Zweitleben
Ich führe ein sehr eigenes, eher unkonventionelles Leben. Ich habe einen bunten Freundeskreis, ein schräges Liebesleben, einen abwechslungsreichen Job. Je älter ich werde, desto mehr genieße ich dieses Leben voller Freiheit und Unabhängigkeit. Allerdings bin ich auch viel allein. Ich arbeite allein und lebe allein. Manchmal fühle ich mich deswegen einsam und traurig. Manchmal fürchte ich auch, zur Eigenbrötlerin zu werden und die Stille in meinem Alltag nicht aushalten zu können. Dann telefoniere ich stundenlang mit Freunden. Oder ich treffe meine Familie. Das erdet mich am meisten.
In ihrem Zweitleben verwandelt sich der Großstadtsingle Frau Feinstrick nämlich in Käthe, die Tante von fünf Kindern. Dann tobe ich ohne Rücksicht auf Verluste durch Wald, Wiesen und Wohnzimmer. Ich verstecke mich in Flurschränken und unter Betten, kämpfe verbissen beim Mensch-ärgere-dich-nicht um meine Ehre, verliere haushoch beim Kartenspielen, trage Feenflügel, begleite kleine Prinzen zur Toilette und halte kleinen Prinzessinnen, denen im Auto schlecht wird, die Kotztücher. Ich lese Geschichten vor, gucke Kinderfilme, schneide Grimassen, kugele mich vor Lachen am Boden, japse beim Wii-Spielen nach Luft und verrenke mir beim Bowling den Rücken. Ich wische Krokodilstränen ab und puste Schmerzen fort, höre mir Wünsche und Träume an, Ängste und Sorgen, und seltsame Geschichten ohne Pointe.
Ich bin die Tante, von der ich als Kind immer geträumt habe. Meine Onkels und Tanten waren toll, weil sie mir schöne Geschenke gemacht haben. Aber sie interessierten sich nie wirklich für mich. Sie spielten nie mit mir und nahmen mich nicht ernst. Zwischen uns herrschte eine Distanz, die sich ein Leben lang nicht überbrücken ließ. Wenn sie zu Besuch kamen, musste ich im schicken Kleid brav an einer festlich gedeckten Kaffeetafel sitzen und artig höfliche Fragen von Tante Hilde und Onkel Günter beantworten. Die waren mir weder in schweren Zeiten eine Stütze, noch in guten Zeiten Vorbilder, von denen ich lernen konnte.
Ob ich für „meine“ Kids ein Vorbild bin, weiß ich nicht. Auf jeden Fall bin ich ihnen allen eine Gefährtin, die sie lieben, zu der sie Vertrauen haben, mit der sie kuscheln (undenkbar mit Tante Hilde und Onkel Günter!) und gemeinsam auf einem Matratzenlager übernachten wollen (erst recht undenkbar mit Tante Hilde und Onkel Günter). Ich verbringe Urlaube in Ferienparks, in die ich freiwillig nie einen Fuß setzen würde. Ich nehme es in Kauf, tagelang nicht richtig zu schlafen und tagsüber ständig beansprucht zu werden. „Spiel mit mir! Geh mit mir schwimmen! Lies mir was vor!“, ruft ständig wer, und ich nicke ergeben und sage zu allem Ja. Ich weiß, wir haben nur diese wenigen Jahre gemeinsam, bevor die Kinder hinaus ins Leben gehen. Kostbare Jahre, die ihre kleinen Leben nachhaltig prägen. Später erinnern sie sich vielleicht nicht nur daran, wie sie im Weihnachtsurlaub bis spät in die Nacht miteinander in ihren Betten gekichert haben. Vielleicht erinnern sie sich auch daran, dass ich mit ihnen mitgekichert habe.
Nach fünf Tagen mit fünf Kindern kehre ich erfüllt nach Hause zurück. Die Stille kommt mir im ersten Moment seltsam vor, aber schnell genieße ich es wieder, das Fernsehprogramm selbst aussuchen zu dürfen, niemanden zwischendrin zu Bett bringen zu müssen und heute bis nachmittags am Frühstückstisch sitzen zu können. Aus Käthe wird wieder Frau Feinstrick, die schräge Texte twittert, auf den Anruf ihres Liebhabers wartet und Pläne schmiedet, in denen Kinder so gar nicht vorkommen.
In ihrem Zweitleben verwandelt sich der Großstadtsingle Frau Feinstrick nämlich in Käthe, die Tante von fünf Kindern. Dann tobe ich ohne Rücksicht auf Verluste durch Wald, Wiesen und Wohnzimmer. Ich verstecke mich in Flurschränken und unter Betten, kämpfe verbissen beim Mensch-ärgere-dich-nicht um meine Ehre, verliere haushoch beim Kartenspielen, trage Feenflügel, begleite kleine Prinzen zur Toilette und halte kleinen Prinzessinnen, denen im Auto schlecht wird, die Kotztücher. Ich lese Geschichten vor, gucke Kinderfilme, schneide Grimassen, kugele mich vor Lachen am Boden, japse beim Wii-Spielen nach Luft und verrenke mir beim Bowling den Rücken. Ich wische Krokodilstränen ab und puste Schmerzen fort, höre mir Wünsche und Träume an, Ängste und Sorgen, und seltsame Geschichten ohne Pointe.
Ich bin die Tante, von der ich als Kind immer geträumt habe. Meine Onkels und Tanten waren toll, weil sie mir schöne Geschenke gemacht haben. Aber sie interessierten sich nie wirklich für mich. Sie spielten nie mit mir und nahmen mich nicht ernst. Zwischen uns herrschte eine Distanz, die sich ein Leben lang nicht überbrücken ließ. Wenn sie zu Besuch kamen, musste ich im schicken Kleid brav an einer festlich gedeckten Kaffeetafel sitzen und artig höfliche Fragen von Tante Hilde und Onkel Günter beantworten. Die waren mir weder in schweren Zeiten eine Stütze, noch in guten Zeiten Vorbilder, von denen ich lernen konnte.
Ob ich für „meine“ Kids ein Vorbild bin, weiß ich nicht. Auf jeden Fall bin ich ihnen allen eine Gefährtin, die sie lieben, zu der sie Vertrauen haben, mit der sie kuscheln (undenkbar mit Tante Hilde und Onkel Günter!) und gemeinsam auf einem Matratzenlager übernachten wollen (erst recht undenkbar mit Tante Hilde und Onkel Günter). Ich verbringe Urlaube in Ferienparks, in die ich freiwillig nie einen Fuß setzen würde. Ich nehme es in Kauf, tagelang nicht richtig zu schlafen und tagsüber ständig beansprucht zu werden. „Spiel mit mir! Geh mit mir schwimmen! Lies mir was vor!“, ruft ständig wer, und ich nicke ergeben und sage zu allem Ja. Ich weiß, wir haben nur diese wenigen Jahre gemeinsam, bevor die Kinder hinaus ins Leben gehen. Kostbare Jahre, die ihre kleinen Leben nachhaltig prägen. Später erinnern sie sich vielleicht nicht nur daran, wie sie im Weihnachtsurlaub bis spät in die Nacht miteinander in ihren Betten gekichert haben. Vielleicht erinnern sie sich auch daran, dass ich mit ihnen mitgekichert habe.
Nach fünf Tagen mit fünf Kindern kehre ich erfüllt nach Hause zurück. Die Stille kommt mir im ersten Moment seltsam vor, aber schnell genieße ich es wieder, das Fernsehprogramm selbst aussuchen zu dürfen, niemanden zwischendrin zu Bett bringen zu müssen und heute bis nachmittags am Frühstückstisch sitzen zu können. Aus Käthe wird wieder Frau Feinstrick, die schräge Texte twittert, auf den Anruf ihres Liebhabers wartet und Pläne schmiedet, in denen Kinder so gar nicht vorkommen.
Kinderzimmer - feinstrick - 7. Jan, 14:08
12 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
steppenhund - 7. Jan, 14:24
Das klingt nach einer sehr sympathischen Frau...
feinstrick - 7. Jan, 14:27
Oh, danke. :-)
wortschnittchen (Gast) - 7. Jan, 14:35
Das liest sich nicht wie ein Zweitleben sondern ganz wie ein erfülltes, rundes Leben (inklusive der dunklen Stunden)...
feinstrick - 7. Jan, 15:48
Ja, das ist es auch. Nachdem einige Leser hier gelegentlich um mein Seelenheil bangen, weil meine Blogtexte häufig eher die dunklen Momente festhalten, dachte ich, es sei an der Zeit, das mal zu ändern. ;-)
la-mamma - 8. Jan, 11:50
kann man sie als tante auch engagieren? falls ihr hiesiges pendant für mich auswandert?;-)
feinstrick - 8. Jan, 13:19
Ich mache alles. Wenn das Geld stimmt. :-)))
testsiegerin - 8. Jan, 12:04
hach! ich finde ja auch, dass das nicht nach "zweitleben" klingt, sondern nach einem weiteren aspekt deines lebens.
ich als mutter finde so eine kinderlose tante auch fein ;-)
ich als mutter finde so eine kinderlose tante auch fein ;-)
feinstrick - 8. Jan, 13:19
Stimmt, für Mütter sind so kinderlose Tanten ein wahrer Segen. :-)
Chris (Gast) - 8. Jan, 12:35
Die dunklen Einträge haben mir weniger Gefallen, als dieser hier und ich würde mich freuen mehr zu lesen.
feinstrick - 8. Jan, 13:20
Mal schaun, was sich machen lässt. :-)
rosmarin - 8. Jan, 18:25
:-) solche Tanten sind die Zuckerstangen des Kinderlebens !
Vermutlich könnten Sie auch wunderbare Kinderbücher schreiben ..... grinzzzz
Vermutlich könnten Sie auch wunderbare Kinderbücher schreiben ..... grinzzzz
feinstrick - 8. Jan, 18:32
Zuckerstangen ... hihi ...
Das mit den Kinderbüchern klappt allerdings nicht so recht. Irgendwie ist das nicht meins.
Das mit den Kinderbüchern klappt allerdings nicht so recht. Irgendwie ist das nicht meins.
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