Unterwegs

Freitag, 11. Juli 2008

Ostfriesenwitz

„Nächster Halt ist Esens Hauptbahnhof. Die Weiterfahrt erfolgt auf Gleis Eins“, posaunt der Busfahrer gut gelaunt ins Mikrofon, und dann wünscht er den Fahrgästen eine gute Weiterreise.

Als ich aussteige, muss ich grinsen. Der „Hauptbahnhof“ Esens hat die Größe einer Bushaltestelle und es gibt überhaupt nur ein einziges Gleis, auf dem die Züge abfahren. Aber dank des Busfahrers sieht der Himmel darüber nicht ganz so grau aus, und auch ich verspüre gute Laune.

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Mittwoch, 25. Juni 2008

Gaffer

Ich ging durch die Fußgängerzone, in Gedanken versunken, beglückt über ein originelles Geschenk, das ich soeben erstanden hatte. Es war warm, viel wärmer, als ich den ganzen Tag über erwartet hatte, Sommer, Leben, Lachen. Die Menschen drängten sich auf den Wegen, saßen in den Cafés, aßen Eis. Ich schob mein Fahrrad durch das Gedränge und überlegte, was ich noch alles besorgen wollte. Hinten, vor dem Einkaufszentrum ballten sich besonders viele Leute. Vielleicht machte da jemand Musik, dachte ich, doch ich hörte nichts als das Stimmengewirr um mich herum.

Dann sah ich das Feuerwehrauto. Oh, dachte ich nun, fand da vielleicht eine Prügelei statt? Ein Wort gibt das andere, und dann heißt es jeder gegen jeden, jemand wird am Kragen gepackt, eine Faust saust durch die Luft und Schlimmeres. Die Menschen scharen sich um die Streithähne, ergreifen Partei, es kommen immer mehr Neugierige hinzu, mischen sich ein, machen mit, versuchen zu schlichten, bis das totale Chaos herrscht und endlich jemand die Polizei ruft. Man kennt das.

Doch da stand kein Polizeiwagen, sondern ein Feuerwehrauto. Sanitäter knieten am Boden, umringt von dieser riesigen Menschentraube. In mir machte sich ein beklommenes Gefühl breit. Hier ging es gar nicht um einen Streit, es gab nichts zu schlichten, es tobte nicht das Leben, sondern der Tod. Ich kam mit meinem Fahrrad durch die Ansammlung von Schaulustigen kaum hindurch, musste langsam gehen, konnte den Blick auf den Mann nicht vermeiden, der mit nacktem Oberkörper am Boden lag, während der Notarzt seinen Brustkorb in rhythmischen Stößen zusammen presste und versuchte, ihn ins Leben zurück zu holen.

Mit lähmendem Entsetzen betrachtete ich das Szenario. Es war nicht die Tatsache, dass hier ein Mann mit dem Tod rang, die mich so schockierte, es war das Verhalten all dieser Gaffer, die sich nicht genierten, so dicht, wie es das Rettungsteam ihnen erlaubte, heran zu treten, um fasziniert dabei zuzuschauen, wie ein Mensch starb. Die ihm durch diese Sensationsgier die letzte Würde raubten, ihm nicht gestatteten, in einem der intimsten Augenblicke seines Lebens nur mit seinen Helfern alleine sein zu können. In mir stieg ein Zorn auf, der mir die Tränen in die Augen trieb.
„Was steht ihr hier alle so rum und glotzt blöd?“ wollte ich am liebsten schreien. „Geht nach Hause und guckt Fußball. DAS sind Spiele. Aber dies hier, das ist echt.“ Doch außer einem heiseren „Das darf doch nicht wahr sein“, brachte ich nichts heraus.

Ich weiß nicht, ob der Mann noch lebt. Ich verließ den Schauplatz so schnell wie möglich und ging meinen Geschäften nach. Als ich aus dem Einkaufszentrum wieder auf den Platz hinaus trat, hatte sich die Menschenansammlung aufgelöst und der Rettungswagen war verschwunden. An seiner Stelle stand jetzt ein Junge, der Gitarre spielte. Ich überquerte den Platz und stockte beklommen, als mir gewahr wurde, dass ich soeben die Stelle passierte, an der vielleicht vor wenigen Minuten ein Menschenleben erloschen war.
„Live till you die“, sang der Junge mit monotoner, brüchiger Stimme, und ich blinzelte in die helle Sommersonne, während ich heimwärts strebte.

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Sonntag, 1. Juni 2008

Barbecue XXL

Ich habe heute einen Entschluss gefasst. Ab sofort erkläre ich die Sonntage für mich zu Arbeitstagen und hole den Feiertag irgendwann unter der Woche nach. Sonntags ist es nämlich wunderbar ruhig und friedlich in diesem Haus und dieser Straße, so dass ich mich gut konzentrieren kann. Draußen dagegen, also außerhalb meiner kleinen Straße, ist die Welt nicht schön an Sonntagen, jedenfalls nicht im Frühling und Sommer.

Zugegeben, ich fand es anfangs auch sehr befreiend, dass nicht mehr vor jedem Rasen ein „betreten verboten“-Schild prangte und Parks nicht mehr nur dazu dienten, sittsam auf den fein geharkten Kieswegen spazieren zu gehen und die Blumen anzuschauen. Ich fand, dass die Türken südländische Lässigkeit demonstrierten, wenn sie mit ihren gesamten Großfamilien einfach auf einer Wiese im Freien lagerten und sich nicht zu blöd waren, neben Gartenmöbeln auch noch einen Grill mitzuschleppen. So was wäre doch jedem ordentlichen Deutschen viel zu umständlich gewesen. Und irgendwie schickte sich das auch nicht.

Das hat sich gründlich geändert. Inzwischen gehört es zum guten Ton, ab April jeden Tag, an dem die Temperaturen oberhalb des Gefrierpunktes liegen, sämtliche Freunde und Verwandte zusammen zu trommeln und auf der nächstbesten freien Fläche ein Gelage zu veranstalten, an dem die alten Griechen ihre Freude gehabt hätten. Kinder, Hunde, Sofas, Kühlschränke, säckeweise Grillkohle, tonnenweise Fleisch und Würstchen, hektoliterweise Durstlöscher – es gibt nichts, was nicht an einsame Elbstrände und in kleine, lauschige Parks geschleppt wird. Nur, dass jene Parks nach diesem Attentat leider überhaupt nicht mehr lauschig sind und die Strände nicht mehr einsam. Die Luft riecht nicht mehr nach Frühling, sondern nach Rauch, Fett und der Notdurft all derer, die mangels öffentlicher Toiletten in die Büsche kriechen. Die Wiesen sind keine Wiesen mehr, sondern verdorrte, plattgewalzte Steppen. Je länger ein Wochenende dauert, desto schlimmer wird es, denn tagelang wird der Müll nicht beseitigt und um die Mülltonnen herum stapeln sich bergeweise Einweggrills und Plastikgeschirr. In einstmals hübschen Blumenbeeten liegt Abfall neben Aschehäufchen und manche Parkbank wird zum Altglascontainer. Dennoch lassen sich auch an einem so schwül-warmen Sonntag wie heute die Leute nicht abschrecken, zwischen den Müllhalden ihr Lager aufzuschlagen, dicht an dicht gedrängt, wie es schlimmer im Freibad während der Sommerferien nicht sein könnte, als hätten sie alle kein Zuhause mehr, als gäbe es außer Würtschen überhaupt keine anderen Nahrungsmittel mehr, als würde das höchste Glück ihres Daseins hier in diesem stinkenden Etwas liegen, das einstmals ein lauschiger, kleiner Park war, damals, als es noch diese Verbotsschilder gab und man zum Picknicken raus ins Grüne fuhr, dahin, wo man wirklich alleine war und sich erholen konnte.

Ja, und genau das werde ich in Zukunft tun – raus in die Natur fahren, weg aus diesem stinkenden Moloch. Allerdings nicht Sonntags, denn da sitze ich ganz entspannt am Schreibtisch und arbeite. Ich werde meine Wandertage auf einen beliebigen Wochentag legen, ohne Millionen anderer Hamburger im Schlepptau. Und irgendwann kommt auch die Zeit wieder, in der es kalt und grau und nass ist und alle Welt auf dem heimischen Sofa hockt. Dann habe ich auch meine geliebten Parks wieder für mich, sogar an den Sonntagen. Hach, wird das herrlich!

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Freitag, 30. Mai 2008

Typisch?!

Da hatte ich einmal nicht genau genug gelesen und fuhr prompt zum falschen Veranstaltungsort. Gut, dass es sich um ein Seminar nur für Frauen handelte, denn ich war nicht die Einzige, die offenbar Wegfindungsprobleme hatte, und so begann die Veranstaltung mit über einer halben Stunde Verspätung. Typisch war auch, dass die Referentin technische Probleme mit Beamer und Laptop hatte und ein männlicher Techniker zu Hilfe gerufen werden musste. Dass allerdings ausgerechnet der einzige Quotenmann auf der gesamten Veranstaltung das beste Kurzreferat des Tages gehalten hat, finde ich nicht typisch, sondern einfach nur ärgerlich.

Ich glaube, dieses Frauen- und Männerding ist noch sehr lange nicht gegessen.

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Sonntag, 18. Mai 2008

Glaubenssache

Eine Begegnung im Bus. Ich steige vorne beim Fahrer ein, um ein Ticket zu lösen. Omi kommt aus dem hinteren Teil des Busses nach vorne: „Wo muss man denn aussteigen, um zum Altonaer Museum zu kommen?“
Busfahrer sieht mich ratlos an: …
Ich: „Das ist direkt am Altonaer Bahnhof.“
Omi: „Das glaub ich aber nicht.“
Busfahrer schaut noch ratloser: … …
Ich: „Doch, da können Sie bis zum Bahnhof durchfahren und dort aussteigen. Das Museum ist direkt neben dem Bahnhof.“
Omi glotzt mich schweigend an und geht dann wortlos weg.
Busfahrer: „Ich weiß das wirklich nicht. Keine Ahnung, wo das ist.“
Ich zucke mit den Schultern.
Omi steigt völlig sinnlos an der nächsten Haltestelle aus.
Busfahrer nimmt in einer Kurve einen Kantstein mit.
Ich bin ausgesprochen dankbar, dass ich mich nicht als Fremdenführerin selbständig mache.

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Dienstag, 13. Mai 2008

Die Grauen Panther

Die grauen Panther

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Freitag, 2. Mai 2008

Explosionen

Dieser üppige Frühling, dieses Sprießen und Wachsen, Blühen, Verblühen, erneute Blühen, der leichte Wind, der die abgefallenen Blütenblätter durch die Luft wirbelt wie Schnee, was kitschiger als im kitschigsten Film aussieht und doch viel realer ist. Und dazu die Kinder, die in diesem Postkartenidyll unter weiß blühenden Kirschbäumen spielen und sich gegenseitig die Sandschaufeln auf den Kopf hauen, die Erwachsenen, die auf der Löwenzahnwiese direkt an der viel befahrenen Straße ihren Grill aufbauen, als könnten sie nicht noch zehn Meter weiter in den Park hinein gehen, dorthin, wo noch mehr Frühling ist und man nicht die Autoabgase sondern den betörenden Duft all der Bäume und Sträucher, Blumen und Gräser riechen kann, aber wer Barbecue macht, riecht eh nur noch den Grillanzünder und das Wurstfett. Die Fotografen holen ihre Kameras hervor und versuchen mit riesigen Objektiven dem Geheimnis des Frühlings auf die Spur zu kommen, Werden und Vergehen im Macro, die kleinste Zelle herangezoomt, durchleuchtet, festgehalten, gephotoshopt und dann stolz der Welt präsentiert: Seht her, das ist er, der Frühling, so sieht er aus.

Und auch ich gehe wie eine Schlafwandlerin durch diese Pracht, begreife dieses Wunder kaum, all diese Lebendigkeit, die Kraft, die Energie, die Pflanzen scheinen im Minutentakt zu wachsen und verlieren ihre Blütenblätter bereits wieder, bevor ich sie überhaupt richtig wahrgenommen habe. Die ganze Welt explodiert förmlich, wie so ein Wunderfeuerwerk, das mit aller Kraft ins Universum geschossen wird, einen Moment lang hell erstrahlt und dann leise verglüht. Ich wünschte, in meinem Kopf würde auch so ein Wunderfeuerwerk stattfinden, würde es auch blühen und gedeihen, explodieren und erleuchten. Doch da ist nur eine Wüste, in der sich stumm ein kleines Karussell dreht, Runde um Runde, und das weiße Pferd, auf dem die Prinzessin reitet, kommt immer wieder am Ausgangspunkt vorbei, bringt immer nur dieselben, wiederkehrenden Ideen mit, in einer geradezu nervenaufreibenden Monotonie und Fantasielosigkeit.

Es werde Frühling im Hirn! Und zwar subito!

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Montag, 28. April 2008

Der Atem der Seele

Da ist jemand, der sehr gehemmt wirkt, unsicher, ängstlich, sich in seiner Haut nicht wohl zu fühlen scheint. Er ist Körpertherapeut, und alleine das finde ich schon überraschend. Wie kann jemand mit dem Körper arbeiten, der sich selbst so fremd zu sein scheint, so linkisch wirkt, den Eindruck erweckt, als wolle er sich am liebsten unsichtbar machen? Dummerweise ist er jedoch ein hochgewachsener, baumlanger Kerl von gut einem Meter dreiundneunzig, ein großer, schlanker Mann, den man nicht so leicht übersieht. Fast kann er einem Leid tun, weil er so schutzbedürftig wirkt, hilflos, verloren, mit der Angst fest im Nacken, vollkommen verunsichert durch die Menschen um ihn herum.

Und dann dies:
Eine Altbauwohnung irgendwo in Berlin, so bunt wie das Leben drum herum. Am auffälligsten: Es gibt fast keine Tische und Stühle in dieser Wohnung. Stattdessen viele Kissen und Matten auf dem Boden und freie Ecken, die zum Sitzen und Liegen einladen. Hier leben Menschen, deren Körper gut durchtrainiert und sehr beweglich zu sein scheinen. Und mittendrin in diesem ungewöhnlichen Ambiente steht der baumlange Kerl, der hier gar nicht mehr so verloren wirkt, sondern sich harmonisch einfügt in dieses bunte Bild.

Ich möchte mehr über seine Arbeit erfahren. Er hält sich jedoch nicht mit langen Reden auf, sondern will erst mal eine Session abhalten, wie er es nennt. Ich soll genau wissen, worum es geht, und zwar praktisch, nicht theoretisch.

Die Behandlung findet in einem schmalen Raum statt, der vom Rest der Wohnung nur durch einen Vorhang getrennt ist. Ich solle mich ausziehen und meine Kleider an einen Haken im Flur hängen, fordert mich S., der lange Kerl, auf.
„Was soll ich denn alles ausziehen?“ frage ich.
„Alles bis auf den Slip“, sagt S. „Es sei denn, du fühlst dich wohler, wenn du dich ganz ausziehst.“
Das irritiert mich. Wieso sollte ich mich wohler fühlen, wenn ich ganz nackt bin? Ich werde den Slip auf jeden Fall anbehalten, keine Frage. Am liebsten würde ich auch den BH anlassen. Dabei bin ich eigentlich gar nicht so prüde und habe keine Mühe, mich vor anderen Leuten zu entkleiden, in therapeutischem Zusammenhang gleich gar nicht. Und doch stocke ich diesmal. Ich habe S. nicht als Therapeuten kennen gelernt, und nun fällt es mir schwer, umzuschalten. Ein bisschen ist das so, als würde ich mich vor einem langjährigen Freund ausziehen, da ist man auch seltsam gehemmt. Dabei kenne ich den S. doch noch gar nicht so lange. Und ein guter Freund ist er gleich gar nicht.

Doch mir bleibt nicht viel Zeit, meinen Irritationen nachzuforschen. Die Behandlung beginnt und meine erste Befangenheit verfliegt rasch. Ich liege nur im Slip bekleidet auf dem Massagetisch – und friere erbärmlich. Ich wünsche mir eine warme, dicke Daunendecke zum Einkuscheln, und vielleicht auch zum Verstecken. Später wird der S. mich fragen, ob ich vielleicht friere, weil ich Angst habe. Ich tue den Gedanken als vollkommen abwegig ab. Doch hinterher denke ich: Nun ja, ich habe schon Angst davor, mich zu sehr zu öffnen, Menschen zu nahe an mich ranzulassen, mich ihnen schutzlos auszuliefern (vielleicht, so spinne ich insgeheim den Gedanken weiter, verliebe ich mich darum auch so oft in Männer, die mir nicht wirklich zu nahe treten können oder wollen). Und man ist wohl kaum schutzloser, als wenn man fast nackt auf einem Massagetisch liegt, neben dem ein fremder Mann steht, in einer fremden Wohnung, mitten in Berlin.

Der S. beginnt mit sehr sanften Berührungen an meinem Nacken, streckt ihn leicht, bewegt meinen Kopf vorsichtig hin und her. Sehr schnell gehe ich auf seine Berührungen ein, empfinde sie nicht als fremd, aufdringlich oder gar bedrohlich, sondern als sehr angenehm.
„Es ist immer gut, zu atmen“, erklärt S. „Das unterstützt den Prozess. Und davon wird dir auch wärmer.“ Er lächelt sein scheues Lächeln. Ich grinse unbeholfen. Atme ich denn nicht? Verdammt noch mal, natürlich atme ich. Doch mein leises, unauffälliges Luftholen genügt S. nicht.
„Atme tief in deinen Brustkorb hinein, meinen Händen entgegen“, fordert er mich auf. Und wie um mir zu demonstrieren, was er meint, atmet er selbst sehr tief und sehr laut ein und aus. Mit kraftvollen Bewegungen widmet er sich meinem Körper und bei jeder Bewegung, jeder neuen Berührung seufzt und grunzt, stöhnt und schnauft er. Fast wie beim Sex, schießt es mir durch den Kopf, und ein bisschen kommt es mir überhaupt so vor, als habe S. das Bestreben, mich zu einem Orgasmus zu schaukeln, zu schütteln, zu rütteln. Seine großen Hände umfassen mit sanftem, aber festem Druck meinen gesamten Brustkorb, sparen dabei auch die Brüste nicht aus, und versetzen mich in Schwingungen.

Ich liege da und atme, was das Zeug hält. Doch S. ist immer noch nicht zufrieden:
„Atmen!“ fordert er mich immer wieder auf. Und ich atme laut und tief ein und aus – bis mir schwindelig wird. S. arbeitet sich derweil vorsichtig meinen Körper entlang. Brust, Arme, Bauch, Beine, Rücken. An manchen Stellen sind seine Berührungen schmerzhaft, bohren sich seine Finger tief in mein Fleisch, berühren Punkte, an denen ich starke Verspannungen oder Blockaden habe. Dann wieder sind die Berührungen sanft und schmeichelnd. Mittlerweile atme ich fast von selbst und finde es gar nicht mehr albern, dabei laute Geräusche zu machen. Also, für meine Verhältnisse laut. S. findet meinen Atem weiterhin schwach und zu flach. Aber man kann nicht gleich auf Anhieb ein Atmungsvollprofi werden. Mir ist auch gar nicht mehr so kalt wie am Anfang. Und ich empfinde die Hände von S., die ebenfalls immer wärmer werden, als sehr wohltuend auf meinem Körper. Ich verliere jedes Gefühl für Raum und Zeit und genieße nur noch. Als ich gerade denke, jetzt könnte es noch stundenlang so weiter gehen, ist die Zeit jedoch rum und S. lässt die Session so sanft an meinem Kopf ausklingen, wie er sie begonnen hat. Ich bin total benommen und fühle mich noch lange etwas schwindelig und seltsam losgelöst vom Rest der Welt. Fast so, als hätte ich zu viel Alkohol getrunken. Oder guten, intensiven Sex gehabt. Oder beides.

Dann sitze ich mit S. in einem kleinen, indischen Restaurant und frage ihn aus. Über sein Leben. Und über die Methode, mit der er arbeitet. Er antwortet mit leiser, ruhiger Stimme. Und auf einmal ist er wie ausgewechselt und wirkt überhaupt nicht mehr unbeholfen und ängstlich, sondern sehr klar und sehr souverän. Er hat eine sehr sympathische Ausstrahlung und einen wachen, offenen Blick. Ich spüre, dass er ganz mit sich im Reinen ist, jetzt und hier, nachdem er mir so anschaulich demonstriert hat, was seine Berufung ist. Er hat über seinen Körper zu mir gesprochen, was viel intensiver war, viel direkter und intimer als jedes Wort. Und ich habe ihm geantwortet, ohne dass es mir bewusst war. Nun, da wir einander offenbart haben, findet S. auch die passenden Worte, um meine Fragen zu beantworten. Und als er von Tantra-Seminaren erzählt und davon, dass er auch erotische Massagen anbietet, überrascht mich das irgendwie gar nicht mehr sonderlich, ja, ich kann es mir sogar richtig gut vorstellen. War nicht auch unsere kleine Session eben eine sehr sinnliche Angelegenheit? Waren nicht auch hier Körper und Seele angesprochen, geriet nicht auch hierbei alles in mir in Schwingung und in Fluss und hinterließ eine zutiefst befriedigende Entspannung?

Als ich wieder nach Hause fahre, fühle ich mich sehr ruhig, sehr gelöst und sehr wach. Ich habe auf einmal ganz viele Fragen an S., den baumlangen Kerl, der seine ganz eigene, sehr persönliche Art gefunden hat, mit der Welt zu kommunizieren und sich die Geschichten anderer Menschen erzählen zu lassen, ohne dass sie auch nur ein einziges Wort dabei sprechen müssen. Dabei entsteht ein faszinierender Dialog, der einem glatt den Atem nehmen könnte, wenn S. nicht immer wieder darauf hinweisen würde:
„Vergiss das Atmen nicht. Atmen ist Lebendigkeit.“
Wie Recht er doch hat.

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Sonntag, 13. April 2008

Glücksmomente

Spaziergang im Regen, alles grau in grau, die Leute huschen unter ihren Schirmen vorbei, Hunde springen durch die feuchten Wiesen, meine Schuhe voller Matsch, und am Himmel lassen sich die Wolken von einem leichten Westwind davon jagen und machen dem Frühlingsblau Platz. Auf der Elbfähre sind wir fast alleine, blinzeln in die Sonne, die immer wärmer scheint, schauen auf das spiegelglatte Wasser, genießen die Weite und die Illusion, dass hinter der nächsten Ecke die Nordsee anfängt. Heiße Schokolade auf dem Museumsschiff, Urlaubsstimmung, mein Lachen, seine feuchten Augen, als er von der vollkommenen Liebe erzählt, meine Freude bei dem Gedanken, dass es so was doch noch gibt und meine Zweifel, dass es von Dauer sein kann. Die Zeit vergeht, ohne dass wir es bemerken, langsames Heimwärtsschlendern mit Erinnerungen an vergangene Zeiten und dem tröstlichen Gefühl, dass wir nicht alleine sind, dass wir uns gegenseitig stützen und stärken können, in freundschaftlicher Verbundenheit und voller Glück über die schönste Stadt der Welt, in der ein kleiner Sonntagsspaziergang zu einem tagelangen Urlaub werden kann.

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Freitag, 21. März 2008

Männer

Neulich saß ich im ICE von Berlin nach Hamburg neben einem sympathischen Mann mittleren Alters. Wir sprachen nur wenig miteinander, aber ich fand die höfliche, humorvolle Art des Mannes sehr angenehm. Gestern Morgen, als ich erneut auf dem Bahnhof war, sah ich den Mann zufällig wieder. Er wartete auf den Zug Richtung Berlin und verabschiedete sich sehr liebevoll von einem anderen Mann. Es war nicht zu übersehen, dass die beiden ein Paar waren, doch in ihren Berührungen lag etwas Scheues, Flüchtiges, das mich irgendwie rührte. Immer noch ist es nicht selbstverständlich, dass schwule Männer in aller Öffentlichkeit Zärtlichkeiten austauschen, während heterosexuelle Paare hemmungslos rumknutschen. Immerhin, dachte ich, während ich die beiden Männer beobachtete, wagen sie es, sich Küsschen auf den Mund zu drücken und einander zärtlich die Wangen zu streicheln. Das wäre auch in einer Großstadt wie Hamburg noch vor gar nicht so langer Zeit ein Skandal gewesen.

Mit Schwulen hatte ich auch während meines letzten Berlin-Trips viel zu tun, denn ich stieg im Hotel Schall und Rauch ab, das zur Schwulenszene gehört, wie ich erst nach der Buchung erfuhr. Andernfalls hätte ich mich vielleicht gar nicht getraut, dort ein Zimmer zu reservieren, weil ich befürchtet hätte, fehl am Platz in so einem Szene-Hotel zu sein. Das wäre schade gewesen, denn dann hätte ich etwas verpasst. Das Hotel liegt mitten im Prenzlauer Berg, umgeben von vielen Geschäften, Kneipen und Cafés. Die Preise sind für Berlin extrem günstig, das Essen ist sehr lecker und das Personal sehr nett und aufmerksam. Die Zimmer sind individuell eingerichtet und verbinden zum Teil auf raffinierte Weise modernes Design mit Altem, zum Teil spielen sie aber auch ganz bewusst mit dem Charme eines Berliner Hauses, das rund hundert Jahre alt ist, mit abgewetzten Dielenböden, bunt bemalten Stuckdecken, Himmelbett und dem Badezimmer auf der anderen Seite des Flurs. Die Zimmer sind alle in Größe und Ausstattung sehr unterschiedlich. Einige haben ein integriertes Badezimmer, teilweise sogar mit Badewanne, in anderen liegt das Bad außerhalb des Zimmers, und manchmal muss man es sogar mit anderen Gästen teilen. Wer geräuschempfindlich ist, sollte unbedingt ein Zimmer im Hinterhaus wählen, auch, wenn es da etwas dunkler ist und man in einen ziemlich unaufgeräumten Hof blickt. Aber gehört das nicht irgendwie zu Berlin dazu?

Für mich war dieses kleine Hotel jedenfalls eine echte Entdeckung und ich komme sicher mal wieder. Abgesehen von den charmanten Zimmern fand ich es unglaublich wohltuend, nicht ständig von Männern beobachtet und angebaggert zu werden, und erst im Restaurant dieses Hotels ging mir auf, wie sehr man als Frau in der Hetero-Welt, in der ich mich normalerweise bewege, neugierigen Blicken ausgesetzt ist, besonders, wenn man alleine in einem Lokal sitzt. Das ist manchmal extrem lästig und anstrengend. Nur wenn Frau auf Männersuche ist, dann sollte sie doch besser anderswo absteigen. Denn all die attraktiven Männer, die so gar nicht am anderen Geschlecht interessiert sind, können auf Dauer natürlich auch etwas frustrieren.

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Übermorgen fliege ich in den Urlaub, und wenn ich zurückkehre,...
feinstrick - 15. Mai, 21:06
Hat ja geklappt :)
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steppenhund - 11. Feb, 22:02
Ja, ich erinnere mich...
Ja, ich erinnere mich gut daran. Ich mache mich mal...
feinstrick - 11. Feb, 20:08
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Ich hab meine Statistik ewig nicht angeschaut, aber...
feinstrick - 11. Feb, 20:08

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