Mittwoch, 9. April 2008

Wunderlich

Bei der Spreepiratin bin ich über den Gedanken gestolpert, dass man wunderlich wird, wenn man zu lange alleine lebt. Seitdem beschäftigt mich die Frage, ob ich eigentlich auch schon eine etwas wunderliche Person geworden bin, hinter deren Rücken die Leute tuscheln. Ich wohne nicht nur seit vielen Jahren alleine, ich lebe auch schon lange nicht mehr in einer festen Partnerschaft. Es gab zwar ständig Männer, die mich über die Einsamkeit hinweg getröstet haben, denen auch mein Herz gehörte, die ich sehr liebte. Doch ich teilte meinen Alltag nicht mit ihnen.

Wenn man alleine lebt, dann ist man sehr unabhängig. Ich kann kommen und gehen, wann und wie ich will, ohne jemandem Rechenschaft dafür abgeben zu müssen. „Du, Schatz, ich habe wirklich so lange gearbeitet, da läuft echt nix mit dem Schmidt aus der Marketingabteilung.“ Solche Ausreden sind mir fremd, nicht nur, weil ich sowieso nicht gut lügen kann, sondern auch, weil es völlig egal ist, ob ich was mit Schmidt, Müller oder Schulze laufen habe. Und wenn ich jede Woche mit einem anderen von ihnen Überstunden mache, dann interessiert das niemanden. Ich könnte auch von heute auf morgen meine Koffer packen, um nach Südamerika auszuwandern, wenn ich denn wollte. Ich kann ins Bett gehen, wann ich will und ausschlafen wie ich will – was ich heute tatsächlich viel besser schaffe als zu Zeiten, in denen ich in Gemeinschaft lebte. Ich kann mein Geld einfach ausgeben, ohne mit jemandem lange Diskussionen führen zu müssen, ob das jetzt gut und richtig ist. Ich kann die Freundschaften pflegen, die mir wichtig sind und muss mich nie fragen, ob mein Partner sich in der Nähe dieser Menschen auch wohl fühlt.

Wenn man alleine lebt, ist man auch sehr hemmungslos. Ich mache die Tür nie zu, wenn ich zur Toilette gehe. Wozu auch? Ich furze und rülpse in meinen eigenen vier Wänden sehr ungeniert vor mich hin. Warum auch nicht? Kriegt doch keiner mit. Ich singe, wenn mir danach zumute ist, und immer häufiger führe ich Selbstgespräche. Manchmal vertrödele ich den halben Tag, weil niemand mich antreibt und sagt: „Jetzt lass uns doch endlich mal rausgehen, das Wetter ist so schön.“ Ich esse meistens mit dem Laptop neben mir oder dem Fernseher vor mir. Wenn ich Lust zum Kochen habe, gibt es üppige Menüs, wenn nicht, dann esse ich tagelang Spaghetti mit Tomatensoße. Es beschwert sich nie jemand darüber.

Wenn man alleine lebt, dann fehlt allerdings auch oft jemand, der einen stützt und stärkt, der mit anpackt, der Dinge in die Hand nimmt, die man selber nicht bewältigt kriegt, weil sie einem unangenehm sind, man sie nicht gut kann oder einfach die körperliche Kraft fehlt. So habe ich das Projekt, meine Wohnung zu renovieren, ungefähr drei Jahre vor mir hergeschoben, bis ich es endlich in Angriff nehmen konnte. Mit einem Mann oder auch nur einer Mitbewohnerin an meiner Seite wäre mir das garantiert nicht passiert, da hätte ich viel eher gesagt: „Komm, lass uns mal in den Baumarkt fahren und schöne Farbe kaufen gehen.“ Ich habe mein Auto total verrotten lassen, weil die ganze Wartung und die ständigen Auseinandersetzungen mit der Werkstatt mich überfordert haben. Ich brauche ewig, um Entscheidungen zu treffen, weil niemand da ist, der eigene Gedanken und Ideen einbringt und einfach mal sagt: „Los, so machen wir es jetzt!“ Ich verkneife mir manche Urlaubsreise (und auch die Auswanderung nach Südamerika), weil ich sie mir alleine nicht zutraue. Und ich gehe weniger aus als früher, weil ich nicht immer jemanden finde, der Zeit und Lust hat, mich zu begleiten, ich aber ungern z.B. alleine in Konzerte gehe.

Sind das alles Zeichen dafür, dass ich wunderlich bin? Ich weiß es nicht. Sind nicht auch Menschen oft seltsam, die in einer langen Partnerschaft leben? Die sich einander so sehr angeglichen haben, dass man sie schon äußerlich kaum noch voneinander unterscheiden kann? Die in ihrer Familie so eine Art Geheimsprache entwickelt haben, die außer den Eltern und Kindern niemand versteht? Die sich in ihrer kleinen Gemeinschaft oft so sehr genug sind, dass sie es nicht mehr schaffen, den Blick nach außen zu wenden?

Allerdings frage ich mich schon manchmal, ob ich überhaupt noch in der Lage wäre, mit einem Mann zusammen zu leben und meinen Alltag zu teilen. Halte ich so viel Nähe noch aus? Kann ich es ertragen, wenn jemand anders die Unordnung in meiner Wohnung verursacht und nicht ich? Schaffe ich es, all die Kompromisse einzugehen, ohne die man in einer Partnerschaft nicht leben kann? Ich hoffe es. Und ich glaube es auch. Denn ich weiß, dass ich sehr anpassungsfähig bin und viele meiner Single-Gewohnheiten schnell aufgeben würde. Es ist ja auch viel netter, zu zweit zu essen und sich dabei zu erzählen, was man tagsüber so erlebt hat, statt stumpf auf die Glotze zu starren. Und es ist auch schön, gemeinsam einen Urlaub zu planen, auch, weil man dann vielleicht an einem Ort landet, an den man alleine nie gefahren wäre. Ich würde jedoch auch in einer Partnerschaft immer Wert darauf legen, meine Tür einfach mal zumachen zu können. Ich möchte Zeit zum Träumen und Nachdenken haben. Ich möchte Telefongespräche mit guten Freunden führen, die mein Partner nicht unbedingt hören muss. Ich möchte einfach mal ganz für mich sein. Denn einen Teil der Unabhängigkeit, die man erlangt, wenn man alleine lebt, kann und will ich nicht ablegen. Da nehme ich es dann auch gerne in Kauf, dass man mich vielleicht für etwas wunderlich hält.

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