Freitag, 3. August 2012

Papa

Heute hat mein Vater Geburtstag. Er wäre 82 Jahre alt geworden, wenn er nicht vor elf Jahren an einem Hirntumor gestorben wäre. Ich habe im letzten Jahr viel an ihn gedacht, oft mit ihm gerungen, war abwechselnd ratlos, traurig, zornig. Ich habe mich gefragt, warum er so war, wie er war. Warum er mir und meinen Geschwistern nicht die Liebe geben konnte, die wir brauchten – obwohl er doch eigentlich ein sehr liebevoller Mensch war, sanft, friedlich, immer mit einem Lachen im Gesicht, immer freundlich, nie mürrisch, schlecht gelaunt, genervt, verärgert. Und doch fiel es ihm schwer, Gefühle zu zeigen, sich auf Nähe einzulassen, seine Kinder beim Heranwachsen zu unterstützen. Je älter er wurde, umso mehr zog er sich in seine eigene kleine Welt zurück, in die niemand vorzudringen vermochte – außer vielleicht meine Mutter. Ihr galt all seine Liebe, all seine Zuwendung, und als sie schwer krank wurde und starb, da ging er einfach mit und folgte ihr nur ein knappes Jahr nach ihrem Tod. Voller Wut dachte ich damals: Hättest du nicht noch ein bisschen durchhalten können? Deine Kinder und Enkelkinder hätten dich noch gut gebrauchen können. Gleichzeitig war ich froh, dass es nun nicht meine Aufgabe war, mich um diesen eigensinnigen Mann zu kümmern, der sich von niemandem außer meiner Mutter gern etwas sagen ließ. Er war eine Autoritätsperson, erfolgreich im Beruf, angesehen in der Familie und Verwandtschaft. Und doch wirkte er oft völlig überfordert mit den Banalitäten des Alltags, war hilfloser als ein Kind, wenn er in ein Restaurant ging oder einkaufen. Dann schämte ich mich oder hatte Mitleid mit ihm – je nachdem, wie ich mich gerade selbst fühlte. Vor allem aber ging mir seine Weltfremdheit auf die Nerven, war ich wütend darüber, keinen Vater zu haben, der mich stützte, sondern auf den ich oft genug selbser aufpassen musste.

Der Mann, der nun seit gut anderthalb Jahren durch mein Leben tanzt, kommt und geht wie er will, mal sehr intensive Nähe zulässt, dann wieder weit, weit weg ist, erinnert mich immer häufiger an meinen Vater. Die Ähnlichkeiten sind so verblüffend, dass ich mich mittlerweile nicht mehr wundere, warum mich dieser Mann so fasziniert, und ich ihn in mein Herz geschlossen habe, obwohl wir so unterschiedlich wie Tag und Nacht sind, und ich keineswegs anhimmelnd an seinen Lippen hänge, sondern mich oft genug verständnislos abwende. Aber wir neigen eben zu Wiederholungen im Leben. Das, was uns vertraut ist, zieht uns an. Dazu gehören sogar negative Gefühle wie Wut, Enttäuschung und Angst. Fast scheint es so, als ob ich diesem Mann begegnen musste, um die Geschichte mit meinem Vater besser zu verstehen, um mich innerlich mit ihm aussöhnen zu können, um vorwärts gehen zu können. Ob ich nun alleine weiter gehe oder wir zu zweit sind – in welcher Form des Miteinanders auch immer – ist eigentlich fast egal. Auf jeden Fall habe ich eine weitere, kleine Stufe in meinem Leben erklommen. Es war eine schwere Hürde, für die ich sehr, sehr viel Anlauf und Kraft brauchte. Viele Male bin ich umgekehrt, weil ich dachte, ich würde es nicht schaffen. Aber nun habe ich auf einmal so ein leises Gefühl von Versöhnung, von Abschied und Loslassen. Könnte sein, dass ich tatsächlich schon die ganze Stufe bewältigt habe.

Und nun werde ich eine Kerze für meinen Papa anzünden und mich an all die schönen Momente mit ihm erinnern, das gemeinsame Lachen, das Malen und Basteln, als ich noch ein Kind war, seine Hilfe bei den Hausaufgaben, die langen Spaziergänge mit unserem Hund, die vielen Urlaube und endlosen Stunden voller Gemütlichkeit an unserem großen Esstisch. Das gab es nämlich alles auch.

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