Samstag, 21. September 2013

Die Räuber unter uns

Ich bin unter die Selfpublisher gegangen, das heißt, ich veröffentliche Bücher ohne Verlag. Das erste Buch war ein Gemeinschaftsprojekt mit einer Freundin und erschien als Printausgabe. Es verkauft sich kaum, nicht zuletzt wohl, weil der Preis sehr hoch ist (16,90 Euro für ein Hardcover). Billiger verkaufen können wir es leider nicht, weil die Produktionskosten so hoch sind. Das ist der Nachteil beim Print-on-Demand-Verfahren.

Das zweite Buch habe ich als eBook veröffentlicht. Noch frustriert vom ersten Misserfolg ging ich wenig optimistisch an die Sache ran, gab nicht mal Geld für ein Cover aus, sondern bastelte alles selbst (was man natürlich auch sieht). Layoutkosten entfallen beim eBook zum Glück – das formatiert sich ja jeder Leser selbst. Das Ganze war also eine billige Angelegenheit – wenn man mal von den hunderten von Stunden absieht, die ich mit Schreiben und Überarbeiten verbrachte und die mir natürlich kein Mensch bezahlte. Aber was billig produziert wird, kann auch billig verkauft werden. Ich fing mit einem Einstiegspreis von 1,49 Euro an und bin nun bei 3,99 Euro. Knapp vier Euro für ein Buch, das gedruckt rund 350 Seiten hätte und eine ausgereifte, komplexe Geschichte enthält – so komplex, dass mir die Lektorin einer namhaften Agentur riet, die Handlung auf die Hälfte zu reduzieren. Dann wäre daraus einer dieser niedlichen, nichtssagenden „frechen Frauenromane“ geworden. Das kam für mich aber nicht infrage. Gerade die Geschichten hinter der Geschichte haben mich gereizt. Darum entschied ich mich gegen eine Überarbeitung und einen möglichen Verlagsvertrag.

Und meine Leserinnen (ja, ist ein Frauenbuch, auch ohne Kürzungen) geben mir recht. Zu meiner großen Überraschung schoss das Buch innerhalb kürzester Zeit in den Amazon-Verkaufsrängen nach oben – bis in die Top 100. Ich flippte aus vor Glück und Begeisterung, wohl wissend, dass so ein Erfolg ganz schnell wieder vorbei sein kann. Heute in den Top 100, morgen 10.000 Ränge weiter unten – oder so. Aber das war mir egal. Dieses Herzensprojekt flog in die Welt hinaus, nur darauf kam es an. Das Buch erhielt großartige Rezensionen, die Leserinnen waren begeistert und berührt. Ich war es auch.

Dabei kann ich auch mit diesem Buch keine Reichtümer anhäufen. Von den 3,99 Euro erhalte ich je nach Händler zwischen 1,56 und 2,35 - die ich natürlich noch versteuern muss. Sie können sich selbst ausrechnen, wie viele Bücher ich regelmäßig verkaufen müsste, um davon leben zu können. Das haut natürlich nicht hin. Dennoch sind die Tantiemen für mich als kleine Freiberuflerin sehr willkommene Extraeinnahmen, die zu meiner Existenzsicherung beitragen könnten, wenn sie dauerhafter wären. Aber, wie gesagt, Erfolg ist nicht kalkulierbar. Besonders nicht, wenn viele Leser gar nicht bereit sind, mehr als Pfennigbeträge auszugeben – falls überhaupt.

Inzwischen ist mein Buch nämlich den Raubkopierern zum Opfer gefallen. Ich hatte mir bis dato wenig Gedanken über dieses Thema gemacht, dachte immer, das beträfe nur namhafte Autoren. Doch weit gefehlt. In der letzten Woche brachen die Umsätze massiv ein. Ich dachte erst, das sei halt so – erst Top, dann Flop. Doch dann entdeckte ich, dass mein Buch auf einem halben Dutzend Plattformen aufgetaucht ist, die es kostenlos zum Download anbieten – bzw. einen Link bereitstellen, der irgendwohin führt, wo man es kostenlos downloaden kann. So können sich die Anbieter damit rühmen, nichts Illegales zu tun. Manche Seiten verlangen sogar Gebühren für den Download. Es erstaunt mich, dass irgendwer bereit ist, dieses Geld zu zahlen. Aber die Menschen sind so. Zu geizig, um Mitglied in der Stadtbibliothek zu werden, aber bereit, im Internet seltsamen Gestalten ihr Geld zu überlassen.

Ich gehe davon aus, dass mein Buch noch auf weiteren Plattformen erscheinen wird. Es scheint wie eine Seuche zu sein. Hat erst mal wer den Kopierschutz entfernt, gibt es kein Halten mehr. Auf einer der Seiten hatte es nach zwei Tagen bereits über 1.100 Klicks – mehr als ein Buch von Cornelia Funke, das zeitgleich bereitgestellt wurde. Nach drei Tagen hatte ich Frau Funke abgehängt und landete in den Top 100. Ein trauriger Ruhm.

Dann machte ich mich daran, das Thema Raubkopien näher zu beleuchten. Was kann ich tun? Was tun andere Autoren? Wie schütze ich mich zukünftig? Bei einem Autor, der vom Schreiben lebt, las ich, dass eins seiner eBooks Verkaufseinbußen von 70 Prozent hatte, nachdem es auf den illegalen Plattformen auftauchte. Sein erstes Fazit: Zukünftig keine eBooks mehr herausbringen, Printbücher werden nicht so schnell kopiert.

Ich recherchierte weiter und stellte fest: Die meisten Selfpublishing-Autoren wollen sich nicht mit dem Thema befassen. Neulinge, die es in Foren anbringen, werden nicht selten überheblich abgefertigt, oft aber einfach ignoriert. Viele Autoren scheinen der Meinung zu sein, dass das Thema sich von selbst erledigt, wenn man es nur lange genug ignoriert. Etliche sind auch gar nicht betroffen oder haben keine nennenswerten Verluste. Manche hegen sogar die Hoffnung, dass die illegale Verbreitung ihres Werkes eine gute Werbung sei und ihnen zusätzliche zahlende Leser bescheren könnte. Es gibt durchaus auch Autoren, die das Thema sehr ernst nehmen. Sie diskutieren aber oft extrem emotional und warnen vor dem Untergang des Abendlands. Das ist nun auch nicht gerade hilfreich.

Was mir auffällt: Der Zorn richtet sich meistens gegen die Seitenbetreiber, weniger gegen die User. Klar, diese Leute sind ekelhafte Menschen, denen auch ich in ohnmächtiger Wut gern mal ins Gesicht spucken würde. Aber diese Seiten würden doch nicht wie Pilze aus dem Boden schießen, wenn sie nicht von so vielen Leuten genutzt würden. Und das sind ja nicht irgendwelche dubiosen Subjekte, die über reichlich kriminelle Energie verfügen (auch wenn viele Autoren so tun, als sei es so). Das sind meine Nachbarn, Freunde, Kollegen. Das sind zum Beispiel Eltern, die für ihre Kinder Hörspiele und Musik runterladen, weil man ja als Familie eh nie genug Geld hat. Das sind Schüler, deren Taschengeld nicht für die neuesten Games reicht und die von ihren Eltern nie darauf aufmerksam gemacht wurden, dass sie etwas Verbotenes tun (im Gegenteil, Papa macht's ja auch). Das sind die Kollegen, die meinen, Hollywoodstars würden genug verdienen, da könne man ruhig mal ein paar Filme kostenlos runterladen, das schade niemandem. Ach, und Cornelia Funke gibt es jetzt auch kostenlos? Ist ja super. Deren Bücher werden sowieso zu völlig überteuerten Preisen verkauft. Und wenn dann auf diesen Plattformen auch ein paar eBooks von kleinen, namenlosen Autoren angeboten werden - ja, warum soll man die nicht auch einfach mal mitnehmen? Ach, das ist illegal? Wieso das denn? Steht doch nirgendwo, dass das Buch eigentlich was kostet. Und überhaupt – wer will denn für so was Selbstgemachtes auch noch Geld haben?

Mir scheint, das ist das Hauptproblem bei der ganzen Sache. Viele Leute meinen, im Internet könne man alles grundsätzlich umsonst beziehen und Kultur sei sowieso nichts wert. Käme irgendwer von diesen Leuten auf die Idee, bei Aldi mit einem vollen Einkaufswagen aus dem Hinterausgang abzuhauen, ohne zu bezahlen? Würde irgendwer von ihnen von seinem Friseur erwarten, zukünftig kein Geld mehr fürs Haareschneiden zu verlangen? Genau das aber tun diese Menschen – meine Nachbarn, Freunde, Kollegen, vielleicht sogar Sie, meine Blogleser. Sie alle verlangen, dass ich als Autorin für null Geld arbeite. Dass ich meine Künste ganz im Sinne einer falsch verstandenen sozialistischen Idee der Welt frei zur Verfügung stelle. Das will ich aber nicht. Jedenfalls nicht unfreiwillig. Ich werde beklaut und um meinen sehr hart verdienten Lohn gebracht. Soll ich das toll finden? Fänden Sie das toll? Ihnen würde es ja nicht mal gefallen, wenn Ihre Nachbarn Radieschen aus Ihrem Gemüsebeet klauen würden.

Was ist also die Konsequenz? Keine Bücher mehr veröffentlichen? Natürlich nicht. Jedes Mal, wenn ich eine neue illegale Seite entdecke, in Richtung der Betreiber laut brüllen „Ich wünsche euch täglichen Brechdurchfall und dass euch die Eier abfaulen“? Na ja. Hilft vielleicht für den Moment. Aber sonst? Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Der Verlag, bei dem ich das Buch hochgeladen habe, hat den Fall seiner Rechtsabteilung übergeben, aber signalisiert, dass man vermutlich wenig machen könne. Ich selbst fange mal damit an, ein bisschen Aufklärung in meinem privaten Umfeld zu betreiben. Und falls all diese Autoren mit ihrer Kann-man-doch-eh-nichts-machen-Haltung ihren Hintern bewegen könnten und sich ebenfalls mit ihren Nachbarn unterhalten würden, wäre das ja vielleicht ein erster Schritt in eine richtige Richtung.

PS: 3,99 geben Sie übrigens ohne zu zögern schnell mal für einen Hamburger aus. Ein industriell gefertigtes Massenprodukt, das Sie innerhalb einer halben Minute verschlingen. Ein gutes Buch würde Ihnen hingegen einige unterhaltsame Stunden bescheren und nicht nur Bauchgrummeln und Blähungen hinterlassen, sondern vielleicht auch angenehmere Gefühle. Denken Sie mal drüber nach, wenn Sie das nächste Mal etwas kostenlos erwerben möchten, das gar nicht kostenlos ist.

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