Strahlen
Nach langer Zeit sitzt mein Lieblingsmitarbeiter mal wieder an der Kasse im Schwimmbad. Er strahlt mich schon von weitem an, ich strahle zurück, wir wechseln die üblichen Worte - “Einmal Schwimmen für anderthalb Stunden bitte“, „Gerne“, „Danke“ -, da sagt er auf einmal: „Sie wissen aber schon, dass Sie mit Ihrem Lächeln den Blick von mindestens zehn griesgrämigen Gästen hier wieder ausgleichen, oder?“ Ich hebe verblüfft den Kopf und schaue ihn aufmerksam an. Mir fällt auf, dass er eine jüngere Ausgabe von ihm ist – nicht schön im klassischen Sinne, dennoch sehr attraktiv und sympathisch, die Haare genauso nach hinten gegelt, die muskulösen Oberarme voller Tattoos. „Ist doch wahr“, fügt er hinzu und lehnt sich in seinem Sessel zurück. „Viele Leute schauen so unfreundlich in die Gegend und kriegen kaum den Mund auf, wenn sie hier vor mir stehen. Da vergeht einem manchmal schon selbst die gute Laune.“ Ich strahle ihn an, er strahlt zurück, ich möchte gar nicht schwimmen gehen, ihn viel lieber noch länger anschauen und endlich fragen, was denn da eigentlich auf seinen Armen steht, aber dann gehe ich doch weiter in Richtung Umkleidekabinen. Doris Day singt Qué Será, und ich singe ein bisschen mit, und denke, dass meine Laune ja schon heute Morgen gut war, dass sie nun aber ungeahnte Gipfel erstürmt. Und ich frage mich, warum ich neuerdings ausgerechnet diesen Typ Mann so interessant finde. Das war doch früher nicht so. Vielleicht liegt es ja daran, dass ich vor der speziellen Erotik, die diese Kerle ausstrahlen, keine Angst mehr habe, sondern sie höchst aufregend finde. Ich nehme mir vor, nach dem Schwimmen noch mal an die Kasse zu gehen. Doch leider sitzt dort nun eine junge Frau, die mit anderen Gästen beschäftigt ist. Schade. Ich hätte mich gerne bei ihrem Kollegen dafür bedankt, dass ich immer noch strahle. Aber ich gehe jetzt sicher wieder öfter schwimmen. Allein schon der guten Laune wegen.
Unterwegs - feinstrick - 7. Apr, 20:08
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