Nackt
Ich rieche so wahnsinnig gut, sagt er, das sei ihm schon bei unserem allerersten Treffen aufgefallen. Es sieht so aus, als wolle er noch etwas sagen, aber er wendet den Kopf ab und schweigt. Er ist an mir interessiert. Das kapiere sogar ich, die in solchen Dingen in den vergangenen Jahren komplett blind geworden ist.
„Stimmt, ich habe dich noch nie nackt gesehen“, sagt er kurz darauf, als ich feststelle, dass wir uns seltsamerweise immer nur an lausig kalten Wintertagen treffen. Ich lache nervös und mir schießen tausend Erwiderungen durch den Kopf, aber am Ende sage ich irgendwas Belangloses, Unverfängliches.
Später, zuhause, lasse ich mir das mit der Nacktheit durch den Kopf gehen. Ich stelle mir vor, wie das wäre, wenn er mich wirklich nackt sehen würde. Unbehagen beschleicht mich, das ich nicht richtig einordnen kann.
Dann erinnere ich mich an all unsere Gespräche. Sie waren immer intensiv, immer sehr offen, egal ob es um Berufliches oder Privates ging. Manchmal war ich hinterher total erschöpft und hatte das Gefühl, dass er mich komplett ausgezogen, bis auf die tiefsten Gründe meiner Seele entblättert hatte. Ich weiß nicht, wie er das macht, und es ärgert mich, weil ich mir dabei so klein und hilflos vorkomme. Es liegt nicht an den Dingen, die ich ihm erzähle. Manche Menschen erfahren viel, viel mehr von mir – aber das geschieht in einem deutlich entspannteren Rahmen, ja, ich dränge mich ihnen gelegentlich fast auf mit meinen abgründigen Geschichten. Bei ihm ist das anders. Ich sitze wie ein Schulmädchen vor ihm, das vom Lehrer nach seinen Hausaufgaben gefragt wird.
Wieder beschleicht mich Unbehagen, diesmal aus anderen Gründen.
Ich schreibe ihm, dass ich mich sehr wohl schon vor ihm ausgezogen habe, im übertragenen Sinne, und dass ich mich frage, welche Nacktheit eigentlich schwerer wiegt, die körperliche oder seelische. Vermutlich die, bei der man sich verletzlicher fühlt, antwortet er.
Das seelische Entblättern ist für mich ihm gegenüber eine Qual, gemessen daran scheint das körperliche kinderleicht zu sein. Ich habe mich oft genug in meinem Leben vor einem Mann ausgezogen, das ist keine große Sache, warum sollte das bei ihm anders sein?
Dann betrachte ich mich eingehend im Spiegel. Und ich fange an zu rechnen. Geradezu schockiert erkenne ich, wie lange es her ist, seit ich mich das letzte Mal vor einem fremden Mann ausgezogen habe. Und auch mein letzter Sex scheint in der Steinzeit stattgefunden zu haben. Trug man damals nicht noch Dauerwelle und war Elvis in den Top Ten? Das an sich wäre vielleicht noch gar nicht so schlimm. Gewisse Dinge verlernt man schon nicht, das ist wie beim Fahrradfahren, hoffe ich wenigstens.
Aber etwas Grundlegendes hat sich seit damals verändert. Ich bin ein beachtliches Stück gealtert, körperlich jedenfalls. Ich habe an den unpassendsten Stellen zugenommen, und zwar nicht zu knapp. Ich habe eine Menge Falten, noch mehr Cellulite und erste Ansätze zum Doppelkinn bekommen. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag, dass es kein großer Unterschied ist, ob man mit 25 eine Affäre beginnt oder mit 35. Wenn man aber schon jenseits der 40 ist, dann verändern sich gewisse Dinge dramatisch, jedenfalls bei Frauen. Zwischen Mitte dreißig und Mitte vierzig passiert etwas. Mir ist schon oft aufgefallen, dass ich auf der Straße von Männern nicht mehr so angeschaut werde wie früher. In der Single-Börse hatte ich kaum Kontaktanfragen. Und ich selbst habe angefangen, meinen Körper zu ignorieren, weil das, was ich fühle und im Spiegel sehe, nichts mehr mit der Frau zu tun zu haben scheint, die ich jahrzehntelang war.
Auf einmal wird mir klar, dass ich fast mehr Angst habe als damals vor Jahrzehnten, vor meinem allerersten Mal. Die Vorstellung, diesen Altweiberkörper einem Mann zu präsentieren, ist gruselig für mich. Verwundert und erschrocken erkenne ich, dass meine Unbekümmertheit, mein Selbstbewusstsein in den letzten Jahren, zusammen mit dem durchtrainierten, straffen Körper einer jungen Frau, völlig verschwunden sind. Verängstigt verkrieche ich mich wieder und beschließe, dass mir weder körperlicher noch seelischer Striptease im Moment gut tut. Beides lässt mich verletzlich werden, und Verletzungen wurden mir genug zugefügt, da reicht mein Vorrat noch für Jahre.
„Stimmt, ich habe dich noch nie nackt gesehen“, sagt er kurz darauf, als ich feststelle, dass wir uns seltsamerweise immer nur an lausig kalten Wintertagen treffen. Ich lache nervös und mir schießen tausend Erwiderungen durch den Kopf, aber am Ende sage ich irgendwas Belangloses, Unverfängliches.
Später, zuhause, lasse ich mir das mit der Nacktheit durch den Kopf gehen. Ich stelle mir vor, wie das wäre, wenn er mich wirklich nackt sehen würde. Unbehagen beschleicht mich, das ich nicht richtig einordnen kann.
Dann erinnere ich mich an all unsere Gespräche. Sie waren immer intensiv, immer sehr offen, egal ob es um Berufliches oder Privates ging. Manchmal war ich hinterher total erschöpft und hatte das Gefühl, dass er mich komplett ausgezogen, bis auf die tiefsten Gründe meiner Seele entblättert hatte. Ich weiß nicht, wie er das macht, und es ärgert mich, weil ich mir dabei so klein und hilflos vorkomme. Es liegt nicht an den Dingen, die ich ihm erzähle. Manche Menschen erfahren viel, viel mehr von mir – aber das geschieht in einem deutlich entspannteren Rahmen, ja, ich dränge mich ihnen gelegentlich fast auf mit meinen abgründigen Geschichten. Bei ihm ist das anders. Ich sitze wie ein Schulmädchen vor ihm, das vom Lehrer nach seinen Hausaufgaben gefragt wird.
Wieder beschleicht mich Unbehagen, diesmal aus anderen Gründen.
Ich schreibe ihm, dass ich mich sehr wohl schon vor ihm ausgezogen habe, im übertragenen Sinne, und dass ich mich frage, welche Nacktheit eigentlich schwerer wiegt, die körperliche oder seelische. Vermutlich die, bei der man sich verletzlicher fühlt, antwortet er.
Das seelische Entblättern ist für mich ihm gegenüber eine Qual, gemessen daran scheint das körperliche kinderleicht zu sein. Ich habe mich oft genug in meinem Leben vor einem Mann ausgezogen, das ist keine große Sache, warum sollte das bei ihm anders sein?
Dann betrachte ich mich eingehend im Spiegel. Und ich fange an zu rechnen. Geradezu schockiert erkenne ich, wie lange es her ist, seit ich mich das letzte Mal vor einem fremden Mann ausgezogen habe. Und auch mein letzter Sex scheint in der Steinzeit stattgefunden zu haben. Trug man damals nicht noch Dauerwelle und war Elvis in den Top Ten? Das an sich wäre vielleicht noch gar nicht so schlimm. Gewisse Dinge verlernt man schon nicht, das ist wie beim Fahrradfahren, hoffe ich wenigstens.
Aber etwas Grundlegendes hat sich seit damals verändert. Ich bin ein beachtliches Stück gealtert, körperlich jedenfalls. Ich habe an den unpassendsten Stellen zugenommen, und zwar nicht zu knapp. Ich habe eine Menge Falten, noch mehr Cellulite und erste Ansätze zum Doppelkinn bekommen. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag, dass es kein großer Unterschied ist, ob man mit 25 eine Affäre beginnt oder mit 35. Wenn man aber schon jenseits der 40 ist, dann verändern sich gewisse Dinge dramatisch, jedenfalls bei Frauen. Zwischen Mitte dreißig und Mitte vierzig passiert etwas. Mir ist schon oft aufgefallen, dass ich auf der Straße von Männern nicht mehr so angeschaut werde wie früher. In der Single-Börse hatte ich kaum Kontaktanfragen. Und ich selbst habe angefangen, meinen Körper zu ignorieren, weil das, was ich fühle und im Spiegel sehe, nichts mehr mit der Frau zu tun zu haben scheint, die ich jahrzehntelang war.
Auf einmal wird mir klar, dass ich fast mehr Angst habe als damals vor Jahrzehnten, vor meinem allerersten Mal. Die Vorstellung, diesen Altweiberkörper einem Mann zu präsentieren, ist gruselig für mich. Verwundert und erschrocken erkenne ich, dass meine Unbekümmertheit, mein Selbstbewusstsein in den letzten Jahren, zusammen mit dem durchtrainierten, straffen Körper einer jungen Frau, völlig verschwunden sind. Verängstigt verkrieche ich mich wieder und beschließe, dass mir weder körperlicher noch seelischer Striptease im Moment gut tut. Beides lässt mich verletzlich werden, und Verletzungen wurden mir genug zugefügt, da reicht mein Vorrat noch für Jahre.
Schlafzimmer - feinstrick - 11. Nov, 11:15
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