Mittwoch, 3. Oktober 2012

Aushalten

Wenn mir eine gute Freundin von ihren Eheproblemen erzählt, wird mir jedes Mal ganz flau. Ich denke dann immer: Wie kann sie das nur aushalten? Wie erträgt sie so viel Lieblosigkeit und Respektlosigkeit? So viel seelische Gewalt? Wir kennen uns seit zehn Jahren. Seit damals höre ich mir diese Geschichten an. Und sie wurden mit den Jahren nicht besser, sondern immer schlimmer. Immer häufiger sage ich ihr das auch. Neuerdings denkt sie tatsächlich über Scheidung nach, hat aber nicht die Kraft, die nötigen Schritte einzuleiten. Ich sitze da und bin verzweifelt, weil meine Freundin so unglücklich ist.

Auch andere Freundinnen sind unglücklich mit ihren Partnern. Ich höre ihnen allen zu, tröste, muntere auf, erteile Ratschläge. Ich habe immer gute Ratschläge parat, darin bin ich ganz groß. Vor allem darin, einer Freundin klarzumachen, dass sie einen Mann ziehen lassen soll, der sie nur unglücklich macht, bin ich die absolute Expertin. Ich sehe glasklar, wie unsinnig es ist, an einer Verbindung festzuhalten, die mehr Unglück als Glück bedeutet.

Wenn es allerdings um mich selbst geht, versage ich total. Da sehe ich gar nichts mehr. Da spüre ich einen undefinierbaren Wust von Gefühlen, die mich gefangen nehmen und mein Hirn blockieren. Das größte Gefühl ist immer die Angst. Angst, nicht gut genug zu sein. Angst, zu versagen. Angst, den Mann durch mein Verhalten zu vertreiben. Angst, verlassen zu werden. Angst, für den Rest meines Lebens allein bleiben zu müssen. Aus dieser Angst heraus mache ich total bescheuerte Sachen. Ich zicke rum. Ich meckere. Ich analysiere Situationen zu Tode. Ich klammere. Ich trete und beiße. Ich halte fest. Ich verzeihe, was nicht zu verzeihen ist. Ich versuche zu verstehen, was nicht zu verstehen ist. Ich verliere mich selbst in dem Bestreben, dem anderen nahe zu sein.

Das Ergebnis liegt auf der Hand. Einerseits verjage ich Männer durch mein Verhalten. Wenn ich zickig bin, ertrage ich mich nicht mal selbst, so schlimm ist das. Andererseits halte ich Zustände aus, die nicht auszuhalten sind. Ich hänge an Männern fest, die mir schon lange nichts mehr geben. Ich bilde mir ein, dass ich mich nur zusammenreißen muss, dann wird schon alles besser. Ich suche die Fehler bei mir, nicht bei den Männern. Ich stecke total fest, während die Männer längst weitergegangen sind.

Ich habe inzwischen einige Erklärungen gefunden, warum das so ist. Es ist hilfreich, sich selbst zu verstehen. Sich auch verändern zu können, ist jedoch etwas völlig anderes. Und an der Veränderung arbeite ich wohl noch ein Weilchen. Ich mochte Stillstand noch nie. Bewegung, Veränderung ist für mich immer wichtig, so schwer das oft auch ist. Über den eigenen Schatten zu springen, eigene Ängste zu überwinden, eigene Fehler und Schwächen zu erkennen und nach Auswegen zu suchen – das ist wohl das Schwerste überhaupt. Aber, auch das wird mir in solchen Krisen immer wieder klar, ich bin zäh. Viel zäher, als ich oft denke. Es zerreißt mir das Herz und ich liege am Boden. Aber ich kann immer noch lächeln und die Sonne sehen. Und mit dieser Restenergie gehe ich jetzt los, sammle meine Einzelteile zusammen und fange von vorne an. Wieder mal.

Flattr this

Trackback URL:
https://feinstrick.twoday-test.net/stories/156271431/modTrackback

Regine Heidorn (Gast) - 3. Okt, 12:08

Ich kenn das zu gut

Bei mir hat sich gerade die jüngste Krise zu folgender Philosophie zugespitzt:
In solch kollabierenden Momenten geht es darum, das Gute (was auch immer das sein mag) aus dem Moment herauszudestillieren. Aus all dem, was in einem Jetzt zusammenfällt - Vergangenheit, Erinnerung, Zukunftsaussichten, Gefühle, Träume, Wissen, Gelerntes, Zu Lernendes, Gedanken, geliebte Menschen, Sehnsucht, Bewegung, Erfahrung, Brüche, Verletzungen, Einsamkeit, Tränen, Wahrnehmung, Ängste, Narben, Reflektionen, Muster und Gewohnheiten.

In dem Punkt gilt ganz klar: Aushalten. Aushalten der Unsicherheiten und der Gezeiten der Seele, bis eine klare Entscheidung kommt. Je besser wir mit unserer eigenen Unsicherheit und Verletzungen umgehen können, desto weniger laufen wir Gefahr, andere zu verletzen.

Und wo läuft das Ganze dann hin? Vor Verletzungen sind wir niemals sicher, wir können eben nur immer besser mit uns selbst umgehen, für uns sorgen. Und das am Besten, ohne dabei zu verhärten oder zu verbittern.

Damit entschuldige ich mich für meinen lebensklugen Erguss ... leicht ist es ja ohnehin nicht ... aber mit etwas mehr Erfahrung und Mitgefühl, Vertrauen, müssen wir uns auch weniger verletzen. So hoffe ich zumindest ...

feinstrick - 3. Okt, 17:23

Mir sind lebenskluge Ergüsse lieber als Dummschwätzerei. Von daher: Danke! :-) Das Gute in der Katastrophe zu sehen, das ist jetzt auch mein Bestreben. Momentan fehlt mir da aber noch etwas der Überblick.
gamine - 9. Okt, 21:59

chuck sp
ezzano, 50 wege die wahre liebe zu finden. kann ich nur empfehlen. hab die wahre liebe zwar noch nicht gefunden, bin aber zuversichtlich und habe jede menge lebensfreude gefunden und viele tolle männer um mich ;-).
la-mamma - 3. Okt, 15:40

für andere tut man sich beim entscheiden doch grundsätzlich viel leichter, da fallen die eigenen ängste schlicht gar nicht ins gewicht.
warum man selber so viel aushält, steht auf einem anderen blatt. mir scheint oft, die suboptimale situation, die man wenigstens schon kennt, wird jeglicher ungewissheit vorgezogen. es könnte ja auch noch schlimmer werden ...

feinstrick - 3. Okt, 17:24

Stimmt: Schlimmer geht immer! Also bloß nicht bewegen ...
Finchen1976 - 4. Okt, 08:52

Ich lese mich da zum großen Teil selbst und kann Dir deshalb keine guten Ratschläge erteilen, da ich selbst grad nicht weiter weiß.

Aber vielleicht hilft es Dir, dass Du nicht alleine bist!

feinstrick - 4. Okt, 23:43

Ich bin für kluge Ratschläge auch gar nicht aufnahmebereit. ;-)
flyhigher - 4. Okt, 10:41

Der letzte Absatz, der hat es in sich! Du bist bereits weit fortgeschritten in deiner Seelenarbeit. So weit sind nicht viele. Es gilt mal als erstes, stolz auf das zu sein, was du schon erreicht hast auf diesem Weg, nämlich ein ganz schönes Stück Selbsterkenntnis.
Und wenn du wirklich fest steckst, und von diesem Punkt, an dem du jetzt stehst (und ich wiederhole nochmal: der letzte Absatz sagt, dass du schon ziemlich gut gearbeitet hast), nicht weiterkommst, hol dir Hilfe von aussen. Die Sichtweisen, die ein Psychologe da einbringen kann, sind manchmal echte Offenbarungen.

feinstrick - 4. Okt, 23:44

Mag sein, dass ich weit vorangeschritten bin. Leider noch nicht weit genug, um nicht doch immer wieder ins Unglück zu rennen.
testsiegerin - 9. Okt, 22:18

ich glaub ja, dass es manchmal wichtiger ist, eine freundin einfach in den arm zu nehmen als mit guten ratschlägen zu kommen.
es fühlt sich ja manchmal gar nicht so gut an, von freundinnen durchschaut und analysiert zu werden, weil da hat man immer das gefühl, alle kapieren alles, nur man selbst ist zu blöd dazu.

und eigentlich red ich grad nur blödsinn, aber macht nix ;-)

Thea Kramman (Gast) - 30. Okt, 16:53

kann gut mitfühlen

Hallo,
ich finde, dass der vorletzte Absatz einen guten Anhaltspunkt liefert - den ich auch von mir selbst kenne. Man hält unerträgliches aus ohne mit der Wimper zu zucken, obwohl man innerlich eigentlich explodieren könnte. Auf den Partner - der davon nichts merkt - wirkt das so als sei alles in Ordnung. Läuft das Fass letztlich über, wird man meist schnell aufbrausend und der Partner denkt sich: "was ist denn jetzt auf einmal los?" eben weil er diese Eigenschaft nicht kennt (man hat ja nie etwas gesagt). Das überfordert viele. Besser ist es zu einem frühen Zeitpunkt zu reagieren. Ich weiß wie schwer das ist, aber es schont die Nerven. Alles Gute.

Gäste

Neugierig?

Klatsch und Tratsch

Danke und tschüss!
Übermorgen fliege ich in den Urlaub, und wenn ich zurückkehre,...
feinstrick - 15. Mai, 21:06
Hat ja geklappt :)
Hat ja geklappt :)
steppenhund - 11. Feb, 22:02
Ja, ich erinnere mich...
Ja, ich erinnere mich gut daran. Ich mache mich mal...
feinstrick - 11. Feb, 20:08
Ich hab meine Statistik...
Ich hab meine Statistik ewig nicht angeschaut, aber...
feinstrick - 11. Feb, 20:08

Post an Frau Feinstrick

feinstrick bei googlemail com

Gezwitscher

Suche

 

Status

Online seit 6288 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 15. Mai, 21:06

Hausordnung

Credits

Knallgrau New Media Solutions - Web Agentur f�r neue Medien

powered by Antville powered by Helma


Creative Commons License

xml version of this page (summary)

twoday.net AGB

blogoscoop


Arbeitszimmer
Badezimmer
Balkonien
Dachboden
Hausordnung
Hobbykeller
Kinderzimmer
Kleiderschrank
Küche
Schlafzimmer
Treppenhaus
Unterwegs
Wohnzimmer
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
development