Donnerstag, 10. April 2014

Blut und Schmerz

Kürzlich habe ich „Gladiator“ auf DVD angesehen. Eigentlich sind solche Filme nichts mehr für mich. Ich bin in den letzten Jahren so empfindlich geworden, dass ich nur noch harmlose Komödien und Herzschmerzromantik aushalte. Alles, was mit Blut, Gewalt und Abgrund zu tun hat, geht (fast) nicht mehr. Keine Ahnung, ob das ein Altersphänomen ist, oder nur eine spezielle Macke von mir persönlich.

Und nun also „Gladiator“. Vor ein paar Monaten lief der Film im Fernsehen, aber ich habe keinen Fernseher mehr und der Stream klemmte und außerdem dachte ich nach der (recht langen) Ouvertüre, in der sich Römer und Germanen gegenseitig abschlachten: Nein, das brauche ich nicht mehr, und ich schaltete ab.

Aber nun fiel mir die DVD in die Hände, und da dachte ich auf einmal: Hach, Mensch, Russell Crowe ist so großartig, und ich erinnerte mich daran, wie beeindruckt ich damals war, nachdem ich den Film im Kino gesehen hatte (da war ich noch nicht so eine Zimperliese). Und diesmal hielt ich durch und war von Minute zu Minute mehr in der Geschichte drin und erlag erneut ihrer Faszination. Wie in allen guten Geschichten ist die Botschaft simpel, aber grandios verpackt, wobei es nicht um historische Genauigkeit geht. Dennoch erhält man eine Ahnung davon, was sich für Dramen in den römischen Amphitheatern abspielten.

Was mich vor allem die ganze Zeit beschäftigte, war aber die Frage: Wie konnten die Menschen damals so leben? Wie konnten sie so kultiviert sein und gleichzeitig so grausam? Wie konnten sie es zulassen, dass Menschen sich gegenseitig niedermetzelten, während ihnen Tausende zujubelten? Wie konnten Menschen Ängste und Schmerzen ertragen, die ich mir nicht mal vorzustellen vermag?

Das Schöne an DVDs ist ja, dass man oft noch einen Haufen Hintergrundinformationen mitgeliefert bekommt, und so war es auch hier. In einem Special gehen Historiker dem Phänomen der Gladiatorenkämpfe nach. Und ich war baff. Diese Leute wurden nicht nur, wie ich bisher dachte, als Sklaven und Kriegsgefangene zum Kämpfen gezwungen, viele von ihnen machten das freiwillig. Für Ruhm, Ehre und Geld. Sie rangierten einerseits gesellschaftlich ganz unten, andererseits wurden sie umjubelt wie Popstars. Dieser ganze Zauber war auch keine flüchtige Angelegenheit. Rund 700 Jahre lang praktizierten die Römer ihre Spiele, die manchmal bis zu 150 Tage am Stück dauerten und neben den Gladiatorenkämpfen auch öffentliche Hinrichtungen und Tiershows enthielten. Ich saß da, hörte die Berichte über all diese unvorstellbaren Grausamkeiten, gruselte mich und war dankbar, dass ich in einer anderen Zeit lebe. Und ich stellte mir erneut einen Haufen Fragen dazu, wie Menschen diese Brutalität ertragen konnten. Spannend fand ich die Ausgangsfrage eines Historikers: „Waren die Menschen damals anders als wir? Waren sie Bestien, weil sie derartige Grausamkeiten zuließen?“ Seine Antwort am Ende des Films: „Nein, sie waren genauso wie wir.“

Stimmt das? Sind wir auch alle Bestien, die sich am Leid anderer weiden? Hat sich die Welt in den letzten 2000 Jahren wirklich so wenig verändert? Ist nicht vieles humaner und zivilisierter geworden? Natürlich kämpfen auch heute noch Leute für Geld bis aufs Blut (beim Boxen zum Beispiel). Aber sie sterben nicht dabei. Ist das nicht ein enormer Unterschied? Und was ist mit den Zuschauern, die mitfiebern und jubeln, die gerade im Sport immer riskantere Spektakel erleben wollen? Sind sie anders als die Besucher von Gladiatorenkämpfen im alten Rom? Oder wie ist es mit dem Phänomen der Schaulustigen, die am besten noch Rettungskräfte behindern, damit sie hautnah dabei sein können, während jemand - etwa nach einem Unfall - um sein Leben ringt? Ist das etwas anderes, als einer Hinrichtung beizuwohnen?

Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Aber manchmal erschreckt mich der Gedanke schon, dass wir nicht halb so zivilisiert und human sind, wie wir immer denken, dass in uns allen ein Stück altes Rom steckt – schwankend zwischen Zivilisation und Barbarei.

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bonanzaMARGOT - 28. Apr, 10:37

nicht alles an grausamkeiten wird öffentlich gezeigt. die welt ist auch heute noch verdorben, und es gibt sehr viele menschen, die sich an gewalt und terror aufgeilen.
die zivilisation und kultur, die wir heute genießen, ist eine hart erarbeitete sache, die ausserdem sehr fragil ist. nur durch unsere verfassung, die demokratie und die zusammenarbeit (bzw. gewaltenteilung) von legislative, judikative und exekutive können wir unsere hohen werte der zivilisation schützen bzw. verteidigen. im kriegsfalle sieht man, wie schnell es zur barbarei und anarchie (im negativen sinne) kommt.
auch der missbrauch von macht ist heute wie damals präsent.
natürlich zielen filme wie "der gladiator" besonders auf die grausamkeiten und dekadenz der römer ab. das ist aber nur eine seite römischer kultur. die oberen zehntausend feiern auch heutezutage ihre dekadenten parties.
nein, der mensch an sich veränderte sich nicht in den letzten paar tausend jahren. je nach kultur und politischem system lebt er sich aus. auch die religionen haben dabei einen großen anteil ...

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