Arbeitszimmer

Donnerstag, 2. Juni 2011

Voll beschäftigt

Im Moment schreibe ich so viel anderes, dass hier gerade etwas Pause ist. Dabei gäbe es so viel zu erzählen. Vom schönsten Balkon der Stadt zum Beispiel und meiner Gurken- und Tomatenzucht, die in Zeiten der EHEC-Panik täglich an Wert gewinnt. Oder von diesem ungewöhnlichen Mann, der mich nicht nur in erotischer Hinsicht an meine Grenzen bringt – und darüber hinaus. Ich ringe mit ihm, vor allem aber mit mir selbst, doch am Ende siegen seine Zärtlichkeit und sein Humor. Berichten könnte ich auch von meiner Sehnsucht nach Urlaub am Meer, dem seltsamen Gefühl, auf einem guten Weg zu sein, ohne sowohl den Weg als auch das Ziel richtig sehen zu können, und der Angst, trotz allem am Ende doch zu scheitern. Und ich könnte davon erzählen, dass ich Johnny Depp liebe – und zwar ausdrücklich nicht wegen seines Piraten-Quartetts (aber das schreibe ich jetzt bloß, weil ich nebenher gerade ein Porträt von ihm in so einem Boulevardmagazin sehe).

Doch ich beschäftige mich lieber mit diesem eigenwilligen Pärchen, das mir meine Fantasie eingebrockt hat und das mich zwingt, bei ihm zu bleiben, bis seine Geschichte fertig erzählt ist. Und das kann leider noch etwas dauern. Aber ich schätze, es gibt Schlimmeres im Leben.

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Montag, 18. April 2011

Gelungene Kommunikation ist Glückssache

Frau Schmidt: „Training für alle, Sabine Schmidt, guten Tag.“
Ichso: „Käthe Feinstrick, guten Tag.“
(Ich mache eine kleine Pause, damit Frau Schmidt reagieren kann.)
Frau Schmidt: „ ...“
Ichso: „Ich habe am vergangenen Wochenende in Ihrem Auftrag das Seminar Gelungene Kommunikation ist Glückssache geleitet.“
(kleine Pause)
Frau Schmidt: „ …“
Ichso: „Ja, also, das lief im Prinzip alles total super. Es gab nur ein kleines Problem.“
(kleine Pause)
Frau Schmidt: „ …“
Ichso: „Nun ja, davon möchte ich Ihnen gerne erzählen.“
(kleine Pause)
Frau Schmidt: „ ...“
(Ich fange an, mich zu fragen, ob die Verbindung eigentlich in Ordnung ist und Sabine Schmidt mich überhaupt hören kann.)
Ichso: „Tja, wissen Sie, ich hatte einen ausgesprochen unangenehmen Zusammenprall mit der Mitarbeiterin, die am Wochenende die Aufsicht im Seminarhaus hat.“
(Kleine Pause, in der ich angestrengt in den Hörer lausche. Frau Schmidt atmet nicht mal. Ich mache mir nun ernsthafte Sorgen. Trotzdem rede ich tapfer weiter.)
Ichso: "Ehrlich gesagt ist diese Frau mit der dicken Hornbrille und dem osteuropäischen Akzent zwar nur halb so groß, aber mindestens zehnmal so furchteinflößend wie jeder deutsche Hausmeister. Sie hat mich nämlich vor meinem gesamten Kurs zur Schnecke gemacht, weil ich den Unterricht um drei Minuten überzogen habe."
(dramatische, extra lange Pause)
Frau Schmidt: „ …“
(Diese Stille ist mir unheimlich. Frau Schmidt muss der Schlag getroffen haben, da bin ich jetzt sicher. Aber ich rede aus lauter Verzweiflung einfach weiter.)
Ichso: „Meine Teilnehmer waren alle sehr schockiert. Und ich erst. Ich habe dann todesmutig noch mal ein Gespräch unter vier Augen mit der Drachentöterin gesucht, aber es war grauenvoll. Sie hat mich aufs Übelste beschimpft und beleidigt. Sie warf mir vor, inkompetent zu sein, weil ich meinen Unterricht nicht pünktlich beende. Ist natürlich auch blöd, wenn sie um halb sechs Feierabend hat, aber der Unterricht ebenfalls erst um halb sechs endet. Da kommt sie ja nie pünktlich nach Hause. Trotzdem war ihr Auftritt ziemlich daneben, wissen Sie?“
Frau Schmidt: „ ...“
Ichso: „Das einzig Gute: Dieser sozialistischen Gefängniswärterin erschien offenbar in der Nacht die Jungfrau Maria und hielt sie zu einem besseren Leben an. Jedenfalls war sie am nächsten Tag wie ausgewechselt und total freundlich zu mir. Aber auf Ihr Unternehmen wirft so ein Zwischenfall natürlich kein gutes Licht. Tja, darum wollte ich Sie darüber informieren.“
Frau Schmidt: „Danke, dass Sie mir das alles mitgeteilt haben. Aber ich bin dafür gar nicht zuständig.“

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Dienstag, 22. März 2011

Lebensweisheit

„Ein Jammer, draußen ist so schönes Wetter und ich hocke am Schreibtisch.“
„Aber du kannst dir doch deine Zeit frei einteilen. Warum gehst du jetzt nicht einfach in die Sonne?“
„Weil ich abends normalerweise zu müde zum Arbeiten bin. Das ist ja das Doofe: Ich dachte früher, dass ich durch die Selbstständigkeit grenzenlose Freiheiten erlange. Und jetzt hocke ich doch wieder wie jeder stinknormale Angestellte von 9 bis 5 am Schreibtisch. Dabei würde ich viel lieber in der Sonne sitzen und anschließend arbeiten.“
„Verständlich. Aber ganz ehrlich: Wenn wir Feinstricks den Nachmittag in der Sonne verbracht haben, sind wir doch so erledigt, als hätten wir acht Stunden gearbeitet. Dass du danach nicht mehr arbeiten kannst, ist klar. “

Für solche Lebensweisheiten liebe ich meine kleine Schwester.

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Montag, 14. März 2011

Lesung

Wer schon immer mal wissen wollte, wie Frau Feinstrick eigentlich aussieht, kann das am Mittwoch (16.3.) herausfinden. Da lese ich nämlich hier. Allerdings - Sie ahnen es bereits - nicht unter meinem richtigen Namen. Trotzdem steht die Frau Feinstrick ganz echt vor Ihnen, versprochen. Was ich lese, weiß ich noch nicht genau. Nur so viel steht fest: Es wird aufregend. Jedenfalls für mich. Und falls Sie vorbei kommen, müssen Sie natürlich Hallo sagen. Ehrensache, oder?

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Samstag, 16. Oktober 2010

Schreibrausch

Seit Monaten kämpfe ich mit einer Geschichte, die in meinem Kopf bereits recht konkrete Konturen angenommen hat, aber einfach nicht aufs Papier will. Mehrere Szenen habe ich angefangen, aber ich schaffe es nur mit größter Überwindung, weiter zu machen. Irgendwas klemmt an dem Projekt, ich weiß nur nicht, was.

Ganz anders lief es dagegen heute: Beim Aufwachen hatte ich auf einmal eine Idee im Kopf, zwei Stunden später kannte ich die ganze Geschichte. Ihre Hauptakteure, Lena und Arthur (was für ein bescheuerter Name, aber der war plötzlich da und ließ sich nicht mehr verändern; gute Figuren führen eben ein manchmal recht eigenwilliges Eigenleben) drängten sich mir förmlich auf, zwangen mich an den Schreibtisch und befahlen mir, ihre Geschichte zu erzählen. Zuerst dachte ich noch, das sei eine kleine, lustige Fingerübung, die ich nach vier, fünf Seiten weglegen könnte. Doch dann merkte ich, dass ich nach fünf Seiten gerade erst die Einleitung geschrieben hatte. Und das Unfassbare: Jeder Satz sitzt fast auf Anhieb. Ich ringe nicht um Worte und korrigiere kaum etwas. Alles fließt.

Das ist wirklich verrückt. Mein gesamtes Wochenendprogramm liegt brach. Haushalt, Einkaufen, Herbstspaziergang – gestrichen. Vorbereitung eines Seminars, für das ich langsam in Zeitdruck komme – gestrichen. Meine Herbstdepression, die mich in den letzten Tagen sehr müde und kraftlos sein ließ – vergessen. Stattdessen: schreiben, schreiben und nochmals schreiben. Ich verstehe das überhaupt nicht. Diese Geschichte hat absolut nichts mit dem zu tun, was mich zurzeit bewegt und beschäftigt. Sie ist sperrig, sehr erotisch und sehr schräg. Niemand wird sie vermutlich lesen wollen. Wenn ich außerdem an all die unerledigte Arbeit auf meinem Schreibtisch denke, wird mir angst und bange. Und doch bin ich mir sicher, dass dieser Schreibwahn erst aufhört, wenn ich über Lena und Arthur alles erzählt habe, was es zu erzählen gibt. Ziemlich krank irgendwie, ich weiß. Aber was hilft's?

Edit am 18.10: Arthur und Lena sind übrigens zwei ziemlich trübe Tassen. Ich dachte ja erst, mit denen könne man richtig Spaß haben. Irrtum! Die sind trüber als der trübste Novembertag.

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Dienstag, 7. September 2010

Billiglohnland Deutschland

Gestern las ich von einem unverschämten Angebot. Ich bin mir sicher, dass die Unternehmensberatung jemanden finden wird, der bereit ist, sich für 12 Euro ausbeuten zu lassen. Die Not ist groß in Deutschland.

Heute Morgen saß ich mit einer Kollegin zusammen. Ich erzählte ihr von einer Anfrage für einen Tag privates Training zu einem speziellen Thema. Ich habe zu diesem Thema mal ein Seminar in der Volkshochschule gehalten, und die Interessentin ging nun davon aus, dass ich ihr den Privatunterricht annähernd so billig verkaufen würde wie die Volkshochschulen ihre Seminare anbieten. Ich scheute mich vor diesem Hintergrund tatsächlich, meine üblichen Tagessätze zu verlangen, weil ich mir sicher war, dass die Interessentin dann abspringen würde. Meine Kollegin sah mich jedoch entsetzt an: „Aber du musst es dir wert sein, so viel zu verlangen. Du schenkst dieser Frau einen ganzen Tag deiner Zeit. Du arbeitest intensiv mit ihr und wirst abends total erledigt sein. Außerdem wird sie das Training beruflich enorm weiter bringen. Das muss sie dir auch angemessen bezahlen.“

Du musst es dir wert sein. Das ist der entscheidende Satz. Ich bin hochqualifiziert mit vielen Jahren Berufserfahrung. Sollte sich das nicht in meinem Honorar niederschlagen? Das tut es aber leider nur sehr selten. Und nur, weil ich in der Selbständigkeit erst am Anfang stehe und noch nicht so erfolgreich bin, weil meine Kassen öfter leer als gefüllt sind, bin ich gezwungen, mich völlig unter Wert zu verkaufen, um nicht zu verhungern. Wie viele namenlose Trainer nehme ich oft Aufträge von Bildungsträgern an, die Randgruppen unserer Gesellschaft fördern: Langzeitarbeitslose, Jugendliche ohne Schulabschluss, Migranten. Das ist eine ehrenwerte, wichtige Aufgabe. Daher müssen die Trainer auch alle herausragende Qualifikationen mitbringen, um den Auftrag zu erhalten. Gerade Problemgruppen benötigen schließlich die besten Lehrer, die sie kriegen können, um vorwärts zu kommen.

Nur an einer Stelle klemmt das System gewaltig: die Trainer werden nicht angemessen entlohnt. Das liegt vor allem an den Umständen, unter denen diese Bildungsmaßnahmen angeboten werden: Sie werden in der Regel von der Arbeitsagentur ausgeschrieben. Den Zuschlag erhält der Träger mit dem günstigsten Angebot. Bildung kostet schließlich Geld. Aber Deutschland ist nach wie vor nicht bereit, so viel wie andere Staaten in Bildung zu investieren. (aktuelle OECD-Studie). Darum wird in den Ausschreibungen ein ziemlich enger Kostenrahmen festgelegt. Wie schaffen es die Träger, in diesem Rahmen zu bleiben oder ihn gar zu unterbieten, damit sie den Zuschlag für die Maßnahme erhalten? Ganz klar: indem sie die Löhne ihrer Mitarbeiter drücken. Und da gibt es nach unten keine Grenzen, weil niemand von oben ruft: „Stopp, ihr kriegt den Zuschlag natürlich nur, wenn ihr eure Leute angemessen entlohnt, alles andere ist unzulässige Ausbeutung!“

Ich habe von Firmen gehört, die ihren Mitarbeitern ein Honorar von 7 (!) Euro pro Stunde zahlen – von dem sie als Freiberufler natürlich noch sämtliche Steuern und Sozialabgaben abführen müssen. Übliche Honorarsätze für Trainer liegen bei 20 – 25 Euro pro Stunde (wobei selbstverständlich nur der Unterrichtstag und nicht die Vorbereitungszeit bezahlt wird). Auch das ist natürlich viel zu wenig, gemessen an den Qualifikationen der Trainer, gemessen auch daran, was sie leisten und wie wertvoll ihre Arbeit ist.

Da ist es wieder, das Wörtchen „wert“. Unserem Staat sind gut ausgebildete Leute nichts wert. Auch vielen Firmen sind engagierte, qualifizierte Mitarbeiter nichts wert. Manchmal frage ich mich, was eigentlich geschehen würde, wenn all die unterbezahlten Leute auf die Straße gingen und sich weigern würden, ab sofort nicht mehr für so ein mieses Gehalt zu arbeiten. Würden dann all diese Firmen nach Fernost auswandern, wo sie Arbeitskräfte noch schamloser als in Deutschland ausbeuten können? Hätte Deutschland plötzlich 10 Millionen Arbeitslose? Oder würde ein Umdenken stattfinden? Würden die Unternehmen begreifen, dass ihre Mitarbeiter ihr wertvollstes Gut sind, ohne das keine einzige Firma auch nur einen Tag überstehen, kein einziger Manager auch nur einen Bruchteil seines Gehaltes erhalten könnte?

Das Problem ist natürlich: So lange wir alle Angst vor dem sozialen Abstieg haben, lassen wir uns auf diese Hungerlöhne ein. Besser ein mieses Gehalt haben als gar keins. Besser laut hier schreien, wenn ein schlecht bezahlter Job angeboten wird, als depressiv in der Ecke sitzen und gar nichts zu tun haben. Aber schneiden wir uns damit nicht alle ins eigene Fleisch?

Ich merke jedenfalls, dass es Grenzen für mich gibt, dass ich dieses Lohndumping nur noch bis zu einer gewissen Schwelle mitmache. Ich habe meine persönliche Schmerzgrenze, und darunter nehme ich einen Job nicht mehr an. Ein großer Kunde hat mir heute mitgeteilt, dass ich zukünftig die eine Stunde Pause pro Unterrichtstag (von der ich tatsächlich selten mehr als 15 Minuten in Anspruch nehme) nicht mehr mit abrechnen darf. Ich habe erwidert, dass ich dann nicht mehr als Trainerin zur Verfügung stehe, weil der Tagessatz für mich zu niedrig wird. Meine Schmerzgrenze ist erreicht.
Ich werde mich jetzt auch gleich an das Angebot für besagten Privatunterricht setzen. Und ich werde der Kalkulation kein Volkshochschul-Honorar zugrunde legen.

Beide Entscheidungen können bedeuten, dass ich in den nächsten Wochen keine Einnahmen habe und zum Arbeitsamt gehen muss. Aber das ist es mir wert. Das bin ich mir wert.

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Dienstag, 25. Mai 2010

Am Rande

Ich habe zurzeit beruflich viel mit Menschen zu tun, die von unserer Gesellschaft zum Abschaum der Nation erklärt worden sind und bestenfalls mit Häme, schlimmstenfalls mit Hass bedacht werden. Es sind Menschen, die immer am Rande stehen und dennoch ständig auffallen - weil sie zu schräg, zu fett, zu ungebildet, zu teuer sind. Sie liegen uns ehrlichen Steuerzahlern auf der Tasche und zocken den Staat ab, statt sich endlich mal an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ihrer selbst verschuldeten Misere zu ziehen. Andere schaffen es ja schließlich auch.

So oder ähnlich denken immer mehr Leute über Hartz IV-Empfänger. Die Medien leisten ihren Beitrag, indem sie Langzeitarbeitslose vor die Kamera zerren, die zeigen, wie bequem es ist, auf Staatskosten zu leben, statt sich für ein paar Euro krumm zu machen. Und unser Außenminister haut auch noch kräftig in die Kerbe und würde die Hartz IV-Bezüge am liebsten deutlich kürzen, damit die Leute endlich mal ihren fetten, faulen Hintern hochkriegen und sich nicht weiter aushalten lassen (genau so hat er das natürlich nicht gesagt, aber vielleicht gedacht).

Ich habe nun, wie gesagt, viel mit diesem Abschaum der Gesellschaft zu tun, den faulen Abzockern, den Arbeitsscheuen, den Asozialen. Stimmt, viele dieser Leute erfüllen alle Klischees, die so in unseren Köpfen rumgeistern. Sie sind träge, aggressiv, ungebildet. Mal ist es die billig zurecht gemachte Friseuse, mal der türkische Macho, der aussieht, als sei er einem Modekatalog entsprungen, aber kaum seinen Namen richtig schreiben kann. Einige sind sehr gebildet und man merkt, dass sie einst viel, viel bessere Zeiten gesehen haben. Sie sind entweder übertrieben gestylt oder aber sie sehen auf hundert Meter Entfernung arm aus. Sie haben gammelige Zähne und schlecht sitzende Frisuren. Manche von ihnen riechen nicht gut. Manche sind sehr aggressiv. Andere scheinen unter einem fast krankhaften Redezwang zu leiden. Manche sind unhöflich und unverschämt. Andere schüchtern und ängstlich.

Auf der Straße würde ich um viele von ihnen einen großen Bogen machen. Aber je länger ich mit ihnen arbeite, desto mehr berühren mich ihre Geschichten, ihre verzweifelten Versuche um Anerkennung, das hilflose Bemühen, auch ein Stückchen vom Kuchen abzubekommen. Viele von ihnen haben Schicksalsschläge erlitten, an denen andere zerbrechen würden. Sie erfahren immer wieder Ablehnung und geben dennoch nicht auf. Sie sind bereit, jeden Job anzunehmen (wirklich JEDEN), nur, um nicht länger vom Staat abhängig sein zu müssen. Sie werden von skrupellosen Zeitarbeitsfirmen ausgebeutet, um ihren Lohn geprellt und wie Dreck behandelt. Ihre Ansprechpartner bei der ARGE machen sich nicht die Mühe, ihnen wirklich zuzuhören, auf ihre Wünsche und Bedürfnisse einzugehen. Sie dürfen nämlich keine Wünsche haben. Schließlich leben sie auf Staatskosten. Das macht sie automatisch zu rechtlosen Wesen, die wie Kriminelle behandelt werden.

Je länger ich mit diesen Menschen arbeite, desto mehr steigt meine Wut auf einen Staat, der es zulässt, Millionen Bürger zu stigmatisieren, wie Aussatz zu behandeln. Sie werden in "Maßnahmen" gesteckt, die selten wirkungsvoll und zielgerichtet sind, dafür aber die Statistiken beschönigen. Man tut so, als sei es ihre Schuld, dass sie keine Arbeit finden, nur um nicht zugeben zu müssen, dass auf dem deutschen Arbeitsmarkt für Menschen mit wenig Bildung oder sehr krummen Lebensläufen einfach kein Platz mehr ist. Weil uns die Ideen und der Mut fehlen, wie wir nachhaltige Arbeitsplätze auch und gerade für diese Zielgruppen schaffen können, schieben wir ihnen einfach den Schwarzen Peter zu. Das ist ja viel praktischer. Dabei werden viele von ihnen nie wieder in ihrem Leben eine angemessene Arbeit finden, so sehr sie sich auch darum bemühen.

Ich wage nicht, ihnen das zu sagen. Vielmehr mache ich ihnen Mut, bemühe mich, ihnen wenigsten ein bisschen Selbstachtung und Hoffnung zurückzugeben. Wie gut ihnen das tut, merke ich schnell. Innerhalb weniger Tage verwandeln sie sich von abwehrenden, frustrierten Wesen in Menschen, die mir sehr offen von ihrem steten Scheitern erzählen und voller Sehnsucht ihre geheimsten Träume aussprechen.
"Endlich behandelt uns mal jemand wie Menschen", sagen sie dankbar, und ich bin schockiert darüber, dass das sonst offenbar nicht der Fall ist.
"Warum will mich denn keiner haben?" fragen sie verzweifelt, und ich habe darauf auch keine Antworten.
"Vielen Dank dafür, dass Sie sich so viel Zeit genommen haben. Ich habe selten so viel gelernt wie in den letzten Tagen", sagt ein Mann, der eine lange Drogen- und Gefängniskarriere hinter sich hat und am ersten Tag beinah aus dem Projekt wieder rausgeflogen wäre, weil er meinen Kollegen sehr aggressiv anging. Ich habe ihm zugehört und ihn ernst genommen, das war alles.
"Sie dürfen das nicht persönlich nehmen", entschuldigt sich ein junger Mann, der anfangs auch sehr deutlich seinen Unmut zu verstehen gab. "Aber ich bin einfach so wütend darüber, dass ich keine Lehrstelle finde." Und dann fängt er fast an zu weinen, als er erzählt, wie sehr ihn der Tod seines Vaters verstört hat und wie enttäuscht er darüber ist, dass ihn niemand auf dem Arbeitsmarkt haben will.

Und dann werde ich nicht nur wütend auf unsere merkwürdige Arbeitsmarktpolitik, sondern auch auf die Unfähigkeit unserer Gesellschaft, passende Bildungsangebote für alle zu schaffen. Die Mehrheit der Hartz IV-Empfänger möchte gerne arbeiten. Doch vielen wird diese Chance bereits in der Schule genommen. Gewiss, es wird sie immer geben, die Faulen, die Unwilligen, die modernen Tagelöhner, die es nie länger als ein paar Wochen im selben Job aushalten. Aber sie sind eine Minderheit. Die Mehrheit von ihnen hingegen meistert mit Bravour ein Leben, das kaum jemand der normal arbeitenden Bevölkerung auch nur eine Woche aushalten würde. Wir alle würden an diesen ständigen Demütigungen, Zwangsmaßnahmen und Zurückweisungen zugrunde gehen. Diese Menschen jedoch ertragen sie viele Jahre, manchmal sogar ein Leben lang. Dass sie dabei gelegentlich auch mal aufgeben und sich hängen lassen, dass sie mutlos und schwerfällig, lethargisch und frustriert, aggressiv und zornig werden - wer kann ihnen das verdenken? Schließlich sind auch sie nur Menschen und keine leblosen Statistikzahlen oder fleischgewordene Nummern einer Behörde, die zwar Namen wie "Arbeitsagentur" oder "Jobcenter" trägt, jedoch alles mögliche zu bieten hat, nur keine Jobs.

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Freitag, 16. April 2010

Ego-Politur

Rekordverdächtig ist wohl dies: Ich nehme von einem Tag auf den anderen einen Job an, vertretungsweise für zwei, drei Wochen. In der Branche kenne ich mich nicht aus. Das, was von mir erwartet wird, kriege ich allerdings gut hin, um nicht zu sagen: sehr gut. Und es macht mir auch noch großen Spaß. Neben mir kippt ein Kollege nach dem nächsten aus den Puschen, aber – ich schwöre! – ich habe damit nichts zu tun. Das war sozusagen höhere Gewalt. Allerdings bin ich Nutznießerin dieser Tragödien, denn mein Vertrag wird verlängert und ausgeweitet, ich arbeite zwischenzeitlich für Drei und übernehme immer mehr Verantwortung. Am Ende bietet man mir sogar den Chefsessel an – mir, einer Außenseiterin, die mal grade ein paar Wochen dabei ist und weniger Ahnung hat als jeder andere im Haus. Ich feixe mir eins. Das ist wirklich das größte Ego-Aufpolierungsmittel, das ich jemals in die Finger gekriegt habe.

Ich werde das Angebot übrigens nicht annehmen. Das nennt man wohl Freiheit.

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Samstag, 27. März 2010

Im Sauseschritt

Es ist Frühling, Ende März, eine Woche vor Ostern. Ich muss mir das so deutlich vor Augen führen, weil ich es kaum glauben kann. War ich nicht gestern noch im Urlaub, auf der Flucht vor Schnee und Eis? Saß ich nicht vor einer Woche unterm Weihnachtsbaum? War nicht letzten Monat erst mein 20. Geburtstag? Na gut, der 30., an den 20. kann ich mich nicht mehr erinnern, der muss wirklich länger her sein. Ich komme einfach nicht mehr mit. Die Zeit vergeht so unfassbar schnell, dass es mir Angst macht.

In den letzten Wochen habe ich gearbeitet und war auf Reisen und habe gearbeitet und war auf Reisen. Dazwischen habe ich gelegentlich geschlafen und gegessen, sofern ich mal Zeit dazu fand - und trotzdem habe ich kräftig zugenommen, was sehr ungewöhnlich ist, aber ich fürchte, auch das ist ein Zeichen meines immer schneller fortschreitenden Alters. Beruflich bin ich teilweise an meine Grenzen gekommen – vor allem kräftemäßig. Aber pünktlich zum Frühlingsbeginn wird der Stress weniger. Wie gut!

Jetzt habe ich Zeit, Pläne zu schmieden, aufzuatmen und Frühjahrsputz zu betreiben – innerlich wie äußerlich. Ein bisschen Staub aufwirbeln, Altes wegwerfen, neu beginnen. Auf meinem Balkon blühen bereits die ersten Frühlingsblumen, schön farbenfroh. Das ist doch ein guter Anfang. Ich hoffe nur, dass ich nicht schon morgen wieder Tannenreisig in die Töpfe stecken muss, denn der nächste Winter kommt bestimmt. Aber von mir aus kann er sich noch 12 bis 24 Monate Zeit lassen. Ich hab’s nicht eilig.

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Freitag, 11. September 2009

Eigenlob

Es ist schon erstaunlich. Wie ein Team zusammenrückt, wenn eine Kündigungswelle über es hinweg fegt. Wie Kollegen, die man so gut wie gar nicht kennt, große Bestürzung zeigen, sentimental werden, ewige Freundschaft schwören und so tun, als sei man dreißig Jahre mit ihnen verheiratet gewesen. Wie man sich selbst von dieser eigenartigen Stimmung anstecken lässt, einen Moment lang richtig melancholisch wird, sich über das viele positive Feedback freut – und am Ende einfach nur erleichtert ist, dass es jetzt endlich vorbei ist und man den Kopf wieder frei für andere Sachen hat.

Ich habe in meinem Leben genug solcher Situationen erlebt, um zu wissen, dass diese plötzliche Herzlichkeit nur aus dem Gefühl der Beklemmung heraus entsteht, dass man selbst der Nächste sein könnte, dass es kälter um einen wird. Und vielleicht auch in dem Wissen, dass man nicht oft im Leben Menschen begegnet, die freundlich, ehrlich und verlässlich sind, die nicht nur die Ellbogen ausfahren, sondern auch nach links und rechts gucken, die wissen, wie man sich zu benehmen hat und auch noch ein bisschen Grips im Kopf haben.
Das war jetzt ein wenig Eigenwerbung für mich selbst, und bevor es noch peinlicher wird, höre ich besser auf. (Aber es hat mich wirklich total gefreut, dass sie mir alle hinterher heulen, obwohl wir mal grade einen Sommer zusammengearbeitet haben... doch...echt....)

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Danke und tschüss!
Übermorgen fliege ich in den Urlaub, und wenn ich zurückkehre,...
feinstrick - 15. Mai, 21:06
Hat ja geklappt :)
Hat ja geklappt :)
steppenhund - 11. Feb, 22:02
Ja, ich erinnere mich...
Ja, ich erinnere mich gut daran. Ich mache mich mal...
feinstrick - 11. Feb, 20:08
Ich hab meine Statistik...
Ich hab meine Statistik ewig nicht angeschaut, aber...
feinstrick - 11. Feb, 20:08

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Zuletzt aktualisiert: 15. Mai, 21:06

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