Sonntag, 3. Februar 2008

Götter im freien Fall

Eigentlich wollte ich zum Auftakt in diesem Blog eine hübsche Serie über Arbeitslosigkeit in Deutschland schreiben, über einen unsäglichen Amtsapparat, über demütigende Behandlungen und Ausgrenzungen. Aber aus gegebenem Anlass ist jetzt erst mal ein anderes Thema dran, nämlich die medizinische Versorgung in diesem unserem Land, das mal zu den fortschrittlichsten Ländern der Welt gehörte.

Dass das immer noch so ist, wage ich jedoch mittlerweile stark zu bezweifeln. Ich bin sehr froh, dass ich noch nie in meinem Leben an einer ernsthaften Erkrankung litt, denn ich habe schon lange den Verdacht, dass man dann auf sehr verlorenem Posten steht, nicht etwa, weil die Krankheit so bedrohlich ist, sondern weil es so wenig professionelle und sinnvolle Hilfe gibt. In meinem Freundes- und Verwandtenkreis häuften sich in den letzten Jahren die Beispiele von unerkannten Krankheiten. In einem Fall führte das fast zum Tod, in anderen Fällen hat es „nur“ einen langen Leidensweg zur Folge. Die Betroffenen rennen von Arzt zu Arzt, suchen schließlich nach alternativen Heilbehandlungen, geben aber selbst dabei oft nur viel Geld aus, ohne dass ihnen geholfen wird. Dabei geht es nicht darum, dass sie eine unheilbare Krankheit verschwinden lassen wollen. Es geht vielmehr darum, dass überhaupt erst mal erkannt wird, worunter sie eigentlich leiden. Arztpraxen sind heute super-modern ausgestattet, viele Ärzte verfügen über unfassbar teure Geräte, mit denen sie einen Patienten bis in die kleinste Körperzelle durchleuchten können. Das Dumme ist nur: Die wenigsten Ärzte sind in der Lage, anhand der Messergebnisse eine richtige Diagnose zu stellen. Sie glotzen blind in ihre teuren medizinischen Geräte, statt dem Patienten in die Augen zu schauen. Sie versuchen lieber Daten zu deuten, die ihre Geräte ausspucken, statt die Krankheit im Körper des Patienten zu entdecken. Sobald jemand mehr als einen harmlosen Schnupfen hat, sind die meisten Ärzte überfordert – und zwar querbeet durch alle Fachrichtungen.

Ich leide seit nunmehr zweieinhalb Wochen an einem wirklich üblen Husten. Zunächst dachte ich, ich hätte den ersten Pollenanfall des Jahres, denn dank des milden Wetters blühen die Erlen und Haselnüsse schon wie verrückt. Doch das Allergiemittel schlug überhaupt nicht an und der Husten wurde von Tag zu Tag schlimmer. Also ging ich zum Arzt. Da ich mich mit meiner langjährigen Hausärztin überworfen habe (auch eine sehr hübsche Geschichte, die ich vielleicht ein andermal erzähle), suchte ich mir einen anderen Arzt in meiner Nachbarschaft. Doch dabei erlebte ich nur Katastrophen. Die erste Ärztin zeichnete sich durch eine unfassbare Inkompetenz und Gleichgültigkeit aus. Obwohl ich zum ersten Mal in ihrer Praxis war, sprach sie kaum mit mir, schaute lieber in ihr Notebook statt in mein Gesicht und stellte am Ende im Blindflug eine Diagnose. Das Ergebnis war die Verschreibung eines kortisonhaltigen Sprays gegen Asthma und Bronchitis. Außerdem schwatzte sie mir einen allgemeinen Vorsorge-Check auf und ließ sowohl eine Blut- als auch eine Urinprobe von mir nehmen.

Ich war wie gesagt zum Glück noch nicht so oft in meinem Leben schwer krank und hatte daher z.B. keine Ahnung, wie eine korrekte Urinprobe aussieht. Ich pinkelte einfach irgendwie in den Becher, fertig. Als ich die Ärztin anrief und nach dem Ergebnis fragte, machte sie ein paar Mitteilungen zu Unregelmäßigkeiten bei meinen Blutwerten, ohne mir zu erläutern, was das genau bedeutete. Ich musste mehrmals nachfragen und ihr jedes Wort aus der Nase ziehen. Ähnlich wie bei meinem Besuch in der Praxis wirkte sie auch am Telefon überfordert, hilflos und innerlich wie äußerlich abwesend. Dann sagte sie:
„Ja, und Ihr Urin sieht gar nicht gut aus. Darin haben wir Blut und Bakterien gefunden. Sie scheinen ja eine heftige Blasenentzündung zu haben.“
„Hä?“ Ich staunte nicht schlecht, hatte ich doch seit Jahren keine Blasenentzündung mehr gehabt und auch überhaupt keine Beschwerden. Als ich das der Ärztin mitteilte, schwieg sie verwirrt. Sie sagte nicht:
„Dann sollten Sie unbedingt zum Urologen gehen.“
Sie sagte auch nicht:
„Vielleicht müssen wir die Probe noch mal machen. Haben Sie denn auch nur den Mittelstrahl verwendet? Denn am Anfang ist der Urin immer etwas verunreinigt. Und haben Sie vielleicht kurz danach Ihre Regelblutung bekommen? Dann könnte das Blut vielleicht daher stammen.“
Das alles erklärte mir erst später meine medizinisch sehr bewanderte Schwester. Ich kam anschließend zu dem Ergebnis, dass die Urinprobe wirklich nur fürs Klo war und kein Grund bestand, nervös zu sein.
Zu meinem Husten, der trotz Kortisonspray eher schlimmer statt besser geworden war, fiel der Ärztin natürlich auch nichts mehr ein. Sie bat mich noch einmal in ihre Praxis, um mir ein hustenstillendes Mittel zu verschreiben, aber ich dachte nur mit großem Unwillen daran, dieser desinteressierten, inkompetenten Person noch einmal gegenüber zu sitzen.

So ging ich zur nächsten Ärztin. Ich war vor vielen Jahren schon mal bei ihr in Behandlung gewesen, erinnerte mich dunkel an eine sehr chaotische Praxis, aber an eine recht kompetente Beratung. Das Chaos fand ich auch diesmal wieder vor. Dreimal wurde die Ärztin von ihren Arzthelferinnen im Gespräch mit mir unterbrochen, ging sogar zwischenzeitlich aus dem Raum. Immerhin sprach sie jedoch über zwanzig Minuten mit mir, wälzte Bücher und befragte mich eingehend über all meine Allergien. Ich hatte mittlerweile zuhause selbst recherchiert und brachte meinen Verdacht ein, Keuchhusten zu haben.
„Sie können ja Gedanken lesen, das wäre nämlich jetzt meine nächste Idee gewesen“, sagte die Ärztin. Mir kamen später erhebliche Zweifel, ob sie tatsächlich auch von selbst auf den Keuchhusten gekommen wäre.
„Um das festzustellen, muss Ihr Blut auf Antikörper untersucht werden“, erklärte sie. „Aber das kriegen wir heute nicht mehr hin, die Blutprobe würde nur das Wochenende über rum stehen, das wäre nicht gut. Kommen Sie doch bitte am Montag wieder.“
Ich schluckte meine Verwunderung darüber runter, dass man mir am FreitagMITTAG kein Blut mehr abnehmen wolle, aber seltsam kam mir das schon vor.
Als ich zurück zum Anmeldetresen kam, standen die beiden Arzthelferinnen bereits in ihren Mänteln da, bereit, ins Wochenende zu entfliehen. Ich war müde, denn das wochenlange Husten hatte mich total ausgezehrt. Außerdem hatte ich Hunger und fühlte mich schwindelig.
„Ich brauche für Montag einen Termin zum Blutabnehmen“, sagte ich zu den beiden Frauen. Eine von ihnen klappte ihr Terminbuch auf und sagte:
„Am 18. oder am 19.“
Ich schielte ihr über die Schulter.
„Wie – 18. oder 19.? Ich komme doch nicht erst in ZWEI WOCHEN wieder, ich brauche sofort ein Ergebnis.“
„Vorher ist alles voll. Ich kann Ihnen keinen früheren Termin anbieten.“
„Das geht nicht. Ich habe eventuell Keuchhusten, das muss schnell abgeklärt werden.“
Die Arzthelferin sah mich schweigend an und wartete offenbar darauf, dass ich klein beigab. Als das nicht geschah, mischte sich die Kollegin ein und sagte in einem Ton, der keine Widerrede duldete:
„18. oder 19. Was anderes geht nicht.“
Ich wählte ergeben einen Termin und floh entnervt und erschöpft nach Hause, wo ich mich jetzt noch über den unverschämten Tonfall dieser Frau ärgere.

Keuchhusten ist eine sehr ansteckende Krankheit, die durch Tröpfchen z.B. beim Husten übertragen wird. Erwachsene stecken sie ganz gut weg, aber für Kinder ist sie sehr gefährlich und kann vor allem bei Säuglingen zum Tod führen. Eine Impfung kann hilfreich sein, ist aber in Deutschland keine Pflicht. Nun frage ich mich, wie es sein kann, dass ich mit dem Verdacht auf eine derartige Krankheit nach Hause geschickt werde, ohne dass mir erstens irgendwelche Verhaltensregeln mitgegeben werden und man sich zweitens nicht mal bemüht, ganz schnell abzuklären, was an dem Verdacht dran ist, damit ich weiß, ob ich mich in den nächsten Wochen in Quarantäne begeben muss oder z.B. ohne Bedenken Freunde treffen und meine Familie besuchen kann. Es hat mich auch erstaunt, dass die Ärztin sich offensichtlich nicht die Hände gewaschen hat, nachdem sie nach mir noch einen Patienten begrüßte und in ihr Sprechzimmer bat. Spielt Hygiene in diesem Land eigentlich überhaupt keine Rolle mehr? Kein Wunder, dass sich plötzlich wieder Krankheiten breit machen, die schon mal mehr oder weniger verschwunden waren.

Ich huste weiter. Trotz Hustenstiller. Jetzt überlege ich, ob ich morgen erneut in die Praxis gehen und mein Recht auf eine Blutabnahme einfordern oder lieber gleich zum nächsten Arzt gehen soll. Und ich frage mich, woran es eigentlich liegt, dass sich das deutsche Gesundheitswesen mittlerweile durch eine derartige Inkompetenz und Gleichgültigkeit gegenüber dem Patienten auszeichnet. Das hat doch nicht nur mit Geld zu tun, es geht auch um eine innere Haltung, mit der man seinen Beruf ausübt. Wem Menschen gleichgültig sind, der sollte vielleicht doch lieber in einem Büro Akten sortieren, statt sich derart anspruchsvollen und komplexen Aufgaben zu widmen. Da kann er wenigstens niemandem schaden. Es sei denn, in den Akten geht es auch um Menschen. Aber das ist dann schon wieder ein anderes Thema.

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