Unterwegs

Dienstag, 13. März 2012

Herzklopfen

Ich habe seit geraumer Zeit Bluthochdruck. Es ist (noch?) überhaupt nicht dramatisch, aber für mich, die ihr Leben lang einen eher zu schwachen Kreislauf hatte, fühlt es sich an, als würde mein Herz demnächst explodieren. Morgens ist es am schlimmsten. Und nachts. Ich schlafe extrem schlecht, schrecke aus unruhigen Träumen hoch und lausche stundenlang dem Hämmern meines Herzens. Meine Ärztin hat die Hormone im Verdacht und checkt mich gerade komplett durch. Aber neben den körperlichen fallen mir auch noch jede Menge anderer Gründe ein, berufliche wie private.

Ich sitze mit ihm beim Frühstück in einem Café, erzähle ein bisschen von meinen gesundheitlichen Problemen, während ich es kaum schaffe, ein halbes Brötchen zu essen. Er sagt mehrmals: „Davon hast du bestimmt den Bluthochdruck. Wenn du diese Last los bist, entspannst du dich wieder, jede Wette.“ Ich nicke. Ja, sicher, da hat er garantiert recht. Einiges lastet gerade sehr unangenehm auf mir und setzt mich unter Druck. Aber diese Panik, die mich seit Wochen gefangen nimmt, die stammt von etwas anderem, das ist eine uralte Sache, von der ich dachte, ich hätte sie längst überwunden.

Ich erzähle ihm nicht davon, verschweige den Hauptgrund meines Herzrasens. Er sitzt da, freundlich, entspannt, mir zugewandt. Wir reden und reden und reden, aber immer haarscharf am Kern vorbei, wie mir scheint. Ich nehme mehrmals Anlauf, denke, jetzt sei ein guter Moment, um damit anzukommen, aber ich schaffe es einfach nicht. Ich hadere mit mir selbst. Warum nur fällt es mir so schwer, mein Unwohlsein zu thematisieren? So, wie er da sitzt, wird er garantiert offen dafür sein, wird versuchen, mich zu verstehen und sich selbst zu erklären. Aber ich bin wie gelähmt und denke die ganze Zeit nur: Alles wäre viel, viel besser, wenn ich sagen könnte, was ich mir seit Wochen zurecht gelegt habe, was in meinem Kopf darauf wartet, heraus zu sprudeln. Aber es sprudelt nichts, die Quelle ist total verstopft.

Er verabschiedet sich sehr liebevoll. Ich genieße seine Nähe und wünschte, er würde mich ewig so festhalten. Er lacht, küsst mich leidenschaftlich, da ist auf einmal so viel Leichtigkeit bei ihm. Warum nur habe ich die nicht? Warum fühle ich mich ihm gegenüber zurzeit so angespannt und heillos überfordert?

Hinterher bin ich leer, wie ausgehöhlt. Auf zittrigen Beinen wanke ich heimwärts und fahre nach einer kleinen Verschnaufpause ins Schwimmbad. An Arbeit kann ich heute nicht mal denken. Schwimmen und Sauna bringen mich dagegen runter. Als ich später mit einer Pizza vor dem Fernseher sitze, fühle ich mich zum ersten Mal an diesem Tag entspannt. Und unendlich müde. So ein überarbeitetes Herz strengt ganz schön an.

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Sonntag, 4. März 2012

Feierei

Ich gehe auf eine Party. Den Gastgeber kenne ich schon ein Leben lang. Uns verbindet eine warme, innige Freundschaft. Früher waren wir immer dann sehr eng zusammen, wenn er gerade mal keine Freundin hatte. Er ist jemand, der das Leben in vollen Zügen genießt, der gern an sein Limit geht und auch mal Grenzen überschreitet. Viel Alkohol, Drogen, gelegentlich Gewalt, und viele leidenschaftliche Liebesgeschichten, die oft katastrophal endeten. Inzwischen ist er ruhiger geworden, lebt jetzt schon recht lange in einer stabilen Beziehung und hat ein Kind. Seitdem sehen wir uns kaum noch.

Es sind viele Leute da, von denen ich fast niemanden kenne. Mitten im Getümmel erzählen mein Freund und sein Bruder mir plötzlich vom Tod ihrer Mutter. Ich bin bestürzt. Sie ist schon seit zwei Jahren tot, aber ich erfahre das jetzt erst. „Warum habe ich dir das nicht erzählt?“, fragt er verwundert. Ich weiß es auch nicht. Vielleicht, weil wir so wenig Kontakt in den letzten Jahren hatten. Vielleicht auch, weil es zu viel für ihn war, obwohl der Tod der Mutter nicht überraschend kam, sie war viele Jahre schwer krank. Ich erinnere mich an meinen letzten Besuch bei ihr und ihrem Mann, das ist erst einige Jahre her. Da war sie schon krank, sah aber trotzdem noch so aus wie damals, als ich als Kind in ihrer Küche saß und Bratwurst mit Kartoffelbrei aß.

Und dann ist da dieser Mann, der mich von der ersten Sekunde an fasziniert. Mein Freund stellt uns einander vor, ich schaue in ein außergewöhnlich attraktives Gesicht, wache, lebendige Augen, ein warmes Lachen. Wir vertiefen uns schnell in ein Gespräch, er ist neugierig und stellt kluge Fragen, hört aufmerksam zu, rückt immer näher an mich heran, und ich denke wie blöde nur noch: Oh bitte, gib mir deine Telefonnummer, besser noch, nimm mich gleich heute Nacht mit nach Hause. Keine Ahnung, wie ich es schaffe, entspannt zu bleiben und fröhlich kluge Antworten zu geben. Da erwähnt er auf einmal in einem Nebensatz seine Frau. Er ist verheiratet. Natürlich. Alle tollen Männer sind verheiratet, das ist so, wenn man nicht mehr zwanzig ist. Ich sterbe. Später taucht seine Frau sogar auch auf und weicht nicht mehr von seiner Seite. Von da ab vermeidet er jeden Blickkontakt mit mir.

Ich schaue den anderen beim Tanzen zu. Ausgelassen und fröhlich tanzen sie. Ein paar Teenager schauen zur Tür herein, fasziniert, erstaunt darüber, dass alte Leute so temperamentvoll sein können. Da ist eine Leichtigkeit, eine Unbeschwertheit im Raum, die mich traurig stimmt. Ich trinke viel zu viel Rotwein, das wird morgen kein guter Tag, denke ich noch, aber ich brauche etwas, an dem ich mich festhalten kann, und sei es nur mein Weinglas. Ich denke über die Liebe nach, darüber, warum sie manchmal ganz leicht daher kommt und manchmal unendlich schwer, warum sie manchmal Glück bedeutet und manchmal nur das Herz schmerzen lässt. Als ich es nicht mehr aushalte, gehe ich, flüchte mitten aus der Heiterkeit heraus in die Stille meines eigenen Lebens zurück.

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Sonntag, 20. November 2011

Umnebelt

Ich stehe auf dem Friedhof. Wohlweislich gehe ich nicht am Sonntag, wenn die ganzen Familien kommen und Tannengestecke auf die Gräber ihrer Lieben legen. Ich gehe einen Tag früher, da treffe ich nur Leute, die genauso allein und verloren wirken wie ich. Keine Ahnung, warum ich neuerdings immer heulen muss, wenn ich da so einsam am Grab stehe. Das war doch früher nicht so. Aber der Verlust wiegt mit den Jahren immer schwerer, weil ich erst jetzt begreife, was meine Eltern alles verpassen – und wir Hiergebliebenen auch.

Die Freundin, die später anruft und sich spontan mit mir verabredet, schickt der Himmel. Mir ist jetzt jede Ablenkung willkommen! Wir gehen aufs Schiff und schippern bei fröhlicher Partymusik die Elbe rauf und runter. Eine dichte Nebelwand zieht auf, die Sicht wird immer spärlicher, Hafen und Speicherstadt wirken geradezu mystisch. „Jetzt fehlen bloß noch die Untoten“, sagt meine Freundin mit Blick auf die Schiffe, die im Hafen festgemacht haben und gespenstisch vom Nebel umhüllt werden. Passanten stehen wie erstarrt am Kai und heben sich als schwarze Scherenschnitte von den hell erleuchteten Häusern dahinter ab. Wir starren ins schwarze Wasser hinab und warten förmlich darauf, dass plötzlich eine weiße Hand daraus auftaucht.

Leider sind wir nicht allein. Mit an Bord: eine Gruppe Herren aus dem Hamburger Umland, die einen Junggesellenabschied feiern. Anfangs finde ich sie noch ganz amüsant – bis sie extrem plumpe Annäherungsversuche bei uns Frauen starten. Die Männer sind alle schon nicht mehr ganz nüchtern – dabei hat der Abend gerade erst angefangen. Wenn ich eins nicht leiden kann, dann sind es angetrunkene fremde Kerle. Einer von ihnen zwängt sich zwischen meine Freundin und mich, geht schnell auf Tuchfühlung. Ich bügele ihn mit einer eisigen Bemerkung ab. Meine Freundin hingegen – bügelt mich ab. Sie lässt sich von dem Mann in eine Unterhaltung verwickeln. Ich höre kaum, was sie sagen, weil die Musik zu laut ist. Doch ich sehe, wie sie immer dichter zusammenrücken und lauthals lachen. Verständnislos starre ich hinüber und beschließe dann, einfach die wunderbare Aussicht auf die beleuchtete Speicherstadt zu genießen und alles andere im Nebel versinken zu lassen.

Später, nachdem die Junggesellen das Boot verlassen haben, entschuldigt sich meine Freundin. Sie habe momentan so viel Stress in der Arbeit und hätte einfach das dringende Bedürfnis verspürt, mal ein paar total banale Augenblicke erleben zu dürfen. Ich kann sie verstehen. Und frage mich sogar, warum ich nicht einfach mitalbern konnte. Es hätte die vergangene halbe Stunde deutlich unterhaltsamer gestaltet. Aber, wie gesagt, bei betrunkenen Fremden gehen bei mir sämtliche Jalousien runter. Versöhnlich stehen meine Freundin und ich den Rest der Fahrt nebeneinander. Wir sprechen über das Leben und den Tod. Über zerplatzte Träume, falsche Hoffnungen und die Liebe, die sich manchmal, vielleicht, doch noch dazwischen schleicht. Und wir schauen stumm hinaus auf den Nebel, der sich immer tiefer auf die Stadt herabsenkt und allen Schmutz, alle Enttäuschungen und falschen Sehnsüchte, Einsamkeiten und Verluste sanft bedeckt.

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Sonntag, 4. September 2011

Stamp your feet

Es gibt Dinge, die sind ganz naheliegend, und doch muss man erst mal drauf kommen. Ein Festival nur für Straßenkünstler zum Beispiel. Im letzten Jahr fand es zum ersten Mal statt, hervor gegangen aus der altonale, dem Altonaer Stadtteilfest, das ja auch schon eine wunderbare Erfindung ist, weil es sich auf wohltuende Weise von anderen Festen abhebt, bei denen sich Würstchenbude an Bierzelt reiht und zum krönenden Abschluss eine drittklassige Coverband spielt. Bei der altonale stehen Kunst und Kultur im Mittelpunkt, und das, man glaubt es kaum, ganze drei Wochen lang. Jedes Jahr wieder.

Bei STAMP geht es ebenfalls um Kunst und Kultur – und zwar ausschließlich auf der Straße. Straßentheater, Straßenmusik, Akrobatik, Tanz, Street Art. Alles kommt vor, für jede Altersgruppe und jeden Geschmack, laut und schrill, leise und zart, poetisch, lustig, lärmend. Ein ganzes Wochenende lang. Und das alles nur für ein Hutgeld, das sich die Künstler nach ihren wirklich fantastischen Darbietungen erbitten. Das Schöne: Während die ganze Stadt zum Alstervergnügen rennt, genervt vom Gedränge und Gewühle ist, und am Ende viel Geld für wenig Inhalt ausgegeben hat, ist es bei STAMP zwar nicht leer, aber doch wohltuend übersichtlich. Das ist auch gut so. Schließlich findet das Festival auf einem relativ kleinen Areal statt (wenn man mal außer acht lässt, dass es dieses Jahr auch Auftritte an der Elbe gab), das macht gerade seinen Reiz aus. Die Künstler sind quasi zum Anfassen da und interagieren ständig mit dem Publikum, wie das eben so ist bei Straßentheater.

Cirkusz-Ka, Ungarn Chilifish, Österreich IMG_0059 IMG_0087

Mein persönlicher Geheimtipp: Die Night Parade. Das ist der Karneval in Venedig und Rio samt der Basler Fasnacht in einem: mystisch (wegen Feuer und Masken), lärmend (Brassbands trommeln und trompeten, bis einem die Ohren abfallen), zauberhaft (wegen der Kostüme). Und das alles in Hamburgs schmuddeligster Einkaufsstraße, die einmal im Jahr beweist, dass sie im Grunde doch eine Menge Charme besitzt.

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Dienstag, 2. August 2011

Baustellen

Ich bin zurzeit umgeben von Baustellen. Seit Monaten werden in meiner Straße zwei Häuser teilweise umgebaut und saniert. Gegenüber meiner beiden Lieblingscafés befindet sich eine Großbaustelle. Unzählige Straßen im Quartier sind aufgerissen. An allen Ecken wird gebohrt, gebaggert, gesägt, gelärmt. Manchmal ertrage ich es kaum und wünsche mich weit weg, auf eine friedliche kleine Insel, deren Bewohner das Wort „Bauarbeiter“ nicht in ihrem Vokabular führen. Allerdings würde das nur zu einer äußerlichen Stille führen. Auf meinen inneren Baustellen würde es fröhlich weiter lärmen.

Das Chaos, das der Tornado hinterlassen hat, habe ich zum Glück fast beseitigt. Ein paar große Fragezeichen liegen noch herum und ein Häuflein Sehnsucht, das einfach nicht verschwinden will. Aber es sieht schon viel aufgeräumter in meinem Herzen aus. Mal wieder habe ich einiges dazu gelernt über Nähe und Vertrauen, lieben und begehren, Männer und Frauen. Was als schöne Erinnerung bleiben wird: Dass ich ich noch nicht alt, verrostet, mutlos und langweilig bin, sondern mich immer noch wie eine Fünfzehnjährige Hals über Kopf in einen hübschen Kerl verknallen kann.

Der verlässliche Liebhaber tröstet mich über den abgetauchten Liebhaber hinweg, böser Bube gegen Taugenichts – zukünftige Schwiegersöhne sehen auch anders aus. Aber ich habe keine Eltern mehr, brauche also auch keinen Vorzeigeschwiegersohn. Und mein Herz? Das bräuchte schon mal jemanden, der nicht nur für ein Wochenende bleibt. Vielleicht klappt es ja beim nächsten Versuch. Oder beim übernächsten. Ich stelle übrigens fest, dass ich mich hier total geirrt habe. Wir altern ja alle gemeinsam, und da ich mir nicht plötzlich zwanzigjährige Liebhaber suche, schauen die Männer mich auch nicht mit den Augen eines Zwanzigjährigen an. Will sagen: Meine Alterszeichen sind ihnen so wurscht wie mir ihre. Und es geht sogar noch weiter: Zu meiner großen Verwunderung geht es in Sachen Lust überhaupt nicht abwärts, sondern aufwärts. Dass mich das so erstaunt, hängt mit einer Erinnerung zusammen, die sich bei mir eingebrannt hat: Als ich knapp dreißig war, hatte ich eine kurze Affäre mit einem Mann, der achtundvierzig war. Es war eine Herzensgeschichte, aber der Sex war furchtbar. Er hatte nicht nur Potenzprobleme, sondern war auch äußerst einfallslos. Irgendwie setzte sich damals bei mir der Glaube fest, dass Männer über vierzig mit dem Thema Lust durch seien. Und Frauen darum wohl auch. Was für ein sagenhafter Irrtum! Mit der Lust ist es vorbei, wenn man selbst beschließt, dass es vorbei ist. Andernfalls gilt, was ich im letzten halben Jahr entdeckt habe: Es wird mit zunehmendem Alter alles immer besser. (Auch, wenn man hinterher drei Tage Muskelkater hat und sich nicht mehr bewegen kann ...)

Eine meiner Großbaustellen steht zum Glück kurz vor ihrem Ende, das Projekt ist zumindest im Rohbau fertig. Meine traurigen Helden sind in die Zielgerade gestolpert. So ganz zufrieden bin ich noch nicht damit, mir scheint, am Ende ging ihnen ein wenig die Puste aus. Aber sie sind angekommen! Und ich mit ihnen. Wie im Rausch verbrachten wir die letzten Tage und Nächte miteinander, und ich vergaß alles darüber, einkaufen, essen, schlafen, Geld verdienen, sogar die Baustellen vor der Tür. Jetzt bessere ich den Putz noch an einigen Stellen etwas aus, dann erkläre ich das Ganze zur Wanderbaustelle und lasse meine hoffentlich eifrigen und einfallsreichen Helferlein ans Werk, um mir Tipps für die weitere Gestaltung geben zu können. Hach, hach, hach!

Und heute war Sommer. Und morgen soll auch noch mal Sommer sein. Mit und ohne Baustellen.

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Freitag, 15. April 2011

Angebote

Erst bin ich enttäuscht, weil er heute nicht an der Kasse sitzt, doch dann erspähe ich ihn in der Schwimmhalle. Als ich am Beckenrand entlang gehe, kommt er direkt auf mich zu. Wir grinsen uns an und sagen Hallo. Ich denke: Na, nun weißt du also auch, wie ich ohne Jeans und dicke Winterjacke aussehe. Und verstohlen mustere ich seine nackten Beine, die genau wie seine Arme tätowiert sind. Wo an seinem Körper hat er wohl weitere Tattoos versteckt?

Ich bin die Treppe zum Außenbecken schon halb runter, als er plötzlich hinter mir steht. Nanu? Er war doch eben noch in die andere Richtung unterwegs. Nun hat er sich also in aller Ruhe meine schwabbeligen Beine von hinten angeguckt. Na toll! „Schön die Sonne genießen?“ fragt er, und ich nicke, und wir wechseln ein paar belanglose Worte. Ich strahle, er grinst, dann fragt er auf einmal: „Wollen Sie heute noch in die Sauna?“ Nein, das habe ich nicht vor. Ich habe nur eine halbe Stunde Schwimmen mühsam in meine Mittagspause gequetscht. Er erzählt irgendwas von einem speziellen Sauna-Angebot. „Klingt toll, aber ich habe leider keine Zeit und auch kein großes Handtuch dabei“, wehre ich ab. „Verstehe.“ Er wirkt ein wenig enttäuscht. „Falls Sie es sich noch anders überlegen: Ich mache um eins einen Aufguss.“ Hat er wirklich ich gesagt? Oder habe ich mir das nur eingebildet? Junge, denke ich, jetzt fährst du aber ganz schön schwere Geschütze auf.

Nach dem Schwimmen spreche ich ihn noch mal auf das Sauna-Angebot an. Das sei nichts Offizielles und nur zum Kennenlernen gedacht, erklärt er. „Da habe ich ja Glück gehabt, dass du mich angesprochen hast.“ Ich wechsle wie von selbst zum Du. „Glück? Nein, so würde ich das nicht nennen.“ Aber er sagt nicht, wie er es lieber nennen möchte. Und dann gibt er zu, dass er das Angebot nur ausgewählten Gästen macht. Obwohl ich die Sauna längst kenne, also gar nicht zur Zielgruppe für die Aktion gehöre, empfiehlt er mir augenzwinkernd, beim nächsten Schwimmbadbesuch einfach ein größeres Handtuch mitzubringen. „Wir laufen uns bestimmt wieder über den Weg“, sagt er und lacht. Das hoffe ich doch. Schließlich weiß ich immer noch nicht, was für Worte auf seinen Armen stehen.

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Donnerstag, 7. April 2011

Strahlen

Nach langer Zeit sitzt mein Lieblingsmitarbeiter mal wieder an der Kasse im Schwimmbad. Er strahlt mich schon von weitem an, ich strahle zurück, wir wechseln die üblichen Worte - “Einmal Schwimmen für anderthalb Stunden bitte“, „Gerne“, „Danke“ -, da sagt er auf einmal: „Sie wissen aber schon, dass Sie mit Ihrem Lächeln den Blick von mindestens zehn griesgrämigen Gästen hier wieder ausgleichen, oder?“ Ich hebe verblüfft den Kopf und schaue ihn aufmerksam an. Mir fällt auf, dass er eine jüngere Ausgabe von ihm ist – nicht schön im klassischen Sinne, dennoch sehr attraktiv und sympathisch, die Haare genauso nach hinten gegelt, die muskulösen Oberarme voller Tattoos. „Ist doch wahr“, fügt er hinzu und lehnt sich in seinem Sessel zurück. „Viele Leute schauen so unfreundlich in die Gegend und kriegen kaum den Mund auf, wenn sie hier vor mir stehen. Da vergeht einem manchmal schon selbst die gute Laune.“ Ich strahle ihn an, er strahlt zurück, ich möchte gar nicht schwimmen gehen, ihn viel lieber noch länger anschauen und endlich fragen, was denn da eigentlich auf seinen Armen steht, aber dann gehe ich doch weiter in Richtung Umkleidekabinen. Doris Day singt Qué Será, und ich singe ein bisschen mit, und denke, dass meine Laune ja schon heute Morgen gut war, dass sie nun aber ungeahnte Gipfel erstürmt. Und ich frage mich, warum ich neuerdings ausgerechnet diesen Typ Mann so interessant finde. Das war doch früher nicht so. Vielleicht liegt es ja daran, dass ich vor der speziellen Erotik, die diese Kerle ausstrahlen, keine Angst mehr habe, sondern sie höchst aufregend finde. Ich nehme mir vor, nach dem Schwimmen noch mal an die Kasse zu gehen. Doch leider sitzt dort nun eine junge Frau, die mit anderen Gästen beschäftigt ist. Schade. Ich hätte mich gerne bei ihrem Kollegen dafür bedankt, dass ich immer noch strahle. Aber ich gehe jetzt sicher wieder öfter schwimmen. Allein schon der guten Laune wegen.

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Montag, 4. April 2011

Frühlingsbeben

Es ist Frühling in Zürich, fast die schönste Jahreszeit hier. Ich kann mich kaum sattsehen an den zartgelben Primeln in den Gärten, die hier wild wachsen und nicht zu vergleichen sind mit den knallbunten Züchtungen, die es bei uns in den Läden zu kaufen gibt. Ich staune wieder mal über die gepflegten, kleinen Straßen, die riesigen Grundstücke mit den alten, schönen Häusern, den Reichtum, der an jeder Ecke spürbar ist. Mein Bruder weist mich wie üblich auf die seltsamsten Jobangebote hin, und ich ärgere mich wie immer darüber und male mir gleichzeitig aus, wie es wäre, wenn ich tatsächlich auch hier leben würde. Die schlechteste Idee wäre es nicht. Und doch hält mich so vieles im Norden, trotz Schietwetter und magerem Geldbeutel. Geld ist nicht alles Glück dieser Welt, und auch, wenn die Leute hier mit ihren Maseratis durch die Gegend fahren wie unsereins mit seinem Golf, geht es ihren Herzen oft kaum besser als meinem eigenen.

Hier im Haus herrscht Eiszeit. Ich höre Geschichten über tyrannische Mütter, schwache Väter, verkrüppelte Seelen und Herzen aus Stein. Ich höre auch von Missverständnissen und Meinungsverschiedenheiten und dem Unvermögen, in Dürrezeiten zu lieben und zu ehren. Ich spüre Verachtung, Zorn und manchmal fast Hass. Zum ersten Mal seit vielen Jahren bin ich uneingeschränkt dankbar für meine eigene Kindheit und die Liebe, die ich erfahren habe. Und ich bin sehr froh über mein Leben, so, wie es ist, als Single, ohne Kinder, ohne Erwartungen, die sich nie erfüllen, die ich nie erfüllen kann. Ich bin zu meiner großen Verwunderung der zufriedenste Mensch hier im Haus. Ausgerechnet ich! Wer hätte das gedacht? Ich sehe den Frühling nicht nur in den Gärten der Stadt, ich spüre ihn auch in mir. Auf eine ganz eigene, sehr besondere Weise. Was für seltsame Zeiten.

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Montag, 28. März 2011

Unfair

Das Leben ist nicht fair, echt nicht. Gerade denke ich noch, wie wundervoll ruhig, entspannt und toll alles ist. Wie sehr ich es genieße, lauter schöne Sachen zu machen, Pferde, Männer, Sonnenschein, und auch ein bisschen Arbeit, ja, und einfach dieses Gefühl, nach langer, langer Zeit endlich ganz bei mir zu sein, einen richtig guten Lauf zu haben. Zufrieden male ich mir aus, wie ich in der kommenden, fast terminfreien Woche Angefangenes zu Ende führen und Neues planen werde, ganz entspannt, ganz gemütlich. Aber da – zack, bumm, knall, peng! – haut mir das Leben dazwischen. Erst eine schlechte Nachricht, dann eine zweite, dramatischere hinterher. In ihrer Doppelung sind sie richtig böse, und ich weiß im Moment kaum, was mich daran am meisten bedrückt. Er schwer krank, sie gibt ihm die Schuld daran und spuckt Gift und Galle – und dann fällt auch noch ihre Mutter tot um. Grausamer geht’s kaum. Und deutlicher auch nicht: Das Leben ist total unfair. Jetzt gerade vor allem zu meinen Lieben. Also buche ich von einer Minute auf die andere einen Flug, packe mein Köfferchen und reise morgen Knall auf Fall gen Süden, um beizustehen, Hilfe zu leisten, Trost zu spenden. Wär ja auch zu schön, um wahr zu sein, wenn ich diesen richtig guten Lauf in voller Länge hätte auskosten können. Immerhin: Über mir scheint die Sonne noch. Und vielleicht kann ich ein bisschen davon in den nächsten Tagen abgeben.

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Donnerstag, 17. März 2011

Sprachlos

Ich habe keine Worte mehr. Für das, was diese Welt seit Tagen bewegt und beschäftigt. Wie gelähmt sitze ich da, schaue mir Bilder an, höre Kommentare, lese Texte. Rechtfertigungen, Rechthabereien, Vorwürfe, Beschuldigungen, Abwehr, Verharmlosungen, Schuldzuweisungen, Wichtigtuereien. Nichts davon führt zu irgendetwas. Es wächst bloß zu einer riesigen Blase, die am Ende einfach verpuffen wird. Wie Millionen Blasen vor ihr auch. Größenwahn, Macht und Gier sind die Motoren für die immergleichen Spiele, die jedes Mal wieder erstaunlich viele Anhänger finden. Wenn etwas schief geht, gibt es ein bisschen Theater, kollektive Bestürzung, und dann geht alles von vorne los.

So wird es auch diesmal sein. Das ist das wirklich Schockierende an der Geschichte. Die ganze Welt erkennt, dass sie sich in Sachen Energiepolitik in den letzten Jahrzehnten völlig falsch entschieden hat. Riesen Bestürzung, Zorn, Wut einerseits, Leugnung und Schönrednerei andererseits. Und Hilflosigkeit auf allen Seiten. Weil auf einmal jeder spürt, was für kleine Lichtlein wir Menschen doch sind, mit einer Intelligenz gesegnet, die wir nicht sinnvoll zu nutzen wissen, eine Spezies, die sich selbst zugrunde richtet, so viel steht fest. Ob in 50 Jahren oder 500, spielt kaum eine Rolle. Aber wir leben weiter so, als hätten wir die Eigentumsrechte an diesem Planeten für die nächsten 5000 Milliarden Jahre erworben.

Menschen, die verhungern, in Kriegen massakriert oder durch die Explosion eines Kernkraftwerks verstrahlt werden. Am Ende ist der Grund immer derselbe. Und er wird sich nie ändern, solange es Menschen gibt. Das ist es, was mich so sprachlos macht.

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Danke und tschüss!
Übermorgen fliege ich in den Urlaub, und wenn ich zurückkehre,...
feinstrick - 15. Mai, 21:06
Hat ja geklappt :)
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steppenhund - 11. Feb, 22:02
Ja, ich erinnere mich...
Ja, ich erinnere mich gut daran. Ich mache mich mal...
feinstrick - 11. Feb, 20:08
Ich hab meine Statistik...
Ich hab meine Statistik ewig nicht angeschaut, aber...
feinstrick - 11. Feb, 20:08

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