Stalker
Vor vielen Jahren saß ich mal in einem Zug neben einem Mann, der wie ich die lange Strecke von Basel nach Hamburg zurücklegte. Wir hatten viel Zeit, kamen ins Gespräch. Ich war sehr erfüllt von meiner Reise, die ich zu Recherchezwecken für meine Magisterarbeit unternommen hatte. Darin beschäftigte ich mich mit einem Schweizer Maler und hatte deshalb u. a. intensiven Kontakt zum Vorsitzenden einer Stiftung gehabt, die den Nachlass des Malers verwaltete.
Das alles erzählte ich dem Mann im Zug. Er selbst arbeitete bei irgendeiner Behörde, hatte eine Frau und Kinder. Er war erheblich älter als ich, und ich fand ihn zwar ganz unterhaltsam als Sitznachbarn, hatte aber ansonsten null Interesse an ihm. Als er mich in den Speisewagen auf ein Glas Wein einlud, folgte ich ihm nur aus Langeweile. In Hamburg verabschiedeten wir uns höflich voneinander.
Ein paar Wochen später erhielt ich auf einmal einen Anruf. Am anderen Ende der Leitung war der Mann aus dem Zug. Ich war schockiert, denn ich hatte ihm weder meinen Namen noch meine Telefonnummer gegeben. Er hatte anhand der Details, die ich ihm über meine Reise und den Maler genannt hatte, recherchiert (und das alles zu Zeiten vor dem Internet!), dabei sogar Kontakt zu besagter Stiftung aufgenommen, nur, um mich aufzuspüren. Was er wollte, war schnell klar, ohne dass er es deutlich in Worte fassen musste. Ich war wütend ob seiner Zudringlichkeit und verstört angesichts der Dreistigkeit, mit der er mir hinterhergejagt war. Er war geradezu stolz auf die detektivische Leistung, die er vollbracht hatte. Ich hingegen war entsetzt und beendete das Telefonat sehr schnell.
Vor einiger Zeit hatte ich mal in einer Singlebörse regen Mailkontakt zu einem Mann. Er wirkte sehr interessant, schrieb klug und feinsinnig und ich vertraute ihm so sehr, dass ich ihm nicht nur recht intime Details über mein Liebesleben erzählte. Ich schickte ihm auf sein Drängen hin auch ein PDF mit einem Textauszug aus einem meiner Romane. In meiner Dämlichkeit vergaß ich jedoch, dass in den Metadaten des PDF mein voller Name stand. Der Mann machte mich immerhin darauf aufmerksam, dass er sich nun erst mal in aller Ruhe meine Website mit sämtlichen beruflichen Informationen über mich angeschaut habe. Mir wurde heiß und kalt, denn dort steht auch meine vollständige Adresse. Aber ich sagte mir, ach, halb so schlimm, das ist ein Netter, der darf das alles wissen.
Bald darauf traf ich den Mann auf einen Kaffee. Und ich entdeckte voller Entsetzen, dass er keineswegs ein Netter war. Vielmehr hatte er ein massives Suchtproblem und war zudem hochgradig aggressiv. Wir saßen an einem Tisch am Fenster und alle Frauen, die draußen vorbeigingen, bedachte er mit so abfälligen Bemerkungen, dass ich am liebsten sofort aufgestanden und gegangen wäre. Ich blieb, aber es war klar, dass ich diesen Mann nicht mal als guten Freund haben wollte. Und mir wurde erneut heiß und kalt, als ich daran dachte, was er inzwischen alles über mich wusste.
Er reagierte sehr beleidigt auf meine Absage und demütigte mich in seiner Abschiedsmail auf widerwärtige Weise. Das unterstrich mein unwohles Gefühl noch, aber er ließ mich zum Glück anschließend in Ruhe. Doch mein Interesse an Singlebörsen war für sehr lange Zeit gestillt.
Nun habe ich es doch wieder gewagt, hauptsächlich, um meinen Herzschmerz zu verdrängen. Der erste Mann geriet mit mir in Streit, weil ich kein öffentlich sichtbares Profilbild eingestellt hatte. Er fand das feige. Der zweite tauchte kommentarlos ab, nachdem ich ihm ein Foto per Mail geschickt hatte. Der dritte mokierte sich ewig über meine kurzen Haare und erklärte, er fände lange Haare viel hübscher. Ich wollte ihn schon in die Wüste schicken, dachte aber: Nun sei mal nicht so mäkelig wie all diese Kerle hier, sonst wird das nie was.
Also tauschte ich mich noch ein wenig mehr mit dem Mann aus. Als er mich fragte, warum ich mein Pseudonym als Gruß verwendete, erklärte ich, dass es mir wichtig sei, meine Privatsphäre zu wahren. Er schickte mir daraufhin einen Link zu seiner beruflichen Website. Ich war sehr überrascht, wussten wir doch praktisch noch nichts voneinander, wir hatten bis dahin gerade mal eine Handvoll oberflächlicher Mails getauscht.
Aber ich honorierte seinen Vertrauensvorschuss, indem ich unter die nächste Nachricht meinen richtigen Vornamen setzte. Und auf seine Frage hin erwähnte ich, welche Art Bücher ich schreibe.
Und dann passierte es wieder. Als ich das nächste Mal in mein Postfach sah, fand ich endlos lange Nachrichten dieses Mannes vor, in denen er lang und breit erklärte, wie hübsch er mich mit langen Haaren fände, wie interessant meine Bücher aussähen und dass er für ein erstes Date wohl zur Buchmesse kommen müsse, da ich ja nächste Woche viel beschäftigt sei.
Er verpackte das alles freundlich und nett in kleine Geschichten aus seinem eigenen Alltag. Aber diese charmanten Geschichten kamen bei mir gar nicht mehr an. Das Einzige, was ich wahrnahm: Dieser Mann hatte sich anhand der wenigen Daten, die er von mir hatte, wie ein Detektiv auf die Suche nach mir gemacht. Er hatte sich alles angeschaut, was es über mich im Netz zu finden gibt (und das ist viel!). Er hatte sich ungefragt in mein Leben gedrängt, mich ausspioniert und mich noch vor einem ersten Treffen nackt ausgezogen.
Ich begreife es nicht. Glauben Männer wirklich, dass wir Frauen so was mögen? Ich empfinde das als große Respektlosigkeit und bin mir sicher, dass sich so ein Mann auch in einem freundschaftlichen oder partnerschaftlichen Miteinander über Grenzen hinwegsetzen würde. Diese Art der Zudringlichkeit ist mir völlig fremd. Mehr noch: Sie stößt mich ab. Mein Bedarf an Abenteuern in Onlinebörsen ist jedenfalls fürs Erste wieder mal gestillt.
Das alles erzählte ich dem Mann im Zug. Er selbst arbeitete bei irgendeiner Behörde, hatte eine Frau und Kinder. Er war erheblich älter als ich, und ich fand ihn zwar ganz unterhaltsam als Sitznachbarn, hatte aber ansonsten null Interesse an ihm. Als er mich in den Speisewagen auf ein Glas Wein einlud, folgte ich ihm nur aus Langeweile. In Hamburg verabschiedeten wir uns höflich voneinander.
Ein paar Wochen später erhielt ich auf einmal einen Anruf. Am anderen Ende der Leitung war der Mann aus dem Zug. Ich war schockiert, denn ich hatte ihm weder meinen Namen noch meine Telefonnummer gegeben. Er hatte anhand der Details, die ich ihm über meine Reise und den Maler genannt hatte, recherchiert (und das alles zu Zeiten vor dem Internet!), dabei sogar Kontakt zu besagter Stiftung aufgenommen, nur, um mich aufzuspüren. Was er wollte, war schnell klar, ohne dass er es deutlich in Worte fassen musste. Ich war wütend ob seiner Zudringlichkeit und verstört angesichts der Dreistigkeit, mit der er mir hinterhergejagt war. Er war geradezu stolz auf die detektivische Leistung, die er vollbracht hatte. Ich hingegen war entsetzt und beendete das Telefonat sehr schnell.
Vor einiger Zeit hatte ich mal in einer Singlebörse regen Mailkontakt zu einem Mann. Er wirkte sehr interessant, schrieb klug und feinsinnig und ich vertraute ihm so sehr, dass ich ihm nicht nur recht intime Details über mein Liebesleben erzählte. Ich schickte ihm auf sein Drängen hin auch ein PDF mit einem Textauszug aus einem meiner Romane. In meiner Dämlichkeit vergaß ich jedoch, dass in den Metadaten des PDF mein voller Name stand. Der Mann machte mich immerhin darauf aufmerksam, dass er sich nun erst mal in aller Ruhe meine Website mit sämtlichen beruflichen Informationen über mich angeschaut habe. Mir wurde heiß und kalt, denn dort steht auch meine vollständige Adresse. Aber ich sagte mir, ach, halb so schlimm, das ist ein Netter, der darf das alles wissen.
Bald darauf traf ich den Mann auf einen Kaffee. Und ich entdeckte voller Entsetzen, dass er keineswegs ein Netter war. Vielmehr hatte er ein massives Suchtproblem und war zudem hochgradig aggressiv. Wir saßen an einem Tisch am Fenster und alle Frauen, die draußen vorbeigingen, bedachte er mit so abfälligen Bemerkungen, dass ich am liebsten sofort aufgestanden und gegangen wäre. Ich blieb, aber es war klar, dass ich diesen Mann nicht mal als guten Freund haben wollte. Und mir wurde erneut heiß und kalt, als ich daran dachte, was er inzwischen alles über mich wusste.
Er reagierte sehr beleidigt auf meine Absage und demütigte mich in seiner Abschiedsmail auf widerwärtige Weise. Das unterstrich mein unwohles Gefühl noch, aber er ließ mich zum Glück anschließend in Ruhe. Doch mein Interesse an Singlebörsen war für sehr lange Zeit gestillt.
Nun habe ich es doch wieder gewagt, hauptsächlich, um meinen Herzschmerz zu verdrängen. Der erste Mann geriet mit mir in Streit, weil ich kein öffentlich sichtbares Profilbild eingestellt hatte. Er fand das feige. Der zweite tauchte kommentarlos ab, nachdem ich ihm ein Foto per Mail geschickt hatte. Der dritte mokierte sich ewig über meine kurzen Haare und erklärte, er fände lange Haare viel hübscher. Ich wollte ihn schon in die Wüste schicken, dachte aber: Nun sei mal nicht so mäkelig wie all diese Kerle hier, sonst wird das nie was.
Also tauschte ich mich noch ein wenig mehr mit dem Mann aus. Als er mich fragte, warum ich mein Pseudonym als Gruß verwendete, erklärte ich, dass es mir wichtig sei, meine Privatsphäre zu wahren. Er schickte mir daraufhin einen Link zu seiner beruflichen Website. Ich war sehr überrascht, wussten wir doch praktisch noch nichts voneinander, wir hatten bis dahin gerade mal eine Handvoll oberflächlicher Mails getauscht.
Aber ich honorierte seinen Vertrauensvorschuss, indem ich unter die nächste Nachricht meinen richtigen Vornamen setzte. Und auf seine Frage hin erwähnte ich, welche Art Bücher ich schreibe.
Und dann passierte es wieder. Als ich das nächste Mal in mein Postfach sah, fand ich endlos lange Nachrichten dieses Mannes vor, in denen er lang und breit erklärte, wie hübsch er mich mit langen Haaren fände, wie interessant meine Bücher aussähen und dass er für ein erstes Date wohl zur Buchmesse kommen müsse, da ich ja nächste Woche viel beschäftigt sei.
Er verpackte das alles freundlich und nett in kleine Geschichten aus seinem eigenen Alltag. Aber diese charmanten Geschichten kamen bei mir gar nicht mehr an. Das Einzige, was ich wahrnahm: Dieser Mann hatte sich anhand der wenigen Daten, die er von mir hatte, wie ein Detektiv auf die Suche nach mir gemacht. Er hatte sich alles angeschaut, was es über mich im Netz zu finden gibt (und das ist viel!). Er hatte sich ungefragt in mein Leben gedrängt, mich ausspioniert und mich noch vor einem ersten Treffen nackt ausgezogen.
Ich begreife es nicht. Glauben Männer wirklich, dass wir Frauen so was mögen? Ich empfinde das als große Respektlosigkeit und bin mir sicher, dass sich so ein Mann auch in einem freundschaftlichen oder partnerschaftlichen Miteinander über Grenzen hinwegsetzen würde. Diese Art der Zudringlichkeit ist mir völlig fremd. Mehr noch: Sie stößt mich ab. Mein Bedarf an Abenteuern in Onlinebörsen ist jedenfalls fürs Erste wieder mal gestillt.
Schlafzimmer - feinstrick - 16. Okt, 11:59
6 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks