Dienstag, 1. März 2011

Mein Lieber,

nun bist du schon bald fünf Monate fort. Irgendwann im Laufe des Frühlings kommst du zurück – vermutlich randvoll mit Eindrücken, Erinnerungen, Gefühlen von einem halben Jahr am anderen Ende der Welt. Deine seltenen Mails klingen ganz nach dir: fröhlich und nachdenklich zugleich. Auf den Fotos sehe ich dich lachend inmitten strahlender Menschen. Es geht dir gut, das merke ich. Und ich merke auch, wie sehr ich dich vermisse. Seltsam, dass man Kostbarkeiten oft erst richtig zu würdigen weiß, wenn sie nicht mehr verfügbar sind.

Unser Miteinander war für mich so selbstverständlich geworden. Du warst in den letzten Jahren immer da, wenn ich dich brauchte, unkompliziert und schnell. Und ich war für dich da. Nachbarschaftskontakte sind anders als freundschaftliche, selbst dann, wenn aus ihnen irgendwann Freundschaften werden. So wie bei uns. Du marschierst auch dann durch meine Wohnung, wenn sie total unaufgeräumt ist. Du siehst mich, wenn ich meine ältesten Klamotten trage und ungeschminkt und ungekämmt bin. Wenn ich eine so fette Erkältung habe, dass ich kaum aus den Augen schauen kann. Wenn ich müde und traurig bin und eigentlich mit gar niemandem reden mag. Warum das so ist? Weil du immer unangemeldet vor meiner Tür stehst – wäre ja auch albern, anzurufen, wo wir doch Wand an Wand leben. Und weil ich dich in der Regel auch immer reinlasse, spontan und unvorbereitet. Du machst das umgekehrt auch. Ich habe da nie drüber nachgedacht, bis du mal gesagt hast, wie toll du das findest. Manchmal denke ich, dass es im Grunde für so bindungsscheue Wesen wie uns nichts Tolleres gibt, als in getrennten Wohnungen und doch miteinander zu leben. Aber das mit der gemeinsamen Beziehung kriegen wir trotzdem nicht hin, und vielleicht ist das auch gut so.

Jetzt brüte ich über der Antwort auf deine letzte Mail, denn ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was ich erzählen soll. Hier passiert so wenig. Die Highlights der letzten Monate waren Schneemassen im Dezember, der Abriss eines alten Kaufhauses und die Abwahl des Bürgermeisters. Das sagt eigentlich alles. In meinem Privatleben passiert fast noch weniger. Ich ringe mit sperrigen Aufträgen, die viel Arbeit, aber wenig Geld bringen. Immerhin habe ich Aufträge, das ist die gute Nachricht. Der Winter ist so im Nichts verschwunden. Und im Schnee. Jetzt ist schon fast Frühling. Heute habe ich meine Balkonkästen von Heidekraut und Tannenreisig befreit und gestaunt, wie weit die grünen Spitzen der Tulpen schon heraus schauen. Aber mir kommt das alles viel zu früh vor, zu schnell, zu unwirklich. Ich komme mit dem Tempo nicht mehr mit. Fünf Monate bist du fort, und ich denke: Das war doch erst gestern, als ich dir hinterher gewinkt habe. Fünf Monate, in denen ich einfach nur gelebt habe, mal leiser, mal lauter. Fünf Monate, die sich in Luft aufgelöst haben, so wie sich die nächsten fünf Monate in Luft auflösen werden, und es in den Balkonkästen Herbst wird, bevor ich überhaupt verstanden habe, dass Sommer war.

Was kann ich dir erzählen aus meinem kleinen Leben? Dass es darin wieder von Männern wimmelt? Ja, ich muss es ja immer gleich übertreiben. Jahrelang keiner und dann geht gleich alles drüber und drunter. Normal war bei mir noch nie etwas. Aber bei dir ja auch nicht. Du philosophierst in deiner Mail über den Unterschied zwischen Beziehungen und Affären, brichst aber mittendrin ab: „Das erkläre ich dir am besten in Hamburg.“ Darauf freue ich mich! Mit dir auf meinem Balkon sitzen, ein Bier trinken, die Abendsonne genießen und über das Leben und die Liebe reden. Wie wir es schon so oft gemacht haben. Eigentlich ist es das, was ich dir am liebsten schreiben möchte: Dass ich mich total auf dich freue. Und dass ich Angst vor dem Gedanken habe, du könntest nur vorübergehend zurückkehren, weil du Geschmack gefunden hast an dem ganz anderen Leben, das du jetzt führst. Was soll ich auch über meine Männer und verrottete Kaufhäuser und Balkonpflanzen schreiben? Das alles hat doch in deiner Welt im Moment gar keinen Platz. Es ist nur ein Zeichen dafür, wie klein und öde so ein Leben sein kann, wie still man vor sich hinleben kann, in einem Winter in Hamburg, der endlos dauert und gleichzeitig erschreckend schnell verfliegt. Aber meine nachbarschaftliche Freundschaft, die erreicht dich vielleicht auch jetzt und da, wo du gerade bist.

Also: Ich denke an dich. Und ich vermisse dich.

Alles Liebe
deine Käthe

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