Freitag, 18. März 2016

Tod ist doof ...

… las ich kürzlich auf einem alten Grabstein in einem Park in meiner Nachbarschaft. Jemand hatte die Worte mit Kreide auf den verwitterten Stein geschrieben. Ich habe ein Foto davon gemacht, mit dem ich im Moment am liebsten meine ganze Wohnung tapezieren würde.

Der Tod ist verdammt doof, ja. Weil er uns Menschen nimmt, die wir lieben. Weil er uns Grenzen setzt, die keiner umgehen kann. Weil er mich immer häufiger angstvoll fragen lässt, wann es wohl bei mir soweit ist.

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In diesem Jahr sterben vermutlich nicht mehr Menschen als in den meisten Jahren zuvor. An Altersschwäche, an Krankheiten, durch Unfälle, durch Attentate und Kriege. Aber es sind erschreckend viele Menschen, deren Namen ich kenne, deren Gesichter und Stimmen mir vertraut waren, deren Musik ich liebte, deren Gedanken mir gefielen - oder an denen mir gar nichts gefiel, die mich aber seit Jahrzehnten begleitet haben wie mein seltsamer Nachbar, mit dem ich nie mehr tausche als einen knappen Gruß.

David Bowie, Peter Lustig, Roger Willemsen, … und jetzt Guido Westerwelle. Mit seiner Politik konnte ich nichts anfangen, aber sein Tod berührt mich, als sei ein guter Freund gestorben. Herrje, mir war irgendwie nie bewusst, wie jung der Mann war - nur wenige Jahre älter als ich. Das ist zu jung zum Sterben, viel, viel zu jung. Und auch Roger Willemsen ist viel zu früh gegangen. Wie sehr werde ich seine sanfte, weiche Stimme vermissen, mit der er unfassbar kluge Dinge sagte, aber auch mal richtige Fiesheiten raushaute, die man so gar nicht erwartet hat. Und ich hätte ihm gern mal gesagt, dass er ein bisschen mitverantwortlich für meine Liebe zum Jazz ist.

Mir machen diese vielen prominenten Toten Angst. Weil sie mir vor Augen führen, dass ich in einem Alter angekommen bin, in dem sich die Todesfälle eben mehren. Viele Menschen, die ich seit Kindertagen kannte, sind schon jetzt nicht mehr. Und ihnen werden immer mehr folgen. Menschen aus meiner Generation und den Generationen nach mir. Menschen, deren Tod ich nicht aushalten kann, weil er zu sehr weh tut. Bis es mich irgendwann selber erwischt.

Kürzlich stürzte eine nahe Freundin die Treppe hinunter. Sie hatte Glück und zog sich nur eine schwere Platzwunde am Kopf und einige Prellungen zu. So, wie sie fiel, hätte sie sich auch das Genick brechen können. Als ich sie fragte, wer mich im Falle ihres Ablebens eigentlich informieren würde, zuckte sie mit den Schultern. Niemand vermutlich. Ihre Angehörigen kennen mich nicht. So wie auch meine Angehörigen sie nicht kennen - und die meisten anderen meiner Freunde auch nicht. Ich habe daher vor Jahren mal eine Notfallliste erstellt und meiner Schwester überreicht. Darauf sind alle Menschen vermerkt, die wissen sollten, dass ich schwer krank oder gar gestorben bin. Ich erzählte meiner Freundin davon. Und auch von meiner größten Angst, eines Tages in meiner Wohnung zu sterben und wochenlang nicht gefunden zu werden. Da lachte sie mich aus. „Was für Gedanken du dir machst!“

Ja, ich mache mir Gedanken. Mal mehr, mal weniger intensiv. Denn der Tod ist echt doof. Aber leider schert er sich einen Dreck darum.

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Igel (Gast) - 23. Mär, 23:29

Danke!

Ein sehr schöner Text und ich mache mir ähnliche Gedanken bei diesen Todesfällen in der letzten Zeit. Bei Peter Lustig und Roger Willemsen habe ich Rotz und Wasser geheult und das als Kerl...
Aber besser ist doch immer noch sich ein paar mehr Gedanken zu machen, als gedankenlos durchs Leben zu gehen, oder?

feinstrick - 25. Mär, 18:22

"... und das als Kerl ..." Na, aber ich bitte Sie! Das zeichnet Sie eher aus.
Und ja, ein paar Gedanken hie und da können nicht schaden.
steppenhund - 24. Mär, 01:35

Meine 2 cent zu Todesbetrachtungen:
Quintessenz: lieber leben statt denken!

Früher habe ich mich insgeheim gefreut, wenn Menschen gestorben sind, die jünger waren, als ich es selbst war. "Sieh mal, die habe ich schon überholt." Ein sehr kleingeistiger Gedanke. Aber ich habe mich doch gefreut, wenn es Menschen waren, die mir vorgeworfen haben, dass ich falsch lebe. (Viele waren es nicht, aber doch 3 oder 4.) Inzwischen ist meine Nichte gestorben. Sie war erst 42, aber gesundheitlich sehr schwach. Da habe ich meine Schwester und meinen Schwager aufrichtig bedauert.

Aber irgendwie ist das auch kein befriedigender Gedanke, wenn man schon an den Tod denkt.

Vor 5 Jahren hatte ich eine Operation. Der Anlass dafür war bei einem Arbeitskollegen in meiner Firma, einem extrem netten Kerl, gleich. Nur musste er ein halbes Jahr danach sterben. Als ich die Operation hatte, stand erst eine Woche nach ihr der histologische Befund fest, über den sich die ganze Abteilung gestritten hatte. Aber letztlich war meine "Raumverdrängung" gutartig. Und noch lebe ich.
Allerdings hatte ich die Woche im Spital genug Zeit, um über das Sterben nachzudenken. Ich sah es als Möglichkeit an. Ich hätte mein Sterbedatum ausrechnen können. Ich war überrascht, wie ruhig ich war. Ich überlegte mir, ob ich noch etwas für meine Famile regeln müsste.
Ich bedauerte es nicht, oder ich hätte es nicht bedauert, wenn ich einen schlechten Befund bekommen hätte. Ich empfand Dankbarkeit. Ich hatte ein wunderbares Leben. Ja, ich habe es noch. Manchmal wundern sich andere Menschen, wie intensiv mein Leben war. Nicht nur arbeitsmäßig auch hinsichtlich der Liebesbeziehungen. Ich hatte nie das Gefühl: "Wieso muss ich jetzt sterben?" Ich dachte eher, wie privilegiert ich gewesen war.

Mein Leben hat sich sehr stark verändert. Nicht nach außen hin. Doch innerlich bin ich danach so viel ruhiger geworden, dass ich es selbst nicht für möglich gehalten hätte. Ich bin zum ehestmöglichen Zeitpunkt vor 3 Monaten in Pension gegangen. Mir wird nicht fad werden, weil ich Ziele habe, die einiges an Arbeit benötigen. Aber ich hätte früher nie gedacht, dass ich vor 75 in Pension gehen werde. Und ich genieße sie jetzt.

Sollte ich jetzt über das Sterben nachdenken? Wäre doch verrückt. Ich habe noch Zeit, Zeit zu genießen, Zeit, die Kinder und Enkelkinder heranwachsen zu sehen. Naja, die Kinder sind schon alle recht groß :) Aber die Enkelkinder - das ist vergnüglich.

Und das Leben selbst: Klavierspielen, Buch schreiben, die Sauna besuchen, danach zum Heurigen gehen. Und ab und zu bei einer Konferenz einen Vortrag zu halten und die Annehmlichkeiten einer anderen Stadt zu erleben. Nein, ich denke nicht an den Tod, außer in seiner abstrakten Form. Er geht mich momentan persönlich nichts an.

Und daher gebe ich den Ratschlag: lieber leben, als übers "Aufhören" nachzudenken.

feinstrick - 25. Mär, 18:26

Nun ja. Ja. Ach. Manchmal brauche ich das einfach.
Ich würde übrigens auch nichts bedauern und nicht verzweifelt festhalten wollen - selbst dann nicht, wenn ich schon morgen gehen müsste.

Ach, und noch eins: Der Mann, der mir so rege während seines Urlaubs schrieb, war nur wenige Tage vor den Anschlägen in Istanbul, an genau jenem Ort, an dem sich der Selbstmordattentäter in die Luft sprengte. Manchmal sind es nur winzige Momente, die uns von Glück und Unglück trennen.
steppenhund - 25. Mär, 19:06

Ich war ja während des Putsches 1991 in Russland. Das war aber an sich nicht gefährlich.
Doch mit dem Flugzeug von "Nikilauda" hätte ich auf den ersten Flug nach Taipei fliegen sollen. (Oder war es Peking?) Jedenfalls hatte ich mich schon auf den Flug in der Businessklasse als Ehrengast zum Nulltarif gefreut. Eine Woche vorher stürzte das Flugzeug in Bangkok ab. Schubumkehr zum falschen Zeitpunkt, über 200 Tote. Das hat mich damals auch nachdenklich gestimmt.

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