Samstag, 16. Februar 2008

Die Sache mit der Literatur

Ich habe gerade zwei große Bücher zur Seite gelegt, ohne sie fertig zu lesen. Das eine ist das letzte Werk eines meiner absoluten Lieblingsautoren: „Bis ich dich finde“ von John Irving. Ich habe mich lustlos durch die ersten 280 von 1140 Seiten gequält und dann frustriert aufgegeben. Ich mochte zum ersten Mal Irvings Stil nicht, fand die Geschichte wenig schlüssig und der magische Sog, den ich bei früheren Büchern oft erlebt habe und der mich alles um mich herum vergessen ließ, blieb gänzlich aus.

Das zweite Buch ist Richard Powers „Der Klang der Zeit“. Ein hoch gelobter Autor mit einem hoch gelobten Werk. Powers Sprache ist wundervoll (so weit man das in der deutschen Übersetzung angemessen beurteilen kann), dicht und leicht zugleich. Die Wörter fließen dahin, eins am anderen, ohne dass es auch nur die leiseste Unterbrechung gibt, keine Stromschnellen, keine Strudel, nur gleichmäßig fließende Buchstaben. Zu schön, um mich auf mehr als zehn Seiten zu fesseln, zu kunstvoll, um mich mit den Figuren identifizieren und in die Geschichte eintauchen zu können. Nach 120 Seiten beschloss ich, den ebenfalls recht umfangreichen Wälzer vorerst nicht weiter zu lesen.

Ich habe jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn ich so eine Entscheidung treffe, besonders, wenn es sich um anspruchsvolle Literatur handelt. Ich weiß genau, was für Kraft es kostet, sich eine komplexe Geschichte auszudenken und was für eine fantastische Leistung es ist, sie nach allen Regeln der Kunst aufzuschreiben. Und ich denke immer, dass ich es den Autoren schuldig bin, ihre Arbeit angemessen zu würdigen, indem ich mir die Zeit nehme, ihre Geschichten bis zum letzten Buchstaben zu Ende zu lesen. Dazu kommt noch, dass ich die meisten dieser kunstvollen Romane geschenkt bekomme. Weil meine Freunde wissen, dass ich selber schreibe, glauben sie offenbar alle zunehmend, dass ich nur noch Bücher von Pulitzer- oder Bachmannpreisträgern lese. Also habe ich auch meinen Freunden gegenüber ein schlechtes Gewissen, weil ich ihre Geschenke so wenig würdige. Ständig fürchte ich, sie könnten mich fragen, wie mir denn ihr Geschenk gefallen habe. Es ist mir peinlich, dann gestehen zu müssen, dass ich es überhaupt noch nicht gelesen habe, weil ich das letzte halbe Jahr damit befasst war, mich durch andere Geschenke von anderen Freunden zu quälen.

Denn es gibt für mich ein doppeltes Problem beim Lesen. Erstens lese ich am liebsten richtig echte Schmöker oder Krimis, die jeweils solide, aber nicht kunstvoll geschrieben sein müssen. Je besser ein Roman bei Literaturkritikern ankommt, desto langweiliger finde ich ihn in der Regel. Zweitens lese ich unglaublich langsam, und das wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Ich weiß nicht, woran das liegt. Letztens kam mir der Gedanke, dass ich gerade sehr gut geschriebene Texte weniger inhaltlich als formal erfasse und einen Satz manchmal fünfmal lese, um seine Genialität zu erspüren. Das hat natürlich zur Folge, dass ich dem eigentlichen Handlungsverlauf nur begrenzt folgen kann und daher bald gelangweilt bin. Ob das wirklich der Grund ist, weiß ich nicht. Vielleicht liegt es auch ganz einfach nur daran, dass ich überwiegend abends im Bett lese, aber aus purer Faulheit länger vorm PC und Fernseher hocke als nötig und dann schlichtweg zu müde bin, um noch lange lesen zu können.

Wie auch immer – ich entschuldige mich an dieser Stelle in aller Form bei sämtlichen preisgekrönten Autoren sowie meinen lieben, guten Freunden dafür, dass ich sie so schäbig behandele und sowohl geniale Kreativität als auch gute Absichten nicht immer angemessen würdigen kann. Es tut mir Leid!

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Nielsson - 17. Feb, 14:29

Beginne bei "A": Leihe alle Bücher (Romane) aus der Bücherei aus: Lege all nach unschlüssigem Durchblättern wieder weg, die nichts taugen.
Ergebnis: Bis jetzt 100% vorzeitig weggelegt.

feinstrick - 17. Feb, 19:16

Das ist aber ein düsteres Ergebnis. Aber vielleicht taugt bloß der Buchstabe "A" nichts? Außer "Allende" steht niemand mit "A" in meinem Regal. Bei "B" werden es dann schon mehr.
rosmarin (Gast) - 17. Feb, 18:40

ach das beruhigt mich, das nette textchen. ich quäle mich seit wochen im zeitlupentempo durch 1000 seiten die dunkle seite der liebe von rafik schami. und vielleicht schließe ich das buch nun bei seite 400. ich bin auf die verbliebenen 600 nicht mehr wirklich neugierig. viel neugieriger bin ich auf den krimi den ich unlängst geschenkt bekam.... :-)

feinstrick - 17. Feb, 19:17

Ach ja, Herrn Schami habe ich mir meiner arabischen Sippschaft zuliebe auch angetan - mit sehr mäßiger Begeisterung...
Bandini - 19. Feb, 14:17

Sagte ich eigentlich schon mal, dass der Klang der Zeit zu meinen Lieblingsbüchern zählt? Es ist fantastisch und jetzt fühle ich mich als Intellektueller bestätigt.

feinstrick - 19. Feb, 16:43

Ich weiß, dass es mit Sicherheit viele Menschen gibt, die das Buch fantastisch finden. Das macht es mir nicht gerade leichter. Aber ich bekenne mich hiermit trotzdem tapfer zu einem zumindest unter gewissen Gesichtspunkten deutlich eingeschränkten Intellekt. Das entspannt mich sehr, weil ich nicht mehr ständig klüger tun muss als ich eigentlich bin.
tschapperl - 19. Feb, 19:27

Ich bin beim "Bis ich dich finde" schon auf Seite 40 gescheitert. Aber die verfügbare morgendliche Lesezeit in der Eisenbahn von jeweils 20 Minuten ist für dieses Werk wohl nicht der bestgewählte Zeitpunkt.
Wenn mir nur nicht das Cover so sympathisch wäre -es gefällt mir ganz einfach, und solche Bücher lese ich dann auch fertig

deprifrei-leben - 20. Feb, 16:32

Ich finde den Text sehr gut, er könnte auch sehr gut in einer Zeitschrift zu Literaturkritiken stehen. Ja das kenne ich auch, dass man ein Buch geschenkt bekommen hat und die noch nicht oder wenig gelesen hat, ging mir mit den Harry Potter Büchern so.

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