Donnerstag, 3. Februar 2011

Sackgasse

In letzter Zeit muss ich oft an einen Mann denken, den ich vor vielen Jahren in einer Single-Börse kennenlernte. Er schrieb nette Mails, aber nicht so, dass ich sie in bleibender Erinnerung habe. Auch sein Foto war eher nichtssagend: ein durchschnittlicher Mann mit Halbglatze, runder Nase, vollen Lippen. Nicht hässlich, aber auch keiner, bei dessen Anblick einer Frau ein aufgeregtes „Wow!“ entschlüpft.

Wir verabredeten uns trotzdem – nicht zuletzt, weil er in meinem Stadtteil lebte. Allerdings nicht in so einem schmuddeligen Arbeiterviertel wie ich, sondern in einem der noblen Elbvororte. Er lud mich zum Essen in ein teures Restaurant ein. Ich erschien im Strickpulli, er im Sakko. Die souveräne Art, mit der er das Essen bestellte und später zahlte, zeigte mir, dass er zu den Leuten gehörte, für die Geld ganz selbstverständlich ist. Er war kein neureicher Protz, der seinen Kontostand laut hinaus brüllen muss. Er war ein Mann, der gerade wegen seines Understatements auffiel.

Vom ersten Moment an dachte ich: „Das läuft nicht. Uns trennen Welten. Der hält mich für einen komplett bescheuerten Bauerntrampel. Und ich finde ihn zu elitär.“ Derweilen plauderte er munter über Kunst, Kultur, das Leben und die Liebe. Ich hielt tapfer mit, die ganze Zeit bemüht, klug und belesen daher zu kommen. Dabei wurde ich immer verkrampfter. Erst, als er von seiner gescheiterten Ehe erzählte (seine Frau hatte ihn sitzen gelassen und war mit den Kindern – Skandal und Trauma für jeden Mann! - zu einer anderen Frau gezogen), wurde ich hellhörig. „Ich möchte gerne noch mal ganz von vorne anfangen“, sagte er nachdrücklich. „Mit allem. Auch Kinder hätte ich gern noch mal.“ Kritisch runzelte ich die Stirn und stellte fest: „Aber deine Frau ist erst seit einem Jahr weg. Ist das nicht ein bisschen früh, sich da schon wieder so fest zu binden?“ Entschieden entgegnete er, dass er ganz gut selbst wisse, was für ihn richtig sei und was nicht.

Ich war mir sicher, dass er sich nach dem Essen höflich verabschieden würde, und staunte umso mehr, als er fragte, ob ich noch Lust auf einen Spaziergang hätte. Während wir dicht beieinander an der Elbe entlang flanierten, erkannte ich verwundert, dass der Mann sich ehrlich für mich interessierte. Zum Abschied machte er eine liebevolle Andeutung, mich in die Arme zu nehmen. Ich reagierte unsicher und verlegen darauf. Verwirrt fuhr ich heim.

Wir trafen uns erneut. Und dann noch einmal. Natürlich stand irgendwann die Frage im Raum, wie es denn nun eigentlich mit uns weitergehen solle. Ich hatte meine Entscheidung längst gefällt. Der Mann war wahnsinnig nett, klug und belesen, zärtlich und sensibel – und er berührte mein Herz auf eine eigenartige Weise. Aber er kam aus einer anderen Welt als ich. Ich bekam Beklemmungen bei der Vorstellung, in einem dieser superschönen, supersteifen Luxusviertel zu leben, im Urlaub mit der eigenen Segelyacht durchs Mittelmeer zu schippern, meine Freizeit im Ballett und der Oper statt in schummrigen Kiezkneipen zu verbringen, und vor allem: mich mit einer Exfrau messen zu müssen, die mir präsenter zu sein schien, als dem Mann bewusst war.

Ich gab ihm einen Korb. Er war zutiefst schockiert. „Was machen wir denn jetzt?“ fragte er verstört. „Ich finde dich nämlich total klasse.“ Dabei standen ihm Tränen in den Augen. Jetzt war es an mir, schockiert zu sein. Ich hatte nicht bemerkt, wie sehr er sich bereits verliebt hatte. Und ich hatte auch nicht erwartet, dass ein gestandener Mann, ein so erfolgreicher Unternehmer, in aller Öffentlichkeit (wir saßen gerade wieder in irgendeinem teuren Restaurant) derart emotional reagieren würde. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. In hilfloser Traurigkeit trennten wir uns, und ich verbannte ihn auch gedanklich schnellstmöglich aus meinem Leben.

Die nächsten Jahre meines Lebens waren angefüllt mit Affären, von denen eine wilder war als die nächste. Ich jagte ständig dem großen Glück hinterher, bis ich es am Ende an den unehrlichsten, unaufrichtigsten Mann verlor, den ich finden konnte. Optimal vermasselt, würde ich sagen.

Jahrelang dachte ich nicht mehr an die Begegnung mit jenem Unternehmer von damals. Aber in letzter Zeit kommt er mir seltsamerweise immer wieder in den Sinn. Ich weiß natürlich nicht, was geschehen wäre, wenn ich mich tatsächlich auf ihn eingelassen hätte. Vielleicht hätten wir nach wenigen Wochen gemerkt, dass die Kluft zwischen uns tatsächlich unüberbrückbar war. Vielleicht aber hätten wir auch ganz anderes entdeckt, wer weiß.

Ich glaube, ich denke zurzeit so oft an ihn, weil mir die Erinnerung an diese Begegnung zeigt, wann in meinem Leben ich total falsch abgebogen bin. Das hat gar nicht so sehr etwas mit diesem einen Mann zu tun. Vielmehr geht es darum, dass ich eigentlich nur Angst vor der Ernsthaftigkeit seiner Werbung hatte, davor, große Gefühle zu zeigen, die mit großen Konsequenzen verbunden waren. Es war für mich leichter, mich auf einen Taugenichts einzulassen, der nur Luftschlösser zu bieten hatte, als auf einen realen Mann mit echter Villa. Was mich allerdings am meisten daran schockiert: Ich fürchte, ich würde heute auch wieder davon laufen.

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