Trunkenheit
Wir sitzen auf dem Balkon. Es riecht seltsam, irgendwie faulig, das fällt mir hier immer wieder auf, wo kommt das nur her, ist doch alles total kahl und nackt, da kann nichts faulen. Ich vermisse meine üppig wuchernden Pflanzen, den kleinen Dschungel, den ich mir herangezogen habe. Bei mir ist es eindeutig schöner.
Aber bei mir bin ich allein. Hier sitze ich mit Nachbar und Freundin. Er weigert sich auch nach einem Jahr noch, von einer Beziehung zu reden. Sie lächelt nachsichtig, zieht an ihrer Zigarette und macht mir allein durch ihre Blicke klar, dass sie alles im Griff hat – sich, ihr Leben, und ihn auch. Lächerlich, scheint sie zu sagen, diese Männer mit ihren Macken und Beziehungsängsten, ich nehme mir einfach, was ich brauche, ohne dass sie es groß merken.
Ich bin beeindruckt. Wo ist bloß meine eigene Stärke geblieben? Das eine Bier benebelt mich zu meiner Überraschung komplett, ich habe noch nicht viel heute gegessen, daran wird es liegen. Und dass ich mir am liebsten auch eine Zigarette nehmen würde, wundert mich auch nicht weiter. Irgendwie bin ich zurzeit einfach komplett neben der Spur.
Er hat sich inzwischen gemeldet, nachdem ich noch mal nachgehakt habe. Seine Botschaft ist kryptisch und widersprüchlich. Einerseits fand er alles großartig mit mir. Andererseits möchte er momentan seine Ruhe haben. Ich bin verwirrt. Nach zehn Tagen Schweigen hätte er sich nicht mehr melden müssen, das wäre ganz leicht für ihn gewesen. Aber er hat es doch getan, und sogar sehr liebevolle Worte gefunden. Ich hänge trotzdem in der Luft und weiß nicht, woran ich bin. Braucht er diese Ruhe für zwei Wochen oder zwei Monate? Und hat er mich dann vielleicht doch gänzlich vergessen? Was ist schon eine Nacht? Die Erinnerung verfliegt schnell, man geht einfach weiter, und ehe der Sommer rum ist, hat man die kleine Affäre längst abgehakt.
„Geh raus aus dieser passiven Rolle“, raten mir die Nachbarn einstimmig. „Sieh zu, dass du eine verbindliche Antwort kriegst, wie es weiter gehen soll mit euch, oder mach für dich einen Haken dran.“ Ich nicke verschwommen. Wir glotzen über die Balkonbrüstung, beobachten die Passanten und tratschen ein wenig über die Nachbarschaft. Der Himmel ist grau, aber es regnet wenigstens nicht und ist warm genug, um noch draußen zu sitzen. In diesem seltsamen Sommer muss man für die kleinsten Dinge dankbar sein.
Ich erinnere mich an all die Jahre, die ich in stiller Zurückgezogenheit ohne jeglichen Kontakt zu Männern verbracht habe, voller Sehnsucht und mit der wachsenden Furcht, dass sich daran nie wieder etwas ändern würde. Und ich denke, dass dieser Sommer gemessen daran eigentlich ein guter ist. Ich trinke mein Bier aus und wanke quer über den Flur heimwärts, trunken vom Leben.
Aber bei mir bin ich allein. Hier sitze ich mit Nachbar und Freundin. Er weigert sich auch nach einem Jahr noch, von einer Beziehung zu reden. Sie lächelt nachsichtig, zieht an ihrer Zigarette und macht mir allein durch ihre Blicke klar, dass sie alles im Griff hat – sich, ihr Leben, und ihn auch. Lächerlich, scheint sie zu sagen, diese Männer mit ihren Macken und Beziehungsängsten, ich nehme mir einfach, was ich brauche, ohne dass sie es groß merken.
Ich bin beeindruckt. Wo ist bloß meine eigene Stärke geblieben? Das eine Bier benebelt mich zu meiner Überraschung komplett, ich habe noch nicht viel heute gegessen, daran wird es liegen. Und dass ich mir am liebsten auch eine Zigarette nehmen würde, wundert mich auch nicht weiter. Irgendwie bin ich zurzeit einfach komplett neben der Spur.
Er hat sich inzwischen gemeldet, nachdem ich noch mal nachgehakt habe. Seine Botschaft ist kryptisch und widersprüchlich. Einerseits fand er alles großartig mit mir. Andererseits möchte er momentan seine Ruhe haben. Ich bin verwirrt. Nach zehn Tagen Schweigen hätte er sich nicht mehr melden müssen, das wäre ganz leicht für ihn gewesen. Aber er hat es doch getan, und sogar sehr liebevolle Worte gefunden. Ich hänge trotzdem in der Luft und weiß nicht, woran ich bin. Braucht er diese Ruhe für zwei Wochen oder zwei Monate? Und hat er mich dann vielleicht doch gänzlich vergessen? Was ist schon eine Nacht? Die Erinnerung verfliegt schnell, man geht einfach weiter, und ehe der Sommer rum ist, hat man die kleine Affäre längst abgehakt.
„Geh raus aus dieser passiven Rolle“, raten mir die Nachbarn einstimmig. „Sieh zu, dass du eine verbindliche Antwort kriegst, wie es weiter gehen soll mit euch, oder mach für dich einen Haken dran.“ Ich nicke verschwommen. Wir glotzen über die Balkonbrüstung, beobachten die Passanten und tratschen ein wenig über die Nachbarschaft. Der Himmel ist grau, aber es regnet wenigstens nicht und ist warm genug, um noch draußen zu sitzen. In diesem seltsamen Sommer muss man für die kleinsten Dinge dankbar sein.
Ich erinnere mich an all die Jahre, die ich in stiller Zurückgezogenheit ohne jeglichen Kontakt zu Männern verbracht habe, voller Sehnsucht und mit der wachsenden Furcht, dass sich daran nie wieder etwas ändern würde. Und ich denke, dass dieser Sommer gemessen daran eigentlich ein guter ist. Ich trinke mein Bier aus und wanke quer über den Flur heimwärts, trunken vom Leben.
Treppenhaus - feinstrick - 16. Jul, 23:22
21 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
beh (Gast) - 19. Jul, 22:28
Mal ganz naiv und aus ehrlicher Neugier gefragt: Welche Fortsetzungen von "Also, die verbindliche Antwort auf die Frage, wie es weiter gehen soll mit uns, ist ..." haben Sie, werte Fr. Feinstrick, (oder die geneigten Leser) eigentlich schonmal gehört oder gesagt? In so einer Tornado-Situation.
feinstrick - 19. Jul, 23:19
Ehrlich gesagt hatte ich so eine Tornado-Situation noch nie - dass nach einer sehr intensiven Begegnung Zweifel bestehen, ob es weiter geht. Zumal das auch erst das zweite Mal war, dass ich mit einem Mann im Bett gelandet bin, den ich in einer Singlebörse kennen gelernt habe, in der wir beide ausdrücklich eine feste Beziehung suchten. Das heißt, so ein Date ist mit einer ganz anderen Erwartung verbunden als die Begegnung mit jemandem, wo von Anfang klar ist, das wird bestenfalls ein ONS.
Daher ist es z. B. durchaus üblich, hinterher zu fragen: "Wie geht es denn jetzt weiter mit uns?" Schließlich gab es ja nur einen einzigen Grund, aus dem man sich getroffen hat. Da sind klare Worte durchaus hilfreich. Wenn ich überhaupt kein Interesse habe, sage oder schreibe ich das deutlich (bin da auch nicht immer so heldenhaft und ziehe eine Mail vor...): "Tut mir leid, aber ich fürchte, das wird nichts mit uns. Ich habe mich nicht so wohl gefühlt. Ich glaube, wir passen überhaupt nicht zusammen. Ich finde dich total nett, aber mehr leider nicht." Irgendwas in der Art.
Daher ist es z. B. durchaus üblich, hinterher zu fragen: "Wie geht es denn jetzt weiter mit uns?" Schließlich gab es ja nur einen einzigen Grund, aus dem man sich getroffen hat. Da sind klare Worte durchaus hilfreich. Wenn ich überhaupt kein Interesse habe, sage oder schreibe ich das deutlich (bin da auch nicht immer so heldenhaft und ziehe eine Mail vor...): "Tut mir leid, aber ich fürchte, das wird nichts mit uns. Ich habe mich nicht so wohl gefühlt. Ich glaube, wir passen überhaupt nicht zusammen. Ich finde dich total nett, aber mehr leider nicht." Irgendwas in der Art.
kittykoma - 23. Jul, 11:03
in der wir beide ausdrücklich eine feste Beziehung suchten.
In so einer Singlebörse schreibt kein Mann, daß er nur mal schnell eine Nacht eintauchen will, um dann unter Hinterlassung diffusen Gewäsches unterzutauchen. Da bekommt mann nämlich nicht die richtig interessanten/interessierten Frauen, sondern nur die resignierten, die ihn mal eben mitnehmen, wissend, daß er sich morgen schon woanders rumtreibt.
Meine Erfahrung: 40% ONS-Piraten und/oder Fremdgänger, 40% Fliegende Holländer, die von Frau zu Frau segeln, um von ihren Bindungsängsten endlich durch die Richtige erlöst zu werden.
Für eine ernste, tragfähige Geschichte sind nur 20% interessant, die kleinen Goldnuggets, die oft unscheinbar im Dreck liegen. Man erkennt sie daran, daß sie nie lange Single waren, denn das ist nicht ihre Lebensform. Da muß man dann schnell und entschieden sein, denn die sind nicht lange auf dem Markt.
Die Frage ist aber, ob Sie das wirklich wollen.
In so einer Singlebörse schreibt kein Mann, daß er nur mal schnell eine Nacht eintauchen will, um dann unter Hinterlassung diffusen Gewäsches unterzutauchen. Da bekommt mann nämlich nicht die richtig interessanten/interessierten Frauen, sondern nur die resignierten, die ihn mal eben mitnehmen, wissend, daß er sich morgen schon woanders rumtreibt.
Meine Erfahrung: 40% ONS-Piraten und/oder Fremdgänger, 40% Fliegende Holländer, die von Frau zu Frau segeln, um von ihren Bindungsängsten endlich durch die Richtige erlöst zu werden.
Für eine ernste, tragfähige Geschichte sind nur 20% interessant, die kleinen Goldnuggets, die oft unscheinbar im Dreck liegen. Man erkennt sie daran, daß sie nie lange Single waren, denn das ist nicht ihre Lebensform. Da muß man dann schnell und entschieden sein, denn die sind nicht lange auf dem Markt.
Die Frage ist aber, ob Sie das wirklich wollen.
testsiegerin - 20. Jul, 10:09
es liegt am wetter. oder am jahr. oder am schicksal.
hach. wie bekannt kommt mir das alls vor ;-)
aber ehrlich: besser trunken vor leben als leer.
hach. wie bekannt kommt mir das alls vor ;-)
aber ehrlich: besser trunken vor leben als leer.
Finchen1976 - 20. Jul, 10:13
Da gehen die Meinungen auseinander... ;-)
feinstrick - 20. Jul, 18:26
@testsiegerin: Sagen Sie bloß - Sie auch?!? Und klar: lieber voll als leer. ;-)
testsiegerin - 21. Jul, 10:03
na ja... andere situation... und so... aber... irgendwie... *lächelt leise* ... manche dinge ändern sich nie... diese lust an intensiven gefühlen... und an der lust... und vielleicht ist das gut so...
feinstrick - 23. Jul, 12:03
@kittykoma: Meine Erfahrungen sind da anders. Es hängt allerdings sehr von den Singlebörsen ab.
kittykoma - 24. Jul, 23:04
Ich habe vor ein paar Monaten die Marktführer und ein paar Seitenzweige getestet, um mir einen Überblick zu verschaffen.* Meine Schlussfolgerung ist subjektiv, aber aktuell. Das hat sicher mit meinem Alter zu tun, meiner Meinung nach aber auch damit, daß mit den Jahren (mein letzter Eindruck war von 2003) bei dieser Dienstleistung immer mehr Leute in Heavy Rotation in diesen Wunschmaschinen hängenbleiben.
*Was dann folgte, war mehr Glück als Verstand. es brauchte keine kostenpflichtige Ameldung.
*Was dann folgte, war mehr Glück als Verstand. es brauchte keine kostenpflichtige Ameldung.
kid37 - 20. Jul, 18:20
Nach meiner bescheidenen Erfahrung: Bei Leuten, die viel versprechen und mehr erzählen als sie tun - abhaken.
feinstrick - 20. Jul, 18:29
Das Dumme: Er hat nicht mal was erzählt. Nichts versprochen. Jedenfalls nicht mit Worten. Aber es gibt natürlich viele Arten, Erwartungen zu wecken, die sich nicht erfüllen.
Was anderes als abhaken bleibt mir leider auch gar nicht übrig. SEUFZ.
Was anderes als abhaken bleibt mir leider auch gar nicht übrig. SEUFZ.
Frau Klugscheisser - 20. Jul, 23:38
Amour fou?
Mal dieses Prinzip durchleuchtet? Vielleicht spiegelt sich darin einfach die Sehnsucht nach Lebendigkeit allgemein wieder?
(ohne jetzt blöde gute Ratschläge geben zu wollen - ich steck' ja selber bis zum Hals drin)
Mal dieses Prinzip durchleuchtet? Vielleicht spiegelt sich darin einfach die Sehnsucht nach Lebendigkeit allgemein wieder?
(ohne jetzt blöde gute Ratschläge geben zu wollen - ich steck' ja selber bis zum Hals drin)
feinstrick - 20. Jul, 23:49
Ganz bestimmt! Es hat vor allem viel damit zu tun, sich nicht festlegen zu wollen. Ich weiß das ja alles schon. Theoretisch. Und darum habe ich auch immer viel mehr Verständnis für das unmögliche Verhalten solcher Kerle als andere Leute. Weil ich es selbst oft genug nicht anders mache.
rosmarin - 26. Jul, 10:54
ich finde tagelanges Schweigen extrem verbindlich und sehr aussagekräftig.
bluetenstaub (Gast) - 30. Jul, 14:40
Was die Nachbarn sagen.
rosmarin - 3. Aug, 12:11
oh.... DAS blütenstäubchen?
feinstrick - 3. Aug, 12:27
@rosmarin: Ich vermute, es ist eine Dame mit ähnlichem Namen. Aber wer weiß ...? Vielleicht zeigt sie sich uns noch.
Käthe Blütenstaub (Gast) - 4. Aug, 11:11
Nicht dieser Blütenstaub
Ach, meine Lieben, bitte verzeiht mir weiterhin meine Maulfaulheit. Zwar lese ich noch bei euch mit, war aber nur stummer Gast. Dieser Blütenstaub ist nicht von mir. Heimlich bepuste ich euch aber immer wieder mit meinem eigenen, von Herzen besonders fluffigem,duftenden Blütenstaub. Alles Liebe..
rosmarin (Gast) - 4. Aug, 11:29
sooo schade, dass man nie niemals etwas von euch sieht, hört oder liest..... es sei denn wir feiern einen jahreswechsel :-)
feinstrick - 4. Aug, 13:51
Ich fasse es nicht!!! DIE Frau Blütenstaub!!! Und so heimlich, still und leise huscht sie hier durch meine kleine Hütte ... tzzz ...
@rosmarin: Wirklich ein Jammer. Vielleicht sollte mal wieder jemand heiraten, oder wir müssen alle gemeinsam das Jahr wechseln, sonst kriegt man ja niemanden mehr zu Gesicht.
@rosmarin: Wirklich ein Jammer. Vielleicht sollte mal wieder jemand heiraten, oder wir müssen alle gemeinsam das Jahr wechseln, sonst kriegt man ja niemanden mehr zu Gesicht.
Käthe Blütenstaub (Gast) - 4. Aug, 16:42
Herzwärts
Ach, ihr Feinliebchen. Doch trotz Schweigsamkeit war ich euch doch herzwärts die ganze Zeit so nah. Und daß wir uns wiedersehen, -lesen, umarmen und knutschen steht für mich sowieso fest. Früher oder später. Felsenfest.
Trackback URL:
https://feinstrick.twoday-test.net/stories/34628707/modTrackback