Freitag, 27. März 2009

Weggabelung

Ich stehe vor einer großen Entscheidung. Völlig überraschend ist mir ein interessanter, anspruchsvoller Job angeboten worden. Er würde Sicherheit bedeuten, regelmäßige Einkünfte, klar geregelte Tagesabläufe. Und er wäre ein sehr gutes Karrieresprungbrett. Auf den ersten Blick würde er mir alles bieten, wovon ich jahrelang geträumt habe (abgesehen von einem ordentlichen Gehalt, denn die Bezahlung ist eher schlecht).

Allerdings würde dieser Job auch das Ende des Lebens bedeuten, das ich jetzt führe, das ich mir in winzigkleinen Schritten seit Monaten aufbaue. Jetzt arbeite ich selbstständig, teile mir meine Zeit ganz frei ein, setze meine eigenen Ideen um, ohne Zwänge, ohne Vorgesetzte, die mich ausbremsen. Ich tobe mich kreativ total aus und mache endlich lauter Dinge, die ich mein Leben lang machen wollte. Allerdings habe ich große Existenzängste, die von Monat zu Monat stärker werden, da ich ausgesprochen schlecht in der Kundenakquise bin. Ich glaube jedoch, dass das alles eine Frage der Übung ist – und der Zeit.

Das Jobangebot kommt zum völlig falschen Zeitpunkt. Es hätte prima vor einem Jahr gepasst, als ich noch arbeitslos war. Oder in einem Jahr, wenn ich merke, dass ich mit der Selbstständigkeit tatsächlich endgültig gescheitert bin. Aber jetzt kommt es mir so vor, als würde ich viel zu früh aufgeben, wenn ich diesen Job annehme, als würde ich gehen, bevor ich alles probiert habe, um in der Selbstständigkeit genug Geld zu verdienen. Andererseits - sollte man Chancen nicht wahrnehmen, wenn sie einem vor die Füße fallen?

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Sicherheit und Karrieresprung – aber Tretmühle und Korsett eines großen Unternehmens? Oder Freiheit, kreative Selbstverwirklichung – aber existenzielle Unsicherheit und große finanzielle Einschränkungen? Beide Wege haben etwas für sich, das habe ich in den letzten Tagen gemerkt. Witzigerweise raten mir übrigens im Freundes- und Familienkreis alle genau das, was ich von ihnen jeweils nicht erwartet habe. Jeder hat seine eigene, spannende Sicht auf mein Leben – und jeder hat auf seine Weise absolut Recht. Das macht mir die Entscheidung nicht leichter.

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Jules (Gast) - 27. Mär, 09:49

raten kann ich da leider gar nüschte, erstens kenne ich dich nicht gut genug, um da raten zu können, zweitens habe ich nach (ebenfalls) einem jahr selbständigkeit im moment eine gewisse parteilichkeit für die freiheit entwickelt. hätt' ich auch nie gedacht. ich würde dieses angebot als prüfstein begreifen und dass es deshalb zu genau diesem zeitpunkt kommt.

ich wünsche dir bei der entscheidung ein glückliches händchen.

liebe grüße
jules

feinstrick - 27. Mär, 10:07

Vielen Dank. Ja, ein Prüfstein ist es wohl tatsächlich. Und was für einer.
Weltenweiser - 27. Mär, 09:51

Wirf eine Münze. Das Interessante ist dabei nicht, was dabei heraus kommt, sondern wie Du das Ergebnis empfindest. Kannst Du es akzeptieren oder hast du den drang, die Münze erneut zu werfen?

feinstrick - 27. Mär, 10:08

Das ist ein guter Tipp. Besten Dank!
punctum - 27. Mär, 10:40

Sechs Jahre selbst. Und mit allen Phasen schon bekannt geworden. Manchmal denke ich beim Anblick von Leuten mit Sicherheit und geregeltem Einkommen (wobei, was ist schon sicher?): Hach, das möchte ich auch - keine Sorgen mehr, keine Angst... Um dann aber doch wieder festzustellen: Nein, das möchte ich eigentlich doch nicht - das Auf und Ab ist irgendwie belebender (ganz klar, vor allem die Aufs!). Und die Freiheit, alles selbst entscheiden zu können, möchte ich auf keinen Fall missen. Was Existenzängste angeht: Man wird mit der Zeit etwas gelassener. Und komischerweise ist es wirklich so, wenn's richtig dicke kommt, findet sich immer ein Weg, meist ein ganz unverhoffter. Ich wünsche Ihnen gutes Entscheiden!

feinstrick - 27. Mär, 11:05

Danke für die mutmachenden Worte. Auf die Wege, die ganz unverhofft auftauchen, hoffe ich auch immer. Letzten Endes zählt ja auch dieses Jobangebot dazu. Es ist eigentlich ein Zeichen, dass alles immer weiter geht - wie auch immer.
isabo (Gast) - 28. Mär, 11:47

Wenn man diesen Text im Feedreader liest, wird er nicht vollständig angezeigt, nur der Anfang. Das letzte, was man im Feedreader noch lesen kann, ist:

"Allerdings würde dieser Job auch das Ende des Lebens bedeuten,"

Ich weiß nicht, ob das ein Orakel oder sowas sein soll. Ein ebenso tiefsinniges, bedeutungsschweres Kann-doch-kein-Zufall-sein-Orakel ist das Captcha, das ich jetzt hier eingeben soll, es lautet: Stil

feinstrick - 28. Mär, 12:31

Das Ende des Lebens? Mir wird ganz anders ...

Aber als großer Fan von Orakeln habe ich mal Tarot-Karten gelegt. Sie besagen, dass beide Wege gut sind, beide aber auch Gefahren bergen. Das hat jetzt auch unheimlich geholfen. (Wobei: Das magische Element, das auftaucht, wenn ich bleibe, wo ich bin, hat mir sehr gefallen.)

Perfekt wäre folgendes: Ich löse meine Geldsorgen, indem ich reich heirate, und dann mache ich nur noch all das, was mir Spaß macht. Stil hätte das allerdings keinen. Stilvoll wäre hingegen, hoch erhobenen Hauptes zu sagen: Pöh, so einen Job hab ich nicht nötig, ich bin gut genug, es alleine zu schaffen. Oder wäre das bloß dumm?
flying turtle (Gast) - 28. Mär, 21:06

Machen Sie wirklich nur das, womit Sie sich langfristig identifizieren können.
Ich lese in Ihrem Text, dass Sie sich eigentlich die Antwort schon selbst gegeben haben. Lesen Sie ihn doch noch zehn Mal. Zwanzig Mal.
Ich war heut auf ner Gründerinformationsveranstaltung. Schreckt mich aber immer noch nicht ab. ;)
(Und ich werde einen gut bezahlten Job mit wahnsinnig vielen Vergünstigungen nächstes Jahr aufgeben. Rücklagen gehen aber nicht.)

pocoos (Gast) - 28. Mär, 22:50

wenn man nicht mehr ganz so jung ist, sollte man das tun, was man bedauern würde, es nicht getan zu haben. sonderbarerweise weiß man meist sehr genau, was das ist.

feinstrick - 29. Mär, 15:10

Ich bin nicht sicher, ob ich es wirklich genau weiß. Ich glaube wirklich, dass beide Wege etwas für sich haben und ich hinterher immer leise fragen werde, wie sich der andere Weg wohl angefühlt hätte.
des - 29. Mär, 10:47

Antwort

Huhu Feinstrick,

jetzt geb ich auch mal meinen Senf dazu. Ich denke ebenfalls, dass du dir die Antwort im Text schon selbst gegeben hast. Man weiß bei einer Entscheidung nie, ob sie sich als richtig herausstellt. Die Gefahr des "Hätte ich damals doch lieber" besteht immer.

Vielleicht hilft dir der folgende Gedanke:
Würdest du noch einmal eine Chance zur Freiberuflichkeit haben, wenn du sie jetzt aufgibst? Würde dir dann was fehlen?
Würdest du noch einmal eine Chance bekommen, von der Freiberuflichkeit in einen Angestelltenjob zu wechseln, wenn du die Chance zu wechseln jetzt nicht wahr nimmst?

Liebe Grüße,
des(-igual)

feinstrick - 29. Mär, 15:25

Liebe des, schön, dich hier zu lesen! Genau diese Fragen stelle ich mir - neben 1000 anderen - auch ständig. Ich habe leider keine Antworten darauf. Ich habe mich mit sehr viel Mühe aus einem festen Job befreit. Vielleicht würde mir das nie wieder gelingen. Vielleicht wäre es aber auch beim zweiten Mal viel leichter. Vielleicht wird mir nie wieder so ein Job angeboten. Vielleicht aber doch - zu einem Zeitpunkt, zu dem es viel besser passt. Wer kann das schon wissen?

Das Problem ist auch, dass ich wirklich zwei Seelen in mir trage. Die eine braucht ein sehr geordnetes Leben, liebt es, Geld für schöne Dinge auszugeben und findet es gut, zu wissen, was morgen kommt. Ein geregeltes Einkommen ist beruhigend für ihre Nerven. Sie ist gerne in Gesellschaft und freut sich, morgens nette Kollegen zu sehen. Sie wittert in diesem Job Herausforderungen, vor denen sie sich bisher immer gedrückt hat - Verantwortung übernehmen, über sich selbst hinaus wachsen und überhaupt sehr "erwachsen" sein.

Die andere Seele ist das genaue Gegenteil. Sie hat einen großen Freiheitsdrang und möchte ihre Kreativität (endlich!) hemmungslos ausleben. Sie hatte schon immer einen Hang zu einem unkonventionellen Lebensstil und kann es hervorragend mit sich alleine aushalten. Sie liebt es, ihre Tage frei einzuteilen und ist stolz, wenn sie aus eigener Kraft etwas schafft. Sie hat sich eine kindliche Neugier auf das Leben bewahrt und wittert hinter jeder Ecke neue Abenteuer.

Wie soll man sich da zurecht finden? Woher soll man da wissen, was gut und richtig ist?

Liebe Grüße zurück von der immer noch ratlosen
Käthe Feinstrick
vetivo (Gast) - 29. Mär, 21:34

und die beiden Dinge lassen sich nicht kombinieren ? auch nicht für einen begrenzten Testlauf ? Der Job hat doch bestimmt eine Probezeit, danach kann man weitersehen.
Vielleicht wüssten Sie nach einigen Wochen bereits, was Sie getrost zurücklassen könnten.

feinstrick - 29. Mär, 22:55

Kombinieren geht nicht, dafür ist der Job zu zeitaufwändig und anspruchsvoll. Ausprobieren ist jedoch durchaus eine Option.
Captain (Gast) - 31. Mär, 11:10

Ich komme mal kurz aus dem off. Ich lese schon lange bei Dir und das über mehrere Blogs hinweg. Und ich gebe Dir nun mal ungefragt eine Rückmeldung: ich finde, dass Du Dich, gerade in letzter Zeit, sehr UNGLÜCKLICH angehört hast, so dass ich schon häufig geneigt war zu schreiben: tu was für Dich, Dein gewählter Weg (so wie er sich hier in dem kleinen Blog zeigt, beim twittern biste ja etwas fröhlicher) scheint irgendwie ins Unglück zu führen.

Deshalb, und das ist natürlich absolut unzulässig, tatsächlich ein Rat: Nimm um Himmels Willen den Job an. Komme unter Leute, setze Dich auseinander und setze Dich durch. Du bist -so scheint es mir aus der Distanz des Fremden (was ein Begriff)- irgendwie auf einer diffusen Flucht vor irgendwas und die tut Dir nicht gut.

Selbständigkeit? Das ist sehr schön, wenn es nicht läuft, oder man das Geld nicht dringend braucht. Ich habe schon eine ganze Menge Leute in der Selbständigkeit abschmieren und wunderlich werden sehen. Das ist alles schön und ZDF-Fernsehfilmkompatibel, aber es darf nicht zum Selbstzweck werden.

Nochmal: was nutzt Dir die ganze "Freiheit", wenn sie Dich nicht glücklich macht?

feinstrick - 31. Mär, 22:33

Lieber Captain, ich weiß ja, dass du schon lange bei mir mitliest und freue mich sehr über so viel (zurückhaltende) Treue.

Einiges, was du schreibst, ist sicher wahr. Ich bin allerdings gar nicht so unglücklich, wie es in meinem Blog oft klingt. Ich nutze das Blog nur gerne als Ventil, wenn ich mal richtig down bin. Das war ich aber zu Zeiten, in denen ich noch fest angestellt war, erheblich öfter. In den letzten Wochen habe ich sehr wenig gebloggt, weil ich intensiv an einem schönen Projekt gearbeitet habe, das mich sehr ausgefüllt hat und riesig viel Spaß gemacht hat. Als es fertig war, war ich es auch - einfach, weil es so anstrengend war. So entstehen dann gewisse Blogeinträge...

Das alles soll jetzt nicht heißen, dass ich diesen Job auf keinen Fall annehmen werde. Es bedeutet nur, dass dieses Blog immer nur einen winzigen Ausschnitt meines Lebens preisgibt (einen in der Tat etwas anderen Ausschnitt findet man bei twitter, aber auch der zeigt nur Schnipsel). Aber das hätte ich eigentlich als Anmerkung unter fast jeden Kommentar hier setzen können. :-)
Captain (Gast) - 2. Apr, 12:49

ach so. ich hatte mal ein vergleichbares Erlebnis, als ich in meinen späten Tagen eines lange verblichenen Blogs von einem Freund angesprochen wurde, der nachhakte, ob es mir gut ginge oder ob er sich Sorgen machen solle. Mir ging es damals genauso: ich nutzte den Blog nur noch für irgendwelchen finsteren, zynischen Gedankenfetzen, auch weil ich für eine sehr freundliche Entwicklung in meinem Leben noch gar keine Worte gefunden hatte (und die bis heute blogtechnisch auch nicht fand/ nicht finden brauche).

Mich freut das sehr, das das hier nur ein verzerrter Ausschnitt ist und es dir gut geht (auch wenn ich die lebenslustigen Einträge durchaus etwas vermisse, natürlich aus rein altruistischen Motiven).
feinstrick - 2. Apr, 13:27

Ich gebe mir Mühe, wieder etwas mehr Lebenslust ins Blog zu bringen. Ich merke nur, dass es mir da ähnlich geht wie dir: Für Vieles fehlen mir im Moment einfach die Worte (von der Zeit ganz zu schweigen). Es sind eben in der Regel die kleinen Alltäglichkeiten, die das Leben rund machen, und nicht die spektakulären Highlights.
captain (Gast) - 31. Mär, 11:12

Uups: ich meinte natürlich: Selbständigkeit ist schön, wenn es läuft.

cracra (Gast) - 31. Mär, 21:54

bitte job annehmen sie sind nichts für die selbstständigkeit gemacht

feinstrick - 31. Mär, 22:35

Aha.
kid37 - 2. Apr, 13:18

Ich habe vor zwei Jahren ein solches Angebot ausgeschlagen, obwohl ich zuvor lange um einen solchen Job gekämpft hatte. Für mich kam das damals zu spät (oder zu früh), die Selbständigkeit fing gerade an, Früchte zu tragen und dann wollte ich das Gefühl behalten, flexibel und mobil zu bleiben, sollte ich doch in die andere Stadt ziehen wollen. Bereut habe ich meine Entscheidung nicht, es wäre allrdings auch kein wirklich großer Karriereschritt gewesen. Da ich nicht jünger und gesünder werde, sehe ich mittlerweile aber schon den Reiz, sozial besser abgesichert zu sein. Mittlerweile sind aber in dem betreffenden Unternehmen viele Feste wieder entlassen worden. "Sicherheit" scheint mir da relativ zu sein. Aber einen Rat kann man von außen nicht geben. Leider muß man sich im Leben ja häufig zwischen zwei tollen Sachen entscheiden. Jobs, Wohnungen, sogar Frauen manchmal ;-)

feinstrick - 2. Apr, 13:35

Stimmt, solche Entscheidungen gibt es öfter mal, und ich wünsche mir dann immer, für einen winzigen Moment in die Zukunft schauen zu können. Hätte ich geahnt, dass der eine oder andere Kerl sich als totaler Volltrottel entpuppten würde, hätte ich doch lieber einen anderen genommen. Aber wer weiß, ob der nicht auch ein Idiot gewesen wäre?

Ich glaube auch, dass dieser Job nicht automatisch eine Garantie für dauerhafte Sicherheit wäre. Ich glaube überhaupt, dass es nichts im Leben gibt, was sicher ist - Job, Gesundheit, Partnerschaft, und unsere Rente sowieso schon lange nicht mehr. Dennoch neige ich dazu, mich gelegentlich gerne an vermeintlich Sicherem festzuhalten, um nicht das Gefühl zu kriegen, im total luftleeren Raum zu schweben.

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