Dienstag, 17. November 2009

Überbleibsel

Fotos gucken in familiärer Runde:
„Das da ist meine Schwägerin. Die lebt immer noch bei ihrer Mutter und versorgt sie.“ Schneller Blick in meine Richtung: „Die ist auch so eine Übriggebliebene - wie du.“
Übriggebliebene? Ich schaue entgeistert.
„Ich wohne aber nicht zuhause und pflege niemanden.“
„Nein.“ Der Blick bleibt ungerührt. „Aber das hätte dir auch gut passieren können.“

„Wann schaffst du dir endlich einen Hund an?“ drängelt das hundenärrische Kind. „Ich weiß nicht“, sage ich unbestimmt. „Beruflich ist alles bei mir so ungewiss. Wer weiß, ob ich dauerhaft zuhause arbeite. Vielleicht fange ich ja doch wieder irgendwo fest an. Dann ist der Hund den ganzen Tag alleine.“ „Ach was“, sagt das Kind energisch, „du bist doch schon so alt. Du kriegst sowieso keinen Job mehr.“

Das Überbleibsel, das keiner mehr will und braucht. Das höchstens noch nützlich ist, wenn alle anderen keine Zeit und Lust haben. Ist es so? Bin ich zu alt? Für alles? Gescheitert auf ganzer Linie? In früheren Zeiten würde ich immer noch „Fräulein“ heißen. Fräulein Feinstrick, die Übriggebliebene, die keinen Mann abbekommen hat und es beruflich auch nicht weit brachte. Die man anstandshalber mit in den Urlaub nimmt, damit sie nicht immer so alleine sein muss. Mit der man sich gerne bei Familienfeiern umgibt, weil sie immer so schöne Anekdoten aus ihrem bewegten Leben erzählen kann. Die aber ansonsten niemand richtig ernst nimmt. Schließlich ist sie durch sämtliche gesellschaftliche Raster hindurchgefallen. Kein Kerl. Keine Kinder. Keine Karriere. Hinter vorgehaltener Hand tuschelt man, sie sei auch finanziell bankrott, aber das wisse man nicht so genau. Man hoffe nur, sie nicht irgendwann mit durchfüttern zu müssen. Aber man werde natürlich gegebenenfalls seine Pflicht tun, das gehöre sich schließlich so.

Jetzt frage ich mich, ob ich mir eine andere Verwandtschaft suchen oder nachsichtig sein soll, weil ich es genauso machen würde, wenn ich an deren Stelle wäre. Einfach, weil ich nicht wüsste, wie sich dieses ganz andere Leben anfühlt, und mir nicht klar wäre, dass solche unbedachten Äußerungen wie feine Nadelstiche sind. Denn das, was den anderen lustig erscheint, empfindet Fräulein Feinstrick gelegentlich als tragisch. Das hingegen, was die anderen schlimm finden, genießt der Großstadt-Single Feinstrick in vollen Zügen. Ich weiß, es ist kompliziert.

Ich werde daher wohl einfach über das Geplapper hinwegsehen, ebenso über die Nadelstiche in meinem zarten Herzelein. Stattdessen werde ich jetzt ganz fest daran glauben, dass vielleicht nicht alles, aber doch einiges ganz wunderbar wird – irgendwann in naher Ferne. Ein Anfang ist bereits gemacht. Das spüre ich.

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jamie (Gast) - 17. Nov, 23:04

Du lieber Himmel ...

... das hört sich an als wären Sie so um die 120 Jahre alt, gebrechlich und an der Grenze zur Debilität. Springen Sie der Verwandtschaft doch mal schwungvoll an den Hals auf solche despektierlichen Äußerungen hin. Sollte sich dies verbieten, empfehle ich dringend: Hören Sie weg - und lassen Sie sich nichts einreden.

rosmarin - 18. Nov, 00:00

dem kann ich nur zustimmen, wechseln sie die verwandtschaft und ins komische fach und schmeissen sie die nadeln zurück ins nadelkissen und einen hund kann man immer gebrauchen und fahren sie mal mit mir nach wien.... da treibt man ihnen diese gedanken sowas von aus.....
schmeissen sie die messlatten aufs altpapier.... die taugen nicht.
grüz e
feinstrick - 18. Nov, 10:23

@jamie: Ich habe mich nach diesem kalten Aufguss wirklich wie 120 gefühlt. Das Weghören habe ich mittlerweile ganz gut trainiert, aber manchmal klappt es eben doch nicht so gut, und dann bin ich sehr dünnhäutig. Mag auch einfach am November liegen. Unter leuchtender Julisonne kann man über derart dumme Bemerkungen vermutlich eher lachen.

@rosmarin: Ach, Wien ... ja ... das wär mal was ... Aber keine Sorge, der Humor kommt schon wieder. Da muss ich nur an meine legendäre Geburtstagsparty denken. Oder an einen gewissen Anruf. Da kriege ich auf einmal ein debiles Dauergrinsen im Gesicht.

@kid37: Mir fielen ja zuerst die Kaffeehäuser ein. Sachertorte...Schlagobers...Schokolade soll ja sehr gut gegen depressive Verstimmungen helfen.
kid37 - 18. Nov, 23:03

Wien! Eine prima Idee. Freud atmen und geheilt zurückkehren.
schneckle (Gast) - 18. Nov, 06:38

So ist sie, die liebe Verwandtschaft. Daher kann ich Ihnen meine leider nicht ans Herz legen.

feinstrick - 18. Nov, 10:27

Schade. Aber es ist ein Trost, dass es anderswo nicht anders ist. Das Schlimme (jedenfalls in meinem Fall): Diese biestigen Verwandten machen mich gelegentlich kreuzunglücklich. Aber ohne sie wäre ich noch unglücklicher.
frauenzimmer (Gast) - 18. Nov, 22:54

ne, stimmt, andere Verwandtschaften sind auch nicht anders. Sie haben nur andere Themen. Meine wäre ebenfalls nicht empfehlenswert ;o)

Hören se mal, bei diesen Bemerkungen bleibt einem der Humor auch quer im Halse stecken.

Andere können das aber auch, es muss nicht immer die liebe Verwandtschaft sein. Kürzlich sitze ich so mit meinen beiden Freundinnen in unserer Stammkneipe. Ich unterhalte mich gerade ganz angeregt mit einem Bürschchen so Anfang 20. Es war ein grandioser Abend bis das Bürschelein sagt:" Das finde ich ja toll das ihr drei in euerem Alter noch feiern geht."
Äh... wie meinen?
"Na das ist doch super das ihr euch noch am Wochenende Späßkes macht und nicht zu Hause auf der Ofenbank hockt!"
Mir blieb glatt mein Mixgetränk im Halse stecken. Und mein Humor gleich mit.

Se sind nicht allein da draußen, Frau Feinstrick! Ich bin bei sie bei! Ganz dicht..

feinstrick - 18. Nov, 23:06

Ach, meine liebste Frau M., das sind mal gute Nachrichten: nicht alleine da raus zu müssen zu all den Irren! Ich glaube ja übrigens, die sagen das alle bloß, weil bei denen tatsächlich ab 30 Feierabend ist. Aber die kennen uns nicht. Je oller, je doller. Meine Geburtstagsparty war ja der lebende Beweis dafür. Ha! Haaa!!! Was heul ich hier eigentlich so rum? Haaaaa!!!!!
des - 19. Nov, 20:13

Lily Allen - 22

Das Lied kam mir in den Sinn, als ich deinen Eintrag las. Nur, dass bei ihr die Protagonistin schon mit 30 von der Gesellschaft gesagt kriegt, dass ihr Leben vorbei sei (kein Freund, ein mittelmäßiger Job - also nichts mehr zu erwarten).
Wann ist ein Leben vorbei? Wohl erst dann, wenn man es selbst denkt. In diesem Sinne: ärgere dich weiter, freu dich weiter, lebe weiter.
Und schreib hier weiter. :-)))
Liebe Grüße,
D.

feinstrick - 19. Nov, 20:46

In Zeiten des Jugendwahns kommen sich vermutlich wirklich viele Leute mit 30 bereits alt vor. Ziemlich schräg irgendwie.
Und selbstverständlich schreibe ich hier weiterhin all das auf, was mir durch den Kopf geht und was anderswo keinen Platz hat. Irgendwas müssen alte Frauen ja tun, wenn sie nicht grade Strümpfe stricken. :-)))

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feinstrick - 15. Mai, 21:06
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feinstrick - 11. Feb, 20:08

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