Samstag, 7. April 2012

Tränenmilde

Ich lande im falschen Club bei der falschen Musik und den falschen Leuten. Es war vorhersehbar, und das ärgert mich wohl am meisten. Statt mich bei fröhlichem Tanz auszutoben, stehe ich missmutig in der Ecke. Eine unerträgliche Frohnatur quatscht mich an und stellt fest, dass ich sehr genervt aussehe. „Bin ich auch“, erwidere ich grimmig und denke: Noch ein Wort, Mädel, und du kriegst eins auf die Zwölf. „Was können wir denn da tun?“, fragt sie mit dieser grässlich fröhlichen Stimme, und ich balle innerlich die Fäuste. Nichts kann man tun gegen meine schlechte Laune, niemand kann mich da rausholen, schon gar nicht diese aufdringliche Fremde. Bald darauf verlasse ich den Club und stapfe zu Fuß durch die Nacht heimwärts. Ich brauche Auslauf, muss irgendwie aus dieser Stimmung rauskommen. Aber es funktioniert nicht. Die Tränen laufen mir schon übers Gesicht, bevor ich meine Wohnung erreicht habe. Trauer und Wut gehen momentan Hand in Hand bei mir, eine ausgesprochen fatale Mischung. Ein kleiner, alberner Auslöser haut mich völlig von den Füßen, und hilflos schaue ich zu, wie ein fremdes Wesen in mir wie ferngesteuert agiert.

„Habe ich dich geweckt?“, fragt er. Ich könnte das bejahen, könnte einfach sagen: „Ja, du, ich bin noch total verpennt, ruf doch in einer halben Stunde noch mal an, dann war ich unter der Dusche und klinge garantiert klar und lebendig.“ Aber er hat mich überrumpelt. „Nein, ich sitze schon beim Frühstück“, antworte ich wahrheitsgemäß und ringe mit dem Brötchenbissen in meinem Mund. „Du klingst ja schrecklich“, sagt er und fragt, was los sei. Wieder könnte ich ausweichen, eine Ausrede erfinden, wie all die Wochen zuvor. Aber ich bin so weich, so verletzlich nach einer fast schlaflosen Nacht und vielen Tränen. Ich suche nach Worten. Wo anfangen? Wie anfangen? Ich beginne mit der falschen Party, dem vermurksten Abend, damit, dass ich wie eine Fünfzehnjährige geflennt habe, weil ich nicht so viel Spaß hatte wie erhofft. „Verstehe“, sagt er, ohne irgendwas zu kapieren. Wie auch? Ich hole weiter aus, taste mich mühsam vorwärts, immer auf der Hut, nicht mehr preiszugeben, als ich und er aushalten können. Aber er hält alles aus. Er hört zu. Zeigt Verständnis, sehr viel Verständnis. Und macht mir ein großes Geschenk, indem er sich selbst öffnet, mir von seinen eigenen Schwiergkeiten erzählt. Ich staune. Und verstehe. Wir sitzen eigentlich im selben Boot, nur jeweils am anderen Ende. Um mich darüber zu freuen, bin ich zu erschöpft. Aber ich glaube, dass ich gerade sehr, sehr grundlegende Dinge über mich und mein Leben verstehen lerne, über eine Vergangenheit, die ich nie bewältigen konnte, über Ängste, die nie verschwanden, misslungene Beziehungen, deren Scheitern ich nie begriff.

Fast bin ich dankbar für den Abend in diesem Club, denn ohne ihn hätte dieses Gespräch niemals so stattgefunden. Es hätte viel aggressivere Untertöne gehabt, wäre mit viel mehr Abwehr verbunden gewesen. Hätte er mit seinem unnachahmlichen siebten Sinn nicht gespürt, dass es mir schlecht geht und nicht genau in diesem Moment angerufen, und wäre ich nicht so tränenmilde und weich gewesen – wir hätten wohl nie erkannt, warum es zwischen uns zu dieser Schieflage gekommen ist.

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chaot (Gast) - 7. Apr, 13:24

Karfreitag im Club?

feinstrick - 7. Apr, 14:07

Nein. Ist schon ein paar Tage her.
Finchen1976 - 7. Apr, 14:13

Kann Deine Gefühlslage gerade SO gut nachvollziehen, stecke selbst oft in genau in diesem Dilemma.
Will manchmal nur nicht verstehen, dass da irgendwas Gutes raus zu ziehen ist. Kann und will nicht, das.

feinstrick - 8. Apr, 00:19

Man kann ja auch nicht aus allen Situationen etwas Gutes ziehen. Allerdings aus deutlich mehr, als wir oft denken.
testsiegerin - 7. Apr, 14:16

tränenmilde und weich klingt schön.

seien sie milde und weich zu sich selbst, frau feinstrick.

feinstrick - 8. Apr, 00:20

Gerade das ist besonders schwierig. Aber ich gebe mir Mühe. :-)
rosmarin - 11. Apr, 10:45

die schieflage klingt gar nicht so schief, vielmehr spannend und warm. alles liebe jedenfalls von hier nach da :-)

feinstrick - 11. Apr, 13:07

Ja, das stimmt. :-) Alles Liebe zurück. :-)

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