Montag, 23. April 2012

Blind Date

Ich habe ein Date. Es ist ein halbes Blind Date – ich weiß kaum was über ihn, wir hatten nur einen sehr kurzen Mailkontakt. Er hat nicht mal ein Foto von mir. „Ich lasse mich gern überraschen“, schreibt er, und das gefällt mir. Handynummern haben wir nicht getauscht, ich gebe meine nie vor solchen Dates raus, und er hat, wie sich später rausstellt, überhaupt kein Handy. So was gibt’s – und es gefällt mir, weil es von einem sehr eigenen Charakter zeugt.

Das ganze Wochenende hänge ich in den Seilen, eine Erkältung bahnt sich an. Am Sonntagmorgen denke ich: Boah, nee, das wird nix, ich fühle mich so krank und erschöpft, dass ich niemanden sehen will. Schon gar nicht einen fremden Mann. Aber dann raffe ich mich abends doch auf, und frisch geduscht fühlt sich alles auch gar nicht mehr so schlecht an.

Ich gehe zur Bushaltestelle und warte. Und warte. Und warte. Irgendwann ist klar, dass hier was nicht stimmt. Aus Gründen, die niemand kennt, kommt der Bus nicht. Nervös schaue ich auf die Uhr. Bis zur Verabredung sind es noch fünfzehn Minuten. Das schaffe ich nicht mehr, egal was ich unternehme. Ich gehe zu Fuß los, in der Hoffnung, bei einer der nächsten Bushaltestellen einen anderen Bus einer anderen Linie zu erwischen. Aber Fehlanzeige. In der Gegenrichtung sind alle möglichen Busse unterwegs, nur in meiner nicht. An einer Haltestelle parkt ein Taxi, doch vom Fahrer ist zunächst nichts zu sehen. Per Taxi zu einem Blind Date? Ich wäge ab. Ist es mir das überhaupt wert? Warum drehe ich nicht um und setze mich mit einem heißen Tee auf mein Sofa. Da gehöre ich doch eigentlich hin. In dem Moment kommt der Taxifahrer aus einem Café, und die Würfel sind gefallen.

„Warum haben Sie denn keine Handynummern getauscht?“, fragt der Taxifahrer erstaunt. „So was muss man doch machen.“ Nein, muss man nicht. „Aber“, beruhigt er mich, “der ist bestimmt noch da.“ Ich schiele auf meine Uhr. Mittlerweile bin ich fast eine halbe Stunde zu spät. „Nein“, sage ich, „der ist weg. ICH wäre jedenfalls weg.“ „Ja, Sie vielleicht, aber kein Mann. Der wartet.“ Ist das so? Warten Männer länger als Frauen? „Er ist weg“, seufze ich, während wir im Schneckentempo durch die Stadt kriechen. Wo kommen all diese Autos her? Am Sonntagabend ist doch sonst nie was auf den Straßen los. „Er wartet“, beharrt der Taxifahrer. „Eine Stunde sollte man immer warten. Es kann doch jederzeit was passieren, das sehen Sie ja jetzt selbst.“ Aber nicht bei einem Blind Date, denke ich, da glaubt man immer gleich, der andere habe es mit der Verabredung nicht so ernst gemeint und einen hängen gelassen. Als ich aussteige, bleibt der Taxifahrer mit seinem Wagen vor dem Café stehen. „Ich will wissen, ob er noch da ist.“

Das Café ist groß und verwinkelt, ich gehe von Raum zu Raum und mustere alle Gäste gespannt. In der letzten Ecke sitzt er. Ich erkenne ihn sofort, obwohl er den Kopf gesenkt hat und in ein Buch vertieft ist. Wir begrüßen uns, als würden wir uns schon ewig kennen. „Sorry, dass du so lange warten musstest“, sage ich. „Wieso?“, fragt er. „Wie spät ist es denn?“ Er hatte sich so in seinem Buch festgelesen, dass er die Zeit völlig vergessen hatte. Das bringen auch nur Männer fertig. Ich springe lachend zum Fenster und winke dem Taxifahrer zu. Er winkt zurück. Alles ist gut!

Und dann erlebe ich einen überraschend schönen Abend.

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Übermorgen fliege ich in den Urlaub, und wenn ich zurückkehre,...
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Hat ja geklappt :)
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steppenhund - 11. Feb, 22:02
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