Freitag, 29. Mai 2015

Ein Menschenleben

Ich habe mal mit einem Mann zusammengearbeitet, der sehr unglücklich war. Warum, weiß ich nicht, mir ist kaum etwas über seine Lebensgeschichte bekannt. Zu mir war er immer freundlich, ich schätzte seine Verlässlichkeit und dass er weder geschwätzig noch intrigant war. Wir haben rund zehn Jahre im selben Unternehmen gearbeitet, wobei wir größtenteils recht wenig Kontakt hatten. Aber immerhin - zehn Jahre, in denen ich immer wieder dieses unauffällige, aber sympathische Gesicht mit dem netten Lächeln sah, mich über große Hilfsbereitschaft freute und über den überraschend trockenen Humor dieses Kollegen amüsierte.

Er war ein Feingeist, ein studierter Kunstgeschichtler, der irgendwie die Kurve nicht kriegte oder mal falsch abbog, ich weiß es nicht so genau. Jedenfalls war er nun auf einem Hilfsposten gelandet, für den weder Geist noch ein Studium erforderlich waren. Eine einsame, stupide Arbeit in einem Umfeld, das auch nicht unbedingt sonderlich aufbauend und stimulierend war.

Woran ich mich besonders erinnere, war die ewig resignierte Körperhaltung dieses Mannes. Seine hängenden Schultern, der lustlose Gang, die leise Melancholie in der Stimme. Er war einer, der aufgegeben hatte. „Warum suchst du dir nicht was anderes?“, fragte ich mal in meiner jugendlichen Naivität. Er ließ seine Schultern noch mehr hängen als ohnehin schon: „Ich habe Familie. Da geht man kein Risiko ein.“ Was genau so riskant daran war, sich mal ein wenig genauer in der Welt umzusehen, begriff ich damals noch nicht.

Ich begriff auch nicht, warum der Mann bei einer Frau blieb, die er nicht liebte. Aber das begriff auch sonst niemand. „Diese Frau ist absolut schrecklich“, hörte ich alle sagen, die sie mal persönlich erlebt hatten. Ich wusste nicht genau, was mit „schrecklich“ gemeint war, stellte mir aber eine ewig nörgelnde, humorlose Xanthippe vor. Die Art Frau, vor der man sich fürchten muss. Besonders als Mann. Mein Kollege fürchtete sich offenbar so sehr vor ihr, dass er weder den Mut aufbrachte, zu gehen, noch mit dieser Frau zu leben.

Nachdem ich meinen Job wechselte, sah und hörte ich viele Jahre nichts mehr von ihm. Bis ich kürzlich erfuhr, dass er gestorben sei. Jämmerlich zugrunde gegangen an ALS. Und weil er so ein schreckliches Zuhause hatte, zog er es vor, auch dann noch zur Arbeit zu kommen, als er sich kaum mehr bewegen konnte. Lieber schleppte er sich vor den mitleidigen Blicken der Kollegen durch die Firma, als zuhause zu sein. Und als es gar nicht mehr ging, zog er in einer letzten, großen Verzweiflungstat zum Sterben zu seiner Mutter. Hauptsache, er musste nicht mehr bei seiner Frau sein.

Was war das für ein Leben, frage ich mich. Wie hält man es aus, so unglücklich zu sein? Jahrzehntelang. Und warum wird jemand, der ein derart kleines, elendes Leben führt, auch noch mit so einem grauenvollen Tod gequält? Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Ich begreife das nicht. Und erkenne gleichzeitig, dass wir immer ein Stück selbst verantwortlich sind für unser eigenes Glück. Wir können nicht warten, bis uns von außen Veränderungen aufgezwungen werden. Dann ist es nämlich manchmal schon zu spät.

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testsiegerin - 31. Mai, 07:24

ein sehr berührender und nachdenklich machender text. vielleicht hat ihm einfach die kraft gefehlt, das glück in die eigene hand zu nehmen.

feinstrick - 31. Mai, 08:43

Ja, vermutlich.
meertau (Gast) - 1. Jun, 00:56

eine traurige geschichte.
wir sind nicht verantwortlich für unser unglück, das uns widerfährt, aber für das glück, das wir suchen. schade, dass er es nicht gefunden zu haben scheint. aber immerhin hat er zuguter letzt seine verbliebenen geschicke doch noch in die hand genommen.

meertau (Gast) - 2. Jun, 22:25

und schon schade irgendwie, dass ich hier noch lese, während Sie nie mal zu einem Besuch vorbei schauen. aber so ist das bei vielen....
feinstrick - 3. Jun, 15:55

Liebe Frau Meertau, ich gestehe, dass ich etwas langsam bin und ziemlich lange gebraucht habe, um zu kapieren, dass es bei Ihnen jetzt in erster Linie anderso weitergeht. Dann wollte ich mal einen fröhlichen Kommentar hinterlassen, doch bei Wordpress sind meine Mailadressen mit anderen Namen (und dazugehörigen Blogs) verknüpft, sodass ich mich nicht einloggen mochte. Aber ich denke mir was aus, wie sich das lösen lässt und schleiche dann nicht mehr nur still durch Ihre Räume, versprochen.

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