Unterwegs
Ich habe eine Freundin, die sehr esoterisch ist. Sie denkt, dass man alles erreichen kann, wenn man nur fest genug daran glaubt. Dabei geht es nicht nur um große Erfolge oder Lebensziele, sondern auch um Alltagsdinge - zum Beispiel darum, selbst in den unmöglichsten Ecken einen Parkplatz zu finden. Sie meint, es stehe ihr zu, ein gesegnetes Luxusleben einzufordern, in dem sie wie im Schlaraffenland alles erhält, was sie sich wünscht.
Bei genauer Betrachtung hat das alles jedoch überhaupt nichts mit höheren Mächten und der mentalen Beeinflussung des Universums zu tun. Vielmehr sind die Erfolge meiner Freundin das Ergebnis großer Hartnäckigkeit, die nicht selten an penetrante Aufdringlichkeit grenzt, getrieben von einem großen Vertrauen in das Gelingen des eigenen Vorhabens. Scham, dass sie zu fordernd oder aufdringlich sein könnte, kennt sie nicht. Rücksichtslosigkeit ist für sie ein Fremdwort. Und wenn etwas mal nicht hundertprozentig nach Plan lief, redet sie es sich passend. „Hey, komm, dafür, dass wir in Eimsbüttel sind, ist der Parkplatz doch super. Wir mussten nur zehn Minuten bis ins Restaurant laufen.“
Ich gestehe, dass mir diese Weltsicht nicht nur fremd ist, sie stößt mich auch ab. Was sind das für Menschen, die von einem selbsternannten Guru zum nächsten rennen, ständig von der Kraft höherer Mächte sprechen, sich stundenlang in Meditationen versenken – und im Alltag rücksichtslos und egoistisch sind? „Sorge für DICH“ bleuen die Gurus ihnen ein, und ich habe mit diesem immer mehr um sich greifenden Egoismus meine liebe Mühe.
Ich rege mich zum Beispiel in der Sauna immer wieder neu über Menschen auf, die Liegen blockieren, obwohl sie sie gar nicht benutzen. Stundenlang liegen Handtücher auf leeren Liegen, während die Leute schwimmen gehen, im Bistro sitzen, Schönheitspflege betreiben, oder, oder, oder. Derweilen irren andere Leute, die gerade aus der Sauna kommen und vielleicht einen wackeligen Kreislauf haben, suchend umher, bis sie in der letzten Ecke eventuell noch ein freies Plätzchen finden. Eventuell.
Wenn jeder nach dem Ausruhen sein Handtuch nehmen und die Liege freiräumen würde, gäbe es dieses Problem nicht. Dann wären immer genug Liegen verfügbar und die Atmosphäre wäre einladend und willkommen mit viel freiem Raum zum Wohlfühlen und Entspannen. Aber das ist natürlich ein bisschen unbequemer, weil die Liegenblockierer nicht nur ihr Handtuch auf die Liegen legen, sondern auch noch Bücher, Getränke, Essen um sich ausbreiten wie beim Picknick am Strand. Das alles ständig wieder einzusammeln, ist mühsam, klar. Aber diese winzige Mühe würde anderen Leuten das Leben erleichtern. Doch wer will das schon?
Auch meine esoterische Freundin findet so was anstrengend. Sie gehört zu den Liegenblockierern im ganz großen Stil. „Für mich ist das keine Entspannung, wenn ich keinen festen Platz habe“, sagt sie bestimmt. Natürlich, das verstehe ich. Und doch ist es rücksichtslos all jenen gegenüber, die später gekommen sind und keine Möglichkeit mehr haben, eine Liege in bevorzugter Lage zu belegen. Aus gutem Grund verbietet die Hausordnung der meisten Schwimmbäder das Blockieren der Liegen; allerdings setzten viele Bäder dieses Verbot nicht durch.
Als ich meiner Freundin entgegne, dass ich ihre Haltung egoistisch finde, starrt sie mich feindselig an. Kein: „Ich verstehe, was du meinst, aber ...“. Erst recht kein: „Du hast recht, ich habe da noch nie drüber nachgedacht.“ Nur ein böser, abwehrender Blick. Sie will nicht egoistisch genannt werden. Sie will nur eine Frau sein, mit der das Universum es immer gut meint, und die immer alles bekommt, was sie will. Zu welchem Preis, ist ihr völlig wurscht.
Fast ärgere ich mich, dass ich nicht auch so egoistisch veranlagt bin. Dann könnte ich mich sicher auch viel besser entspannen und müsste nicht solche Blogtexte schreiben.
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feinstrick - 19. Feb, 17:52
Ich sitze in der Sonne am Fähranleger, esse eine Wurst und schaue auf die Elbe. Neben mir zwei ältere Herren, behängt mit Schmuck und Freundschaftsbändern, in grünen Poloshirts und Mokassins. Beide trinken Weißwein, einer raucht Zigarillos. Lange Zeit sagt niemand ein Wort. Dann plötzlich der eine zum anderen: „Du, was ich dir schon die ganze Zeit sagen wollte: Es gibt jetzt auch Capri-Leggins.“
Ich fahre mit dem Fahrrad an einer älteren Dame vorbei, die am Straßenrand steht. Sie ist groß, hager, weißblonder unordentlicher Pagenschnitt. Ich überquere die Straße und steuere den Park auf der anderen Seite an. Er ist umzäunt und hat an dieser Stelle eine schmiedeeiserne Pforte, die heute geschlossen ist. Ich öffne sie, steige dabei halb vom Rad, drehe mich um und will sie soeben wieder schließen, als die ältere Dame in militärischem Tonfall herüberschreit: „Das Tor bitte wieder schließen!“ Wie lange steht sie da wohl schon? Und wie viele Unschuldige hat sie bereits zusammengebrüllt?
Beim Arzt. Ich bin zum ersten Mal bei ihm und er fragt mich nach meinem Beruf. „Ach, das ist ja interessant!“, ruft er begeistert. Die nächste Viertelstunde ergeht er sich in weitschweifigen Bemerkungen über den Verfall der deutschen Sprache, das deutsche Bildungssystem und die Verrohung der Jugend – und vergisst darüber die Hälfte meiner Untersuchungen. Später sitze ich im Wartezimmer und denke, dass er mir meine Untersuchungsergebnisse mitteilen will, als er hereinkommt. Doch er sagt: „Gut, dass Sie noch da sind. Ich hätte Sie sonst angerufen. Sie haben da vorhin so einen interessanten Satz gesagt. Wie lautete der noch mal?“
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feinstrick - 11. Jun, 21:17
„Wenn das so weitergeht, werde ich eines Tages noch ein richtig soziales Wesen“, sagt meine Freundin. Wir liegen auf einer Wiese im Park und schauen in den fast wolkenlosen Himmel. „Das geht mir auch so“, sage ich. „Pass auf, das wird noch was ganz Großes mit uns. Erst kriegen wir das mit den Freundinnen hin, und dann, in zwanzig Jahren oder so, vielleicht sogar mit den Männern.“
Wir kennen uns seit über zwanzig Jahren, waren während des Studiums fast Nachbarinnen. Richtig nahe gekommen sind wir uns jedoch erst in den letzten Jahren. Da hatte meine Freundin, die bis dahin immer viel zielstrebiger und selbstbewusster als ich durchs Leben ging und beruflich extrem erfolgreich war, einen schlimmen Zusammenbruch. Auf einmal ging gar nichts mehr. Burnout, Depression. Ein Jahr totale Arbeitsunfähigkeit – und das als Selbstständige. Panik vor den kleinsten Dingen. Verzweiflung. Einmal setzte ich mich an einem Samstagnachmittag Hals über Kopf in den Zug und fuhr zu ihr, weil sie am Telefon so verstört klang, dass ich sie mit ihrer Not nicht allein lassen mochte. Ich kochte für sie und übernachtete bei ihr. Wir saßen auf ihrem Sofa, ich besorgt, sie voller Panik. „Darf ich meinen Kopf in deinen Schoß legen?“, fragte sie zaghaft. Ich begriff, dass sie es nicht gewohnt war, sich Freundinnen so körperlich zu nähern. Ich bin es auch nicht. Sie legte ihren Kopf in meinen Schoß, ich legte meine Hand auf ihren Bauch. Es fühlte sich ungewohnt an, aber gut.
Dann erwischte es mich selber. Nicht so schlimm wie sie, es ist nie so schlimm bei mir, ich hänge oft am seidenen Faden, aber er reißt nie und rettet mich vor einem Totalabsturz. Diesmal kam sie zu mir, mein Kopf lag in ihrem Schoß. Ich fühlte mich seltsam befangen und gleichzeitig auch getröstet. Hier war ein Mensch, dem ich mich zeigen durfte. Nach so vielen Jahren der inneren Einsamkeit war das geradezu eine Erlösung. Wir sprachen viel in dieser Zeit und erzählten uns Geschichten, die wir kaum je zuvor jemandem erzählt hatten. Aus Scham. Aus Hilflosigkeit. Aus falschem Stolz. Aus Angst davor, alte Wunden aufzureißen.
„Ich habe nie Nähe aushalten können“, sagt sie, während wir auf der Wiese liegen und in den Himmel schauen. „Aber ich erkenne immer mehr, dass ich nicht mehr alleine sein kann und will.“ Mir geht es ähnlich. Und während ich mir ihre Geschichten anhöre, begreife ich meine eigenen. Und ich verstehe, dass wir beide endlich die Chance haben, etwas zu verändern.
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feinstrick - 8. Jun, 22:21
Morgens in einer kleinen Straße auf St. Pauli. Eine Frau überholt mich mit ihrem Hund an der Leine. Der Hund wird langsamer, bleibt stehen und schnüffelt am Straßenrand. Dann hebt er den Kopf und schaut sich nach mir um. Er ist groß, dunkelbraun und kurzhaarig, von undefinierbarer Rasse. Er dreht sich um und kommt langsam auf mich zu. Ich beobachte ihn wachsam – man weiß ja nie bei fremden Hunden - und bleibe stehen, als er mich erreicht hat. „Hallo, wer bist du denn?“, sage ich freundlich und lasse ihn an meiner Hand schnuppern. Er wirkt neugierig, ich könnte ihn sicher auch streicheln, lasse es aber. Da erst dreht sich die Besitzerin um: „Huch? Was machst du denn da?“, sagt sie zu ihrem Hund und kommt näher. „Ist schon okay“, sage ich. Ich nehme an, es ist ihr unangenehm, dass ihr Hund sich mir so aufdrängt. Doch sie ist sichtlich verwirrt und sagt mit erstauntem Blick auf den Hund: „Das macht er sonst nie. Er hat nämlich eigentlich totale Angst vor Fremden.“ Und im Weitergehen ruft sie mir nach: „Er findet Sie offenbar sympathisch. Da können Sie sich was drauf einbilden.“ Ich freue mich, bin aber nicht sonderlich überrascht. Ich hatte schon immer einen besonderen Draht zu ängstlichen Lebewesen, egal ob Hunde, Pferde oder Kinder. Sie kommen einfach an und schenken mir ihr Vertrauen – zu meinem Vergnügen und zur großen Überraschung von Tierhaltern und Müttern. Komisch, denke ich, wieso kriege ich das bei allen Angsthasen dieser Welt hin, nur bei den Männern nicht?
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feinstrick - 24. Mai, 20:03
Ich habe das alte Jahr mit einer neuen Erfahrung beendet und den ersten 3D-Film meines Lebens gesehen. Das war überhaupt nicht geplant und genau genommen eine Art Notlösung, nachdem meine ursprünglichen Silvesterpläne plötzlich nichtig wurden (typisch für dieses merkwürdige Jahr, aber das nur am Rande). Meine Freundin und ich hatten beide die Romanvorlage „Schiffbruch mit Tiger“ gelesen, die wir auch beide großartig fanden. Dass der Film in 3D läuft, merkten wir erst im Kino, als man uns an der Kasse die entsprechenden Brillen in die Hand drückte. Und damit fing das Elend für mich schon an: Für Brillenträger (zu denen ich gehöre) ist es kein Vergnügen, sich noch eine zweite Brille auf die Nase zu quetschen. Außerdem entstanden dadurch Spiegelungen, die das Gucken für mich anstrengend machten. Die Fernsichtbrille abzusetzen, war keine Alternative, das strengte meine Augen erst recht an. Fazit: Die erste halbe Stunde des Films verbrachte ich in erster Linie damit, mich mit meinen Sehhilfen zu arrangieren. Das allein schon ist für mich kein Fortschritt, sondern ein Rückschritt ins technische Steinzeitalter.
Die Begeisterung der meisten Filmkritiker teile ich leider nicht. Natürlich, die wunderbare Romanvorlage wurde adäquat umgesetzt, die
Geschichte als solche ist großartig. Und ja, das liegt auch ein bisschen an den Effekten. Das Gefühl, sich selber mitten im Ozean zu befinden, mit den Elemtenten zu kämpfen und dem gefräßigen Tiger, der sich mit an Bord des schiffbrüchigen Jungen Pi befindet, direkt in die Augen zu sehen, ist schon außergewöhnlich. Gleichzeitig aber wirkt der ganze Film so künstlich, so unecht, so sehr nach Plastik und Theaterkulisse, dass ich dieses Gefühl von „mittendrin“ ganz schnell wieder verlor.
Ich weiß nicht, ob es für 3D-Filme typisch ist (die Trailer anderer Filme, die vor dem Hauptfilm liefen, lassen das aber vermuten), dass die Technik nur Bonbonfarben zulässt, man ständig das Gefühl hat, auf Glasplatten zu gucken, die Räumlichkeit simulieren sollen und es Probleme mit Tiefenschärfe gibt. Falls das so ist, kann ich nur sagen: Liebe Filmindustrie bastelt mal noch ein Weilchen an dieser Technik, und wenn ihr sie in zwanzig Jahren oder so perfektioniert habt, dann schaue ich mir eure Filme gern wieder an. Bis dahin verzichte ich dankend darauf. Falls 3D aber auch ganz anders geht und Ang Lee das alles bewusst so plastikmäßig inszeniert hat, muss ich leider sagen: Lieber Herr Lee, bei allem Respekt, aber das ist für meinen Geschmack zu viel künstlerischer Unsinn, der gerade bei einer derart kunstvollen Geschichte überhaupt nicht notwendig gewesen wäre. Schade drum.
Davon abgesehen war mein Jahreswechsel aber schön und ich freue mich nun auf die Wilde 13. :-)
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feinstrick - 1. Jan, 18:05
Der November ist für mich ein schwieriger Monat. Jedes Jahr wieder, und von Jahr zu Jahr mehr. Ich bin in diesen Wochen erschöpft und kraftlos, mutlos und bedrückt. Resigniert blicke ich auf ein scheinbar erfolgloses fast vergangenes Jahr zurück und ängstlich schiele ich zum neuen Jahr hinüber. Im November bin ich mir sicher, dass die Zukunft mir nichts Gutes verheißt. Es ist der Monat des Sterbens, des Abschiednehmens, des Loslassens. Ich kann das nicht gut, ich halte ständig fest, an Menschen, Erinnerungen, Orten, Jahreszeiten. Ich sehne mich nach dem Sommer, wenn Herbst ist und nach dem Herbst, wenn Winter ist. In November denke ich immer häufiger: Ich möchte jetzt sofort in einen Flieger in die Sonne steigen und erst im März wiederkommen.
Gleichzeitig ist es mir aber auch wichtig, den Abschied vom Jahr bewusst zu gestalten. Ich hasse diese vorgezogene Weihnachtsfröhlichkeit, die viel zu früh geöffneten Weihnachtsmärkte, die Läden, in denen man mittlerweile bereits seit September nicht nur Lebkuchen, sondern auch Christbaumkugeln und Nikoläuse erstehen kann. Was soll der Unsinn? Im September ist fast noch Sommer. Da denke ich nicht eine Sekunde lang über Weihnachten nach. Auch im November tue ich das nicht. Nur gelegentlich schleicht sich eine leise Sehnsucht ein, und ich denke: Wenn der Totensonntag rum ist, dann wird alles besser, dann naht die Adventszeit mit all ihren Lichtern und Farben und Düften.
Am Samstag vor dem Totensonntag gehe ich zum Friedhof. Ich lege ein Wintergesteck auf unser Familiengrab und zünde eine Kerze an. Es ist ein einsamer Gang, bei dem mich nie jemand begleitet, meine Geschwister leben zu weit weg oder haben zu wenig Interesse an diesen ritualisierten Friedhofsbesuchen. Darum gehe ich auch nicht mehr direkt am Totensonntag zum Grab. Ich konnte es nicht aushalten, so viele Familien um mich herum zu erleben, die gemeinsam trauern und sich erinnern, während ich selbst immer alleine war. Am Samstag ist es angenehm still auf dem Friedhof, da bin ich fast alleine und kann in Ruhe meinen Gedanken nachhängen.
Die Gräber wurden bereits für den Winter vorbereitet, die Erde ist locker, Bäume und Sträucher wurden verschnitten. Es ist sehr neblig, mehr November geht kaum. Aber ich kann es diesmal aushalten. Staunend mustere ich die Jahreszahlen auf dem Grabstein. So viele Jahre schon, so lange ist es her, dass meine Eltern gestorben sind. Ich kann es kaum glauben. Auf meinem Weg über den Friedhof werfe ich flüchtige Blicke auf Gräber, in denen Kinder liegen oder Jugendliche, junge Erwachsene, Menschen, die viel zu früh gehen mussten. Dann bin ich sehr dankbar dafür, dass ich nur das Grab meiner Eltern besuchen muss, die zwar auch nicht alt wurden, aber doch ein erfülltes Leben hatten. Den Gedanken, jemanden aus meinem engsten Familien- und Freundeskreis zu verlieren, der in meinem Alter oder viel jünger ist, kann ich kaum aushalten.
Jetzt ist es fast geschafft. Noch wenige Tage, dann ist der November rum. In diesen Tagen gehe ich Tannenreisig kaufen und schmücke meine Wohnung weihnachtlich. Ich werde Pläne fürs nächste Jahr machen, voller Hoffnung und Zuversicht. Im Dezember glaube ich wieder an mich, ich bin mir sicher, dass das neue Jahr gut werden wird. Und ich nehme mir fest vor, nächstes Jahr im November wegzufliegen, garantiert.
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feinstrick - 28. Nov, 10:35
spannend, was Ihr da grade in der Ottenser Hauptstraße veranstaltet: Da werden die gemauerten Umgrenzungen der Platanen erneuert. Aber nicht etwa so, dass die alten Steine abgerissen werden, damit die Bäume Platz zum Wachsen haben und dann ein neuer, größerer Schutz hinkommt. Nein, alles bleibt so wie es ist und über die alten Backsteine werden einfach große, schicke Metallkästen mit hübschen Motiven und dem Wappen der Stadt (wichtig und sicher nicht billig!) gestülpt, die Lücken mit Erde aufgefüllt (was genau soll noch mal in diesem Spalt zwischen Metall und Backsteinen wachsen?) – fertig. Super Idee, echt jetzt. Besonders toll finde ich, dass man auf diesen schicken, aber total unpraktischen neuen Metalldingern nicht mehr sitzen kann. Denn wer hat früher immer auf diesen kleinen Mäuerchen gehockt? Alkis und Bettler, klar. Die will da natürlich keiner haben. Und all die anderen, die da im Sommer mit einem Eis in der Hand saßen oder sich kurz mit ihren Shoppingtüten in der Hand ausruhten - na, die werden schon ein anderes Plätzchen finden, ein paar Straßen weiter vielleicht, wo es öffentliche Sitzplätze gibt. Was sollen die auch in der Ottenser Hauptstraße rumhängen, das ist doch bloß die Haupteinkaufsstraße des Viertels. Wie auch immer, ich nehme an, da war einfach irgendwo Geld übrig, das Ihr vor Jahresschluss noch verbraten musstet. Kleiner Tipp: Falls Ihr das nächste Mal Geld loswerden müsst, gebt es doch einfach mir. Ich würde es deutlich sinnvoller verwenden, garantiert.
Eure Käthe Feinstrick,
Wählerin und Steuerzahlerin der Stadt Hamburg
Edit April 2013:
Ich nehme mein Gemecker wieder zurück. Diese komischen Kästen sehen zwar nicht hübsch aus, weil sie längst total verrostet sind ("Patina" werden andere jetzt behaupten), aber mittlerweile wurden sie üppig mit Frühlingsblumen bepflanzt und an den Seiten wurden Bänke angeschraubt. Das ist in der Tat eine Verbesserung zu vorher.
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feinstrick - 16. Nov, 18:03
Pünktlich mit dem Eintreffen des Sommers fahre ich ans Meer und treffe die wunderbare
Frau Rosmarin. Zwei Tage voller Lachen, Arbeit, am Strand rumliegen, mal die Zehen in die Ostsee halten, uns von der Hundedame ausführen lassen und den Geschichten des Herrn Ro lauschen. Wir sitzen bis nachts auf der Terrasse, zählen Sternschnuppen, schmieden Pläne, diskutieren erhitzt, lachen noch mehr.
Nach Wochen voller Regen, Sturm und ewigem Grau sind es geradezu unwirklich schöne, friedliche Tage. Wir liegen im Liegestuhl im Garten, träumen, lassen uns von einem lauen Sommerlüftchen die Seele streicheln und wünschten, das Leben möge ewig so weiter gehen.
Ich denke nicht an Geldsorgen, nicht an komplizierte Liebesbeziehungen, nicht an mein Unvermögen, mir neue Aufträge zu beschaffen. Vielmehr stecke ich all meine Energie in ein zauberhaftes Projekt, als hinge mein Leben davon ab. Aber was habe ich auch groß zu verlieren?
Zurück vom Meer setzt die Ernüchterung ein. Zack! Eine Mail, deren Inhalt ich mir völlig anders erhofft hatte. Es wäre so schön gewesen, wenn einmal etwas zwar nicht gleich auf Anhieb, aber so doch zumindest mit recht kurzem Anlauf geklappt hätte. Aber ich gehöre leider zu den Leuten, die immer haarscharf am Ziel vorbei schrammen. „Großartig, aber ...“ Ich bin es leid, so was zu hören und zu lesen. Da wäre es mir direkt lieber, sie würden mir sagen: „Furchtbar. Wechseln Sie mal lieber den Job. Friseurin könnte vielleicht was für Sie sein.“
Immerhin habe ich in den letzten Tagen so viel gelacht, dass ich mich jetzt nicht heulend in die Ecke schmeiße, sondern lediglich mit einem flauen Gefühl im Magen auf meinem Sofa zusammensinke.
Vielleicht geht ja wenigstens mal der Wunsch in Erfüllung, den ich abgeschickt habe, als ich nachts all die Sternschnuppen am Himmel sah. Träumen kann ich zum Glück noch. Obwohl es manchmal schwer fällt.
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feinstrick - 25. Jul, 21:54
Im Kino. Auf dem Programm:
ein Pferdefilm. Um mich herum eine Handvoll Frauen mittleren Alters. Sinnigerweise sitzen wir alle in derselben Reihe, der Rest des Saals ist leer. Es ist zu schönes Wetter für Kino. Eine der Frauen fragt in die Runde, ob jemand ein Taschentuch für sie habe. Ich reiche ein Päckchen hinüber, sie und ihre Nachbarin greifen dankbar zu.
„Oh, darf ich auch?“, fragt eine andere Frau. „Ich bin immer so wahnsinnig schnell gerührt.“
„Eigentlich“, mischt sich eine Dritte ein, „müssten die bei solchen Filmen schon Taschentücher an der Kasse verteilen.“
Und von ganz außen tönt es: „Ich habe noch ein paar Päckchen in Reserve, falls noch mehr Bedarf besteht.“
Dann geht der Film los. Ich brauche kein Taschentuch, aber die Dame zu meiner Linken habe ich offenbar beim Verteilen übergangen, sie schnieft den halben Film lautstark vor sich hin.
Erzählt wird die Geschichte von Buck Brannaman, dem „wahren“ Pferdeflüsterer. Er hat Nicholas Evans zu seinem Buch inspiriert und später Robert Redford beim
Drehen beraten und gedoubelt. Bilder in Marlboro-Optik wechseln sich mit Bildern von verängstigten Pferden und erschütternden Lebensberichten ab. Dazwischen gibt es viele kluge und gleichzeitig simple Gedanken.
Vieles, was im Film gezeigt wird, war mir nicht neu. Zum Glück gibt es heute immer mehr gute Lehrer, die eine ähnliche Haltung gegenüber Pferd und Mensch haben wie Buck Brannaman. Und doch bringt der Film die Dinge noch mal schön auf den Punkt. Er ist nicht nur für Reiter ein Lehrstück, sondern für alle, die mehr über gute Kommunikation lernen möchten. Es geht um Gewaltlosigkeit, Respekt und Verständnis für das Gegenüber.
Vor allem aber geht es um Vertrauen. „Ein Pferd darf Fehler machen“, sagt Buck Brannaman. „Aber es darf keine Angst haben, dass es für seine Fehler bestraft wird.“ Wer Vertrauen hat, muss nicht mehr fliehen. Und Pferde haben einen ausgeprägten Fluchtinstinkt! Und da sie sehr sensibel sind, reagieren sie unmittelbar auf alles, was wir tun. Wie Kinder müssen Pferde konsequent, streng, aber liebevoll erzogen werden. Das gelingt oft toll und oft überhaupt nicht. Wie bei der Erziehung von Kindern eben auch. Weil Reiter und Eltern Liebe gern mal mit Gehätschel verwechseln. Das kann, wie der Film in einer sehr dramatischen Szene zeigt, katastrophale Folgen haben.
Ich bin schon als Kind geritten und habe mich bereits damals mit der Frage befasst, wie artgerechte Haltung und pferdefreundliches Reiten aussehen sollten. Obwohl mir niemand sagte, dass es für die Pferde nicht gut war, begriff ich von selbst, dass diese schönen, sanften Steppentiere daran zerbrachen, wenn sie ein Leben lang in schmalen Ständern angebunden und beim Reiten mit den abenteuerlichsten Hilfsmitteln zum Gehorsam gezwungen wurden. Ich bin keine gute Reiterin und mache auch heute noch vieles falsch. Weil ich es nicht anders weiß oder kann oder gesagt kriege. Darum mag ich Filme wie diesen, die mich daran erinnern, worauf es eigentlich ankommt.
„Ich komme nicht zu Menschen, die Probleme mit Pferden haben. Ich komme zu Pferden, die Probleme mit Menschen haben“, erklärt Buck Brannaman. Das Pferd spiegelt das Verhalten seines Reiters. Der Mensch muss seine eigenen Themen lösen, dann klappt es auch mit dem Kontakt zum Pferd. So die schlichte Botschaft des Pferdetrainers. Und sie stimmt! Und gilt meiner Meinung nach für jede Art von Partnerschaft: Mensch/Tier, Eltern/Kind, Mann/Frau. Immer geht es darum, dass der andere sich zu uns irgendwie verhält, auf uns reagiert – und uns dadurch zeigt, wie wir sind.
Ich kannte mal eine Frau, die hintereinander mehrere Pferde besaß und jedes von ihnen systematisch von einem umgänglichen Tier in ein neurotisches Geschöpf verwandelte – bis sie es nicht mehr reiten konnte und verkaufen musste. Erst als mal ein Reitlehrer sagte, sie würde ihre Pferde vollkommen verrückt machen, wurde mir klar, dass sie ihre eigenen Spannungen auf die Tiere übertragen hat. Jedes Mal wieder neu. Das ist genauso wie in Partnerschaften, die wieder und wieder an denselben Themen zerbrechen. Mir selbst ist es passiert. Und erst jetzt kapiere ich, dass ich nicht immer nur an total bescheuerte Männer geraten bin, sondern dass das ganz viel mit mir selbst zu tun hat. Genau davon erzählt dieser Film. Und darum finde ich ihn so wunderbar.
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feinstrick - 4. Jul, 19:12
Ich lande im falschen Club bei der falschen Musik und den falschen Leuten. Es war vorhersehbar, und das ärgert mich wohl am meisten. Statt mich bei fröhlichem Tanz auszutoben, stehe ich missmutig in der Ecke. Eine unerträgliche Frohnatur quatscht mich an und stellt fest, dass ich sehr genervt aussehe. „Bin ich auch“, erwidere ich grimmig und denke: Noch ein Wort, Mädel, und du kriegst eins auf die Zwölf. „Was können wir denn da tun?“, fragt sie mit dieser grässlich fröhlichen Stimme, und ich balle innerlich die Fäuste. Nichts kann man tun gegen meine schlechte Laune, niemand kann mich da rausholen, schon gar nicht diese aufdringliche Fremde. Bald darauf verlasse ich den Club und stapfe zu Fuß durch die Nacht heimwärts. Ich brauche Auslauf, muss irgendwie aus dieser Stimmung rauskommen. Aber es funktioniert nicht. Die Tränen laufen mir schon übers Gesicht, bevor ich meine Wohnung erreicht habe. Trauer und Wut gehen momentan Hand in Hand bei mir, eine ausgesprochen fatale Mischung. Ein kleiner, alberner Auslöser haut mich völlig von den Füßen, und hilflos schaue ich zu, wie ein fremdes Wesen in mir wie ferngesteuert agiert.
„Habe ich dich geweckt?“, fragt er. Ich könnte das bejahen, könnte einfach sagen: „Ja, du, ich bin noch total verpennt, ruf doch in einer halben Stunde noch mal an, dann war ich unter der Dusche und klinge garantiert klar und lebendig.“ Aber er hat mich überrumpelt. „Nein, ich sitze schon beim Frühstück“, antworte ich wahrheitsgemäß und ringe mit dem Brötchenbissen in meinem Mund. „Du klingst ja schrecklich“, sagt er und fragt, was los sei. Wieder könnte ich ausweichen, eine Ausrede erfinden, wie all die Wochen zuvor. Aber ich bin so weich, so verletzlich nach einer fast schlaflosen Nacht und vielen Tränen. Ich suche nach Worten. Wo anfangen? Wie anfangen? Ich beginne mit der falschen Party, dem vermurksten Abend, damit, dass ich wie eine Fünfzehnjährige geflennt habe, weil ich nicht so viel Spaß hatte wie erhofft. „Verstehe“, sagt er, ohne irgendwas zu kapieren. Wie auch? Ich hole weiter aus, taste mich mühsam vorwärts, immer auf der Hut, nicht mehr preiszugeben, als ich und er aushalten können. Aber er hält alles aus. Er hört zu. Zeigt Verständnis, sehr viel Verständnis. Und macht mir ein großes Geschenk, indem er sich selbst öffnet, mir von seinen eigenen Schwiergkeiten erzählt. Ich staune. Und verstehe. Wir sitzen eigentlich im selben Boot, nur jeweils am anderen Ende. Um mich darüber zu freuen, bin ich zu erschöpft. Aber ich glaube, dass ich gerade sehr, sehr grundlegende Dinge über mich und mein Leben verstehen lerne, über eine Vergangenheit, die ich nie bewältigen konnte, über Ängste, die nie verschwanden, misslungene Beziehungen, deren Scheitern ich nie begriff.
Fast bin ich dankbar für den Abend in diesem Club, denn ohne ihn hätte dieses Gespräch niemals so stattgefunden. Es hätte viel aggressivere Untertöne gehabt, wäre mit viel mehr Abwehr verbunden gewesen. Hätte er mit seinem unnachahmlichen siebten Sinn nicht gespürt, dass es mir schlecht geht und nicht genau in diesem Moment angerufen, und wäre ich nicht so tränenmilde und weich gewesen – wir hätten wohl nie erkannt, warum es zwischen uns zu dieser Schieflage gekommen ist.
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feinstrick - 7. Apr, 12:58