit des Schrankes und in das Haus meiner Großeltern im Süden Leipzigs, errichtet in einer Vorzeige-Neubausiedlung, schmuck und modern. Ich sehe meinen Vater Kriegsschiffe basteln und Fliegerangriffe malen. Er war Jahrgang 1930 und seine Kindheit wurde beherrscht von Diktatur und Krieg. Einige seiner Bilder besitze ich heute noch. Ich sehe meinen Vater mit seinem älteren Bruder in ihrem kleinen Wohnzimmer spielen, so, wie ich es Jahrzehnte später mit meinen Geschwistern tat. Ich sehe dieses alte Haus noch so genau vor mir, als hätte ich es gestern zum letzten Mal betreten. Dabei ist das fast zwanzig Jahre her. Damals war das Haus überhaupt nicht mehr schmuck. Es war total heruntergekommen, verdreckt und verwahrlost. Der stetige Verfall hatte im Grunde genommen bereits im Zweiten Weltkrieg begonnen. Mein Vater hatte immer wieder von den Pappen in den Fenstern erzählt, weil sämtliche Glasscheiben bei Bombenangriffen zersprungen waren. Er hatte von den Brandbomben im Garten erzählt, von den Nächten im Keller (den ich als sehr dunkel und sehr feucht und sehr gruselig in Erinnerung habe), von den schlimmen Zerstörungen, die aus dem einstigen Vorzeigeviertel einen Trümmerhaufen machten. Zu DDR-Zeiten fehlte es an Baumaterial, und mein Großvater zeichnete sich auch nicht gerade durch geschicktes Heimwerken aus, so dass das einst so schmucke Häuschen nie wieder in seinem alten Glanz erstrahlte.

Ich sehe den dunklen Bücherschrank im Flur im ersten Stock stehen. Es war der Schrank meines Großvaters, ein Heiligtum, das niemand ungefragt öffnen durfte. Der Anblick dieses Schrankes dort in dem engen, dunklen Flur ist verbunden mit dem Geruch nach Pfefferminz und China-Öl, der meinen Großvater bis an sein Lebensende begleitete. Er war ein Öko und ein Esoteriker, lange, lange bevor diese Begriffe in Mode kamen, ein Eigenbrötler, der sein Leben so lebte, wie er es für richtig hielt, ohne Rücksicht auf Verluste. In gewisser Weise ähnelte mein Vater ihm darin sehr. Den Schrank hat vermutlich mein Urgroßvater gebaut, der Tischler war. Vielleicht war er ein Hochzeitsgeschenk für meine Großeltern. Oder ein Einzugsgeschenk. Wer weiß.

Ich erinnere mich noch genau daran, wie dieser Schrank in meiner Wohnung Einzug hielt und wie sehr mein Vater sich darüber freute, dass ich ihn haben wollte. Noch mehr würde er sich freuen, wenn er wüsste, wie sehr ich mittlerweile an dem alten Stück hänge. Dieser Schrank ist für mich sehr lebendige Familiengeschichte. Mag sein, dass er mein kleines Wohnzimmer ein wenig erdrückt und irgendwie im Weg ist. Aber davon abgesehen, dass er die perfekten Maße hat, um Aktenordner zu verstauen, stellt er für mich eine Verbindung zu meiner Vergangenheit her, ist ein Symbol für die Wurzeln meines Daseins. Und alleine schon aus diesem Grund werde ich ihn so lange behalten, wie es irgendwie möglich ist.

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Sonntag, 30. März 2008

Fragmente

Ich habe gestern und heute jeweils einen Abendspaziergang gemacht - zum ersten Mal seit einem halben Jahr. Es war hell, es war warm, die Vögel haben ihr Abendlied geträllert und die Menschen den Tag mit Blick auf die Elbe verabschiedet. Wie sehr habe ich das vermisst!

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Eigentlich bin ich mit der Verwendung von Salz beim Kochen immer sehr zurückhaltend. Ich verwende lieber frische Kräuter und Gewürze. In letzter Zeit passiert es mir aber ständig, dass ich mein Essen total versalze. Bin ich etwa frisch verliebt? Ich wüsste nur nicht, in wen. Vielleicht in das Leben an sich? Ja, das ist es: Ich bin frisch verliebt in mein Leben, so, wie es ist: Wirbelig, kompliziert, anstrengend, fröhlich, unabhängig, ziellos.

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Mit Tränen in den Augen habe ich heute die meisten meiner alten Teddys in einen Plastiksack gestopft, um sie in den nächsten Tagen in ein kleines Sozialkaufhaus zu bringen, in dem bedürftige Menschen einkaufen. Irgendwie ist es an der Zeit, dass die Plüschtiere ein neues Zuhause bekommen, bei Kindern, die mit ihnen richtig spielen und sie nachts zum Kuscheln mit ins Bett nehmen. Nur die drei Ältesten behalte ich. Sie sind fast so alt wie ich, und sie wegzugeben, käme mir wie ein Verrat vor, zumal sie mir in manch besonders dunkler, einsamer Nacht auch heute noch gute Seelentröster sind. Ach ja, manchmal bin ich doch ein echter Kindskopf.

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Freitag, 28. März 2008

Tage wie dieser

An Tagen wie diesem ist sie wieder da, die Sehnsucht. Ich verliere mich in ihr und der Schmerz treibt mich unruhig und ziellos umher und bringt meine Gedanken zum Fliegen.

An Tagen wie diesem mache ich Dummheiten und rede mir das Grau vor dem Fenster bunt und die Wüste in meinem Herzen in eine blühende Oase.

An Tagen wie diesem hoffe ich das Undenkbare und träume von Luftschlössern. Ich vergesse für einen Moment die Realität und bin wieder ein Kind, in dessen magischer Welt nichts unmöglich ist.

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Sonntag, 24. Februar 2008

Bittersüße Schokolade

Ein Buch, das ich auch beim zweiten Lesen verschlinge und nicht mehr zur Seite legen kann, ist Laura Esquivels „Bittersüße Schokolade“. Ich habe den Roman das erste Mal Anfang der Neunziger gelesen, kurz nachdem ich die Verfilmung von Alfonso Arau gesehen hatte. Der Film berührte mich, ich kaufte die Romanvorlage, und die Geschichte von der armen Tita, die Pedro liebt, ihn aber nicht heiraten darf, weil sie einem ungeschriebenen Gesetz zufolge ihre herrische, verwitwete Mutter bis zu deren Tod pflegen muss, ergriff nicht nur meine romantische Seele, sondern auch die sämtlicher Frauen in meiner Familie. Wir litten der Reihe nach mit Tita und Pedro mit, der sich nur dadurch zu helfen weiß, dass er Titas ältere Schwester heiratet, um wenigstens in der Nähe seiner Liebsten sein zu können – womit das Verhängnis seinen natürlichen Verlauf nimmt. Wir ließen uns von den imaginären Gerüchen und Geschmäckern all der sagenhaften Gerichte betören, die Tita kocht und mit denen sie ihre Mitmenschen im wahrsten Sinne des Wortes verzaubert. Wir tauchten ein in eine Welt voller Sinnlichkeit und Leidenschaft, aber auch voller Tragik und Verzweiflung.

Das Buch blieb dann wohl bei meiner Mutter hängen und gelangte nie wieder zurück in meinen Besitz. Als ich in den letzten Tagen etwas ratlos war, wie ich meine derzeitige Lese- und auch Schreibunlust wieder beheben könne, fiel mir jene Geschichte ein und ich verspürte das dringende Bedürfnis, mich von ihrer schlichten und doch zugleich sehr ausdrucksstarken, sinnlichen Sprache und der anrührenden Geschichte inspirieren zu lassen. Ich eilte also in die nächste Buchhandlung, um „Bittersüße Schokolade“ zu kaufen. Da das Buch jedoch nicht vorrätig war, bestellte ich es. Ich staunte nicht schlecht, als mir die Buchhändlerin am nächsten Tag ein recht großes, dickes Taschenbuch über den Tresen reichte. Ich hatte ein erheblich dünneres Buch in Erinnerung.
„Das ist ja auch die Ausgabe in extra großer Schrift“, erklärte die Buchhändlerin freundlich. „Suhrkamp Großdruck“ steht auf dem Cover. Die Schrift ist so groß, dass ich das Buch fast ohne Brille lesen kann. Und so angenehm ich das auch tatsächlich finde, so sehr frage ich mich nun auch, ob ich dieser jungen Frau derart alt erschienen war, dass sie für mich automatisch die Seniorenausgabe bestellt hat.
Wie auch immer - mein Herz ist jung genug geblieben, um mich von Titas Geschichte erneut verführen zu lassen. Das ist ein rundum schönes Gefühl.

„Von Tita heißt es, sie habe derart heftig auf Zwiebeln reagiert, dass sie schon im Leib meiner Urgroßmutter fürchterliche Tränen vergoss, sobald diese Zwiebeln hackte. Ihr Weinen war so laut, dass selbst Nacha, die Köchin des Hauses, es mühelos hören konnte, und die war halb taub. Eines Tages steigerte sich Titas Schluchzen dermaßen, dass es vorzeitig die Geburt einleitete. So geschah es, dass – bevor meine Urgroßmutter auch nur piep sagen konnte – Tita Hals über Kopf auf die Welt kam, und zwar mitten auf dem Küchentisch, eingehüllt in den Duft von Nudelsuppe, die gerade auf dem Herd kochte, von Thymian, Lorbeer, Koreander und siedender Milch, Knoblauch und natürlich Zwiebeln. Dass sich unter diesen Umständen der berühmte Klaps auf den Po erübrigte, versteht sich von selbst, wurde Tita doch schon weinend geboren, und dies vielleicht auch, weil sie ihr Orakel kannte, dass ihr in diesem Leben die Ehe verwehrt bleiben sollte. Nacha erzählte, Tita sei buchstäblich auf die Welt gespült worden, von einem unglaublichen Tränenfluss, der sich über den Tisch und den gesamten Küchenboden ergoss.“
Aus: Laura Esquivel, Bittersüße Schokolade, Suhrkamp Taschenbuch 2007

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Samstag, 16. Februar 2008

Die Sache mit der Literatur

Ich habe gerade zwei große Bücher zur Seite gelegt, ohne sie fertig zu lesen. Das eine ist das letzte Werk eines meiner absoluten Lieblingsautoren: „Bis ich dich finde“ von John Irving. Ich habe mich lustlos durch die ersten 280 von 1140 Seiten gequält und dann frustriert aufgegeben. Ich mochte zum ersten Mal Irvings Stil nicht, fand die Geschichte wenig schlüssig und der magische Sog, den ich bei früheren Büchern oft erlebt habe und der mich alles um mich herum vergessen ließ, blieb gänzlich aus.

Das zweite Buch ist Richard Powers „Der Klang der Zeit“. Ein hoch gelobter Autor mit einem hoch gelobten Werk. Powers Sprache ist wundervoll (so weit man das in der deutschen Übersetzung angemessen beurteilen kann), dicht und leicht zugleich. Die Wörter fließen dahin, eins am anderen, ohne dass es auch nur die leiseste Unterbrechung gibt, keine Stromschnellen, keine Strudel, nur gleichmäßig fließende Buchstaben. Zu schön, um mich auf mehr als zehn Seiten zu fesseln, zu kunstvoll, um mich mit den Figuren identifizieren und in die Geschichte eintauchen zu können. Nach 120 Seiten beschloss ich, den ebenfalls recht umfangreichen Wälzer vorerst nicht weiter zu lesen.

Ich habe jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn ich so eine Entscheidung treffe, besonders, wenn es sich um anspruchsvolle Literatur handelt. Ich weiß genau, was für Kraft es kostet, sich eine komplexe Geschichte auszudenken und was für eine fantastische Leistung es ist, sie nach allen Regeln der Kunst aufzuschreiben. Und ich denke immer, dass ich es den Autoren schuldig bin, ihre Arbeit angemessen zu würdigen, indem ich mir die Zeit nehme, ihre Geschichten bis zum letzten Buchstaben zu Ende zu lesen. Dazu kommt noch, dass ich die meisten dieser kunstvollen Romane geschenkt bekomme. Weil meine Freunde wissen, dass ich selber schreibe, glauben sie offenbar alle zunehmend, dass ich nur noch Bücher von Pulitzer- oder Bachmannpreisträgern lese. Also habe ich auch meinen Freunden gegenüber ein schlechtes Gewissen, weil ich ihre Geschenke so wenig würdige. Ständig fürchte ich, sie könnten mich fragen, wie mir denn ihr Geschenk gefallen habe. Es ist mir peinlich, dann gestehen zu müssen, dass ich es überhaupt noch nicht gelesen habe, weil ich das letzte halbe Jahr damit befasst war, mich durch andere Geschenke von anderen Freunden zu quälen.

Denn es gibt für mich ein doppeltes Problem beim Lesen. Erstens lese ich am liebsten richtig echte Schmöker oder Krimis, die jeweils solide, aber nicht kunstvoll geschrieben sein müssen. Je besser ein Roman bei Literaturkritikern ankommt, desto langweiliger finde ich ihn in der Regel. Zweitens lese ich unglaublich langsam, und das wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Ich weiß nicht, woran das liegt. Letztens kam mir der Gedanke, dass ich gerade sehr gut geschriebene Texte weniger inhaltlich als formal erfasse und einen Satz manchmal fünfmal lese, um seine Genialität zu erspüren. Das hat natürlich zur Folge, dass ich dem eigentlichen Handlungsverlauf nur begrenzt folgen kann und daher bald gelangweilt bin. Ob das wirklich der Grund ist, weiß ich nicht. Vielleicht liegt es auch ganz einfach nur daran, dass ich überwiegend abends im Bett lese, aber aus purer Faulheit länger vorm PC und Fernseher hocke als nötig und dann schlichtweg zu müde bin, um noch lange lesen zu können.

Wie auch immer – ich entschuldige mich an dieser Stelle in aller Form bei sämtlichen preisgekrönten Autoren sowie meinen lieben, guten Freunden dafür, dass ich sie so schäbig behandele und sowohl geniale Kreativität als auch gute Absichten nicht immer angemessen würdigen kann. Es tut mir Leid!

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Donnerstag, 14. Februar 2008

Freundschaft

Eine alte Klassenkameradin hat mich im Internet aufgegabelt. Wir hatten nie engeren Kontakt und haben uns kein einziges Mal außerhalb der Schule verabredet. Und doch erinnere ich mich sehr genau an sie. Und sie sich offenbar auch an mich. 25 Jahre lang haben wir nichts voneinander gehört. Nachdem sie meine erste Mail erhielt, schrieb sie zurück:
„Ich habe vor lauter Aufregung die halbe Nacht nicht geschlafen.“
Das hat mich sehr berührt. Wir werden offenbar doch alle ein wenig sentimentaler, je älter wir werden. Und die Welt wird immer kleiner. Denn es stellte sich heraus, dass jene ehemalige Schulkameradin eine wirklich enge Freundin von mir gut kennt. Wir hatten einige Jahre keinen Kontakt mehr, weil Missverständnisse und falsches Konkurrenzdenken uns auf Abstand gehen ließen. Nun hat diese gemeinsame Bekannte uns dazu gebracht, wieder in Kontakt zu treten. Die Mails fliegen nur so hin und her. In einer schrieb meine Freundin:
„Ich sah dich vor mir, eine attraktive, intelligente Frau, und dann sah ich all die Katastrophen, den Job, die Männer, die dich nicht glücklich machten. Ich wollte dich beschützen. Aber ich habe es wohl übertrieben und nicht nur den Drachen, sondern auch die Prinzessin erlegt.“
Ich musste sehr lachen, denn das ist typisch für diese Freundin. Was sie macht, das macht sie gründlich. Aber ich bin auch sehr bewegt und mir wird bewusst, wie kostbar alte Freundschaften doch sind. Es ist wirklich dumm, sie leichtfertig wegzuwerfen, nur, weil man mal ein paar kleine Differenzen hat. Dafür ist das Leben einfach zu kurz.

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Dienstag, 12. Februar 2008

Die großen Irrtümer

Ich stöbere mal wieder in altem Kram und finde einen Weihnachtsrundbrief meines Vaters, mit Schreibmaschine geschrieben und datiert auf den 31. Dezember 1973. In drei Vierteln des Briefes lässt er sich in sperriger, distanziert klingender Form über seine Arbeit aus. Dann folgt ein kleiner Absatz über die Familie. Zuerst heißt es da:
"Meine Frau hält mit viel Umsicht Haushalt und Kinder zusammen, sorgt stets für eine gute häusliche Atmosphäre und ist unentbehrlich beim Aufarbeiten all dessen, was sonst auf meinen Schreibtischen im Büro und zuhause liegen blieb."
Meine Güte. Solche Briefe hat meine Mutter unzensiert in die Post gegeben? Ich kann es kaum glauben. Wie sehr hat sich diese Gesellschaft doch in den letzten Jahrzehnten verändert. Am Schluss kommt dann der Satz, der mir besonders gut gefällt:
"Käthe freut sich auf ihren Schulanfang im neuen Jahr und spielt mit den kleinen Geschwistern oft in beneidenswerter Ausdauer Vater, Mutter und Kind. Früh übt sich..."
Selten ist wohl eine größere Fehleinschätzung meines späteren Lebens vorgenommen worden.

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Gestern und Heute

Erinnerungen wabern wie Nebel durch mein müdes Hirn. Immer mal wieder reißt der Vorhang auf und gibt den Blick frei auf das, was war und das, was sein wird. Die Vergangenheit ist so weit weg, dass meine Augen sie am Horizont kaum noch erkennen können. Und doch muss ich nur die Hand ausstrecken, und schon kann ich nach ihr greifen. Die Berührungen sind mal zärtlich-heiter, mal kraftvoll und schmerzhaft. Was habe ich doch schon alles erlebt in meinem Leben. Und was nicht. Manche Erinnerung möchte ich nie mehr loslassen und bei anderen zucke ich zurück wie vor heißem Feuer. Das alles ist mein Leben. Außer mir interessiert sich jedoch niemand dafür, auch das gehört dazu. Die eigenen Erinnerungen vermag man nur begrenzt mit anderen Menschen zu teilen, denn jeder hat seinen eigenen Blick auf das, was ist und das, was war.

Was ist? Was wird sein? Ich bin froh, dass ich es nicht weiß. Zwischen den Nebeln der Vergangenheit und dem Gestrüpp der Gegenwart kann ich nicht weit schauen, gerade ein paar Tage weit vielleicht, und genau genommen nicht mal das. Manchmal wünschte ich, ich würde meine Zukunft mit mehr Klarheit vor mir sehen, es würde mir leichter fallen, in dem Dickicht aus Gedanken, Gefühlen und Ereignissen den richtigen Weg zu erkennen. Aber ich bin keine gute Fährtenleserin. Und so irre ich mal hierhin und mal dahin, verweile ein wenig, genieße den Augenblick und spüre doch immer wieder deutlich, dass ich noch lange nicht angekommen bin, dass ich meinen Platz in diesem Leben noch nicht gefunden habe. Die Sehnsucht nagt täglich mehr an mir und fast zornig frage ich mich, wann ich endlich, endlich, endlich dieses Gefühl von Angekommensein, von Zuhause spüren werde.

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Danke und tschüss!
Übermorgen fliege ich in den Urlaub, und wenn ich zurückkehre,...
feinstrick - 15. Mai, 21:06
Hat ja geklappt :)
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steppenhund - 11. Feb, 22:02
Ja, ich erinnere mich...
Ja, ich erinnere mich gut daran. Ich mache mich mal...
feinstrick - 11. Feb, 20:08
Ich hab meine Statistik...
Ich hab meine Statistik ewig nicht angeschaut, aber...
feinstrick - 11. Feb, 20:08

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