Montag, 20. Mai 2013

Sessel

Vor einigen Tagen hatte ich einen bemerkenswerten Traum. Ich träumte, dass ich auf der Suche nach einem Sitzplatz war. Ich trug ein Buch bei mir, das ich lesen wollte, aber dazu musste ich eben erst mal in Ruhe irgendwo sitzen. Gelegenheiten dazu gab es reichlich. Ich ging an schlichten Holzbänken vorbei, die an einer Strandpromenade standen, schön mit Blick aufs Meer. Ich sah einladende Sofas und Sessel auf Wiesen unter Bäumen stehen. Sie hatten farbige Stoffbezüge und hohe, gepolsterte Rückenlehnen mit verschnörkelten Holzrahmen. Versuchshalber ließ ich mich auf einem Sessel in der einladenden Halle eines Hotels nieder. Aber ich fühlte mich nicht wohl dort. Ich steuerte andere Sitzmöbel an, aber keines sagte mir richtig zu. Das eine wirkte zu unbequem. Vom nächsten hatte man keinen schönen Ausblick. Ein Sessel, auf dem ich kurz Platz nahm, stand zwar wunderschön unter einem großen Baum, aber zu dicht neben anderen Sesseln, auf denen lauter Leute saßen, die mich neugierig musterten. Kein guter Platz, um ungestört zu lesen. Also stand ich wieder auf und irrte weiter umher – bis ich aufwachte.

Nie hat mein Unterbewusstes wohl bessere Bilder für mein Lebensthema gefunden: Ich finde meinen Platz nicht. Was ich auch tue, wo ich auch bin, immer ist da ein Gefühl von nicht angekommen sein, nicht dazu zu gehören, weiter suchen zu müssen. Ich bin seit ewigen Zeiten auf der Suche. Nach der Arbeit, die mich ganz und gar erfüllt. Nach dem Mann, der mich so liebt, wie ich bin. Nach Geborgenheit und Nähe. Nach dem Leben, das endlich mal meins ist und sich nicht wie ferngesteuert anfühlt. Ich weiß nicht, woher dieses Gefühl kommt, ich weiß nur, dass es mich seit meiner Kindheit begleitet. Ich fühte mich schon als Zehnjähre in meiner Familie fehl am Platz, hatte in mir drin eine ganz tiefe Sehnsucht nach einer Geborgenheit, die ich nie fand. Als Kind verdrängte ich diese Orientierungslosigkeit mit zornigem Aktionismus, der in späteren Jahren einer beständigen Traurigkeit und Lähmung wich. Was ich auch tat, ich kam nie irgendwo an. Immer, wenn sich etwas ein Weilchen gut anfühlte, drängte es mich, weiterzuziehen, in der Hoffnung, die ganz große Erfüllung noch zu finden. Aber ich konnte mich nie entscheiden, mich nie ganz einlassen, setzte mich immer nur probehalber auf den einen oder anderen Platz, ohne jemals anzukommen.

Mit den Jahren bin ich ruhiger geworden. Ich merke immer öfter, dass das innere Ankommen entscheidend ist, nicht das äußere. Ich finde Heimat in mir drin, unabhängig von den Menschen um mich herum. Aber ich habe auch immer wieder Rückschläge. So wie im Moment. Da renne ich völlig orientierungslos durch mein Leben. Ich sehe viele Sitzgelegenheiten, aber ich schaffe es nicht, mich auch nur mal für ein paar Minuten auf einer von ihnen niederzulassen. Ich bin so erschöpft, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann, aber kein Sessel sieht einladend genug aus, um mich einfach fallen zu lassen, darauf zu vertrauen, dass ich in den weichen Polstern wunderbar entspannen kann, dass alles gut wird. So renne ich weiter, mit wachsender Verzweiflung und Erschöpfung. Bis ich nicht mehr kann.

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giardino - 20. Mai, 20:53

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rosmarin - 21. Mai, 13:17

tolle metaphern hat dein unbewußtes produziert.
den perfekten sessel, an dem wohlfühlfaktor, gemütlichkeit, geborgenheit und ruhige lage stimmen gibt es vermutlich gar nicht. mal lassen wir uns hier nieder und mal dort.... und ja bei uns selbst, da muss die hängematte hin.

feinstrick - 22. Mai, 18:54

Nein, den perfekten Sessel gibt es ganz gewiss nicht. Aber es wäre schön, sich wenigstens mal irgendwo niederlassen zu können. Und sei es nur für ein Weilchen.

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