Mittwoch, 6. August 2008

In memoriam

Am 3. August wäre mein Vater 78. Jahre alt geworden. Während ich an ihn dachte, erinnerte ich mich an diesen Text, den ich vor genau vier Jahren geschrieben habe. Die wenigen Leser, die damals schon bei mir mitgelesen haben, erinnern sich eventuell ebenfalls daran. Ich finde den Text immer noch stimmig und blogge ihn daher, leicht überarbeitet, heute erneut.


Friedhofsbesuche haben an einem schwülen Augustabend etwas sehr Eigenes. Die Passanten tragen bunte Sommerkleider, auf den Gräbern blüht es in allen Farben, und im milden Licht der Abendsonne wirkt der Friedhof wie ein freundlicher, stiller Park.

An so einem Abend erscheinen Erinnerungen an kalte Januartage seltsam irreal. Es ist kaum vorstellbar, dass man bei Eiseskälte und Nebel hinter einem Sarg herging und an einem offenen Grab stand, einmal, zweimal, noch mal. Jedes Jahr im Januar wieder neu, als sei man dazu verdammt, nun auf ewig zu jedem Jahresbeginn erst einmal Abschied nehmen zu müssen, bevor man mit etwas Neuem beginnen kann. Die Kälte, die durch den ganzen Körper kriecht bis ins Herz, Augen, die blind vor Tränen sind, Einsamkeit, die nie größer war als dort, mitten in der Trauergemeinde – das alles wirkt weit weg, wie aus einem anderen Leben, wenn man sich daran erinnert, während die Augustsonne einem den Schweiß auf die Stirn treibt.

Und man weigert sich, darüber nachzudenken, wie Körper zerfielen und Seelen langsam davon schlichen, jeden Tag ein Stückchen mehr. Man will nicht an Krankenhauszimmer und Pflegeheime denken, nicht an Infusionsnadeln, die sich in ausgemergelte Körper bohren, nicht an schmerzgepeinigte Gesichter und den beißenden Geruch nach Desinfektionsmittel.

Viel lieber wandern die Gedanken zu den schönen Dingen, den heiteren Momenten. Da war zum Beispiel ein Lachen, warm, tief, manchmal prustend vor explodierender Fröhlichkeit. Und ein anderes Lachen, etwas heller, entfesselter, herber. Oder eine Stimme am Telefon. So vertraut. Tausendfach gehört und so fest im Gedächtnis eingebrannt, dass es einem manchmal so vorkommt, als hätte man sie gestern erst zum letzten Mal gehört.

Und je mehr man nachdenkt, desto mehr Worte fallen einem ein. Das hat er gesagt, und nur er. Und das hat sie gesagt, wieder und wieder. Die Worte quellen auf einmal zwischen den üppig blühenden Begonien hervor, sie krabbeln mit den Ameisen auf den Pflastersteinen um die Wette und kriechen an den Buchsbaumblättern empor. Und dann treffen sie auf dieses Lachen, das irgendwo zwischen dem Grabstein und den Rhododendren hängt. Und auf einmal ist da ein Wispern und Flüstern, ein Kichern und Gackern, das weiter wandert von Grabstein zu Grabstein. Es vermischt sich mit dem Zwitschern der Vögel und den Stimmen der Passanten, die mit Gießkannen in der Hand vorbei kommen. Es streicht sanft um einen herum, wischt Tränen fort und begleitet einen nach Hause, tröstend und fürsorglich an Liebe erinnernd, die immer noch da ist. Nur nicht mehr so greifbar wie früher.

Und man denkt, dass die Erinnerung selten lebendiger und fröhlicher war als an einem Augustabend auf dem Friedhof, wenn die Sonne weiche Schatten zeichnet und die Stille Geschichten erzählt.


© Käthe Feinstrick 2004

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