Donnerstag, 26. August 2010

Herzensdinge

Schaust du mich eigentlich schon immer so an? So ernst und tief, so verlangend und sehnsüchtig? Oder bilde ich mir das nur ein, weil ich auf einmal so schaue? Weil ich plötzlich etwas in mir spüre, das jahrelang wie tot war, und dessen Wiederbelebung mich verwirrt, vor allem dir gegenüber verwirrt und verunsichert. Warum ausgerechnet du? Warum nicht einer dieser Typen aus der Singlebörse? Einer, der nicht noch größere Bindungsängste hat als ich. Einer, der nicht in den nächsten Monaten alle Zelte hier abbricht, um für unbestimmte Zeit in die Welt hinaus zu ziehen. Vorhin haben sich unsere Blicke für einen Moment ineinander verfangen, und zum ersten Mal seit vielen Jahren bin ich dir ausgewichen, habe ich es nicht ertragen, in deine Augen zu schauen. Jetzt kommt mir das total lächerlich vor und ich frage mich, wovor ich eigentlich Angst hatte. Davor, dass du zurückschauen würdest? Bisschen schräg, nicht? Kindisch. Idiotisch. Du bist doch eigentlich nur der nette Kerl, der immer da ist, wenn ich ihn brauche und mit dem ich mich zufällig auch richtig gut unterhalten kann. Ich habe über dich jahrelang keine Sekunde nachgedacht. Du kamst und gingst, keiner von uns stellte je Forderungen oder äußerte Bedürfnisse. Du hattest dein Leben, ich hatte meins. Wir erzählten uns gelegentlich von unseren unglücklichen Liebesgeschichten und von unseren Ängsten und Sorgen, wie gute Freunde das eben machen. Dabei hätte ich dich lange Zeit nicht mal als „Freund“ bezeichnet. Und jetzt? Jetzt weiß ich nicht mehr, wie ich dich nennen soll. Ich weiß auch nicht, was ich denken soll. Ist alles noch so wie früher? Sind es nur meine Blicke, die sich verändert haben, oder auch deine? Manchmal glaube ich, dass alles total klar ist und wir nur unsere Angst überwinden müssen. Dann wieder schüttele ich über mich selbst den Kopf und denke: So ein Blödsinn! Deine Wirklichkeit ist eine vollkommen andere als meine. Du bist zu mir so nett wie zu all deinen anderen guten Freundinnen – liebenswert, aber unverbindlich. Da gab und gibt es keine Unterschiede. Oder etwa doch? Machst du den anderen Frauen auch so oft Komplimente wie mir? (Die ich übrigens immer registriert habe, ohne ihnen jemals eine tiefere Bedeutung beizumessen.) Erzählst du ihnen auch so viele intime Dinge? Öffnest du ihnen auch die Tür, wenn du ungewaschen und verkatert bist? Wenn ich das nur wüsste! Weißt du, mich irritiert es sehr, dass du mir jahrelang total gleichgültig warst und ich jetzt auf einmal entdecke, was für ein attraktiver Mann du bist, fast so, als wäre ich bisher vollkommen blind gewesen. Es verunsichert mich, dass nicht mehr alles so unkompliziert und friedlich wie bisher ist, dass die Leichtigkeit aus unseren Begegnungen verschwunden ist. Wann haben wir das letzte Mal so richtig herzhaft miteinander gelacht? Ich weiß es nicht mehr so genau. Ich weiß nur, dass ich mit wenigen Männern so viel lache wie mit dir. Warum fällt mir auch das jetzt erst auf? Kannst du mir das erklären? Aber vielleicht willst du darüber gar nicht nachdenken, sondern alles so lassen, wie es war. Vielleicht empfindest du mein verstörtes Grinsen, das ich dir in letzter Zeit so oft schenke, sogar als aufdringlich. Vielleicht nervt es dich, dass ich mich verändert habe und dich neuerdings stumm anschmachte. Vielleicht bist du unendlich froh, dass wir uns bald nicht mehr sehen. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

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mai_kaefer (Gast) - 26. Aug, 15:51

Liest sich fast wie "Tausend mal berührt, tausendmal ist nix passiert......." , vielleicht kommt das ja noch. Hört sich so an, als hättest du nichts dagegen.

feinstrick - 27. Aug, 09:11

Vielleicht ... ja ....
flying turtle (Gast) - 27. Aug, 17:42

Sind Sie interessiert? An mehr? Dann fragen und sagen Sies!
Sie sind klug genug, zu wissen, dass das natürlich auch nach hinten losgehen kann. Aber vorwerfe muss man sich später dann nichts.
Vielleicht ist es sonst eine verlorene Chance.

feinstrick - 27. Aug, 19:40

Ich weiß. Aber ich kriege das nicht gut hin: losgehen und mich im Zweifel blamieren. Schon gar nicht im Moment, wo alles total in der Schwebe hängt. Er macht einen Schritt auf mich zu und zwei bis drei zurück. Ich mache einen Schritt auf ihn zu und zwei zurück - weil ich mir selbst nicht klar bin, ob ich das wirklich will. Idiotisch, ich weiß. Aber so bin ich nun mal.
flying turtle - 28. Aug, 22:34

Vielleicht bin ich schon zu alt, aber ich blamier mich mittlerweile lieber. Zu verlieren habe ich ja kaum was.
Aber verstehe die Zweifel durchaus.
feinstrick - 28. Aug, 22:57

Ich blamiere mich auch deutlich lieber als früher. Aber in dem Fall wars mir zu heikel - aus gutem Grund, wie man sieht.

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