Im Namen des Volkes
Als ich das erste Mal einer Gerichtsverhandlung beiwohnte, war ich sechzehn. Ich hatte in der Schule eine Rechtskunde-AG gewählt. Warum ich mich dafür entschied, weiß nicht mehr. Vielleicht klangen die Alternativen noch öder. Oder meine Eltern hatten mir eingeredet, dort könne ich was fürs Leben lernen. Wie auch immer – es folgten endlose Stunden mit Paragraphen, Begriffsdefinitionen, etc. Zum Abschluss stand der Besuch eines Gerichts an, der dann jedoch alles andere als öde war. An die Fälle erinnere ich mich nicht mehr, ich begriff auch nicht alles, was da verhandelt wurde. Ich weiß nur noch, dass ich es spannend fand, die Leute im Gerichtssaal zu beobachten - Richter, Anwälte, Angeklagte, Zeugen. Menschen, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren und andere, die nun über sie urteilen mussten. Irgendwie eine unangenehme Situation. Die Angeklagten taten mir leid, sie wirkten so armselig. Ein Fall war allerdings auch lustig, es ging emotional hoch her, der Angeklagte schimpfte, ein Zeuge pöbelte, die Straftat (ein Eigentumsdelikt, wenn ich mich recht entsinne) glich einer filmreifen Posse. Alles in allem ein aufregener Nachmittag.
Bei meinem zweiten Gerichtsbesuch saß ich selber auf der Anklagebank. Ich war mittlerweile Studentin und probte mit meinen Mitbewohnerinnen den Zwergenaufstand gegen unseren Vermieter, eine große Immobilienfirma mit fragwürdigem Ruf. Die wollte nach einer notwendigen Sanierung unseres Badezimmers eine völlig überzogene Mieterhöhung durchsetzen. Auf Anraten des Mietervereins klagten wir. Das war leider keine gute Idee. Unsere Anwältin wirkte total konfus, nicht nur uns gegenüber, sondern auch bei Gericht. Das Ganze endete mit einem Vergleich. Ich fühlte mich hilflos, ausgeliefert und betrogen.
Mein dritter Kontakt mit Jura fand ebenfalls während des Studiums statt. Ich belegte das Wahlpflichtseminar „Urheber- und Verlagsrecht“. Mein eigentliches Studium hatte nichts mit Recht zu tun, dementsprechend wenig vertraut waren mir juristisches Denken und Argumentieren. Der Dozent, ein bärbeißiger Anwalt, neigte dazu, durch die Reihen zu wandern und uns nach unserer Meinung zu fragen. Ich zitterte jedes Mal, wenn er in meine Nähe kam, weil ich meistens keine Antwort auf seine spitzfindigen Fragen wusste. Das einzige, was ich begriff: Juristen nehmen es sehr genau mit Worten. Sie ergründen ein so banales Wort wie „Werk“ auf eine Weise, dass jeder Linguistiker mit den Ohren schlackern würde. Vermutlich war mein intuitives Sprachgefühl am Ende meine Rettung. Zu meiner allergrößten Überraschung gehörte ich nämlich zu den 40 Prozent, die die abschließende Hausarbeit auf Anhieb bestanden.
Nun werde ich möglicherweise wieder mit Recht zu tun haben, mit Gerichtsverhandlungen und -urteilen. Ich wurde vom Bezirksamt angeschrieben, dass ich auf einer Vorschlagsliste zur Schöffenwahl gelandet bin. Mein Name wurde aus dem amtlichen Melderegister gezogen. Um dieses Ehrenamt kann sich (fast) jeder deutsche Staatsbürger bewerben. Da es aber nicht genug Freiwillige gibt, werden nun quer durch alle Bevölkerungsschichten Leute ausgewählt und zu diesem Amt verpflichtet.
Im ersten Moment fühlte ich mich wieder wie die Sechzehnjährige. Wow, wie aufregend! Eintauchen in eine fremde Welt und jede Menge Geschichten erleben. Spannend! Doch dann stieß mir das Zwanghafte an der Sache immer mehr auf. Ich werde nämlich nicht gefragt, ob ich als Schöffin arbeiten möchte, ich muss das tun, ob ich will oder nicht. Ich muss eine „Einverständniserklärung“ unterschreiben, selbst dann, wenn ich gar nicht einverstanden mit meiner Wahl bin. Wie absurd! Ablehnen kann man dieses Amt nur aus wenigen Gründen, von denen keiner auf mich zutrifft. Sollte ich also nicht nur vorgeschlagen, sondern auch gewählt werden, so muss ich ab 2014 pro Jahr an bis zu zwölf Verhandlungstagen teilnehmen. Und das fünf Jahre lang. Das ist schon eine enorme Verpflichtung im Dienste der Demokratie.
Dann las ich auch noch diesen Artikel und dachte: „Oh je, ich will auch keine armen Seelen verknacken, die gar nichts Böses getan haben." Das Verurteilen überlasse ich gern anderen. Ich will aber auch nicht nur Statistin sein. Wozu das Ganze, wenn die Richter am Ende doch mehr oder weniger alleine entscheiden? Vor allem will ich aber eins nicht: Vom Staat zu einem Ehrenamt gezwungen werden. Was hat das denn, bitteschön, noch mit Demokratie zu tun?
Bei meinem zweiten Gerichtsbesuch saß ich selber auf der Anklagebank. Ich war mittlerweile Studentin und probte mit meinen Mitbewohnerinnen den Zwergenaufstand gegen unseren Vermieter, eine große Immobilienfirma mit fragwürdigem Ruf. Die wollte nach einer notwendigen Sanierung unseres Badezimmers eine völlig überzogene Mieterhöhung durchsetzen. Auf Anraten des Mietervereins klagten wir. Das war leider keine gute Idee. Unsere Anwältin wirkte total konfus, nicht nur uns gegenüber, sondern auch bei Gericht. Das Ganze endete mit einem Vergleich. Ich fühlte mich hilflos, ausgeliefert und betrogen.
Mein dritter Kontakt mit Jura fand ebenfalls während des Studiums statt. Ich belegte das Wahlpflichtseminar „Urheber- und Verlagsrecht“. Mein eigentliches Studium hatte nichts mit Recht zu tun, dementsprechend wenig vertraut waren mir juristisches Denken und Argumentieren. Der Dozent, ein bärbeißiger Anwalt, neigte dazu, durch die Reihen zu wandern und uns nach unserer Meinung zu fragen. Ich zitterte jedes Mal, wenn er in meine Nähe kam, weil ich meistens keine Antwort auf seine spitzfindigen Fragen wusste. Das einzige, was ich begriff: Juristen nehmen es sehr genau mit Worten. Sie ergründen ein so banales Wort wie „Werk“ auf eine Weise, dass jeder Linguistiker mit den Ohren schlackern würde. Vermutlich war mein intuitives Sprachgefühl am Ende meine Rettung. Zu meiner allergrößten Überraschung gehörte ich nämlich zu den 40 Prozent, die die abschließende Hausarbeit auf Anhieb bestanden.
Nun werde ich möglicherweise wieder mit Recht zu tun haben, mit Gerichtsverhandlungen und -urteilen. Ich wurde vom Bezirksamt angeschrieben, dass ich auf einer Vorschlagsliste zur Schöffenwahl gelandet bin. Mein Name wurde aus dem amtlichen Melderegister gezogen. Um dieses Ehrenamt kann sich (fast) jeder deutsche Staatsbürger bewerben. Da es aber nicht genug Freiwillige gibt, werden nun quer durch alle Bevölkerungsschichten Leute ausgewählt und zu diesem Amt verpflichtet.
Im ersten Moment fühlte ich mich wieder wie die Sechzehnjährige. Wow, wie aufregend! Eintauchen in eine fremde Welt und jede Menge Geschichten erleben. Spannend! Doch dann stieß mir das Zwanghafte an der Sache immer mehr auf. Ich werde nämlich nicht gefragt, ob ich als Schöffin arbeiten möchte, ich muss das tun, ob ich will oder nicht. Ich muss eine „Einverständniserklärung“ unterschreiben, selbst dann, wenn ich gar nicht einverstanden mit meiner Wahl bin. Wie absurd! Ablehnen kann man dieses Amt nur aus wenigen Gründen, von denen keiner auf mich zutrifft. Sollte ich also nicht nur vorgeschlagen, sondern auch gewählt werden, so muss ich ab 2014 pro Jahr an bis zu zwölf Verhandlungstagen teilnehmen. Und das fünf Jahre lang. Das ist schon eine enorme Verpflichtung im Dienste der Demokratie.
Dann las ich auch noch diesen Artikel und dachte: „Oh je, ich will auch keine armen Seelen verknacken, die gar nichts Böses getan haben." Das Verurteilen überlasse ich gern anderen. Ich will aber auch nicht nur Statistin sein. Wozu das Ganze, wenn die Richter am Ende doch mehr oder weniger alleine entscheiden? Vor allem will ich aber eins nicht: Vom Staat zu einem Ehrenamt gezwungen werden. Was hat das denn, bitteschön, noch mit Demokratie zu tun?
Arbeitszimmer - feinstrick - 24. Jan, 18:24
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