In letzter Zeit habe ich von diversen Ex-Männern geträumt. Bald habe ich sie alle durch. Die Träume sind eigenartig, fast so, als würde ich mein ganzes Leben Revue passieren lassen – in guten wie in schlechten Tagen. Nach den guten Tagen bzw. Träumen wache ich mit einem wonnigen Gefühl auf. Ich denke mit leiser Sehnsucht an den Mann, der mich nächtens heimgesucht hat, und staune, wie viel Zärtlichkeit ich noch für jemanden empfinde, an den ich in den letzten Jahren kaum gedacht habe. Aber plötzlich ist alles wieder ganz lebendig, ich höre seine Stimme, erinnere mich an Sätze, die er immer gesagt hat, an seinen Geruch, seine Wärme. Ich spüre Dankbarkeit darüber, dass wir wenigstens ein kleines Stückchen Weg gemeinsam gehen konnten, und bedauere, dass dieser Weg nicht länger war.
Die schlechten Träume sind anders. Kraftvoll. Zornig. Aufwühlend. Wenn ich aus ihnen aufwache, bebt mein Herz immer noch und ich fühle die Wut in allen Fasern meines Körpers. In diesen Träumen lasse ich meinem Zorn freien Lauf. Ich beschimpfe den Mann, der mich nicht nur im Traum so verletzt hat, in aller Öffentlichkeit. Ich kippe ihm ein Glas Wein ins Gesicht. Ich schlage ihn. Ich mache alles Erdenkliche, um ihn zu demütigen und bloßzustellen – so, wie er mich auch über Jahre hinweg gedemütigt hat. Wenn ich aufwache, denke ich, dass manche Wunden nie heilen, egal wie alt sie sind, wie weit weg diese Männer und diese Geschichten sind.
Wenn ich mich so an all diese verflossenen Geschichten erinnere, die guten wie die schlechten, dann kommt es mir so vor, als hätte ich bisher immer nur geprobt, eine Partnerschaft zu führen.
„Vielleicht bist du zu anspruchsvoll“, sagte neulich jemand in Bezug auf mein permanentes Scheitern.
„Nein“, habe ich geantwortet. „das bin ich nicht. Ich bin viel unkomplizierter und anspruchsloser als viele Frauen. Ich hatte nur einfach immer ein schlechtes Händchen bei der Wahl meiner Partner.“
Ich weiß, in Wahrheit ist es nicht ganz so einfach. Es gibt viele Gründe dafür, dass ich mir zielsicher immer die ungeeignetsten Kandidaten aussuche. Dabei waren manche gar nicht so schlecht, wir sind uns nur zum falschen Zeitpunkt begegnet. Und andere waren wohl wirklich nur zum Üben da. Ich habe im Miteinander und vor allem im Scheitern mit ihnen viel gelernt. Allerdings finde ich, dass ich allmählich genug geprobt habe. So langsam könnte mal der Ernstfall eintreten.
Wohnzimmer -
feinstrick - 30. Jul, 10:35
Die Kollegin schreibt ein Schild: „Hier dürft ihr nicht Rauchen.“ Ich sage: „Rauchen schreibt man klein.“ „So? Warum das denn?“ „Weil es ein Verb ist und in diesem Satz auch ganz normal als Verb verwendet wird. Was tust du? Du rauchst. Ganz einfach.“ „Hm. Stimmt eigentlich. Aber das sieht irgendwie komisch aus.“ „Ist aber richtig so.“ „Sieht trotzdem komisch aus. Ich schreib es lieber groß.“ Na, wenn sie meint. Dass zwei Sätze weiter noch ein dicker Kommafehler steckt, erwähne ich lieber nicht mehr. Es hätte ja doch keinen Sinn.
Auf dem Dach gegenüber werden Dacharbeiten vorgenommen. Ein junger, gut gebauter Arbeiter zieht sich täglich mehr aus: Erst fällt das Shirt, dann das Unterhemd, schließlich wird die lange Jeans gegen eine Shorts eingetauscht. Als ich mich frage, was wohl als nächstes kommt, wird der Dachdecker leider von einer Gruppe Gerüstbauer abgelöst. Immerhin: Die sind auch kein schlechter Anblick.
Am Fischmarkt vergnügen sich zwei Männer direkt vor der Fischauktionshalle miteinander. Sie liegen hinter dem Geländer auf der schmalen Kaimauer. Ständig kommen Leute an ihnen vorbei, die den lauen Sommerabend genießen wollen. Öffentlicher geht es kaum. Ich schaue beim ersten Mal noch neugierig über das Geländer, weil mir der eine so vorkommt, als gehe es ihm nicht gut. Aber die Beiden sind so ineinander vertieft, dass sie mich gar nicht wahrnehmen. Als ich auf dem Rückweg wieder vorbei komme, haben sie die Rollen getauscht, und jetzt ist die Sache auch für mich sehr eindeutig und sehr klar. Einer von ihnen steckt mit seinem Kopf zwischen den nackten Beinen des anderen. Skurrilerweise unterhalten sie sich die ganze Zeit, als würden sie nichts weiter tun, als in Ruhe den Sonnenuntergang betrachten. Ein Mann, der mit seinem Fahrrad vorbei kommt, baut auf dem holprigen Kopfsteinpflaster fast einen Unfall, so sehr scheint ihn diese Szene zu irritieren. Und ich frage mich, wie lange es wohl noch dauert, bis einer von ihnen von der schmalen Mauer in die Elbe fällt.
Ich sitze am späten Abend im Dunkeln auf einer Bank unter den Bäumen im Hof und lausche den Großstadtgeräuschen, die weit weg zu sein scheinen. Dieser Platz ist eine kleine, geschützte Oase, in der ich mich sicher und geborgen fühle. Niemand sonst ist um diese Zeit hier draußen im Hof. Viele Fenster meiner Nachbarn sind weit geöffnet. Hinter einigen brennt Licht. Ich stelle mir vor, wie die Nachbarn vor ihren Fernsehern sitzen oder mit einem Buch im Bett liegen und nicht schlafen können, weil es zu warm ist. Aus einem der Fenster erklingen auf einmal leise Geräusche. Ein klagendes Seufzen wird zu einem hohen, lustvollen Gesang, der immer lauter wird. Sehnsüchtig lausche ich dem Liebesspiel meiner Nachbarn, und einen Moment lang wünsche ich mir, auch dort oben zu sein, Haut zu spüren, Nähe zu fühlen, Lust zu genießen. Ich stehe auf und schlendere noch ein paar Schritte durch den nächtlichen Hof, hellwach und müde zugleich. Eine Katze huscht an mir vorbei und verschwindet zwischen den Büschen.
Es ist Sommer in Hamburg.
Balkonien -
feinstrick - 18. Jul, 11:47
Nach harter Arbeit wollte ich mir heute den Luxus eines Nachmittags auf der Wiese gönnen, entspannt und ruhig mit Blick auf die Elbe und in den Sommerhimmel. Mit Elbe und Himmel haute es soweit hin, mit der Ruhe leider nicht. Dummerweise hatte ich nämlich eine Ecke des Parks erwischt, in der sich sämtliche Jungmütter des Viertels versammelt hatten, um ihren lieben Kleinen ein bisschen die große, weite Welt zu zeigen. Um Missverständnisse gleich mal auszuräumen: Ich mag Kinder.
Was ich nicht mag, sind Eltern, die von Erziehung keine Ahnung haben. Und davon gibt es leider ziemlich viele. Zugegeben, gerade so ein „Erstling“ kann einem schon mal Sorgen bereiten, und vermutlich machen alle Eltern beim ersten Kind sehr viel falsch. Gerade neulich sagte mir eine Mutter von drei Kindern: „Eigentlich müssten alle Eltern mindestens vier Kinder bekommen, um der Welt brauchbaren Nachwuchs hinterlassen zu können, denn die ersten beiden sind doch nur Versuchsobjekte.“ Mit dieser Aussage im Hinterkopf würde ich sagen: Von den Kindern, die ich heute im Park sah, ging der Erziehungsversuch leider bei der Hälfte schief.
Die eine Hälfte der Babys und Kleinkinder (und um diese Altersgruppen handelte es sich hier ausnahmslos) war nämlich ruhig, friedlich und ausgeglichen. Sicher gab es mal Protest, wenn eine Windel gewechselt wurde, oder eine lautstarke Erinnerung, dass Essenszeit war. Das gehört dazu und ist völlig normal. Nicht normal ist aber, wenn so ein Kind den ganzen Nachmittag in einer Tour laut seinen Unmut äußert – mal erbost, mal verzweifelt, mal schon kurz vor der Hysterie. Dann ist Handeln geboten. Aber dieses Handeln habe ich bei den Müttern der Schreibabys durchweg vermisst. Offenbar stand in keinem ihrer Ratgeber, was zu tun ist, wenn das Kind nicht zur Ruhe kommt. Oder sie haben einen dieser Abhärtungsratgeber gelesen, in denen behauptet wird, es sei wichtig, dem Kind zu zeigen, dass es nicht ständig seinen Willen durchsetzen kann, und ein bisschen Schreien habe ja noch niemandem geschadet. Der Meinung bin ich nicht. Ein Baby schreit nicht, weil es bockig ist. Ein Baby schreit nur, weil etwas nicht in Ordnung ist. Und dafür gibt es eigentlich nur vier Gründe:
1. Es hat Hunger
2. Es ist müde
3. Es tut ihm was weh (meistens der Bauch)
4. Ihm ist es zu warm oder zu kalt
Beim Kleinkind kommen gerne noch die Zähne als Schmerzquelle hinzu. Das war es aber im Prinzip. Alle diese Schreigründe verschwinden nicht von selbst. Vielmehr bist du, liebe Mutter, hier gefordert. Und das geht so:
1. Hunger: Gib dem Kind die Brust oder die Flasche. Wie – du traust dich nicht, hier mitten im Park deinen BH zu öffnen? Dann solltest du während der Stillzeiten lieber zuhause bleiben. Du hast die Flasche vergessen, weil du dachtest, ihr wärt schneller wieder daheim? Ach, aber an den Schokoriegel für dich selbst haste gedacht.
2. Müdigkeit: Das ist in der Tat so ein Kapitel für sich. Jedes Kind braucht da eine andere Methode. Finde sie raus und glotz nicht nur teilnahmslos in die Gegend, während dein übermüdetes Kind kurz vorm Hyperventilieren ist! Vielleicht hilft Bewegung. Also auf, auf, trag deinen Liebling dreimal um den Park. Oder schieb den Kinderwagen quer durch die Stadt. Das sanfte Schaukeln ist auch herrlich beruhigend. Vielleicht möchte das Kind aber auch nur in deinen Armen gehalten werden und deinen Herzschlag hören. Oder es braucht ein Tuch über den Augen. Oder totale Stille. Oder es will einfach nur nach Hause und in sein Bett, weil es keine Lust auf das Entertainment-Programm hat, das du ihm aufgeladen hast. Morgens Babyschwimmen, mittags mit der neuesten Baby-Kollektion für Oma und Opa modeln, nachmittags Krabbeln mit Lisa-Marie im Park - das ist vielleicht ein bisschen viel. Denn bloß, weil du selbst es nicht erträgst, nur alleine mit deinem Kind zuhause zu sein, findet dein Schätzchen diese ganze Action noch lange nicht gut. Babys brauchen nämlich kein Entertainment. Die brauchen Essen, Schlaf und Liebe. Kleinkinder wollen zwar schon ein bisschen mehr von der Welt entdecken, aber das ist alles so extrem aufregend, dass es in kleiner Dosierung vollkommen reicht. Stress werden sie auch so in ihrem Leben noch genug haben. Also, fahr mal ein paar Gänge runter, dann wird dein Kind von selbst ruhiger.
3. Es tut was weh. Schon mal was davon gehört, dass ein Bäuerchen nach dem Essen Wunder wirkt? Der Po ist ständig wund? Tja, liebe Mama, dann musst du eben mal ne Weile auf die Zitrusfrüchte verzichten, deren Säure dein Kind mit der Milch aufnimmt. Du findest die Schmerzquelle nicht raus? Dann solltest du deinen Arzt fragen. Und zwar schnell. Wenn dein Auto komische Geräusche macht, bist du doch auch sofort beunruhigt.
4. Die Temperatur stimmt nicht. Das ist auch wieder so eine Sache. Kinder können ihre Körpertemperatur noch nicht so gut regulieren wie Erwachsene. Daher reagieren sie auf Hitze und Kälte empfindlicher. Babys, die immer ruhig und lange schlafen, sind ordentlich eingepackt und gut gegen Hitze und (was bei uns ja wichtiger ist) Kälte geschützt. Es mag übertrieben vorsichtig wirken, ihnen bei leichtestem Wind eine Mütze über die Ohren zu ziehen. Aber wer selbst als Kind mal eine Mittelohrentzündung hatte, weiß, wie schmerzhaft die ist. Es kann sein, dass du selbst schwitzt. Das muss noch lange nicht heißen, dass dein Kind darum halbnackt in seinem Wagen liegen kann.
Ich weiß, manchmal findet man einfach nicht raus, woran es liegt, dass das Kind so unruhig ist. Dann wirkt ein Schnuller oft Wunder. Die guten Stücke scheinen aber bei modernen Müttern uncool zu sein. Warum, ist mir ehrlich gesagt nicht ganz klar. Was in jedem Fall niemals hilft: So zu tun, als gehöre das mit dem Schreien so. Das tut es keinesfalls.
Du findest mich jetzt anmaßend, weil ich als kinderlose Singlefrau ja gar nicht weiß, wie schwierig das ist, wenn man ein Schreibaby hat? Was soll das überhaupt sein, so ein Schreibaby? Die gab’s ja früher auch nicht, als Kinder noch in Ruhe aufgewachsen sind. Ich kann dazu nur sagen: Da, wo ich unruhige Babys sehe, sind hektische Eltern nicht weit. Und von wegen, ich hätte keine Ahnung: Deinem Gynäkologen glaubst du ja auch, obwohl der noch nie eine Menstruation hatte, von einer Schwangerschaft ganz zu schweigen.
So, das musste einfach mal raus. Ich genieße jetzt einen ruhigen Abend auf meinem Balkon – nachdem auch das arme Schreibaby in meiner Nachbarschaft sich endlich voller Verzweiflung in den Schlaf gebrüllt hat.
Seit ein paar Tagen werde ich wieder deutlich daran erinnert, warum ich es so schön finde, selbstständig zu sein. Ich habe einen Nebenjob angenommen, von dem ich dachte, er könne abwechslungsreich sein und Spaß machen. Ich freute mich darauf, wenigstens ein paar Stunden pro Woche wieder mal Kollegen zu haben und in Gemeinschaft zu arbeiten. Immer alleine zu arbeiten, kann nämlich manchmal doch recht einsam sein. Doch die Ernüchterung trat schnell ein. Bereits nach drei Tagen hatte ich begriffen, dass es in dem Team große Konflikte gibt und viel Unzufriedenheit herrscht. Statt kollegialem Lachen finde ich bis jetzt nur Frust, Neid und Intrigen. Die Arbeitsbedingungen sind in der Tat an vielen Stellen verbesserungswürdig, auch das wurde mir schnell klar. Es sind nur Kleinigkeiten, die geändert werden müssten, um alles gleich viel freundlicher erscheinen zu lassen. Aber ich weiß, dass niemand das hören möchte. „Das ist in dieser Branche so üblich“, würde es mir vermutlich entgegen schallen. Und so lange es genug Leute gibt, die sich schlechte Löhne und miese Arbeitsbedingungen gefallen lassen, wird sich daran sicher nichts ändern.
Wenn ich nach den Arbeitstagen in dieser Firma nach Hause komme, stürze ich mich jetzt mit noch mehr Begeisterung auf meine eigenen Projekte. Größer können die Unterschiede gar nicht sein: Ich komme aus Lärm und Trubel in die Stille und Einsamkeit meines Arbeitszimmers – und ich liebe es! Ich genieße diese Freiheit, diese Unabhängigkeit, und vermisse weder das Getuschel hinter meinem Rücken noch das Tratschen, an dem ich mich selbst beteilige. Ich freue mich über das Geld, das ich selbstständig verdiene, für das ich mich nicht krumm machen und verbiegen muss, und das vor allem angemessen für die Arbeit ist, die ich verrichte. Es tut mir gut, Anerkennung für meine Arbeit zu erhalten, statt nur Druck zu verspüren. Natürlich hatte ich auch schon Aufträge, die nicht gut liefen, die mir nicht gefielen und keinen Spaß machten. Aber nie habe ich mich dabei so gefangen, so ohnmächtig gefühlt wie jetzt wieder in diesem Job als kleine Angestellte. Vielmehr bin ich stolz auf das, was ich leiste und sprühe vor Energie, wenn ich an das nächste Projekt denke. Dafür verzichte ich dann auch gerne auf das gemeinsame Lachen mit Kollegen. Spaß haben kann ich nämlich auch gut mit Freunden oder meiner Familie.