Übrig geblieben
Ich begegne meiner Nachbarin Frau W. im Treppenhaus.
„Wie war Ihr Urlaub?“ frage ich, aber entgegen ihrer üblichen Gesprächigkeit tut Frau W. meine Frage mit zwei dürren Sätzen ab. Sie sieht müde und erschöpft aus und scheint sich am Treppengeländer festhalten zu müssen.
„Ich komme gerade von der Beerdigung einer guten Freundin“, erzählt sie. „Wir kannten uns seit über dreißig Jahren. Nun ist überhaupt niemand mehr da, den ich von früher kannte, sie sind alle tot. Meine Freundin war die letzte von all meinen Freunden, die mich verlassen hat.“
Fast schwingt so etwas wie Bitterkeit in ihren Worten mit. Alle haben sie verlassen, ihr Mann, ihre älteste Tochter, die Freunde, bis hin zur letzten besten Freundin, die nun auch gegangen ist. Ich stehe betroffen da und weiß kaum, was ich sagen soll. Ich frage mich, wie es sich wohl anfühlen wird, wenn um mich herum alle Menschen, die mir lieb und kostbar sind und mich teilweise mein Leben lang begleitet haben, der Reihe nach sterben? Familie, Freunde, Nachbarn. Wie ich immer einsamer werde, immer mehr alleine dastehe. Angenehmer ist es sicher, nicht die Letzte sein zu müssen, sondern irgendwo mitten drin im Gewühl von Abschied und Endlichkeit verschwinden zu können.
„Natürlich habe ich inzwischen auch neue Leute kennen gelernt“, fährt Frau W. fort, als hätte sie meine Gedanken erraten. „Ich bin ja immer sehr bemüht, Kontakte zu knüpfen. Aber das ist nicht mehr dasselbe, die Verbundenheit wie zu meinen alten Freunden ist einfach nicht da.“
Ich weiß genau, was sie meint. Wenn man jünger ist, kommen immer wieder neue Kontakte hinzu, durch Beruf, Hobbys oder was auch immer. Zwar vertiefen sich mit zunehmendem Alter nur wenige und werden zu echten Freundschaften, die auch dann überdauern, wenn man sich nicht mehr regelmäßig sieht. Doch das Leben ist irgendwie noch im Fluss. Ich habe bereits sehr nahe Menschen durch den Tod verloren, aber ich habe danach nie dieses Gefühl von „übrig geblieben“ verspürt, sondern eher gedacht: Mein Leben geht weiter, ich habe noch viel vor mir. Mit achtzig denkt man das wohl nicht mehr. Da kommt man sich sehr verlassen vor und findet die Tatsache, dass man selber noch agil und körperlich fit ist, manchmal wohl überhaupt nicht segensreich.
„Aber ich darf mich eigentlich nicht beklagen, mir geht es doch noch so gut“, sagt Frau W. und ich bewundere den Trotz in ihrer Stimme und die energische Bewegung, mit der sie sich vom Treppengeländer löst und die Treppe weiter hinauf geht, ihrer Wohnung entgegen.
„Wie war Ihr Urlaub?“ frage ich, aber entgegen ihrer üblichen Gesprächigkeit tut Frau W. meine Frage mit zwei dürren Sätzen ab. Sie sieht müde und erschöpft aus und scheint sich am Treppengeländer festhalten zu müssen.
„Ich komme gerade von der Beerdigung einer guten Freundin“, erzählt sie. „Wir kannten uns seit über dreißig Jahren. Nun ist überhaupt niemand mehr da, den ich von früher kannte, sie sind alle tot. Meine Freundin war die letzte von all meinen Freunden, die mich verlassen hat.“
Fast schwingt so etwas wie Bitterkeit in ihren Worten mit. Alle haben sie verlassen, ihr Mann, ihre älteste Tochter, die Freunde, bis hin zur letzten besten Freundin, die nun auch gegangen ist. Ich stehe betroffen da und weiß kaum, was ich sagen soll. Ich frage mich, wie es sich wohl anfühlen wird, wenn um mich herum alle Menschen, die mir lieb und kostbar sind und mich teilweise mein Leben lang begleitet haben, der Reihe nach sterben? Familie, Freunde, Nachbarn. Wie ich immer einsamer werde, immer mehr alleine dastehe. Angenehmer ist es sicher, nicht die Letzte sein zu müssen, sondern irgendwo mitten drin im Gewühl von Abschied und Endlichkeit verschwinden zu können.
„Natürlich habe ich inzwischen auch neue Leute kennen gelernt“, fährt Frau W. fort, als hätte sie meine Gedanken erraten. „Ich bin ja immer sehr bemüht, Kontakte zu knüpfen. Aber das ist nicht mehr dasselbe, die Verbundenheit wie zu meinen alten Freunden ist einfach nicht da.“
Ich weiß genau, was sie meint. Wenn man jünger ist, kommen immer wieder neue Kontakte hinzu, durch Beruf, Hobbys oder was auch immer. Zwar vertiefen sich mit zunehmendem Alter nur wenige und werden zu echten Freundschaften, die auch dann überdauern, wenn man sich nicht mehr regelmäßig sieht. Doch das Leben ist irgendwie noch im Fluss. Ich habe bereits sehr nahe Menschen durch den Tod verloren, aber ich habe danach nie dieses Gefühl von „übrig geblieben“ verspürt, sondern eher gedacht: Mein Leben geht weiter, ich habe noch viel vor mir. Mit achtzig denkt man das wohl nicht mehr. Da kommt man sich sehr verlassen vor und findet die Tatsache, dass man selber noch agil und körperlich fit ist, manchmal wohl überhaupt nicht segensreich.
„Aber ich darf mich eigentlich nicht beklagen, mir geht es doch noch so gut“, sagt Frau W. und ich bewundere den Trotz in ihrer Stimme und die energische Bewegung, mit der sie sich vom Treppengeländer löst und die Treppe weiter hinauf geht, ihrer Wohnung entgegen.
Treppenhaus - feinstrick - 15. Jul, 13:44
11 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
testsiegerin - 15. Jul, 13:50
Ich glaub, ich hab noch nie erwähnt, dass ich mittlerweile sehr gern hier lese.
Das tue ich hiermit:
Ich lese sehr gern hier. Berührende Gedanken, Geschichten zum Nachdenken, und das alles wunderbar geschrieben.
Das tue ich hiermit:
Ich lese sehr gern hier. Berührende Gedanken, Geschichten zum Nachdenken, und das alles wunderbar geschrieben.
feinstrick - 15. Jul, 18:01
Liebe Testsiegerin, ich freue mich ganz besonders, dass du hier (wieder) gerne mitliest und dir auch meine neuen Texte gefallen. Ich weiß, dass du schon lange eine meiner treusten Leserinnen warst, damals kam ich noch in einem anderen Gewand daher. Vielleicht fällt es dir ja auch wieder ein. ;-)
Einen herzlichen Gruß von Käthe Feinstrick
Einen herzlichen Gruß von Käthe Feinstrick
testsiegerin - 16. Jul, 08:20
Oh, ich hatte keine Ahnung!
Ich bin nicht hier, weil ich dich früher gern gelesen hab, sondern weil du gut und berührend schreibst. ;-)
Aber schön, dass du wieder da bist, Krämerin.
Ich bin nicht hier, weil ich dich früher gern gelesen hab, sondern weil du gut und berührend schreibst. ;-)
Aber schön, dass du wieder da bist, Krämerin.
feinstrick - 16. Jul, 09:02
Genau so hatte ich es auch verstanden. Darum freue ich mich ja auch so darüber. :-)
kid37 - 15. Jul, 14:45
Ab einem bestimmten Alter sind Todesfälle vielleicht nicht "nur" schmerzliche Verluste, die einen prägen, traurig machen, neue Weichen stellen - sie sind dann eben auch unleugbare Erinnerungen ("Die Einschläge kommen näher") an die eigene Vergänglichkeit. Ich merke das jetzt in meiner Familie, wo in den letzten Jahren die Onkel und Tanten sterben oder schwer erkranken. Und gleich Verwandten sind auch langjährgie Freunde, die gemeinsam erlebte Geschichte nicht zu ersetzen. Und es gibt ein, zwei Menschen in meinem Leben, da wüßte ich bereits jetzt nicht, wie es ginge. Ohne sie.
feinstrick - 15. Jul, 18:10
Es gibt immer diese ein, zwei Menschen, von denen man glaubt, dass es nicht ohne sie geht, niemals. Und dann geht es auf einmal doch. Muss ja. Irgendwie.
Ja, die Einschläge kommen näher... Ich habe sie sehr früh sehr laut vernommen. Seitdem ist zum Glück Ruhe eingekehrt, aber diese Erfahrungen haben mich geprägt und lassen mich darum vielleicht stärker an Vergangenem festhalten als es andere Menschen meines Alters tun.
Ja, die Einschläge kommen näher... Ich habe sie sehr früh sehr laut vernommen. Seitdem ist zum Glück Ruhe eingekehrt, aber diese Erfahrungen haben mich geprägt und lassen mich darum vielleicht stärker an Vergangenem festhalten als es andere Menschen meines Alters tun.
rosmarin (Gast) - 15. Jul, 19:51
trotz ist überhaupt eine ganz vortreffliche eigenschaft.
feinstrick - 15. Jul, 23:03
Stimmt, das ist was Feines. :-)
frauenzimmer (Gast) - 16. Jul, 12:53
übrigbleiben? Der Gedanke daran macht mir Angst..
feinstrick - 16. Jul, 18:54
*umärmel*
...aber wenn Sie mich nicht gerade mit Ihrer Handtasche erschlagen, könnte ich versuchen, gemeinsam mit Ihnen übrig zu bleiben. :-)
...aber wenn Sie mich nicht gerade mit Ihrer Handtasche erschlagen, könnte ich versuchen, gemeinsam mit Ihnen übrig zu bleiben. :-)
frauenzimmer (Gast) - 16. Jul, 21:06
*quietsch* ach Frau Feinstrick.. *ummen Hals fall* JERNE! Und son bisken Handtaschenkantschläge stecken se doch weg wie nix. Da sind se doch andere Tiefschläge gewohnt.
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