Montag, 15. April 2013

Auf dem Rücken der Pferde

Der W. war einer dieser Alt-68er, die mir eigentlich total auf die Nerven gehen: Schluffige, kraftlose Haltung, die wohl Lässigkeit und Abkehr vom Spießertum symbolisieren soll. Unordentliche Frisur und unordentliche Klamotten (noch mehr Abkehr vom Spießertum). Endlose Diskussionen, die nie zu etwas führen, als Ausdruck gelebter Demokratie. Ein Erziehungsstil, der jegliche Autorität vermissen lässt, was bekanntlich zu genauso wenig führt wie ziellose Debatten.

Trotzdem kam ich mit dem W. gut aus. Er hatte Humor und oft einen erfrischend klaren Blick auf die Dinge. Außerdem war er immer gut gelaunt, unkompliziert und sehr hilfsbereit. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er, eine Fluppe im Mundwinkel, Pferdeställe auf dem Hof ausmistete, auf dem wir uns kennenlernten. Obwohl W. erst in hohem Alter anfing zu reiten und es darin nie sehr weit brachte, kaufte er irgendwann zwei Ponies für sich und seinen Sohn. Die Ponies waren genauso unerzogen wie der Sohn. Tiere diskutieren nicht, sie brauchen klare Ansagen. Wie Kinder. Trotzdem freute ich mich, als W. mir anbot, eins der Ponies regelmäßig zu reiten. Anfangs ging das alles gut und machte viel Spaß. Das Pony, ein bildschöner junger Wallach, gehorchte mir zum Glück besser als seinem Herrn. Ich unternahm mit Freunden endlose Ausritte durch wunderschöne Natur. Diese Stunden zählen zu den schönsten Erinnerungen meines Lebens. Auch mit W. bin ich etliche Male ausgeritten. Wir machten unterwegs Rast in seinem Wochenendhaus mitten im Wald und tranken mit seiner Frau Kaffee, während die Pferde im Garten grasten. Das war ein bisschen Immenhof live.

Mit der Zeit wurde es jedoch immer mühsamer, W.s unerzogenes Pony zu reiten. W. ignorierte die Situation völlig („Läuft doch alles super“ - während alles lief, nur das Pony nicht). Meine erzieherischen Bemühungen machte er regelmäßig zunichte. Es war Zeit für eine Veränderung, und ich griff dankbar zu, als ich eine andere Reitbeteiligung angeboten bekam. W. nahm mir das nicht übel, unser Kontakt blieb weiterhin gut. Als ich Jahre später den Hof verließ, verloren wir uns jedoch aus den Augen. Nur ab und zu trafen wir uns noch auf den Geburtstagen einer gemeinsamen Freundin. Das letzte Mal im vergangenen Herbst. Wir saßen bis nachts zusammen, tranken Wein, lachten und erinnerten uns an gemeinsame Zeiten. W. nahm mich mehrmals herzlich in die Arme. Er freute sich sehr, mich zu sehen. Als ich erzählte, dass ich schon länger nicht mehr reite, sagte er: „Komm doch mal wieder mit. Wir könnten zusammen einen gemütlichen Ausritt machen.“ Ich fand den Gedanken toll und sagte zu. Aber dann folgte ein langer, dunkler Winter und ich hatte vieles im Sinn, nur keine Pferde. Im Frühling, so dachte ich oft, wenn das Wetter wieder schön ist, dann fahre ich mal wieder mit raus zu den Pferden.

Nun ist endlich Frühling. Aber ich werde mit dem W. nicht mehr zusammen zu den Pferden fahren. Gestern erfuhr ich von meiner Freundin, dass er kürzlich ganz überraschend verstorben ist. Er wachte eines Morgens einfach nicht mehr auf. Ein schöner Tod für ihn, entsetzlich für seine Frau und den Sohn. Und ich spüre mal wieder: Man sollte Dinge, die einem wichtig sind, nicht zu lange aufschieben.

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