Wir spielen miteinander und loten unsere Grenzen aus. Wie weit trauen wir uns zu gehen mit dem Umsetzen heimlicher Fantasien? Er braucht ein paar Anläufe, um einen Wunsch zu äußern, weiß noch nicht recht, wie weit ich mitgehe. Als er spürt, dass ich ihn nicht zurückweise, sondern sogar erfreut reagiere und Gefallen am Ausprobieren finde, geht er einen sehr deutlichen Schritt weiter und bittet um etwas, das bislang selbst in meinen recht munteren Fantasien nicht vorkam, so abwegig ist es. „Nein“, sage ich spontan, „das geht nicht.“ Für ihn ist das okay, er drängt nicht weiter, erwartet nicht mehr. Unser Miteinander ist auch so schon intensiv und lebendig genug, es braucht da nicht unbedingt noch irgendwelche Steigerungen.
Doch in mir arbeitet es. Was wäre, wenn ich das doch tun würde? Wenn ich über meine eigenen Grenzen gehen würde? Ich ringe mit Angst und Scham und anderen undefinierbaren Gefühlen. Schließlich siegt ein Gefühl, das ich überhaupt nicht benennen kann. Abenteuerlust? Neugier? Unterwerfung? Ich tue, was er sich gewünscht hat und filme mich dabei. Eine nüchterne Handlung, die all meine Konzentration erfordert. Kommt alles aufs Bild, so wie es soll? Der Akt als solcher ist etwas Alltägliches und erlangt doch in diesem Kontext eine völlig neue Bedeutung. Hinterher überlege ich lange. Abschicken oder nicht? Was, wenn ich versehentlich die falsche Mailadresse eingebe und der Film in die falschen Hände gerät? Alberne Gedanken, die meine Angst ausdrücken. In Wahrheit geht es darum, ob ich mich wirklich so nackt machen will.
Ich will. Jedenfalls ein Teil von mir. Nachdem ich auf „senden“ geklickt habe, warte ich angespannt auf seine Reaktion. Ich weiß gar nicht, ob er überhaupt zu Hause ist, vielleicht muss ich ein paar Stunden oder länger warten. Doch er reagiert sehr schnell und schreibt prompt zurück. Begeistert. Überrascht. Ein eigenartiger Stolz erfasst mich, als hätte ich eine großartige Leistung vollbracht. Und ein Glücksgefühl, weil wir so viel Vertrauen zueinander haben.
Nach zwei Tagen zerbröselt das Glücksgefühl. Nach drei Tagen spüre ich es in mir gären. Ärger macht sich breit, und Enttäuschung. Warum ruft er nicht an? Er kann mich doch nach so einer Sache nicht mit einem Einzeiler abspeisen. Da brauche ich doch viel mehr. Das Brodeln nimmt zu, der Boden unter mir gerät ins Wanken. Ich stelle ihm innerlich ein Ultimatum: Wenn er sich bis dann und dann nicht meldet, braucht er gar nicht mehr wiederzukommen, dieser egoistische, gedankenlose Blödmann.
Er meldet sich innerhalb des Ultimatums, und mein Zorn verraucht augenblicklich. Aber er spürt meine Schieflage sofort und ermutigt mich, zu erklären, was in meinem Inneren passiert ist. Das fällt mir schwer, fast schwerer als die Handlung, um die es ging. Ja, was genau ist eigentlich passiert? Ich hätte seine Nähe hinterher gebraucht, das Gefühl, geliebt zu werden, auch jetzt noch, nachdem er dieses intime Detail über mich kennt, gerade jetzt. Er begreift augenblicklich, worum es geht und entschuldigt sich, weil er nicht eher auf die Idee gekommen ist, mich anzurufen. Er hat nicht geahnt, wie bedürftig ich bin. Auf seine Frage, warum ich mich nicht selber bei ihm gemeldet habe, weiß ich keine Antwort. Weil ich mich nicht getraut habe? Wie albern. Und doch irgendwie wahr. Lieber tobe ich innerlich, statt mir eine Schwäche einzugestehen. Ich begreife: Es gibt keinen Schuldigen in dieser Geschichte, wir haben beide nicht aufgepasst.
Wir reden lange. Über uns und darüber, welchen Rahmen wir brauchen, um Grenzen überschreiten zu können. Ich fühle mich hinterher getröstet und aufgehoben und gleichzeitig unendlich verloren. Der freie Fall ist noch lange nicht vorbei, wie mir scheint. Ich stelle alles infrage. Dieses ganze eigenwillige Konstrukt, das wir da miteinander haben, mit so viel Nähe und so viel Distanz in einem. Mit großer Angst auf der einen Seite und riesengroßem Vertrauen auf der anderen. Mit der Weigerung, dem Kind einen Namen zu geben, weil es dann ja was Festes wäre, etwas, das Verbindlichkeit einfordert und Verpflichtungen mit sich bringt. Lieber tun wir so, als habe das alles gar keine große Bedeutung. Doch in Momenten wie diesem merke ich, wie sehr wir uns damit selbst belügen. Wie sehr ich mich danach sehne, einfach zu ihm zu gehen und mich in seine Arme zu werfen und mich sicher und geborgen zu fühlen, statt nur seine Stimme am Telefon zu hören - so schön die Worte auch sind, die er zu mir sagt. Aber sie machen mich nicht glücklich, sondern lösen in mir eine tiefe Traurigkeit aus. So einsam und verloren habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Auf diese Grenzerfahrung hätte ich gern verzichtet.
Ich war schon im Bett und hatte es mir mit einem Glas Rotwein und meinem Laptop gemütlich gemacht, auf dem ich die NDR Talkshow ansah. Es ging dort gerade ziemlich lustig zu, die ganze Runde lachte ausgelassen und ich mit ihr. Im Hintergrund lief Facebook und gelegentlich klickte ich mich nebenbei durch neue Nachrichten. Plötzlich begannen Leute, ihre Profilbilder zu ändern. Je suis … Paris … der Eiffelturm als Friedenszeichen … Wie ein Ruck ging es durch mich hindurch: Nicht schon wieder. Oh nein, bitte nicht schon wieder. Ich wechselte zu Twitter, wo die Nachrichten geballter und präziser reinkamen, wo ich schneller Links zu den passenden Quellen fand.
Anschließend verbrachte ich die halbe Nacht am Rechner, sah die Live-Berichterstattungen aus Paris, bekam mit, wie die Zahl der Toten ständig wuchs und die Verzweiflung kaum noch in Worte zu fassen war. Paris, die Stadt der Liebe, an die auch ich wunderschöne Erinnerungen von zahlreichen Besuchen habe. Und nun die Stadt des Terrors. Schon wieder.
Und natürlich dauerte es nicht lange, bis sich zwischen all die Betroffenheit auch
Stimmen mischten, die regelrecht schadenfroh wirkten. Endlich werden die Regierungen zum Handeln gezwungen, hurra. Geht’s noch? Wie widerwärtig gefühlskalt muss man drauf sein, um aus diesem Grauen Profit für die eigene Profilierung zu schlagen? Dass die Regierungen handeln müssen, und das schon lange, ist ja klar. Aber das so abgeschmackt zu verpacken, ist ekelhaft.
Und genau das ist es, was mich bei dieser ganzen Geschichte unentwegt Schüttelfrost haben lässt: Dass ich dank der Flüchtlinge nicht nur gezwungen werde, permanent in die hässliche Fratze des Terrors zu schauen, sondern auch in die meines Nachbarn. Nur, um es noch mal ganz deutlich zu sagen: Ich finde auch nicht, dass wir unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen können. Ich finde auch, dass unsere Regierung gewaltige Fehler gemacht hat und immer noch macht. Aber ich finde nicht, dass man nun losrennen und sagen muss: Sofort alle Grenzen dicht, alle Flüchtlinge zurück nach Hause, denn die sind alle Terroristen, wirklich alle. Auch die zweijährigen Kinder und ihre schwangeren Mütter. Genauso dämlich ist es, zu sagen: Alle CSU- und AfD-Politiker sind braune Hohlköpfe. Oder: Alle Linken sind kurzsichtige Gutmenschen.
Wenn wir damit nicht bald aufhören, dann hat der Terror schon ein bisschen gewonnen. Dann machen wir uns gemein mit ihm.
Heute Morgen bin ich vom Geräusch eines kreisenden Hubschraubers aufgewacht. Mein erster Gedanke war: Jetzt ist in Hamburg auch was passiert. Ja, ich habe diese Angst. Und ich spreche sie laut aus, und niemand, der mich kennt, schiebt mich dadurch in eine Ecke, in die ich nicht gehöre. Wir dürfen Angst haben und wir dürfen sie äußern und unsere Politiker dazu zwingen, sich dieser Angst anzunehmen. Das ist schließlich ihre Aufgabe. Und ja, wir dürfen auch wütend darüber sein, dass die Politik diese Aufgabe schon sehr lange nicht mehr ernst genommen hat.
Ich habe versucht, den Horror des vergangenen Abends zu verdrängen. Ich habe fröhliche Mails geschrieben, war Shoppen und Kaffeetrinken. Aber es hat nicht geklappt. Die ganze Zeit stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn unter einem dieser Leichentücher jemand gelegen hätte, den ich kenne. Ich denke daran, wie schnell es gehen kann, dass aus Frieden Krieg wird. Jetzt werde ich ganz still eine Kerze anzünden und diesen kindlichen, naiven Wunsch aussprechen, dass die Menschen auf dieser Welt eines fernen Tages zur Vernunft kommen mögen. Und vermutlich werde ich dabei die eine oder andere Träne vergießen, weil ich weiß, dass ich das nicht mehr erleben werde.
Hier noch ein paar Links zu Beiträgen, die mich zum Nachdenken angeregt haben - und zwar in allen Richtungen.
Exporteure des Todes - was wir lernen müssen (Süddeutsche)
Nils Minkmar: "-Die französische Regierung hat versagt. Das macht mich wütend" (Video)
Über die katastrophalen Zustände auf der griechischen Insel Lesbos (Video)
Unterwegs -
feinstrick - 14. Nov, 18:08
Ich weiß nicht, wie oft ich schon versucht habe, diesen Text zu schreiben, wie viele Versuche halb fertig in den Tiefen meiner Festplatte verschwanden. Wo soll man auch anfangen bei so einem emotionalen Thema?
Bei sich selbst? Bei mir und meinen eigenen Ängsten, Vorurteilen und Bedenken? Bei der Frage, wie wir das alles bewältigen sollen mit diesen vielen Flüchtlingen? Wie wir es schaffen können, so viele von ihnen dauerhaft aufzunehmen und zu integrieren? Wo wir doch noch genug mit der Integration derer zu tun haben, die schon seit vielen Jahren hier leben und immer noch kein Deutsch können und immer noch deutlich schlechtere Schulabschlüsse haben als deutsche Kinder. Wie sollen wir das schaffen bei einer Politik, die in allen Parteien, auf allen Ebenen so grandios versagt, dass es ein Wunder ist, dass wir die Verantwortlichen nicht längst alle geteert und gefedert fortgejagt haben? Die Ersthilfe für die ankommenden Flüchtlinge wäre bei dieser trägen Bürokratie und diesen vielen Fehlentscheidungen jedenfalls ein absolutes Desaster - wären da nicht diese unfassbar vielen Menschen, die einfach die Ärmel aufkrempeln und helfen. Die da organisieren, wo der Staat es nicht bewältigt. Die da machen, wo der Staat nur Reden schwingt. Und die da die Arme ausbreiten und „Willkommen!“ rufen, wo der Staat mit versteinerter Miene dasteht und sagt: „Aber bleiben könnt ihr hier höchstens vorübergehend.“
Wo fange ich an? Bei meiner eigenen Furcht vor radikalen Islamisten? Bei meinen eigenen Vorurteilen, die ich mühsam im Laufe der letzten zwanzig Jahre abgebaut habe - nur, um sie nun alle wieder neu zu bemerken? Bei mir selbst, bei meinen Kollegen, meinen Nachbarn, meinen Freunden. Bei Leuten, von denen ich nie erwartet hätte, dass sie mal so was sagen würden wie: „Die schleppen uns Krankheiten ein und gefährden die Sicherheit in unserem Land.“ Ich hätte auch von mir nie gedacht, dass ich dazu im Stillen nicken würde. Und gleichzeitig lese ich Hassparolen in sozialen Netzwerken, die mich zutiefst schockieren. Weil sie von Leuten aus der bürgerlichen Mitte stammen und nicht von kahlrasierten Vollidioten, die kaum ihren Namen buchstabieren können. Weil sich auch in scheinbar harmlosen Bemerkungen eine Geisteshaltung offenbart, die mich frieren lässt.
Sollte ich also besser bei den anderen anfangen? Bei denen, die unsere Gesellschaft spalten, weil sie sich immer lauter, immer deutlicher für Werte einsetzen, die nie meine waren und nie meine sein werden? Die alles vergessen haben, was in unserer deutschen Vergangenheit in den letzten 80 Jahren passiert ist. Wirklich alles. Und die bereit sind, dieselben Fehler erneut zu begehen. Bloß, weil sie sich vor Veränderungen fürchten. Und weil sie das, was in ihrem eigenen kleinen Leben schiefging, nicht selbst verantworten möchten, sondern lieber anderen dafür die Schuld geben. („Die nehmen uns die Arbeitsplätze und die Wohnungen weg.“)
Oder fange ich bei jenen an, die hier ankommen, ausgehungert, traumatisiert, mit nichts bei sich als ein paar Kleidungsstücken zum Wechseln - wenn überhaupt. Die mitanschauen mussten, wie ihre Frauen erschossen und ihre zweijährigen Kinder über Bord eines Flüchtlingsboots geworfen wurden, weil sie zu laut geweint haben. Von denen sich manche zuhause radikalisiert hatten - weil sie nicht begriffen haben, worum es wirklich geht. Und weil religiöse Eiferer schon immer die besten Rattenfänger waren. Von denen viele aber ganz normale Menschen sind, die nichts anderes wollen als ihren Frieden - sofern sie den in diesem Leben überhaupt jemals wiederfinden werden. Und ja, sie bringen Krankheiten mit. Das täten wir auch, wenn wir wochenlang unterwegs wären, ohne abends in ein weiches, sauberes Bett fallen zu können. Und ja, sie sind manchmal aggressiv. Das wäre ich auch, wenn ich erlebt hätte, wie man meine Familie ermordet hat, wie ich auf der Flucht beschimpft und verfolgt werde, wie ich seit Monaten durch Europa irre, auf der Suche nach einem Ort, an dem ich willkommen bin.
Ich könnte auch bei meiner Familie beginnen. Bei meiner Patentante, die 1945 aus Pommern floh und dabei so Grausiges erlebte, dass sie vorübergehend ihr Augenlicht verlor. Oder bei meinem Vater, der 1961, kurz vor dem Mauerbau, aus der DDR floh. Oder ich könnte bei meinem Schwager beginnen, der nirgendwohin floh, sondern kam, um hier zu studieren - und dann nur darum blieb, weil er meine Schwester kennenlernte und heiratete. Er ertrug nicht nur das viel zu kalte Wetter und gelegentliche rassistische Anfeindungen, sondern auch die Vorurteile und die Ablehnung meiner Familie, die ihm anfangs heftig entgegenschlugen. Schließlich ist er einer dieser bösen Araber, ein Mann aus Syrien. Und damals, als er in unsere Familie kam, war das Buch „Nicht ohne meine Tochter“ gerade sehr populär. Die Angst von uns Christenmenschen vor dem bösen Muselmann war gewaltig. Der Schwager und ich lieferten uns oft heftige Diskussionen über Menschenrechte und Demokratie. Bis wir beide anfingen, einander zuzuhören. Bis die Unterschiede immer unwichtiger wurden und die Gemeinsamkeiten immer bedeutsamer. Mein Schwager hat in Deutschland promoviert und habilitiert. Er beherrscht die deutsche Grammatik besser als die meisten Deutschen. Und er zählt zu den ganz wenigen Menschen, von denen ich weiß, dass ihre Tür immer für mich offensteht, wenn ich mal in Not bin. Das ist sein (arabisches) Verständnis von Familie.
Zurzeit haben er und meine Schwester ständig nachts Albträume vom Krieg. Viele Verwandte leben immer noch dort. Der Kontakt zu fast allen Freunden ist abgebrochen. Ich kenne einige von ihnen, habe in besseren Zeiten mit ihnen zusammen gefeiert und gelacht. Wir wissen nicht, ob sie tot sind oder geflohen oder sich radikalisiert haben. Und wenn ich die Bilder von ertrunkenen Kindern sehe, dann denke ich an meine zweijährige Nichte, an dieses süße, unschuldige Wesen und daran, was für ein unfassbares Glück dieses Kind hatte, dass es in einem sicheren Land zur Welt kam und nicht dort, wo seine Cousins und Cousinen leben. In solchen Augenblicken schnürt sich mir die Kehle zu und auch ich reiße die Arme weit auf und heiße all diese Fremden willkommen. Und ich danke auf Knien einem Gott, den es wohl doch nicht gibt, dafür, dass auch ich bisher nur aus dem Fernsehen weiß, was Krieg ist.
Wo soll ich also anfangen? Bei meinem wunden Herzen angesichts all dieser Not? Bei meinen Ängsten und Vorurteilen? Oder bei all jenen, die meinen, Hass sei die beste Lösung, um diese Ängste zu bewältigen? Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur eins: Menschen, die in höchster Not an meine Tür klopfen, die kann ich nicht abweisen, die darf ich nicht abweisen. Niemals. Aber ich darf besorgt sein und mich fragen, welche Wege es gibt, um diesen Menschen nachhaltig zu helfen. Nur muss ich das mit dem nötigen Respekt tun. Und ohne zu dramatisieren oder zu beschönigen. Beides bringt nämlich gar nichts.
Ich werde diesen Text jetzt veröffentlichen. Obwohl ich vermutlich morgen am liebsten einen neuen schreiben würde. So unsicher und ratlos bin ich, so schockiert und verstört angesichts all dessen, was hier passiert. Und damit meine ich sowohl diesen unfassbaren Strom an Flüchtlingen, der sich quer durch Europa wälzt, als auch den barbarischen Hass, der ihm teilweise entgegenschlägt und mich noch mehr frieren lässt. Und das nicht nur, weil die Hälfte meiner Verwandtschaft einen arabischen Nachnamen trägt.
Unterwegs -
feinstrick - 17. Sep, 22:55
So perfekt wie zurzeit war mein Leben schon ewig nicht mehr. Beruflich bin ich genau da, wo ich immer hinwollte. Mit Ende vierzig hat sich endlich mein Lebenstraum erfüllt, und ich bin unendlich dankbar dafür. All die Hungerjahre. All die Irrwege. All die Pleiten, Pannen und Katastrophen. Und nun dies: Erfolg. Natürlich weiß ich nicht, ob er von Dauer ist, und immer mal wieder schleichen sich diese kleinen, hässlichen Gedanken ein, die das alles als Eintagsfliege verhöhnen. Doch meistens überwiegt die Freude darüber, dass ich nun seit fast einem Jahr vom Schreiben lebe.
Und ja, es sind nicht die Bachmann-Preis-Romane, die ich verfasse. Aber mit denen verdient man in der Regel auch kein Geld. Und sich von all diesen Zwängen und Ansprüchen zu befreien und nur eins beim Schreiben im Sinn zu haben - Spaß! - ist die reinste Wohltat, ein geradezu anarchistischer Befreiungsschlag. Je seichter und klischeehafter die Geschichten, desto mehr Geld bringen sie ein. Wenn dann auch noch Sex im Spiel ist, gibt es kein Halten mehr. Das war anfangs eine bittere Erkenntnis. Inzwischen mache ich es aber wie die großen Verlage: Mit dem massentauglichen Schund finanziere ich die anspruchsvolleren Projekte, jene, in denen viel Zeit und Herzblut stecken.
So arbeiten zu können, empfinde ich als Luxus und großes Glück. Und wie das immer so im Leben ist: Wenn es an einer Stelle rund läuft, wird davon auch alles andere beeinflusst. Ich erhalte Liebe im Überfluss, so viel, so unverhofft, so wunderbar, dass ich manchmal kaum weiß, wohin mit all den schönen Gefühlen. Ob das nun meine zweijährige Nichte ist, die mich mit leuchtenden Kinderaugen ansieht und aus tiefstem Herzen sagt: „Ich hab dich sooo lieb.“ Oder der Mann, der keine Worte um seine Liebe macht, sie mir aber immer wieder aufs Neue mit vielen kleinen Gesten zeigt. Der mir mit seinem Körper in jeder Sekunde, die wir zusammen sind, erzählt, wie wichtig ich ihm bin, wie glücklich auch er ist. Und bei dem ich mich manchmal frage, ob er wirklich derselbe Mann ist, den ich vor zwei Jahren voller Zorn fortgeschickt habe.
Nun sitze ich wie ein kleines Kind sprachlos vor lauter Staunen mitten in diesem Wunderland voller Geschenke, Überraschungen und Glück und denke die ganze Zeit: Bitte, bitte lasst mich nie mehr aufwachen.
Wohnzimmer -
feinstrick - 25. Aug, 20:19
Ich bin nicht so der Aufwärmtyp. Genau genommen habe ich noch nie eine klar beendete Affäre oder Beziehung wiederbelebt. Sicher, gelegentlich gab es größere Pausen in der einen oder anderen Geschichte, aber die waren dann nur äußerlich. Innerlich lief alles weiter, sodass man nach der Pause wieder anknüpfen konnte, wo man zuletzt stand - wenngleich es meistens dann nicht mehr ganz so innig lief, weil man ja nicht ohne Grund einen gewissen Abstand hergestellt hatte.
Ich brauche lange, um mich auch innerlich zu lösen. Wenn ich den Schritt aber einmal vollzogen habe, dann gibt es kein Zurück mehr, dann ist etwas in mir unwiederbringlich verlorengegangen. Bei den Männern scheint das anders zu funktionieren. Von denen klopfen etliche irgendwann wieder an meine Tür. Aber mit leisem Bedauern stelle ich dann fest, dass sie zu spät gekommen sind, dass ich weitergegangen bin.
Nun gab es doch eine Aufwärmung. Nach zwei Jahren totaler Funkstille, in denen ich nicht ein einziges Mal auf die Idee gekommen war, Kontakt herzustellen, selbst in den Momenten nicht, in denen ich an ihn dachte (was durchaus häufiger vorkam, allerdings nicht sehnsüchtig und verlangend, sondern eher grimmig und verärgert - auch so was bindet übrigens, wie mir jetzt klar wird). Eines Tages war er einfach wieder da und klopfte sehr nachdrücklich an meine Tür. Und ich - machte ihm auf. Nicht sofort und auch nicht voll überschwänglicher Begeisterung, sondern eher leise und zögernd und sehr, sehr skeptisch. Zu viel war damals geschehen, zu viele Verletzungen, zu viele Enttäuschungen hatten mich zermürbt. Ich wollte das nicht noch einmal erleben, nicht wieder in diesen Zustand geraten, in dem ich mich selbst total verloren hatte. Also blieb ich auf der Hut, immer bereit, sofort die Flucht zu ergreifen, sobald sich etwas seltsam anfühlen würde.
Es fühlt sich tatsächlich seltsam an, allerdings anders, als befürchtet. Etwas ist geschehen in diesen zwei Jahren. Mit mir, mit uns. Wir haben uns beide verändert, und das tut unserem Miteinander gut. Obwohl die äußeren Rahmenbedingungen ungünstiger denn je sind, ist auf einmal eine Nähe zwischen uns, die wir noch nie hatten. Dazu haben sicher lange und klärende Gespräche beigetragen. Ich für meinen Teil habe aber auch gemerkt, dass ich nicht mehr kämpfen muss. Dass ich einfach alles sein lassen kann. Ihn, so wie er ist. Meine Gefühle, so wie sie sind. Die ganze Situation, so wie sie eigentlich immer schon war - unverbindlich verbindlich.
Und daraus entsteht plötzlich eine Innigkeit und Leichtigkeit, die wir noch nie miteinander hatten. Ich bin überrascht und stelle staunend fest: So kann Aufwärmen also auch aussehen. Dass man eben nicht da anknüpft, wo man zuletzt stand (inklusive aller alten Gefühlsmuster), sondern dass man noch mal ganz von vorne beginnt. Und damit Raum für Neues schafft.
Natürlich geht das nicht alles so leicht, wie es jetzt hier steht. Und natürlich habe ich zwischendrin Momente, in denen Ängste hochkommen, die ich kaum auszuhalten vermag. Aber das werde ich wohl auch so schnell nicht ablegen können. Das bin einfach ich: ständig auf der Hut, ständig voller Sorge, ständig auf der Flucht. Aber ich habe so ein Gefühl, dass etwas Großes passiert, wenn ich es irgendwann schaffe, auch diese Ängste einfach loszulassen. Vielleicht nicht unbedingt mit uns, aber auf jeden Fall mit mir.