Am Rande
Ich habe zurzeit beruflich viel mit Menschen zu tun, die von unserer Gesellschaft zum Abschaum der Nation erklärt worden sind und bestenfalls mit Häme, schlimmstenfalls mit Hass bedacht werden. Es sind Menschen, die immer am Rande stehen und dennoch ständig auffallen - weil sie zu schräg, zu fett, zu ungebildet, zu teuer sind. Sie liegen uns ehrlichen Steuerzahlern auf der Tasche und zocken den Staat ab, statt sich endlich mal an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ihrer selbst verschuldeten Misere zu ziehen. Andere schaffen es ja schließlich auch.
So oder ähnlich denken immer mehr Leute über Hartz IV-Empfänger. Die Medien leisten ihren Beitrag, indem sie Langzeitarbeitslose vor die Kamera zerren, die zeigen, wie bequem es ist, auf Staatskosten zu leben, statt sich für ein paar Euro krumm zu machen. Und unser Außenminister haut auch noch kräftig in die Kerbe und würde die Hartz IV-Bezüge am liebsten deutlich kürzen, damit die Leute endlich mal ihren fetten, faulen Hintern hochkriegen und sich nicht weiter aushalten lassen (genau so hat er das natürlich nicht gesagt, aber vielleicht gedacht).
Ich habe nun, wie gesagt, viel mit diesem Abschaum der Gesellschaft zu tun, den faulen Abzockern, den Arbeitsscheuen, den Asozialen. Stimmt, viele dieser Leute erfüllen alle Klischees, die so in unseren Köpfen rumgeistern. Sie sind träge, aggressiv, ungebildet. Mal ist es die billig zurecht gemachte Friseuse, mal der türkische Macho, der aussieht, als sei er einem Modekatalog entsprungen, aber kaum seinen Namen richtig schreiben kann. Einige sind sehr gebildet und man merkt, dass sie einst viel, viel bessere Zeiten gesehen haben. Sie sind entweder übertrieben gestylt oder aber sie sehen auf hundert Meter Entfernung arm aus. Sie haben gammelige Zähne und schlecht sitzende Frisuren. Manche von ihnen riechen nicht gut. Manche sind sehr aggressiv. Andere scheinen unter einem fast krankhaften Redezwang zu leiden. Manche sind unhöflich und unverschämt. Andere schüchtern und ängstlich.
Auf der Straße würde ich um viele von ihnen einen großen Bogen machen. Aber je länger ich mit ihnen arbeite, desto mehr berühren mich ihre Geschichten, ihre verzweifelten Versuche um Anerkennung, das hilflose Bemühen, auch ein Stückchen vom Kuchen abzubekommen. Viele von ihnen haben Schicksalsschläge erlitten, an denen andere zerbrechen würden. Sie erfahren immer wieder Ablehnung und geben dennoch nicht auf. Sie sind bereit, jeden Job anzunehmen (wirklich JEDEN), nur, um nicht länger vom Staat abhängig sein zu müssen. Sie werden von skrupellosen Zeitarbeitsfirmen ausgebeutet, um ihren Lohn geprellt und wie Dreck behandelt. Ihre Ansprechpartner bei der ARGE machen sich nicht die Mühe, ihnen wirklich zuzuhören, auf ihre Wünsche und Bedürfnisse einzugehen. Sie dürfen nämlich keine Wünsche haben. Schließlich leben sie auf Staatskosten. Das macht sie automatisch zu rechtlosen Wesen, die wie Kriminelle behandelt werden.
Je länger ich mit diesen Menschen arbeite, desto mehr steigt meine Wut auf einen Staat, der es zulässt, Millionen Bürger zu stigmatisieren, wie Aussatz zu behandeln. Sie werden in "Maßnahmen" gesteckt, die selten wirkungsvoll und zielgerichtet sind, dafür aber die Statistiken beschönigen. Man tut so, als sei es ihre Schuld, dass sie keine Arbeit finden, nur um nicht zugeben zu müssen, dass auf dem deutschen Arbeitsmarkt für Menschen mit wenig Bildung oder sehr krummen Lebensläufen einfach kein Platz mehr ist. Weil uns die Ideen und der Mut fehlen, wie wir nachhaltige Arbeitsplätze auch und gerade für diese Zielgruppen schaffen können, schieben wir ihnen einfach den Schwarzen Peter zu. Das ist ja viel praktischer. Dabei werden viele von ihnen nie wieder in ihrem Leben eine angemessene Arbeit finden, so sehr sie sich auch darum bemühen.
Ich wage nicht, ihnen das zu sagen. Vielmehr mache ich ihnen Mut, bemühe mich, ihnen wenigsten ein bisschen Selbstachtung und Hoffnung zurückzugeben. Wie gut ihnen das tut, merke ich schnell. Innerhalb weniger Tage verwandeln sie sich von abwehrenden, frustrierten Wesen in Menschen, die mir sehr offen von ihrem steten Scheitern erzählen und voller Sehnsucht ihre geheimsten Träume aussprechen.
"Endlich behandelt uns mal jemand wie Menschen", sagen sie dankbar, und ich bin schockiert darüber, dass das sonst offenbar nicht der Fall ist.
"Warum will mich denn keiner haben?" fragen sie verzweifelt, und ich habe darauf auch keine Antworten.
"Vielen Dank dafür, dass Sie sich so viel Zeit genommen haben. Ich habe selten so viel gelernt wie in den letzten Tagen", sagt ein Mann, der eine lange Drogen- und Gefängniskarriere hinter sich hat und am ersten Tag beinah aus dem Projekt wieder rausgeflogen wäre, weil er meinen Kollegen sehr aggressiv anging. Ich habe ihm zugehört und ihn ernst genommen, das war alles.
"Sie dürfen das nicht persönlich nehmen", entschuldigt sich ein junger Mann, der anfangs auch sehr deutlich seinen Unmut zu verstehen gab. "Aber ich bin einfach so wütend darüber, dass ich keine Lehrstelle finde." Und dann fängt er fast an zu weinen, als er erzählt, wie sehr ihn der Tod seines Vaters verstört hat und wie enttäuscht er darüber ist, dass ihn niemand auf dem Arbeitsmarkt haben will.
Und dann werde ich nicht nur wütend auf unsere merkwürdige Arbeitsmarktpolitik, sondern auch auf die Unfähigkeit unserer Gesellschaft, passende Bildungsangebote für alle zu schaffen. Die Mehrheit der Hartz IV-Empfänger möchte gerne arbeiten. Doch vielen wird diese Chance bereits in der Schule genommen. Gewiss, es wird sie immer geben, die Faulen, die Unwilligen, die modernen Tagelöhner, die es nie länger als ein paar Wochen im selben Job aushalten. Aber sie sind eine Minderheit. Die Mehrheit von ihnen hingegen meistert mit Bravour ein Leben, das kaum jemand der normal arbeitenden Bevölkerung auch nur eine Woche aushalten würde. Wir alle würden an diesen ständigen Demütigungen, Zwangsmaßnahmen und Zurückweisungen zugrunde gehen. Diese Menschen jedoch ertragen sie viele Jahre, manchmal sogar ein Leben lang. Dass sie dabei gelegentlich auch mal aufgeben und sich hängen lassen, dass sie mutlos und schwerfällig, lethargisch und frustriert, aggressiv und zornig werden - wer kann ihnen das verdenken? Schließlich sind auch sie nur Menschen und keine leblosen Statistikzahlen oder fleischgewordene Nummern einer Behörde, die zwar Namen wie "Arbeitsagentur" oder "Jobcenter" trägt, jedoch alles mögliche zu bieten hat, nur keine Jobs.
So oder ähnlich denken immer mehr Leute über Hartz IV-Empfänger. Die Medien leisten ihren Beitrag, indem sie Langzeitarbeitslose vor die Kamera zerren, die zeigen, wie bequem es ist, auf Staatskosten zu leben, statt sich für ein paar Euro krumm zu machen. Und unser Außenminister haut auch noch kräftig in die Kerbe und würde die Hartz IV-Bezüge am liebsten deutlich kürzen, damit die Leute endlich mal ihren fetten, faulen Hintern hochkriegen und sich nicht weiter aushalten lassen (genau so hat er das natürlich nicht gesagt, aber vielleicht gedacht).
Ich habe nun, wie gesagt, viel mit diesem Abschaum der Gesellschaft zu tun, den faulen Abzockern, den Arbeitsscheuen, den Asozialen. Stimmt, viele dieser Leute erfüllen alle Klischees, die so in unseren Köpfen rumgeistern. Sie sind träge, aggressiv, ungebildet. Mal ist es die billig zurecht gemachte Friseuse, mal der türkische Macho, der aussieht, als sei er einem Modekatalog entsprungen, aber kaum seinen Namen richtig schreiben kann. Einige sind sehr gebildet und man merkt, dass sie einst viel, viel bessere Zeiten gesehen haben. Sie sind entweder übertrieben gestylt oder aber sie sehen auf hundert Meter Entfernung arm aus. Sie haben gammelige Zähne und schlecht sitzende Frisuren. Manche von ihnen riechen nicht gut. Manche sind sehr aggressiv. Andere scheinen unter einem fast krankhaften Redezwang zu leiden. Manche sind unhöflich und unverschämt. Andere schüchtern und ängstlich.
Auf der Straße würde ich um viele von ihnen einen großen Bogen machen. Aber je länger ich mit ihnen arbeite, desto mehr berühren mich ihre Geschichten, ihre verzweifelten Versuche um Anerkennung, das hilflose Bemühen, auch ein Stückchen vom Kuchen abzubekommen. Viele von ihnen haben Schicksalsschläge erlitten, an denen andere zerbrechen würden. Sie erfahren immer wieder Ablehnung und geben dennoch nicht auf. Sie sind bereit, jeden Job anzunehmen (wirklich JEDEN), nur, um nicht länger vom Staat abhängig sein zu müssen. Sie werden von skrupellosen Zeitarbeitsfirmen ausgebeutet, um ihren Lohn geprellt und wie Dreck behandelt. Ihre Ansprechpartner bei der ARGE machen sich nicht die Mühe, ihnen wirklich zuzuhören, auf ihre Wünsche und Bedürfnisse einzugehen. Sie dürfen nämlich keine Wünsche haben. Schließlich leben sie auf Staatskosten. Das macht sie automatisch zu rechtlosen Wesen, die wie Kriminelle behandelt werden.
Je länger ich mit diesen Menschen arbeite, desto mehr steigt meine Wut auf einen Staat, der es zulässt, Millionen Bürger zu stigmatisieren, wie Aussatz zu behandeln. Sie werden in "Maßnahmen" gesteckt, die selten wirkungsvoll und zielgerichtet sind, dafür aber die Statistiken beschönigen. Man tut so, als sei es ihre Schuld, dass sie keine Arbeit finden, nur um nicht zugeben zu müssen, dass auf dem deutschen Arbeitsmarkt für Menschen mit wenig Bildung oder sehr krummen Lebensläufen einfach kein Platz mehr ist. Weil uns die Ideen und der Mut fehlen, wie wir nachhaltige Arbeitsplätze auch und gerade für diese Zielgruppen schaffen können, schieben wir ihnen einfach den Schwarzen Peter zu. Das ist ja viel praktischer. Dabei werden viele von ihnen nie wieder in ihrem Leben eine angemessene Arbeit finden, so sehr sie sich auch darum bemühen.
Ich wage nicht, ihnen das zu sagen. Vielmehr mache ich ihnen Mut, bemühe mich, ihnen wenigsten ein bisschen Selbstachtung und Hoffnung zurückzugeben. Wie gut ihnen das tut, merke ich schnell. Innerhalb weniger Tage verwandeln sie sich von abwehrenden, frustrierten Wesen in Menschen, die mir sehr offen von ihrem steten Scheitern erzählen und voller Sehnsucht ihre geheimsten Träume aussprechen.
"Endlich behandelt uns mal jemand wie Menschen", sagen sie dankbar, und ich bin schockiert darüber, dass das sonst offenbar nicht der Fall ist.
"Warum will mich denn keiner haben?" fragen sie verzweifelt, und ich habe darauf auch keine Antworten.
"Vielen Dank dafür, dass Sie sich so viel Zeit genommen haben. Ich habe selten so viel gelernt wie in den letzten Tagen", sagt ein Mann, der eine lange Drogen- und Gefängniskarriere hinter sich hat und am ersten Tag beinah aus dem Projekt wieder rausgeflogen wäre, weil er meinen Kollegen sehr aggressiv anging. Ich habe ihm zugehört und ihn ernst genommen, das war alles.
"Sie dürfen das nicht persönlich nehmen", entschuldigt sich ein junger Mann, der anfangs auch sehr deutlich seinen Unmut zu verstehen gab. "Aber ich bin einfach so wütend darüber, dass ich keine Lehrstelle finde." Und dann fängt er fast an zu weinen, als er erzählt, wie sehr ihn der Tod seines Vaters verstört hat und wie enttäuscht er darüber ist, dass ihn niemand auf dem Arbeitsmarkt haben will.
Und dann werde ich nicht nur wütend auf unsere merkwürdige Arbeitsmarktpolitik, sondern auch auf die Unfähigkeit unserer Gesellschaft, passende Bildungsangebote für alle zu schaffen. Die Mehrheit der Hartz IV-Empfänger möchte gerne arbeiten. Doch vielen wird diese Chance bereits in der Schule genommen. Gewiss, es wird sie immer geben, die Faulen, die Unwilligen, die modernen Tagelöhner, die es nie länger als ein paar Wochen im selben Job aushalten. Aber sie sind eine Minderheit. Die Mehrheit von ihnen hingegen meistert mit Bravour ein Leben, das kaum jemand der normal arbeitenden Bevölkerung auch nur eine Woche aushalten würde. Wir alle würden an diesen ständigen Demütigungen, Zwangsmaßnahmen und Zurückweisungen zugrunde gehen. Diese Menschen jedoch ertragen sie viele Jahre, manchmal sogar ein Leben lang. Dass sie dabei gelegentlich auch mal aufgeben und sich hängen lassen, dass sie mutlos und schwerfällig, lethargisch und frustriert, aggressiv und zornig werden - wer kann ihnen das verdenken? Schließlich sind auch sie nur Menschen und keine leblosen Statistikzahlen oder fleischgewordene Nummern einer Behörde, die zwar Namen wie "Arbeitsagentur" oder "Jobcenter" trägt, jedoch alles mögliche zu bieten hat, nur keine Jobs.
Arbeitszimmer - feinstrick - 25. Mai, 08:09
13 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
Bm. (Gast) - 25. Mai, 09:48
Danke!!! Aber die angst etwas zu verändern ( von unten ) Ist teielweise Schon sehr groß...( Zwangsmasnahme,Sperre )
jedesmal wenn ich mit meinen 1 euro job Kollegen,über diese probleme rede,Sprechen alle sofort ganz leise...Bloß nicht offene Kritik,man könnte Ärger bekommen und das in einer Demokratie. Verdamt alle Verngesteuert... peace love and freedom...für jeden! Bm.
jedesmal wenn ich mit meinen 1 euro job Kollegen,über diese probleme rede,Sprechen alle sofort ganz leise...Bloß nicht offene Kritik,man könnte Ärger bekommen und das in einer Demokratie. Verdamt alle Verngesteuert... peace love and freedom...für jeden! Bm.
feinstrick - 25. Mai, 12:16
Ich weiß, dass die Angst bei vielen sehr groß ist. Seit unser "Sozialstaat" die Sozialhilfe ans Arbeitslosengeld gekoppelt hat und nur noch Geld rausrückt, wenn die Leute brav machen, was von ihnen erwartet wird, bangen viele darum, dass ihnen die Bezüge gestrichen werden und sie dann erst recht vor die Hunde gehen.
Bewegen können daher nur die weiter oben etwas. Indem sie z. B. nicht mehr jeden Mist nachplappern, der in den Medien rumgeistert. Indem sie diese ungerechte Politik abmahnen. Und indem sie auf die Straße gehen und sich solidarisch mit einer Minderheit zeigen, zu der jede und jeder Einzelne von uns auch jederzeit gehören könnte (was ja immer gerne vergessen wird).
Bewegen können daher nur die weiter oben etwas. Indem sie z. B. nicht mehr jeden Mist nachplappern, der in den Medien rumgeistert. Indem sie diese ungerechte Politik abmahnen. Und indem sie auf die Straße gehen und sich solidarisch mit einer Minderheit zeigen, zu der jede und jeder Einzelne von uns auch jederzeit gehören könnte (was ja immer gerne vergessen wird).
wasserfrau - 25. Mai, 13:50
Die Gesellschaft, die diese Armut produziert, kann wohl kaum den Armen vorwerfen, dass sie arm aussehen...
feinstrick - 25. Mai, 13:58
Genau das tut sie aber.
phyllis - 25. Mai, 23:38
Das haben Sie gut und behutsam und voller Respekt dargestellt. Ich arbeite selbst seit langer Zeit im Bildungsbereich, viel auch mit jungen Menschen mit Migrationsgeschichte - für diese Jungen gibt es durchaus Angebote in Deutschland. Für jene, die Sie beschreiben, die schon Jahre mit Frustration leben müssen, sieht die Lage viel schlechter aus. Dennoch: Um nicht gänzlich darauf zu bauen, dass Politiker umdenken (...!), wäre es schon sehr hilfreich, wenn über die Medien nicht immer nur Misere und Häme verbreitet würde. Warum kann man nicht auch kleine Erfolgsgeschichten zu Nachrichten machen? Warum wird gesellschaftliche Solidarität so wenig thematisiert? Menschen aufhetzen und gegeneinander ausspielen bringt mehr Stimmen, Leser und Zuschauer... oder? Ich bin immer wieder bestürzt, mit wie vielen Nachrichten über Unfälle, Katastropen und Pannen wir uns füttern lassen. Man kann sich einfach mal vorstellen, wie es wäre, wenn stattdessen jeden Tag fünf Minuten der Tagesschau mit interessanten, Mut machenden Nachrichten von der Schattenseite unserer so genannten Wohlstandsgesellschaft gefüllt würden.
feinstrick - 26. Mai, 10:41
Danke für diese tollen Ergänzungen!
Theoretisch gibt es Unterstützung für alle. Doch die ist, wie gesagt, selten zielgerichtet. Das fängt schon damit an, dass die Leute diesen Maßnahmen scheinbar sehr willkürlich zugeteilt werden. Manche werden alle paar Wochen irgendwohin geschickt, andere nie. Immer wieder höre ich, dass viele Bildungsträger nicht ernsthaft mit den Leuten arbeiten. Sie sacken das Geld vom Staat ein, und das war's. Mit den blöden Arbeitslosen kann man's ja machen. Kontrollen finden zwar statt, sind aber so oberflächlich, dass es ein Leichtes ist, sie zu bestehen.
Die Medien sind ein riesengroßes Problem, das finde ich auch. Was interessiert mich ein Flugzeugabsturz in Indien, wenn direkt vor meiner Haustür Menschen im Müll wühlen? Warum erfahre ich viel zu wenig darüber, wie es dazu gekommen ist, dass sich täglich mehr Menschen bei kostenlosen Essensausgaben für eine warme Mahlzeit anstellen? Dass die Gewalt in unserer Gesellschaft immer mehr zunimmt? Dass immer weniger junge Leute eine gute Bildung erhalten? Ich vermute, weil die Antworten viel komplexer sind als bei einem simplen Flugzeugabsturz. Und weil sie unbequem sind und weh tun. Je mehr sich unser Sozialstaat von dem Wort "sozial" verabschiedet, desto mehr tut das auch die Bevölkerung. Aus Angst, eines Tages selbst im Elend zu hocken, verdrängen wir und machen die Augen zu vor dem, was vor unserer Haustür stattfindet. Diese blöden Hartz IV-Leute sind ja selbst schuld. Wer arbeiten will, findet auch Arbeit. Selbst nach der Finanzkrise sind doch die Arbeitslosenzahlen nicht in den Keller gegangen. Geht doch. Usw. usf. ...
Als alle Welt sich mit der Schweinegrippe befasste, gab es täglich Meldungen über neue Infizierte und Tote. Ich dachte damals: Was wäre wohl, wenn sie mal anfangen würden, jeden neuen Hartz IV-Empfänger namentlich zu nennen? Oder - viel besser! - das Ganze mal ins Positive kehren würden: Was wäre, wenn jeder namentlich genannt würde, der einen neuen Job gefunden hat? Was wäre, wenn täglich in der Tagesschau ein Projekt vorgestellt würde, das hilfsbedürftige Menschen unterstützt, und sei es noch so klein? Was wäre, wenn all die Menschen genannt und gezeigt würden, die teilen, die solidarisch sind, die hinschauen und helfen. Die gibt es nämlich auch! Das hätte doch viel mehr Vorbildfunktion, als haarklein zu berichten, wie Kinderschänder und Mörder mit ihren Opfern umgegangen sind.
Theoretisch gibt es Unterstützung für alle. Doch die ist, wie gesagt, selten zielgerichtet. Das fängt schon damit an, dass die Leute diesen Maßnahmen scheinbar sehr willkürlich zugeteilt werden. Manche werden alle paar Wochen irgendwohin geschickt, andere nie. Immer wieder höre ich, dass viele Bildungsträger nicht ernsthaft mit den Leuten arbeiten. Sie sacken das Geld vom Staat ein, und das war's. Mit den blöden Arbeitslosen kann man's ja machen. Kontrollen finden zwar statt, sind aber so oberflächlich, dass es ein Leichtes ist, sie zu bestehen.
Die Medien sind ein riesengroßes Problem, das finde ich auch. Was interessiert mich ein Flugzeugabsturz in Indien, wenn direkt vor meiner Haustür Menschen im Müll wühlen? Warum erfahre ich viel zu wenig darüber, wie es dazu gekommen ist, dass sich täglich mehr Menschen bei kostenlosen Essensausgaben für eine warme Mahlzeit anstellen? Dass die Gewalt in unserer Gesellschaft immer mehr zunimmt? Dass immer weniger junge Leute eine gute Bildung erhalten? Ich vermute, weil die Antworten viel komplexer sind als bei einem simplen Flugzeugabsturz. Und weil sie unbequem sind und weh tun. Je mehr sich unser Sozialstaat von dem Wort "sozial" verabschiedet, desto mehr tut das auch die Bevölkerung. Aus Angst, eines Tages selbst im Elend zu hocken, verdrängen wir und machen die Augen zu vor dem, was vor unserer Haustür stattfindet. Diese blöden Hartz IV-Leute sind ja selbst schuld. Wer arbeiten will, findet auch Arbeit. Selbst nach der Finanzkrise sind doch die Arbeitslosenzahlen nicht in den Keller gegangen. Geht doch. Usw. usf. ...
Als alle Welt sich mit der Schweinegrippe befasste, gab es täglich Meldungen über neue Infizierte und Tote. Ich dachte damals: Was wäre wohl, wenn sie mal anfangen würden, jeden neuen Hartz IV-Empfänger namentlich zu nennen? Oder - viel besser! - das Ganze mal ins Positive kehren würden: Was wäre, wenn jeder namentlich genannt würde, der einen neuen Job gefunden hat? Was wäre, wenn täglich in der Tagesschau ein Projekt vorgestellt würde, das hilfsbedürftige Menschen unterstützt, und sei es noch so klein? Was wäre, wenn all die Menschen genannt und gezeigt würden, die teilen, die solidarisch sind, die hinschauen und helfen. Die gibt es nämlich auch! Das hätte doch viel mehr Vorbildfunktion, als haarklein zu berichten, wie Kinderschänder und Mörder mit ihren Opfern umgegangen sind.
momoseven - 28. Mai, 01:07
Danke für diesen Beitrag.
Ich beziehe selbst Hartz4 und bin seit 5 Monaten in einer 1.50 Massnahme beschäftigt. Dort gibt man mir inzwischen auch etwas komplexere Arbeiten, und so habe ich kürzlich den Jahresbericht der Einrichtung korrekturlesen dürfen.
Die Statistiken sind wirklich erschreckend. So viele Menschen sind aus ihren, z.T. guten, langjährigen Arbeitsstellen herausgefallen und ganz oft waren die Gründe (neben Krankheit) Angst und Depression.
Ich glaube, immer mehr Menschen, die diesem gnadenlosen Arbeitsmarkt nicht mehr gewachsen sind, reagieren auf diese Weise, und anstatt nun das Berufsleben zu verändern, z.B. die Arbeitgeber dazuzubringen, ein besseres Arbeitsklima zu schaffen, zufriedenere, weniger gestresste, mobbende und gemobbte Arbeiter sich als Ziel zu setzen, den Menschen selbst beizubringen, wie man sich z.B. besser entspannen kann, wie man konstruktiver mit Konflikten umgeht etc, was dazu führen kann, daß die Menschen langfristig besser mit Stress umgehen können, aber auch lieber arbeiten, werden die Menschen abgeschoben, und zwar auf ein Gleis, von wo es wirklich schwer ist, wieder runterzukommen, weil man wie gebrandmarkt ist. Es werden immer mehr Menschen werden, die nicht klarkommen mit dem Arbeitsalltag, es wird keine Randgruppe bleiben, sondern irgendwann ein Massenphenomen.
Wichtig und gut finde ich es dann, daß Menschen einen klaren und vor allem menschlichen Blick behalten. Und auch darüber sprechen, so wie Sie!
:-)
Ich beziehe selbst Hartz4 und bin seit 5 Monaten in einer 1.50 Massnahme beschäftigt. Dort gibt man mir inzwischen auch etwas komplexere Arbeiten, und so habe ich kürzlich den Jahresbericht der Einrichtung korrekturlesen dürfen.
Die Statistiken sind wirklich erschreckend. So viele Menschen sind aus ihren, z.T. guten, langjährigen Arbeitsstellen herausgefallen und ganz oft waren die Gründe (neben Krankheit) Angst und Depression.
Ich glaube, immer mehr Menschen, die diesem gnadenlosen Arbeitsmarkt nicht mehr gewachsen sind, reagieren auf diese Weise, und anstatt nun das Berufsleben zu verändern, z.B. die Arbeitgeber dazuzubringen, ein besseres Arbeitsklima zu schaffen, zufriedenere, weniger gestresste, mobbende und gemobbte Arbeiter sich als Ziel zu setzen, den Menschen selbst beizubringen, wie man sich z.B. besser entspannen kann, wie man konstruktiver mit Konflikten umgeht etc, was dazu führen kann, daß die Menschen langfristig besser mit Stress umgehen können, aber auch lieber arbeiten, werden die Menschen abgeschoben, und zwar auf ein Gleis, von wo es wirklich schwer ist, wieder runterzukommen, weil man wie gebrandmarkt ist. Es werden immer mehr Menschen werden, die nicht klarkommen mit dem Arbeitsalltag, es wird keine Randgruppe bleiben, sondern irgendwann ein Massenphenomen.
Wichtig und gut finde ich es dann, daß Menschen einen klaren und vor allem menschlichen Blick behalten. Und auch darüber sprechen, so wie Sie!
:-)
feinstrick - 28. Mai, 10:01
Da sprechen Sie noch mal einen ganz anderen Aspekt an: den Leistungsdruck, dem immer weniger Menschen gewachsen sind. Was ich daran immer so absurd finde: Es gibt kaum jemanden, der nicht über diesen immer stärker werdenden Druck klagt. Aber niemand wagt, etwas dagegen zu unternehmen. Auch Leute nicht, die Positionen inne haben, auf denen das durchaus möglich wäre. Keiner will sich vor den anderen eine Blöße geben, will als Weichei dastehen, als Versager, der besser einem Jüngeren, Stärkeren Platz machen sollte. Auf diese Weise richten sich viele selbst zu Grunde.
momoseven - 28. Mai, 10:16
Leider. Viele, die einen Job haben, haben Angst, diesen zu verlieren, auch, weil es an jeder Ecke extrem arbeitswillige Menschen gibt, die zu (fast) jeden Bedingungen arbeiten.
Man muss ja dankbar sein, daß man überhaupt noch etwas bekommt, und auch wenn man einen 1.50 Job bekommt, muss man froh sein, daß man wenigstens als "arbeitswilliger Hartz 4 ler" dasteht.
Ich habe in meiner Massnahme mit meinen Vorgesetzten noch Glück, die sind richtig nett, und kollegial und erwarten von uns auch nicht, daß wir ihnen die Füsse küssen, aber so viele trauen sich kaum, im Umgang mit der ARGE z.B. mal Kritik zu üben, aus Angst, daß die Bezüge gestrichen werden.
Man muss ja dankbar sein, daß man überhaupt noch etwas bekommt, und auch wenn man einen 1.50 Job bekommt, muss man froh sein, daß man wenigstens als "arbeitswilliger Hartz 4 ler" dasteht.
Ich habe in meiner Massnahme mit meinen Vorgesetzten noch Glück, die sind richtig nett, und kollegial und erwarten von uns auch nicht, daß wir ihnen die Füsse küssen, aber so viele trauen sich kaum, im Umgang mit der ARGE z.B. mal Kritik zu üben, aus Angst, daß die Bezüge gestrichen werden.
rosmarin - 30. Mai, 02:17
interessant, wie sich hierzulande die sprache verändert. von der demokratie hin zur leibeigenschaft...
feinstrick - 30. Mai, 19:18
Stimmt. Sprache prägt das Bewusstsein. Oder wie war das noch?
Andreas (Gast) - 28. Jun, 22:59
Freiheit von Arbeit
Vieles, was Sie ansprechen, lässt sich auf den Wunsch, ja, das Bedürfnis zurückführen, wertgeschätzt zu werden -- und zwar als Mensch.
Die Verzweiflung und die Wut darüber, ständig Ablehnung zu erfahren, sei das konkret, wenn es um die Vermittlung an eine Arbeitsstelle geht oder bereits in der Anerkennung als Person, sind Ausdruck genau dieser Erfahrung.
Allerdings greifen Sie mir zu kurz, wenn Sie nicht hinterfragen, wie inhuman eine Gesellschaft überhaupt bereits geworden sein muss, wenn sich der Wert eines Menschen über seine Erwerbstätigkeit definiert.
Leider erweckt der Text den Eindruck, das Ziel sei die Vollbeschäftigung, damit sich diese Situation bessere.
Doch wir müssen endlich begreifen, daß nicht nur einige der hier beschriebenen Menschen "nie wieder in ihrem Leben eine angemessene Arbeit finden, so sehr sie sich auch darum bemühen", sondern in naher Zukunft eine große Mehrheit.
Wir bewegen uns auf die 80-20-Gesellschaft zu und es wird höchste Zeit, die Bestimmung des "Wertes" eines Menschen aufgrund seiner Erwerbstätigkeit hinter uns zu lassen.
Dies ist nicht nur unwürdig, sondern auch lächerlich.
Arbeit -- im Sinne einer ungeliebten, zum Überleben notwendigen Tätigkeit -- war, wenn wir einmal in den christlichen Glauben blicken, nichts anderes als eine Strafe. Nicht-Arbeit wäre dann doch die Erlösung.
Wie viele Menschen wünschen sich, nie wieder arbeiten gehen zu müssen? Die meisten Lottospieler vermutlich.
Tatsächlich bewegen wir uns auf diesen "paradiesischen" Zustand (ich verweise nur aus Gründen der Bildhaftigkeit auf die Religion, nicht weil ich mich damit identifizierte) zu, in dem die meisten eigentlich nicht mehr arbeiten müssten.
Viele monotone, menschenunwürdige Tätigkeiten erledigen bereits Maschinen für uns und werden zukünftig noch viel mehr übernehmen können.
Nicht mehr an Erwerbsarbeit gefesselt zu sein, muss endlich als Befreiung begriffen werden und nicht als Elend.
Die gewonnene Freiheit und Freizeit könnte mit so viel nützlicherem gefüllt werden. Den eigenen Interessen folgen. Dem, was man heute eher mitleidig als "Hobby" bezeichnet, nacheifern. Sich austauschen. Eben all das tun, wonach einem ist.
All die ehrenamtlichen Tätigkeiten, die Menschen bereits heute ausführen, weil diese ihnen am Herzen liegen, könnten vollständig erblühen.
Natürlich klingt das utopisch und natürlich sehe ich all die riesigen Hindernisse, allen voran die Frage: wovon denn dann leben?
Ich verweise, da dieser Kommentar eher ein "Stimmungs- denn ein Faktenplädoyer" ist, bspw. auf Gedanken wie das bedingungslose Grundeinkommen.
Wichtig ist mir mit meinem kleinen Text hier aber vor allem auch denjenigen, die ohne Erwerbsarbeit dastehen, Mut zuzusprechen. Sie sind nicht der Abschaum. Sie sind nicht nichts wert. Sie sind genauso viel wert wie alle Menschen. Sie sind vielleicht sogar in ihrer (theoretischen, klar) Freiheit von Arbeit ein utopisches Idealbild des Menschen.
Die Verzweiflung und die Wut darüber, ständig Ablehnung zu erfahren, sei das konkret, wenn es um die Vermittlung an eine Arbeitsstelle geht oder bereits in der Anerkennung als Person, sind Ausdruck genau dieser Erfahrung.
Allerdings greifen Sie mir zu kurz, wenn Sie nicht hinterfragen, wie inhuman eine Gesellschaft überhaupt bereits geworden sein muss, wenn sich der Wert eines Menschen über seine Erwerbstätigkeit definiert.
Leider erweckt der Text den Eindruck, das Ziel sei die Vollbeschäftigung, damit sich diese Situation bessere.
Doch wir müssen endlich begreifen, daß nicht nur einige der hier beschriebenen Menschen "nie wieder in ihrem Leben eine angemessene Arbeit finden, so sehr sie sich auch darum bemühen", sondern in naher Zukunft eine große Mehrheit.
Wir bewegen uns auf die 80-20-Gesellschaft zu und es wird höchste Zeit, die Bestimmung des "Wertes" eines Menschen aufgrund seiner Erwerbstätigkeit hinter uns zu lassen.
Dies ist nicht nur unwürdig, sondern auch lächerlich.
Arbeit -- im Sinne einer ungeliebten, zum Überleben notwendigen Tätigkeit -- war, wenn wir einmal in den christlichen Glauben blicken, nichts anderes als eine Strafe. Nicht-Arbeit wäre dann doch die Erlösung.
Wie viele Menschen wünschen sich, nie wieder arbeiten gehen zu müssen? Die meisten Lottospieler vermutlich.
Tatsächlich bewegen wir uns auf diesen "paradiesischen" Zustand (ich verweise nur aus Gründen der Bildhaftigkeit auf die Religion, nicht weil ich mich damit identifizierte) zu, in dem die meisten eigentlich nicht mehr arbeiten müssten.
Viele monotone, menschenunwürdige Tätigkeiten erledigen bereits Maschinen für uns und werden zukünftig noch viel mehr übernehmen können.
Nicht mehr an Erwerbsarbeit gefesselt zu sein, muss endlich als Befreiung begriffen werden und nicht als Elend.
Die gewonnene Freiheit und Freizeit könnte mit so viel nützlicherem gefüllt werden. Den eigenen Interessen folgen. Dem, was man heute eher mitleidig als "Hobby" bezeichnet, nacheifern. Sich austauschen. Eben all das tun, wonach einem ist.
All die ehrenamtlichen Tätigkeiten, die Menschen bereits heute ausführen, weil diese ihnen am Herzen liegen, könnten vollständig erblühen.
Natürlich klingt das utopisch und natürlich sehe ich all die riesigen Hindernisse, allen voran die Frage: wovon denn dann leben?
Ich verweise, da dieser Kommentar eher ein "Stimmungs- denn ein Faktenplädoyer" ist, bspw. auf Gedanken wie das bedingungslose Grundeinkommen.
Wichtig ist mir mit meinem kleinen Text hier aber vor allem auch denjenigen, die ohne Erwerbsarbeit dastehen, Mut zuzusprechen. Sie sind nicht der Abschaum. Sie sind nicht nichts wert. Sie sind genauso viel wert wie alle Menschen. Sie sind vielleicht sogar in ihrer (theoretischen, klar) Freiheit von Arbeit ein utopisches Idealbild des Menschen.
feinstrick - 29. Jun, 20:54
Danke für diese ausführlichen Ergänzungen. Meine Blogtexte spiegeln momentane und sehr persönliche Gedanken und Stimmungen von mir wider, ganz spontan und niemals mit dem Anspruch, ein Thema vollständig zu durchleuchten. Das würde den Rahmen dieses Blogs sprengen. Dass es zum Thema Arbeit viel, viel mehr zu sagen gäbe, ist klar. Hier ging es aber vor allem um die Schieflage, die in unserer Gesellschaft in den letzten Jahren im Zusammenhang mit den Hartz IV-Regelungen entstanden ist. Dass Arbeitslose sich selbst dabei eher seltener als (utopisches) Idealbild des Menschen sehen werden, dürfte allerdings auf der Hand liegen.
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