Magie
Manchmal hat man große Erwartungen an ein Ereignis, und dann ist alles wahnsinnig enttäuschend. Man geht zum Beispiel auf eine große Party, auf die man sich schon lange gefreut hat. Es sind ein paar hundert Leute da, eine Band spielt, das Buffet ist gigantisch, man tanzt, bis die Füße weh tun. Aber hinterher fühlt man sich nur leer und erschöpft. Oder man wird zu einer kleinen Feier bei Freunden eingeladen. Die anderen Gäste kennt man nicht, es werden höfliche Gespräche geführt, man taxiert sich gegenseitig – „Was machst du so?“ –, das Lachen wirkt gekünstelt, und nach einer Stunde gehen einem bereits die Gesprächsthemen aus. Verstohlen schielt man auf die Uhr und fragt sich, wann man gehen kann, ohne dass es allzu unhöflich wirkt. Zuhause angekommen, ist man einfach nur erleichtert, dass man endlich ins Bett gehen kann.
Manchmal ist aber auch alles ganz anders. Man erwartet überhaupt nichts – und dann erhält man ganz, ganz viel, wie ein unverhofftes Geschenk.
Ich will mich am liebsten vor dieser Party drücken, eine Ausrede erfinden, warum ich nicht hingehen kann. Ich fühle mich so überhaupt nicht in Feierlaune. Das Wetter ist mies, mein Leben alles andere als grandios, und das Letzte, worauf ich jetzt Lust habe, sind Smalltalk halten und ein fröhliches Gesicht aufsetzen, während ich mich innerlich weit weg sehne. Dumm nur, dass ich selbst die Gastgeberin bin. So leicht wird mir keine Ausrede einfallen, um ein Dutzend Gäste wieder auszuladen. Aber dann scheinen die das Ausladen selbst in die Hand zu nehmen. Skeptisch beäuge ich die Gästeliste, die immer kleiner wird – eine Absage nach der nächsten -, aber statt froh zu sein, bin ich nun erst recht deprimiert. Nichts glückt mir zurzeit, selbst eine Party kriege ich nicht zustande. Zweifelnd frage ich mich, ob es wirklich so schlau war, mitten in der Woche zu feiern. Aber man muss die Feste eben feiern, wie sie fallen, und nicht so, wie es in den Kalender passt. Und darum steht also ein Gast nach dem nächsten vor meiner Tür, und ich ergebe mich notgedrungen in mein Schicksal.
Doch dann passiert etwas. Da ist Magie in der Luft, da bewegen sich Schwingungen durch den Raum, die uns alle erfassen, jene Freunde, die einander schon lange kennen, ebenso wie die Neuen in der Runde, die zunächst ein wenig scheu um sich blicken. Erschöpfung und schlechte Laune fallen von mir ab, ich vergesse all meine Sorgen und die Leere, die in letzter Zeit gelegentlich nach mir greift. Wir werfen einander die Themenbälle zu, jeder fängt mal einen, spielt mit ihm, gibt ihn dann weiter. Ein Thema jagt das nächste, selten wird ein Gedanke zuende gedacht, eine Unterhaltung bis zum Schluss fortgesetzt. Es kommt nicht darauf an, die Probleme dieser Welt auf dieser Party zu lösen und auch nicht darauf, sich vor den anderen mit den eigenen Erfolgen zu brüsten. Wichtig ist, dass sich alle im Raum verstehen, dass alle in die Runde aufgenommen werden, wir gemeinsam lachen, ausgelassen, albern, kindisch. Der Abend wird länger, die Gäste sitzen und sitzen. Niemand beherrscht die Gruppe, niemand wirkt gelangweilt oder müde. Raum und Zeit verlieren ihre Gültigkeit.
Bis der Erste erschrocken aufspringt, weil er beinah seinen letzten Zug verpasst. Einige andere folgen nach und nach. Schließlich ist morgen Freitag, wir müssen alle arbeiten. „Tut mir leid, dass ich nicht länger bleiben kann, aber ich muss total früh raus“, sagt eine Freundin entschuldigend. Dabei ist es schon fast Mitternacht. Die letzten Gäste bleiben dennoch. Wir trinken Wein, holen die Vergangenheit in die Gegenwart, offenbaren einander auf eine Weise, wie wir es sonst nie tun würden. Die Magie, die zu Beginn des Abends zaghaft erschien, entfaltet sich nun vollends. Wir entdecken einander ganz neu, spüren, wie die Welt stillsteht, und wir von Minute zu Minute jünger werden. So ist es nur logisch, dass ich am Ende meine alten Bruce Springsteen-CDs auflege, die ich seit Jahren nicht mehr gehört habe. Wir tanzen nach der Musik unserer Jugend, in ehrfürchtiger Erinnerung, voller ausgelassener Fröhlichkeit, aber nicht mehr mit der brennenden Sehnsucht von damals, sondern mit einer geradezu erwachsenen Gelassenheit. Wir tauschen auch keine heimlichen Küsse mehr wie früher, verschämt und mit der Aufgeregtheit jugendlicher Unschuld, sondern berühren einander vertraut, sicher, wissend – und vor allem komplett alkoholumnebelt. Dennoch war ich selten so sehr bei mir, wie in dieser Nacht.
Als ich morgens um fünf endlich in mein Bett falle, bin ich nicht erschöpft und erleichtert, nicht melancholisch und leer, sondern satt und sehr glücklich. Es kommt mir nicht so vor, als sei ich ein Jahr älter geworden, sondern zwanzig Jahre jünger – mit dem Wissen von heute. Das ist ein eigenartiges Gefühl, intensiv, bewegend, kraftvoll, gepaart mit der wundervollen Erfahrung, dass es Menschen gibt, in deren Nähe ich mich nicht verstellen muss, die alle meine Ängste und Sorgen kennen, und es vielleicht gerade darum schaffen, mich immer wieder zum Lachen zu bringen und die Dunkelheit aus meinem Leben zu vertreiben. Was für ein kostbares Geschenk!
Manchmal ist aber auch alles ganz anders. Man erwartet überhaupt nichts – und dann erhält man ganz, ganz viel, wie ein unverhofftes Geschenk.
Ich will mich am liebsten vor dieser Party drücken, eine Ausrede erfinden, warum ich nicht hingehen kann. Ich fühle mich so überhaupt nicht in Feierlaune. Das Wetter ist mies, mein Leben alles andere als grandios, und das Letzte, worauf ich jetzt Lust habe, sind Smalltalk halten und ein fröhliches Gesicht aufsetzen, während ich mich innerlich weit weg sehne. Dumm nur, dass ich selbst die Gastgeberin bin. So leicht wird mir keine Ausrede einfallen, um ein Dutzend Gäste wieder auszuladen. Aber dann scheinen die das Ausladen selbst in die Hand zu nehmen. Skeptisch beäuge ich die Gästeliste, die immer kleiner wird – eine Absage nach der nächsten -, aber statt froh zu sein, bin ich nun erst recht deprimiert. Nichts glückt mir zurzeit, selbst eine Party kriege ich nicht zustande. Zweifelnd frage ich mich, ob es wirklich so schlau war, mitten in der Woche zu feiern. Aber man muss die Feste eben feiern, wie sie fallen, und nicht so, wie es in den Kalender passt. Und darum steht also ein Gast nach dem nächsten vor meiner Tür, und ich ergebe mich notgedrungen in mein Schicksal.
Doch dann passiert etwas. Da ist Magie in der Luft, da bewegen sich Schwingungen durch den Raum, die uns alle erfassen, jene Freunde, die einander schon lange kennen, ebenso wie die Neuen in der Runde, die zunächst ein wenig scheu um sich blicken. Erschöpfung und schlechte Laune fallen von mir ab, ich vergesse all meine Sorgen und die Leere, die in letzter Zeit gelegentlich nach mir greift. Wir werfen einander die Themenbälle zu, jeder fängt mal einen, spielt mit ihm, gibt ihn dann weiter. Ein Thema jagt das nächste, selten wird ein Gedanke zuende gedacht, eine Unterhaltung bis zum Schluss fortgesetzt. Es kommt nicht darauf an, die Probleme dieser Welt auf dieser Party zu lösen und auch nicht darauf, sich vor den anderen mit den eigenen Erfolgen zu brüsten. Wichtig ist, dass sich alle im Raum verstehen, dass alle in die Runde aufgenommen werden, wir gemeinsam lachen, ausgelassen, albern, kindisch. Der Abend wird länger, die Gäste sitzen und sitzen. Niemand beherrscht die Gruppe, niemand wirkt gelangweilt oder müde. Raum und Zeit verlieren ihre Gültigkeit.
Bis der Erste erschrocken aufspringt, weil er beinah seinen letzten Zug verpasst. Einige andere folgen nach und nach. Schließlich ist morgen Freitag, wir müssen alle arbeiten. „Tut mir leid, dass ich nicht länger bleiben kann, aber ich muss total früh raus“, sagt eine Freundin entschuldigend. Dabei ist es schon fast Mitternacht. Die letzten Gäste bleiben dennoch. Wir trinken Wein, holen die Vergangenheit in die Gegenwart, offenbaren einander auf eine Weise, wie wir es sonst nie tun würden. Die Magie, die zu Beginn des Abends zaghaft erschien, entfaltet sich nun vollends. Wir entdecken einander ganz neu, spüren, wie die Welt stillsteht, und wir von Minute zu Minute jünger werden. So ist es nur logisch, dass ich am Ende meine alten Bruce Springsteen-CDs auflege, die ich seit Jahren nicht mehr gehört habe. Wir tanzen nach der Musik unserer Jugend, in ehrfürchtiger Erinnerung, voller ausgelassener Fröhlichkeit, aber nicht mehr mit der brennenden Sehnsucht von damals, sondern mit einer geradezu erwachsenen Gelassenheit. Wir tauschen auch keine heimlichen Küsse mehr wie früher, verschämt und mit der Aufgeregtheit jugendlicher Unschuld, sondern berühren einander vertraut, sicher, wissend – und vor allem komplett alkoholumnebelt. Dennoch war ich selten so sehr bei mir, wie in dieser Nacht.
Als ich morgens um fünf endlich in mein Bett falle, bin ich nicht erschöpft und erleichtert, nicht melancholisch und leer, sondern satt und sehr glücklich. Es kommt mir nicht so vor, als sei ich ein Jahr älter geworden, sondern zwanzig Jahre jünger – mit dem Wissen von heute. Das ist ein eigenartiges Gefühl, intensiv, bewegend, kraftvoll, gepaart mit der wundervollen Erfahrung, dass es Menschen gibt, in deren Nähe ich mich nicht verstellen muss, die alle meine Ängste und Sorgen kennen, und es vielleicht gerade darum schaffen, mich immer wieder zum Lachen zu bringen und die Dunkelheit aus meinem Leben zu vertreiben. Was für ein kostbares Geschenk!
Wohnzimmer - feinstrick - 30. Okt, 18:48
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