Samstag, 7. Februar 2009

Heimweh

„Abends ist es immer am schlimmsten“, sagt sie, und ihre Augen sehen dunkel und traurig aus. Ich nehme sie ganz fest in die Arme und versuche, sie zu beruhigen und zu beschützen.
„Ja, Süße, ich weiß, wie das ist, wenn man im Bett liegt und voller Sehnsucht an all seine Lieben denkt und sich fragt, was sie jetzt wohl grade tun.“
Ich denke an die vielen, vielen Male in meinem Leben, in denen ich selbst Heimweh hatte, dieses schmerzhafte Gefühl von Verlorenheit, von Sehnsucht nach Geborgenheit und Nähe. Ich weiß, so sehr ich ihr auch meine Liebe zeige, so fest ich sie auch in die Arme schließe oder sie ablenke – ich werde ihr die Sehnsucht nicht nehmen können. Die Sehnsucht nach dem Schutz, den einem nur die eigene Mutter schenken kann, das satte Gefühl von zuhause sein, angekommen sein, eins sein mit ihr.
Ich habe heute noch manchmal Heimweh. Einerseits ist es das klassische Heimweh nach „Zuhause“, wenn ich irgendwo bin, wo ich mich überhaupt nicht wohl fühle und nichts weiter will, als zurück in meine eigenen vier Wände, in denen ich ganz ich sein kann und darf. Andererseits ist es aber eben auch dieses tiefe, nie ganz gestillte Verlangen nach der Geborgenheit mütterlicher Arme, nach dem einzigen Menschen auf dieser Welt, bei dem ich immer willkommen war, ausnahmslos immer.
Warum Heimweh besonders abends auftritt, weiß ich nicht. Vielleicht, weil man sich nachts immer am schutzlosesten fühlt und kurz vor dem Einschlafen auch keinerlei Ablenkung mehr hat. Interessant ist übrigens, dass sich die Wissenschaft offenbar kaum mit dem Phänomen Heimweh auseinander setzt, obwohl Menschen daran regelrecht erkranken können, bis hin zum Tod. Ebenfalls interessant ist, dass noch heute Leiter von Jugendgruppen der Ansicht zu sein scheinen, das beste Mittel gegen Heimweh sei Ablenkung, wohingegen Trost in welcher Form auch immer nicht angebracht sei.
Ich halte nichts davon, Kinder „abzuhärten“. Das Leben ist hart genug, ohne dass ich künstliche Härte und Strenge in Situationen walten lasse, in denen das aus meiner Sicht überhaupt nicht notwendig ist. Die Strenge, mit der ich erzogen wurde, führte dazu, dass ich nachts heimlich im Bett weinte, weil ich mich nicht traute, meine Tränen offen zu zeigen. Sie führte auch dazu, dass ich krank vor Heimweh wurde, ohne überhaupt zu begreifen, was da los war und ohne die Möglichkeit zu haben, mit jemandem darüber reden zu können. Das möchte ich den Kindern, die in meinem Umfeld aufwachsen, ersparen.
Ich habe daher das Mädchen getröstet, das heute bei mir übernachtet. Wir haben ausführlich über Heimweh geredet, und zwar sowohl über ihrs als auch über meins. Ich habe ihr – natürlich! - auch gestattet, abends fast stündlich bei ihrer Mutter anzurufen, beim ersten Mal weinend, später schon viel entspannter. Jetzt liegt die Kleine mit ihrem Teddy im Arm in meinem Bett und schläft fest, während ich neben ihr am Schreibtisch sitze.
Die Sehnsucht wird uns beide vielleicht auch heute Nacht begleiten. Doch sie ist erträglicher, wenn man weiß, dass man nicht alleine damit ist.

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Mo (Gast) - 8. Feb, 13:57

Ein sehr einfühlsamer Text und wie schön, dass ihr euch beide trösten konntet....

Ich denke gerade an meinen 1. Kuraufenthalt im Saarland. Es stand von vornherein fest, dass ich mind. 6 Wochen dort sein würde und ich war noch niemals zuvor so lange von zuhause weg. Ich erinnere mich an den ersten Abend, als ich das Gefühl hatte, der einsamste Mensch auf Erden zu sein.....

Habt einen schönen Sonntag zusammen und liebe Grüße
Mo

feinstrick - 8. Feb, 19:07

"Der einsamste Mensch auf der Welt" - das trifft es wohl auch sehr gut.

Ich wünsche dir auch einen schönen Abend.
Charline - 24. Feb, 16:41

Du hast einen wunderbaren Text geschrieben, mich mitten in meiner Seele "erwischt", Glück für das Kind, das Zeit mit Dir verbringen darf.

Liebe Grüße
Ro
feinstrick - 25. Feb, 10:14

@Charline: Vielen Dank. Heimweh scheint doch weit verbreitet zu sein.

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