Mittwoch, 4. Juli 2012

Spieglein, Spieglein ...

Im Kino. Auf dem Programm: ein Pferdefilm. Um mich herum eine Handvoll Frauen mittleren Alters. Sinnigerweise sitzen wir alle in derselben Reihe, der Rest des Saals ist leer. Es ist zu schönes Wetter für Kino. Eine der Frauen fragt in die Runde, ob jemand ein Taschentuch für sie habe. Ich reiche ein Päckchen hinüber, sie und ihre Nachbarin greifen dankbar zu.
„Oh, darf ich auch?“, fragt eine andere Frau. „Ich bin immer so wahnsinnig schnell gerührt.“
„Eigentlich“, mischt sich eine Dritte ein, „müssten die bei solchen Filmen schon Taschentücher an der Kasse verteilen.“
Und von ganz außen tönt es: „Ich habe noch ein paar Päckchen in Reserve, falls noch mehr Bedarf besteht.“
Dann geht der Film los. Ich brauche kein Taschentuch, aber die Dame zu meiner Linken habe ich offenbar beim Verteilen übergangen, sie schnieft den halben Film lautstark vor sich hin.

Erzählt wird die Geschichte von Buck Brannaman, dem „wahren“ Pferdeflüsterer. Er hat Nicholas Evans zu seinem Buch inspiriert und später Robert Redford beim Drehen beraten und gedoubelt. Bilder in Marlboro-Optik wechseln sich mit Bildern von verängstigten Pferden und erschütternden Lebensberichten ab. Dazwischen gibt es viele kluge und gleichzeitig simple Gedanken.

Vieles, was im Film gezeigt wird, war mir nicht neu. Zum Glück gibt es heute immer mehr gute Lehrer, die eine ähnliche Haltung gegenüber Pferd und Mensch haben wie Buck Brannaman. Und doch bringt der Film die Dinge noch mal schön auf den Punkt. Er ist nicht nur für Reiter ein Lehrstück, sondern für alle, die mehr über gute Kommunikation lernen möchten. Es geht um Gewaltlosigkeit, Respekt und Verständnis für das Gegenüber.

Vor allem aber geht es um Vertrauen. „Ein Pferd darf Fehler machen“, sagt Buck Brannaman. „Aber es darf keine Angst haben, dass es für seine Fehler bestraft wird.“ Wer Vertrauen hat, muss nicht mehr fliehen. Und Pferde haben einen ausgeprägten Fluchtinstinkt! Und da sie sehr sensibel sind, reagieren sie unmittelbar auf alles, was wir tun. Wie Kinder müssen Pferde konsequent, streng, aber liebevoll erzogen werden. Das gelingt oft toll und oft überhaupt nicht. Wie bei der Erziehung von Kindern eben auch. Weil Reiter und Eltern Liebe gern mal mit Gehätschel verwechseln. Das kann, wie der Film in einer sehr dramatischen Szene zeigt, katastrophale Folgen haben.

Ich bin schon als Kind geritten und habe mich bereits damals mit der Frage befasst, wie artgerechte Haltung und pferdefreundliches Reiten aussehen sollten. Obwohl mir niemand sagte, dass es für die Pferde nicht gut war, begriff ich von selbst, dass diese schönen, sanften Steppentiere daran zerbrachen, wenn sie ein Leben lang in schmalen Ständern angebunden und beim Reiten mit den abenteuerlichsten Hilfsmitteln zum Gehorsam gezwungen wurden. Ich bin keine gute Reiterin und mache auch heute noch vieles falsch. Weil ich es nicht anders weiß oder kann oder gesagt kriege. Darum mag ich Filme wie diesen, die mich daran erinnern, worauf es eigentlich ankommt.

„Ich komme nicht zu Menschen, die Probleme mit Pferden haben. Ich komme zu Pferden, die Probleme mit Menschen haben“, erklärt Buck Brannaman. Das Pferd spiegelt das Verhalten seines Reiters. Der Mensch muss seine eigenen Themen lösen, dann klappt es auch mit dem Kontakt zum Pferd. So die schlichte Botschaft des Pferdetrainers. Und sie stimmt! Und gilt meiner Meinung nach für jede Art von Partnerschaft: Mensch/Tier, Eltern/Kind, Mann/Frau. Immer geht es darum, dass der andere sich zu uns irgendwie verhält, auf uns reagiert – und uns dadurch zeigt, wie wir sind.

Ich kannte mal eine Frau, die hintereinander mehrere Pferde besaß und jedes von ihnen systematisch von einem umgänglichen Tier in ein neurotisches Geschöpf verwandelte – bis sie es nicht mehr reiten konnte und verkaufen musste. Erst als mal ein Reitlehrer sagte, sie würde ihre Pferde vollkommen verrückt machen, wurde mir klar, dass sie ihre eigenen Spannungen auf die Tiere übertragen hat. Jedes Mal wieder neu. Das ist genauso wie in Partnerschaften, die wieder und wieder an denselben Themen zerbrechen. Mir selbst ist es passiert. Und erst jetzt kapiere ich, dass ich nicht immer nur an total bescheuerte Männer geraten bin, sondern dass das ganz viel mit mir selbst zu tun hat. Genau davon erzählt dieser Film. Und darum finde ich ihn so wunderbar.

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Finchen1976 - 5. Jul, 10:03

Diese Erkenntnis hatte ich schon letztes Jahr.
Nur leider habe ich noch keine Ahnung, wie ich aus diesem Muster raus komme...

feinstrick - 5. Jul, 13:16

Das weiß ich leider auch nicht. Aber etwas zu bemerken, ist immer schon ein erster guter Weg, schätze ich.
kid37 - 5. Jul, 13:39

An dem Gedanken ist ewas dran, aber man sollte es auch nicht übertreiben. Es gibt tatsächlich lahme Gäule. Und neurotische. Und in Beziehungen werden viele geritten, die lange schon tot sind. He-haa!

feinstrick - 5. Jul, 13:50

Sie reiten tote Gäule? Herr Kid! Aber es stimmt natürlich: Man sollte niemals aus etwas eine Religion machen, dann wird es Murks. Gedanken, die sollte man sich allerdings öfter mal machen. Das kann nie schaden.

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