Unterwegs

Donnerstag, 1. Juli 2010

Auszeit

Kürzlich stand mir noch hiernach der Sinn. Und siehe da – mein Wunsch ging zumindest teilweise schneller in Erfüllung, als ich zu träumen wagte. Super-last-minute-mäßig buchte ich einen Aufenthalt in einem Haus dieser Kette, gleich hier in der Nachbarschaft, das war sehr praktisch, weil es mir eine lange Anreise ersparte.

Leider konnte ich mir kein Zimmer aussuchen, wer last minute bucht, und das auch noch zu Schnäppchenpreisen, der muss halt nehmen, was er kriegt. Aber ich hatte Glück. Mein Zimmer lag im elften Stock mit fantastischem Blick über die halbe Stadt. Nur mit dem Meerblick hatten sie mich betrogen (Billigangebot eben), ich sah nicht mal die Elbe, bloß die ganzen Kräne im Hafen, die hinter den Bäumen aufragten. Apropos Bäume: Wer hätte gedacht, dass Hamburg von oben betrachtet so grün ist? Der Ausblick war wie gesagt fantastisch und unglaublich nervenberuhigend, vor allem nachts, wenn ich nicht schlafen konnte.

Einzelzimmer waren im Preis nicht inbegriffen, aber ich hatte Glück mit meiner Zimmernachbarin. Sie war eine stille, nette Frau aus dem Kosovo, und nachdem sie mir ausführlich ihre ganzen unverdauten Kriegserlebnisse geschildert hatte, beschäftigte sie sich hauptsächlich mit meiner Zukunft.
„Eine Frau braucht Kinder“, sagte sie sehr entschieden, „damit sie im Alter nicht alleine ist.“ Sie sah mich ernst an. „Du brauchst Kinder.“
„Ich habe keinen Mann, da ist das mit dem Kinderkriegen nicht so einfach“, entgegnete ich.
„Macht nix. Reicht, wenn du Mann für eine oder zwei Nächte hast. Hauptsache, du kriegst Kind.“
„Tja, ich weiß nicht so recht. Ich möchte eigentlich keine alleinerziehende Mutter sein. Das wäre mir zu anstrengend.“
„Ja, ja, ist anstrengend, aber besser, als alt und einsam zu sein.“
Dann philosophierte sie weiter:
„Manche Menschen haben immer Pech in der Liebe. Meine Schwester auch. Ist wie du. Ein Mann nach dem nächsten. Alle weg. Aber es gibt auch Männer mit Pech. Bruder von meinem Mann. Immer Pech. Viel alleine. Dabei ist er sooo nett.“
Langer Blick aus großen, traurigen Augen in meine Richtung:
„Ich kann dir Adresse geben, wenn du willst.“

Für Unterhaltung war also gesorgt. Und ich trieb täglich Sport. Meine Joggingstrecke war ungefähr fünfzig Meter lang, und am ersten Tag schaffte ich sie in 15,0. Minuten, wohl gemerkt. Der Service war ausgezeichnet und daher bestellte ich immer alles aufs Zimmer. Genau genommen konnte man den ganzen Tag im Bett verbringen. Himmlisch!

An attraktiven Männern mangelte es auch nicht. Sie waren alle sehr jung, sehr blond und sehr smart. Mit einigen ließ ich mich sogar auf hemmungslose und riskante Abenteuer ein. Ehe ich mich versah, wurden wir sehr intim miteinander, ich ließ alle Hüllen fallen und mich von ihnen am ganzen Körper anfassen. Leider waren auch reichlich Drogen im Umlauf, so dass ich gleich in der ersten Nacht einen ziemlich großen Filmriss hatte. Das bereute ich allerdings dann doch, denn als ich wieder zu mir kam, hatte ich Blessuren am ganzen Körper und mehrere Narben am Bauch. Himmel auch, die jungen Herren hatten es mit ihren Doktorspielen doch etwas übertrieben. Aber sie entschuldigten sich ausgiebig bei mir und waren in den nächsten Tagen besonders fürsorglich und liebevoll. Einer schrieb mir sogar eine Telefonnummer auf eine Serviette, unter der ich mich jederzeit melden könne. Was will Frau mehr?

Daher tat es mir fast ein wenig Leid, als ich wieder heimwärts zog. Aber so entspannt wie ich war, verlängerte ich meinen Urlaub gleich ganz lässig. Und ehrlich gesagt war ich immer noch von diesem Drogenrausch benommen. Ich begab mich daher in paradiesische Zustände, ließ mich noch mehr verwöhnen, lag faul in der Sonne, beobachtete fröhliche Kinder bei munterem Treiben und hätte den Rest meines Lebens so weiter leben mögen. Nur widerstrebend brach ich schließlich wieder gen Heimat auf. Denn auch der schönste Urlaub ist irgendwann vorbei. Traurig, aber wahr.

PS: Dies ist natürlich nur eine Geschichte, zu schön, um wahr zu sein. Aber wer will bei diesem Wetter schon deprimierende Wahrheiten erfahren?

PPS: Na gut, ich will mal nicht so sein. Alle Neugierigen dürfen hier weiter lesen.

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Sonntag, 21. Februar 2010

Auf hoher See

Ich komme mir in letzter Zeit vor wie in einem kleinen, alten Segelboot im Ozean, das von Sturm und hohen Wellen hin- und hergeschleudert wird. Momentan befinde ich mich auf einer ziemlich hohen Welle. Es ist super hier oben, dieser Ausblick über das große, weite Meer ist fantastisch, die Sonne scheint, und ach, dieses kleine Boot ist ja viel stabiler, als ich immer dachte. Was für ein tolles Gefühl! Leider ist es aber auch sehr anstrengend, auf dieser Welle den Kurs zu halten, oben zu bleiben und nicht mit großem Getöse in die Tiefe zu stürzen, sobald der nächste Sturm aufkommt. Schließlich bin ich keine geübte Seglerin, genau genommen habe ich überhaupt keine Ahnung davon. Das ist fatal, und ich wünschte, ich hätte einen erfahrenen Skipper an meiner Seite. Aber obwohl dieser Kahn wirklich eine mickrige Nussschale ist, habe ich schon viele Stürme überlebt, bin immer wieder aufgetaucht und nie über Bord gegangen. Es wird wohl auch beim nächsten Mal wieder gut gehen.

Was ich eigentlich sagen wollte: Ich bin nach einer mega-anstrengenden Woche total alle, kurz vor tot, und wünschte, ich könnte gemütlich in einem kleinen, stillen See vor mich hindümpeln. Besser noch Ententeich. Das große, weite Meer überfordert mich doch etwas, so spannend es gelegentlich dort ist.

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Sonntag, 7. Februar 2010

Zufall

Zufall ist, wenn einem zufällt, was man gerade braucht.

Wenn man bedenkt, wie lange ich mit mir rang, ob und wenn ja, wo und wann und wie ich diesen Urlaub machen sollte, dann ist es schon erstaunlich, dass ich am Ende haargenau den richtigen Ort und Zeitpunkt ausgewählt habe. Zufall? Wie immer man es nennen mag, es war jedenfalls großartig.

Vor der Abreise erhielt ich noch wohlmeinende Ratschläge, mit welcher Lektüre ich wohl am besten einen Mann angeln könnte. Man riet mir, für jeden Typ Mann etwas parat zu haben: Wittgenstein, die FAZ, die Times, einen Krimi, Irvin Yalom – doch bei Letzterem zögerte ich: Würde ich damit nicht nur Lehrer und Möchtegern-Psychologen anziehen, Berufsgruppen, um die ich gerne einen großen Bogen mache? Trotzdem packte ich den Yalom ein. Und was soll ich sagen? Ich angelte mir mit ihm – eine Frau.

Zum ersten Mal begegneten wir uns bibbernd auf dem Weg in die Sauna, weil es an den ersten Tagen doch etwas kühl und wir noch gar nicht entspannt und aufgewärmt waren. Am nächsten Tag gab es ein paar Verwirrungen beim Frühstück. Ein Herr hatte sich im Tisch geirrt und sich bei mir niedergelassen, statt bei seiner Gattin nebenan. „Ich sah nur die rote Jacke“, entschuldigte er sich mit Blick auf meine Jacke, die über der Stuhllehne hing, während ich mich am Buffet bediente. Am Stuhl seiner Frau hing ebenfalls eine rote Jacke. Kurz darauf schob der Mann ein Buch von seinem auf meinen Tisch: „Das gehört wohl Ihnen“, sagte er. Verwundert schaute ich auf den Titel - „Irvin Yalom – Die Liebe und ihr Henker“ – und schüttelte den Kopf. Nein, das war nicht mein Buch. Ratlos blickten wir uns an. So was! Kurz darauf erschien die Frau aus der Sauna auf der Bildfläche und griff nach dem Buch. Auch sie hatte meine rote Jacke mit der roten Jacke der anderen Frau verwechselt und sich an deren Tisch niedergelassen, in der Hoffnung, mich dort anzutreffen.

Das war übrigens nicht das einzige Mal, dass ich erlebte, wie Leute sich in den Tischen irrten. Einmal gestand mir eine Frau, die sich am Tisch eines Fremden niedergelassen hatte, den sie für ihren Mann hielt: „Ich habe mich fürchterlich erschrocken, als ich genauer hinsah.“ Nun, ich erschrak nicht bei all dem Kuddelmuddel, sondern amüsierte mich prächtig. Und die Frau mit ihrem Yalom wurde mir zu einer wunderbaren Begleitung für den Rest meines Urlaubs. Nachdem wir merkten, dass wir uns voreinander so überhaupt gar nicht verstellen mussten, packten wir übrigens beide die Therapeuten-Bücher ebenso wie die Klamotten weg, legten uns nackt nebeneinander an den Strand und holten die leichtere Lektüre hervor. Wir ließen die Sonne bis in unsere Seelen kriechen, schwammen im Meer, kämpften uns über Klippen und steinige Wege zu einsamen Buchten und schlugen uns erfolgreich in der Schlacht am Buffet. Wir lachten und weinten gemeinsam Tränen und staunten immer wieder neu über all die Parallelen in unseren Lebensgeschichten. Das gab’s doch gar nicht!

Bucht

Ebenso unglaublich und geradezu unwirklich fand ich es, aus dem tiefsten Winter in die frühlingshaft-sommerliche Sonne zu geraten. Abflug bei Schneesturm:

Flughafen

Wenige Stunden später sah es dann so aus:

Fensterblick

Als ich nach Hause zurückkehrte, war ich direkt verwundert, dass hier nicht auch alles grünte und blühte, sondern es noch genauso aussah wie vor einer Woche. Wie deprimierend! Aber die Woche Wärme und Licht tat mir gut. Dabei gab es keineswegs nur schöne Tage, sondern war anfangs recht stürmisch.

Flut

Und die Männer? Ach, die Männer. Was soll ich sagen? Da war zum Beispiel jener Kellner, der auf äußerst plumpe und ungeschickte Weise immer wieder neu versuchte, sich mit mir zu verabreden. Von südländischem Charme hatte er wohl noch nie etwas gehört. Oder jene beiden Mannsbilder in bestem Alter, die sich einbildeten, dass sie gemeinsam alle Frauen kriegen konnten. Alles Weibliche unter Fünfzig wurde von ihnen auf so penetrante Weise angebaggert, dass ich schnell das Interesse verlor. Jäger ohne Witz und Hirn sind nicht so mein Fall. Und schließlich war da noch jener Herr, dem ich samt Gattin in der Sauna begegnete. Kaum hatte sie den Raum verlassen, fing er an, auf mich einzureden und verfolgte mich sogar bis in die Dusche. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie solche Männer sich benehmen, wenn ihre Frauen sich nicht nur nebenan, sondern deutlich weiter weg befinden. So fuhr ich also solo wieder heim. Ob’s an der falschen Lektüre lag? Hätte ich doch besser die Times …? Wer weiß.

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Dienstag, 12. Januar 2010

Talfahrt bergauf

Gestern habe ich erfahren, dass ein Projekt, an dem all meine Träume hingen, endgültig geplatzt ist. Das tat weh. Sehr. Dieses Gefühl von Scheitern und Hoffnungslosigkeit passte wunderbar zu der Stimmung, die mich in den letzten Tagen erfasst hat, während ich krank und schwach auf meinem Sofa herum lag und mich selbst bemitleidete. Prompt kam es mir so vor, als könnte ich nie mehr froh werden in diesem Leben, als hätte sich alle Welt gegen mich verschworen. Warum nur, so fragte ich mich, machen die hinterletzten Trottel ganz groß Karriere, während andere, gute Leute sich erfolglos abrackern und ständig scheitern, so sehr sie sich auch anstrengen?

Am Tiefpunkt des Tages (und überhaupt des ganzen bisherigen Jahres 2010) angelangt, machten mir unabhängig voneinander zwei Leute klar, dass es gilt, trotzdem nicht aufzugeben, durchzuhalten, an sich selbst und die eigenen Talente zu glauben. Und während ich gestern Abend immer wieder dagegen hielt, dass es durchaus auf dieser Welt Menschen gibt, die eben tatsächlich nie Erfolg haben, sondern ganz, ganz böse scheitern, bewegte sich in mir drin doch etwas.

Ich spürte eine Art Trotz aufsteigen, einen grimmigen Widerstand, der keine Lust mehr auf diese Selbstbejammerungstour hatte. Als ich heute Morgen aufstand, war meine erste Maßnahme daher, die Schlabberklamotten, die ich die ganze letzte Woche über auf dem Krankenlager getragen hatte, in die Wäsche zu befördern und mich stattdessen hübsch anzuziehen und zu schminken, als hätte ich einen wichtigen Termin. Dann ging ich spazieren und genoss die wunderschön verschneite Winterlandschaft.

Draußen wurde ich mit viel Ungerechtigkeit konfrontiert, aber auch mit Menschen, die sich engagieren und für eine bessere Welt kämpfen. Das fand ich tröstlich. Zurück daheim wurde ich an den Tod erinnert, daran, dass alles viel schneller und plötzlicher zuende sein kann, als wir alle immer glauben. Und dass Liebe doch wohl eigentlich das Wichtigste im Leben ist. Liebe zu anderen Menschen, zur Natur, aber auch zu uns selbst. Ich glaube, ich bin wieder gesund.

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Samstag, 26. September 2009

Die Qual der Wahl

Für logo, das Nachrichtenmagazin für Kinder, interviewten Schüler die Spitzenkandidaten der großen Parteien. Was harmlos anmutet, ist doch sehr entlarvend. Erste Liebe, Lieblingstier und Schulnoten – die jungen Reporter stellten ungewöhnliche Fragen und brachten die sonst so souveränen Politiker ins Stolpern. Gregor Gysi musste sich zu seiner wahren Körpergröße bekennen. Frank-Walter Steinmeier lächelte tapfer, als er nach seinem ersten Kuss gefragt wurde. Die Kanzlerin wirkte ratlos. „Was für ein Tier wären Sie gerne?“ „Hm, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Die Kröte ist mein Lieblingstier, wegen der Erdverbundenheit. Aber verwandeln möchte ich mich auch nicht dauerhaft.“ Eine Kröte. Ja, nee, ist klar.

(Hier sollte jetzt eigentlich ein kurzer, schöner Abschluss stehen, aber mir fällt partout nichts Gescheites ein. Vielleicht, weil ich zu müde bin. Vielleicht auch, weil dieser ganze Wahlkampf so absurd ist, dass einem die Worte fehlen.)

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Montag, 24. August 2009

Die Stadt der Zukunft

Meine Theorie zur Hamburger Hafencity, deren Entstehung weltweite Aufmerksamkeit erregt, lautet übrigens so:

Erst kommen die ganzen Reichen. Sie kaufen repräsentative Wohnungen, mit denen sie vor ihren Freunden und Geschäftspartnern angeben können. Schließlich haben sie eine Wohnung auf Europas bekanntester Baustelle ergattert. Hafencity ist in, Hafencity ist Kult. Da darf kein Porsche fahrender Wichtigtuer fehlen. Richtig leben tun diese Menschen natürlich nicht in der Hafencity. Denn sie arbeiten 20 Stunden am Tag (falls sie nicht von Beruf Sohn sind) und haben außerdem noch Immobilien in München, London und auf Ibiza. Darum fallen ihnen die ganzen Defizite dieses Stadtteils gar nicht auf. Und trotzdem wird es ihnen irgendwann zu langweilig in diesem Retortenviertel an der Elbe. Was heute Trend ist, ist morgen schließlich ne olle Kamelle. Also ziehen sie bald weiter.

Nach den Reichen kommen die Mittelständler, die gerne auch reich wären und sich freuen, dass sie nun eine schicke Eigentumswohnung mieten können, die zwar eigentlich über ihre Verhältnisse geht, aber es merkt ja keiner, wie ihr Bankkonto aussieht. Sie bleiben so lange, bis sie Privatinsolvenz anmelden müssen. Oder bis sie Kinder kriegen und feststellen, dass es für diese keinen Platz in der Stadt der Zukunft gibt. Ihnen folgen noch einige Generationen doppelverdienender Paare, bis die Wohnungen immer mehr verlebt und die Mieten immer weiter im Keller gelandet sind. Das einzig Teure an diesen Häusern sind eh die Grundstücke, an den Baumaterialien mussten die Investoren kräftig sparen, damit sich überhaupt jemand ihre Edelhütten leisten konnte, und das macht sich nun nach fünfzehn, zwanzig Jahren deutlich bemerkbar. Aus dem Vorzeigeviertel ist eine triste Betonwüste geworden.

Wohnen will hier niemand mehr freiwillig, schon gar nicht für viel Geld. Die Wohnungsbaugenossenschaften, die anfangs einige Alibihäuser gebaut hatten, deren Mieten sich ihre eigentlichen Mitglieder jedoch nicht leisten konnten, kaufen nun etliche der anderen Häuser mit auf. In die Wohnungen ziehen Studierende, Arbeiter und HartzIV-Empfänger. Aus der Yuppie-Bar wird Susis Nagelstudio, und das Sternerestaurant weicht einem Aldi. Für die Menschen, die jetzt hier leben, ist vor allem der günstige Miepreis wichtig. In den großzügig geschnittenen Wohnungen haben auch ihre Kinder und Hunde reichlich Platz. Das ist besonders wichtig, da es draußen keine Spielplätze gibt und sich selbst der Pausenhof der Schule auf dem Dach befindet. Diese ganzen Investoren wollten damals nämlich vor allem schnell Geld verdienen und hatten gar nicht im Sinn, Lebensräume für Menschen zu gestalten. Die HartzIV-Empfänger sind es zum Glück gewohnt, in langweiligen Kästen zu leben, die wie Käfige dicht an dicht stehen, so dass man beim morgendlichen Blick aus dem Fenster sieht, was sich der Nachbar aufs Frühstücksbrötchen schmiert. Die Luftverpestung durch die Kreuzfahrtschiffe, die nebenan anlegen, finden sie zwar schlimm, aber was sollen sie machen? Schließlich war die Luft an der vierspurigen Umgehungsstraße, an der sie früher gelebt haben, auch nicht besser. Dass mal Leute freiwillig in der Hafencity wohnen wollten, können sie sich nicht vorstellen.

Gelegentlich schaut einer der Reichen, der auf einem der Kreuzfahrtschiffe vorbei fährt, von der Elbe aus auf die heruntergekommenen Betonklötze in der Hafencity. Viele der Büros stehen mittlerweile leer, hinter den Fenstern der Wohnungen hängen billige Gardinen und auf den Balkonen stehen kaputte Plastikmöbel. Kopfschüttelnd sagt der Reisende zu seiner Begleiterin: „Dort habe ich auch mal gewohnt. Über dreißig Jahre ist das her. Damals dachte ich, die Hafencity sei ein Ort zum Investieren. Aber mir wurde sehr schnell klar, dass es sich in Wahrheit um die größte städtebauliche Fehlplanung aller Zeiten handelte.“ "Wie konnte das denn passieren?" fragt die Begleiterin. Als Antwort erhält sie nur ein ratloses Schulterzucken.

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Mittwoch, 19. August 2009

Apokalypse

Früher fand ich die Wallander-Krimis ganz toll. Ich habe einen nach dem anderen verschlungen. Dann schenkte mir jemand einen weiteren Krimi aus der Reihe, aber aus Gründen, die ich nicht erklären konnte, las ich nur die ersten zehn Seiten und legte das Buch dann weg. Damals dachte ich, es würde vielleicht mit dem Mann zusammenhängen, von dem das Geschenk war. Uns verbanden einige unschöne Geschichten, und mir schien es fast so, als hätte ich mit dem Buch auch den Mann weggelegt.

In meiner Wohnung steht seit ungefähr einem Jahr in einer Ecke eine Kiste mit ausrangierten Büchern. Seit Ewigkeiten will ich sie bei ebay versteigern, aber irgendwie vergesse ich es immer. Kürzlich ging mir der Lesestoff aus, und ich begann in dieser Kiste zu stöbern. Da stieß ich auf jenen weggelegten Wallander-Krimi, und ich las ihn erneut – diesmal sogar bis zur letzten Seite. Es geht darin um religiösen Fanatismus. Neben vielen unterkühlten Dialogen und noch mehr Ungereimtheiten kommen in der Geschichte etliche Feuer vor. Erst brennen Tiere, dann Kirchen. Die Vorstellung, wie die Tiere verbrennen, war mir beim Lesen zuwider. Ich finde Feuer, das Lebewesen vernichtet, hat immer etwas Apokalyptisches. Mir gefiel die Geschichte nicht, was allerdings nichts mit den verbrannten Tieren zu tun hatte, sondern eher damit, dass ich die Story sehr konstruiert und teilweise auch nicht gut geschrieben fand. Das war mir bei den früheren Krimis von Henning Mankell nie aufgefallen. Ob das daran liegt, dass die anderen Bücher besser sind, oder dass mein Geschmack sich verändert hat, vermag ich nicht zu sagen.

Kaum hatte ich das Buch fertig gelesen, wurde die Apokalypse Wirklichkeit. Das Pferd einer guten Freundin verbrannte zusammen mit einem anderen Pferd bei einem Großbrand in seinem Stall. Es war noch ein junges Pferd, sehr hübsch, mit sehr guten Anlagen, der ganze Stolz meiner Freundin. Die Freundin ist völlig geschockt, ich bin es auch und vermochte sie kaum zu trösten. Erst vor wenigen Wochen hatte ich mir das Pferd angeschaut, und ich sehe immer noch seine freundlichen großen Augen vor mir, und seine üppige Mähne, die im Sommerwind weht. Doch dann schieben sich andere Bilder vor. Ich höre das verzweifelte Wiehern der Pferde und ihre Hufe gegen die Boxenwand hämmern, und in meinem Kopf mischen sich die brennenden Schwäne und Kühe aus dem Krimi mit den verkohlten Pferdeleibern. Meine Fantasie schlägt Purzelbäume und raubt mir den Schlaf. Die Geschichten, die das Leben schreibt, sind meistens viel grausamer und vor allem wahrer als alles, was in Büchern steht.

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Donnerstag, 13. August 2009

Der letzte Baum

Ich gehe seit einigen Tagen nur noch widerwillig in meinem Lieblingspark spazieren. Auf dem Weg dahin muss ich nämlich durch einen anderen Park, der so eine Art Freizeitpark des Viertels ist. Es gibt Spiel- und Sportplätze, eine Skaterbahn, ein Café, und einen eingezäunten Hundespielplatz. Ein kleiner Teil des Parks musste in den letzten Jahren dem neuen Schwimmbad weichen. Das heißt, kostenlose Freizeitfläche wurde gegen teures Freizeitvergnügen eingetauscht. Viele Anwohner protestierten vergeblich dagegen. Dass das neue Schwimmbad eine totale Fehlplanung ist, ist zusätzlich ärgerlich, soll jetzt hier aber nicht Thema sein. Was mich momentan so bedrückt, sind etliche Bäume, die mit weißen Kreuzen markiert wurden, unter denen ein Schild mit der Aufschrift: „Ich sterbe für Vattenfall“ steht.

Der Hintergrund dieser Aktion kann hier ausführlich nachgelesen werden. Mich macht das so sauer, dass ich jedes Mal, wenn ich diese großen, alten Bäume sehe, vor Wut stundenlang nicht mehr klar denken kann. Nicht nur, dass wir dieses überflüssige Kraftwerk ertragen müssen. Jetzt beschneidet dieser Konzern auch noch einem Viertel, das wahrhaftig nicht vor Natur strotzt, seine grüne Lunge. Dass als Ersatz für die alten Bäume neue gepflanzt werden, ist für mich kein Trost. Erstens wird vermutlich niemand überprüfen, ob diese Bäume wirklich gesetzt werden. Und zweitens braucht ein Baum viele, viele Jahre, um so groß zu werden, dass sich kleine Tiere darin zuhause fühlen, Kinder sich hinter dem dicken Stamm verstecken, Familien im Sommer in seinem Schatten lagern können und er eine Augenweide für alle ist, die des Betons, von dem es hier im Viertel reichlich gibt, überdrüssig geworden sind. Was mich am meisten an der Sache ärgert: Es gäbe eine Alternative. Die Fernwärmeleitungen könnten unter einer Straße verlegt werden, die in unmittelbarer Nähe des Park verläuft. Dann müssten keine Bäume sterben. Aber die Stadt Hamburg möchte Beeinträchtigungen auf dieser viel befahrenen Straße vermeiden. Wie absurd ist das denn? Ein Baum, der einmal umgehauen wurde, ist weg. Für immer. Eine Straße, die wegen Bauarbeiten gesperrt wird, verursacht zwar ein paar Monate oder auch Jahre Behinderungen. Aber irgendwann wird der Asphalt wieder zugemacht, und alles ist so, als sei nichts gewesen. An anderen Stellen werden doch auch permanent Beeinträchtigungen in Kauf genommen, man denke nur an den Elbtunnel, an dessen Röhren ständig gebaut wird, so dass es zu kilometerlangen Staus auf der Autobahn kommt.

Ich glaube endgültig niemandem aus unserer schwarz-grünen Regierung mehr, der behauptet, es tue ihm so Leid, aber man habe das Vattenfall-Kraftwerk aus juristischen Gründen nicht verhindern können. Alles Schnickschnack. Angefangen bei den Vattenfall-Bossen bis hin zu den kleinsten Hamburger Abgeordneten geht es all diesen Leuten nur um eins: Ihre persönliche Macht zu erhalten und für sich selbst so viel Profit wie möglich rauszuhauen. Auf der Strecke bleiben dabei wie immer viele, viele Menschen und die Umwelt – zum Wohle einiger Weniger.

Wie hieß noch diese berühmte Rede, die gültiger denn je ist? „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann.“

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Dienstag, 4. August 2009

Menschlich

Im fast menschenleeren Drogeriemarkt kreuzen meinen Weg zwei Frauen, die jüngere sehr groß und hellblond, die ältere kleiner und dunkelblond. Die Jüngere hält eine blaue Plastikschüssel in der Hand und zeigt der Älteren einen Stand mit Fußpflegeprodukten. „Aha, Tochter hilft Mutter, für ein Fußbad einzukaufen“, schießt es mir durch den Kopf, und ich gehe weiter.

Ich habe die Beiden schon fast vergessen, als ich plötzlich die Stimme der älteren Frau vernehme. Beim flüchtigen Hinsehen habe ich sie nicht erkannt, aber diese Stimme kann ich sofort einordnen. Sie klingt auch jetzt, in hohem Alter, immer noch voll und elegant. Verstohlen drehe ich mich um und mustere die Frau nun etwas genauer. Tatsächlich, es besteht kein Zweifel. Da steht eine der größten deutschen Schauspielerinnen des 20. Jahrhunderts. Meine Mutter hat für sie geschwärmt, ich habe sie erst mit zunehmendem Alter entdeckt, war aber stets von ihrer perfekten Eleganz beeindruckt. Wann immer ich sie in Filmen oder Talkshows sah – sie war perfekt frisiert, perfekt geschminkt, perfekt gekleidet. Eine Frau von unaufdringlicher Schönheit, scheinbar ohne Starallüren, ohne marktschreierisches Getue, aber eine, die Eindruck hinterließ und bis ins hohe Alter Erfolg hatte.

Ich lächele und straffe meine Schultern. Ich möchte hingehen und ihr sagen, dass ich sie großartig finde. Ob sie genervt ist? Oder sich freut? Ich mache neugierig schon einen Schritt in ihre Richtung, doch dann überlege ich es mir anders. Die Situation ist zu intim. Diese große Frau steht hier im Drogeriemarkt, ungeschminkt, schlecht frisiert, in bunter Sommerkleidung, die eher an den Strand als in die Stadt passt, und kauft sich Fußbalsam. Sie ist heute nicht als Diva unterwegs, sondern nur eine alte Frau, der die Füße weh tun.

Ich drehe ab, kaufe weiter ein, stehe später zufällig an der Kasse wieder hinter ihr und beobachte still, wie sie freundlich mit der Kassiererin spricht. Ich schaue ihr schmunzelnd hinterher, als sie mit ihrer Tochter den Laden verlässt, langsam und ein wenig humpelnd. Ein großer Star ganz menschlich. Ich bin froh, dass ich sie nicht in ihrem Menschsein gestört habe.

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Donnerstag, 25. Juni 2009

Glücklich

Im Jenischpark sitzen, Eis essen, auf die Elbe schauen, während die Sonne langsam hinter den Bäumen verschwindet.

Im warmen Wasser plantschen, die Schwerelosigkeit genießen, mit geschlossenen Augen das Gefühl für Raum und Zeit verlieren.

Der eigenen Berufung näher kommen, jeden Tag ein Stückchen mehr, immer deutlicher spüren, was gut tut, was meins ist, nicht nur in meiner Fantasie, sondern auch ganz in echt.

Das ist Glück.

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Übermorgen fliege ich in den Urlaub, und wenn ich zurückkehre,...
feinstrick - 15. Mai, 21:06
Hat ja geklappt :)
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steppenhund - 11. Feb, 22:02
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feinstrick - 11. Feb, 20:08
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feinstrick - 11. Feb, 20:08

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