Gaffer
Ich ging durch die Fußgängerzone, in Gedanken versunken, beglückt über ein originelles Geschenk, das ich soeben erstanden hatte. Es war warm, viel wärmer, als ich den ganzen Tag über erwartet hatte, Sommer, Leben, Lachen. Die Menschen drängten sich auf den Wegen, saßen in den Cafés, aßen Eis. Ich schob mein Fahrrad durch das Gedränge und überlegte, was ich noch alles besorgen wollte. Hinten, vor dem Einkaufszentrum ballten sich besonders viele Leute. Vielleicht machte da jemand Musik, dachte ich, doch ich hörte nichts als das Stimmengewirr um mich herum.
Dann sah ich das Feuerwehrauto. Oh, dachte ich nun, fand da vielleicht eine Prügelei statt? Ein Wort gibt das andere, und dann heißt es jeder gegen jeden, jemand wird am Kragen gepackt, eine Faust saust durch die Luft und Schlimmeres. Die Menschen scharen sich um die Streithähne, ergreifen Partei, es kommen immer mehr Neugierige hinzu, mischen sich ein, machen mit, versuchen zu schlichten, bis das totale Chaos herrscht und endlich jemand die Polizei ruft. Man kennt das.
Doch da stand kein Polizeiwagen, sondern ein Feuerwehrauto. Sanitäter knieten am Boden, umringt von dieser riesigen Menschentraube. In mir machte sich ein beklommenes Gefühl breit. Hier ging es gar nicht um einen Streit, es gab nichts zu schlichten, es tobte nicht das Leben, sondern der Tod. Ich kam mit meinem Fahrrad durch die Ansammlung von Schaulustigen kaum hindurch, musste langsam gehen, konnte den Blick auf den Mann nicht vermeiden, der mit nacktem Oberkörper am Boden lag, während der Notarzt seinen Brustkorb in rhythmischen Stößen zusammen presste und versuchte, ihn ins Leben zurück zu holen.
Mit lähmendem Entsetzen betrachtete ich das Szenario. Es war nicht die Tatsache, dass hier ein Mann mit dem Tod rang, die mich so schockierte, es war das Verhalten all dieser Gaffer, die sich nicht genierten, so dicht, wie es das Rettungsteam ihnen erlaubte, heran zu treten, um fasziniert dabei zuzuschauen, wie ein Mensch starb. Die ihm durch diese Sensationsgier die letzte Würde raubten, ihm nicht gestatteten, in einem der intimsten Augenblicke seines Lebens nur mit seinen Helfern alleine sein zu können. In mir stieg ein Zorn auf, der mir die Tränen in die Augen trieb.
„Was steht ihr hier alle so rum und glotzt blöd?“ wollte ich am liebsten schreien. „Geht nach Hause und guckt Fußball. DAS sind Spiele. Aber dies hier, das ist echt.“ Doch außer einem heiseren „Das darf doch nicht wahr sein“, brachte ich nichts heraus.
Ich weiß nicht, ob der Mann noch lebt. Ich verließ den Schauplatz so schnell wie möglich und ging meinen Geschäften nach. Als ich aus dem Einkaufszentrum wieder auf den Platz hinaus trat, hatte sich die Menschenansammlung aufgelöst und der Rettungswagen war verschwunden. An seiner Stelle stand jetzt ein Junge, der Gitarre spielte. Ich überquerte den Platz und stockte beklommen, als mir gewahr wurde, dass ich soeben die Stelle passierte, an der vielleicht vor wenigen Minuten ein Menschenleben erloschen war.
„Live till you die“, sang der Junge mit monotoner, brüchiger Stimme, und ich blinzelte in die helle Sommersonne, während ich heimwärts strebte.
Dann sah ich das Feuerwehrauto. Oh, dachte ich nun, fand da vielleicht eine Prügelei statt? Ein Wort gibt das andere, und dann heißt es jeder gegen jeden, jemand wird am Kragen gepackt, eine Faust saust durch die Luft und Schlimmeres. Die Menschen scharen sich um die Streithähne, ergreifen Partei, es kommen immer mehr Neugierige hinzu, mischen sich ein, machen mit, versuchen zu schlichten, bis das totale Chaos herrscht und endlich jemand die Polizei ruft. Man kennt das.
Doch da stand kein Polizeiwagen, sondern ein Feuerwehrauto. Sanitäter knieten am Boden, umringt von dieser riesigen Menschentraube. In mir machte sich ein beklommenes Gefühl breit. Hier ging es gar nicht um einen Streit, es gab nichts zu schlichten, es tobte nicht das Leben, sondern der Tod. Ich kam mit meinem Fahrrad durch die Ansammlung von Schaulustigen kaum hindurch, musste langsam gehen, konnte den Blick auf den Mann nicht vermeiden, der mit nacktem Oberkörper am Boden lag, während der Notarzt seinen Brustkorb in rhythmischen Stößen zusammen presste und versuchte, ihn ins Leben zurück zu holen.
Mit lähmendem Entsetzen betrachtete ich das Szenario. Es war nicht die Tatsache, dass hier ein Mann mit dem Tod rang, die mich so schockierte, es war das Verhalten all dieser Gaffer, die sich nicht genierten, so dicht, wie es das Rettungsteam ihnen erlaubte, heran zu treten, um fasziniert dabei zuzuschauen, wie ein Mensch starb. Die ihm durch diese Sensationsgier die letzte Würde raubten, ihm nicht gestatteten, in einem der intimsten Augenblicke seines Lebens nur mit seinen Helfern alleine sein zu können. In mir stieg ein Zorn auf, der mir die Tränen in die Augen trieb.
„Was steht ihr hier alle so rum und glotzt blöd?“ wollte ich am liebsten schreien. „Geht nach Hause und guckt Fußball. DAS sind Spiele. Aber dies hier, das ist echt.“ Doch außer einem heiseren „Das darf doch nicht wahr sein“, brachte ich nichts heraus.
Ich weiß nicht, ob der Mann noch lebt. Ich verließ den Schauplatz so schnell wie möglich und ging meinen Geschäften nach. Als ich aus dem Einkaufszentrum wieder auf den Platz hinaus trat, hatte sich die Menschenansammlung aufgelöst und der Rettungswagen war verschwunden. An seiner Stelle stand jetzt ein Junge, der Gitarre spielte. Ich überquerte den Platz und stockte beklommen, als mir gewahr wurde, dass ich soeben die Stelle passierte, an der vielleicht vor wenigen Minuten ein Menschenleben erloschen war.
„Live till you die“, sang der Junge mit monotoner, brüchiger Stimme, und ich blinzelte in die helle Sommersonne, während ich heimwärts strebte.
Unterwegs - feinstrick - 25. Jun, 19:46
4 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
emathion (Gast) - 25. Jun, 23:13
Puh
Bei der Schilderung läuft es einem trotz tropischer Temperaturen eiskalt den Rücken hinunter.
Vielen Dank für den Gedankenanstoss!
Vielen Dank für den Gedankenanstoss!
feinstrick - 26. Jun, 09:01
Mir lief es auch eiskalt den Rücken runter, als ich mitten im Geschehen war.
Michael (Gast) - 30. Jun, 10:56
Über dieses Phänomen haben sich die Psychologen schon die Finger wund geschrieben. Das macht es aber nicht besser. Als Kind wohnte ich an einer Kreuzung wo es dauernd gekracht hat. Da bin ich auch immer zum glotzen am Fenster gestanden. Nach einem eigenen Unfall als Erwachsener hab ich mir das dann abgewöhnt.
feinstrick - 30. Jun, 14:26
Ich kann mich diesem Sog ja manchmal auch nicht entziehen. Aber ich finde, es gibt Grenzen. Doch möglicherweise erkennt man die wirklich erst, wenn man mal selber Erfahrungen gemacht hat, die jenseits dieser Grenzen stattfanden.
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